
An der prekären Dauermisere des Kanarienquex zwischen Kunst und Überlebenskunst ändert auch die mediale Aufmerksamkeit durch die „Balkon-Kampagne“ rein gar nichts. Auch im Privaten ist die Lage alles andere als erfreulich, aber der Quex hat Mittelchen und Wege, das zumindest kurzfristig zu ändern.
Es hatte die letzten Tage mal wieder eine Annäherungsphase gegeben zwischen Quex und Fauna. Erst eine Facebook-Message, dann ein kurzes Telefonat, dann mehrere lange Telefonate … Endlich hatten sie sich getroffen, bei KQ in der Wohnung mit dem kaputtsanierten Balkon.
Dort hatte sich der Kanarienquex tränenreich für seine Ausraster entschuldigt, hatte Fauna hoch und heilig versichert, demnächst eine Therapie zu machen und mit den Drogen aufzuhören. Fauna war weich und verzeihend geworden und hatte auch Gründe zur Selbstkritik ausfindig gemacht. Danach hatten sie Wiedergutmachungssex gehabt. Der war wieder mal so fantastisch gewesen, dass alle Krisen und Krämpfe und Tritte und Tränen vergessen waren. KQ hatte sich von der 1,93-Tunte richtig hernehmen lassen, hatte sie animiert, immer noch dominanter ranzugehen. Fauna war richtig abgegangen, KQs Körper war wie Butter in ihren kräftigen Händen gewesen. Sie hatte seine Arschbacken gewatscht, hart und immer härter, war immer tiefer in ihn reingegangen. Am Ende hatte der Quex quer übers Laminat und Fauna in KQs Arsch gespritzt – ein grandioser, ein historischer Fick!
Später in der Nacht, Fauna war längst gegangen, hatte KQ ihr dann versöhnungsselig Lolas SMS mit der Einladung ins Caravaggio weitergeleitet, aus der aber keineswegs hervorging, dass auch Jonathan Rischke dort sein würde.
Natürlich war ihm am nächsten Morgen sonnenklar, dass das eine schlechte Idee gewesen war. Natürlich aktivierte die unauflösliche Schwierigkeit, die drohende Katastrophe abzuwenden, KQs Phlegma, diesen gallertartigen Schutzschild ums quexsche Kleinhirn. Zuletzt hatte er gehofft, Fauna würde vielleicht einfach nicht hinkommen. Und jetzt stand Donna Fauna vor diesem Tisch im Caravaggio, pudelnass, denn draußen regnete es wie blöd.
Rischke, der gerade zu seiner vorher ausgearbeiteten Analyse der strategischen Großwetterlage anheben wollte, verstummte angesichts der Schockstarre, in die KQ verfiel, ebenfalls. Lola freute sich ehrlich über Faunas Kommen, was auch nicht half, die Lage zu entspannen. Große allgemeine Verlegenheit, der Abend war gelaufen. KQ wagte nicht einmal mehr, eine weitere Flasche Schampus kommen zu lassen. So sehr fürchtete er, Jonathan würde diesmal nicht zahlen. Der aber stand nach einigem inhaltlosen Verlegenheitsgeplänkel auf, ging zur Bedienung, legte dort wie gewohnt seine Kreditkarte ins Ledermäppchen und dampfte ab. Lola hatte dann auch keine Lust mehr, zu bleiben. Denn über Fauna und KQ zogen sich schwarz die Gewitterwolken zusammen.
Deren wortreiche Entladung begann, sobald die Tür des Caravaggio hinter den beiden zugefallen war. Noch bevor sie die nahe U-Bahnstation Rosa-Luxemburg-Platz erreicht hatten, geiferten sie sich lauthals an. KQs Versuche, sich zu rechtfertigen, gerieten zu einer Serie von Vorwürfen an Faunas Adresse. Die war fassungslos über die unmögliche Situation, in die KQ sie gebracht hatte, und darüber, dass »sein lieber Jonathan« sie soeben behandelt habe wie Dreck. KQs Erwiderungen wurden immer wirrer und Fauna wiederholte in jedem dritten Satz dieses »dein lieber Jonathan«. Irgendwann schubste KQ wütend und mit beiden Händen Fauna von sich weg. Die machte einen Schritt rückwärts auf die Fahrbahn der Torstraße – und ein PKW verfehlte sie nur um Haaresbreite.
»Willst Du mich killen? Du Wichser! Du dummes Arschloch! Du willst mich killen, Du hirnloser Idiot! Du killst mich!« Dies und Ähnliches mit kaltem Hass ausstoßend, ging jetzt Donna Fauna auf KQ los und rannte schließlich weg, immer weiter, ohne Pause, bis sie vor der Tür ihrer Wohnung stand.
