Leichter als Luft, Folge 34 — Wahlkampf

Leichter als Luft
Cover, Leichter als Luft

Die Hauptstadt befindet sich im Wahlkampf. Wie ein Brennglas setzt dieser Zirkus alle Fehlentwicklungen in dieser Stadt ins grellste Licht.

 

Der Senatswahlkampf ging in die heiße Phase. Die Kernbotschaft der SPD war der sympathische, schwule Bürgermeister. Die Grünen versuchten das Gleiche mit einer unsympathischen Spitzenkandidatin. Die CDU beschäftigte sich mit brennenden Autos. Die Linke »brachte es auf den Punkt« und illustrierte dies zur Sicherheit mit einem großen, roten Punkt auf den Plakaten. Die glücklose FDP hatte sich im Wahltermin vertan: Sie legte zur Berliner Senatswahl eine Anti-Europakampagne auf.

Die faden Abgeschmacktheiten dieses Wahlkampfs kontrastierten auf das Misslungenste mit dem Hintergrund einer weltweiten Katastrophendynamik. Zwischen den diversen Kriegs- und Krisenschüben war es zu erfolgreichen Aufständen und anhaltenden Bürgerkriegen im Nahen Osten gekommen. Dazwischen Erdbeben und Atomalarm in Japan, ein Öl-Leck im Atlantik sowie Nahrungsmittelspekulanten, die Hungerkatastrophen auslösten, Flüchtlingswellen brandeten an die Wälle der westlichen Welt. Die Zahl der vor Gibraltar Ertrinkenden ging bereits in die Zehntausende – und einfach keine Ruhe an den Finanzmärkten.

Die Frage, ob man es mit der Krise eines Systems zu tun hatte oder mit dem Zusammenbruch einer Zivilisation, war noch nicht abschließend geklärt. Die Argumente für die zweite Analyse häuften sich jedoch.

Aber wer hätte auch nur ein schwerwiegendes Problem vermuten wollen, der in diesen Tagen die Verlautbarungen in den Mainstreammedien verfolgte – oder besser, von ihnen verfolgt wurde!

Sicherlich. Begriffe wie »Euro-Krise« und »Rettungsschirm« klangen nicht allzu positiv. Alle paar Monate gerieten die Börsen in Panik, und DAX, Dow Jones, Nikkei und Co. stürzten einige Prozentpunkte ab.

Trotzdem morphten nach jedem Krisenschub alle unweigerlich zurück in jene depressive Antriebslosigkeit, die man bei Spiegel Online als »Besonnenheit« feierte:

»Der Euro taumelt, die Nachbarländer meckern über die Berliner Dominanz, die Kanzlerin hetzt von Krisengipfel zu Krisengipfel. Doch die Deutschen bleiben anscheinend völlig entspannt. Woher nur kommt diese neue Gelassenheit?«

Lola brachte das Missverhältnis zwischen Inszenierung und Situation in einem Kommentar mit dem Titel »Lethargie & Wahnsinn«, den sie zur Abwechslung und um dem Stadtmagazin eine gewisse Unabhängigkeit zu demonstrieren, im Freitag unterbrachte, auf jenen Punkt, den Die Linke wohl doch weiträumig verfehlt hatte und auch nie so schön und treffend zu formulieren vermocht hätte:

»Die Hypochonder sind die letzten Realisten der westlichen Welt!«, schrieb Lola und sinnierte weiter, dass die Digitalen Aktivisten nicht zufällig den Virus als Waffe im Einsatz für die Weltgesundung entdeckt hätten. Dies sei ein Beleg für die These des wunderbaren Egon Friedell, der in seiner Kulturgeschichte der Menschheit klug erkannt hätte, dass Krankheit das eigentlich vorwärtstreibende Element der menschlichen Entwicklung sei. Und damit sei der Status quo ja reichlich gesegnet.

Die hellfühlige Donna Fauna hatte eine ganz ähnliche Witterung und glaubte ihrerseits zu erkennen, dass einige der TV-Moderatoren ihrer Aufgabe der kollektiven Einlullung nur mit wachsender Mühe nachzukommen vermochten. Weniger aus moralischem Skrupel, dafür hätte es ja einer Moral bedurft. Nein, Fauna empfing den Impuls, dass es einigen dieser Damen und Herren persönlich schlecht ging. Hinter den Masken des ewigen Lächelns erspürte sie ein großes Leiden. Es blitze mitunter auf, wenn den TV-Profis für eine kleine Sekunde die Stimme nach oben wegbrach oder eine Hand ganz kurz außer Kontrolle geriet und zuckend nackte Angst verriet.

War das ein Wunder?

Die Dauerkrise erreichte langsam auch die Gutsituierten.

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