Schon auf dem Weg waren ihr die Tränen hinuntergelaufen, im Treppenhaus hatte sie lauthals angefangen zu schluchzen. In ihrem Zimmer wartete die fetteste Depression der letzten Jahre auf die keuchend wehklagende Heimkehrerin.
Und diese Depression würde erst mal dableiben, bei Fauna.
Dagegen war mit allen Grillanzündern der westlichen Welt nichts mehr zu machen.
Also legte Fauna die Infected Mushrooms ein und drehte die Bässe voll auf. Erwartungsgemäß stand die Musiklehrerin drei Minuten später vor der Tür. Fauna entschuldigte sich zuckersüß, ging ins Zimmer und drehte die Mushrooms ab. Stattdessen ließ sie das »Wohltemperierte Klavier« von Bach erklingen, zwei Stunden lang und mindestens genauso laut. Danach ging es Fauna etwas besser. Die vor der Wohnungstüre tobende Nachbarin ignorierte sie genüsslich.
Der Kanarienquex war sauer.
Auf wen?
Auf alle.
Ja, auch auf sich.
Vor allem aber: auf alle.
Und auf alles.
Auf Fauna, auf Lola, auf Rischke, auf die HDK, auf Berlin, auf Deutschland, auf Europa, auf die Welt und auf den Kulturbetrieb und auf die Zeit, in der er leben musste – auf alles eben.
Und auf alle.
Ja sicher machte er sich Vorwürfe! Als er Donna Fauna geschubst hatte und die fast von diesem Auto … keine gute Szene das. Gar nicht gut! Aber was konnte die auch nicht aufhören mit ihren doofen Vorwürfen und ihrem ständigen »Dein lieber Jonathan«? Als ob er was hätte mit dem Rischke! Oder jedenfalls als ob das was Ernstes wäre! Dieser Schleimscheißer, der die Hosen voll hatte, wenn KQ mal zwei dummen Truten in einem dummen Internetshop um die Ecke die Meinung geigte! Sollte er ins Kloster gehen, nur weil er die Titelstory des Stadtmagazins gewesen ist und Rischke Angst hatte um seine Geschäfte und seinen Ruf als Held der kreativen Spießer?
Die Geldkarte, mit der KQ die Line Koks so lange hin- und herschob, bis sie endlich eine perfekte Gerade ergab, war auch leer. Die perfekte Line, immerhin. Perfektion musste sein! Der Kanarienquex verstand sich als Fine Artist, sowas fing im Alltag an. Den Zwanziger, mit dem er noch vor drei Tagen das Koks eingezogen hatte, hatte er auch investiert. In die Line Koks, die er vor sich liegen hatte. Perfekt! Eine ganz gerade Linie, hauchdünn, wie mit dem Laser gezogen.
Der Quex zog durch, atmete kräftig aus, warf sich in die Polster und entspannte. Alles perfekt jetzt. Er schaute geradeaus, direkt an die Decke über sich. Auch die hatte er mit schlanken geometrischen Figuren perfektioniert. Nur zwei Figuren, der Quex war Minimalist. Eine Kosinus-Kurve war da. Und eine Sinuskurve. Leider war die Sinuskurve nicht hundertprozentig gelungen. Die Krümmung der Linie war nicht ganz sauber.
Sowas ärgerte KQ maßlos!
Sonst aber: alles perfekt!
Supersache, das mit dem Stadtmagazin. Lola: super. Die hatte es voll drauf. Er hatte außerdem ein Bild verkauft. Die Kohle musste die Tage reinkommen! Bald ließ vielleicht irgendein Galerist seinen Namen fallen, dann würden ihn die Kunstfuzzis zu sammeln anfangen. Demnächst gäbe es noch mehr Artikel über ihn, wegen dem Balkon-Prozess. Den würde er mit Rischke gewinnen, auf jeden Fall. Und dann würden die Kunst-Spekulanten richtig steilgehen auf ihn.
Ach halt, genau: die Pressekonferenz vorher, die auf der Dachterrasse des Soho! Die hatte der Kanarienquex noch vergessen, sich vorzustellen. Die kam ja vorher.
Also stellte sich der Quex die Pressekonferenz auf der Dachterrasse des Soho vor und das gefiel ihm richtig gut: Rischke in diesem dunkelblauen Blazer mit dem Abzeichen eines superbonzigen Country Clubs, dessen Mitgliedschaft man ihm kürzlich angetragen hatte. Daneben Lola, Fauna, und in der Mitte er, El Quecko, in seiner Silberhose, in seinem weißen, weiten Seidenhemd. Sonnenbrille auf jeden Fall, egal bei welchem Wetter. Und rauchen vor der Presse, ganz wichtig: einfach rauchen. Und zwar keine Filterzigaretten und ganz sicher keine Zigarre. Sondern Drehtabak! Und die Fluppen mitten in den Antworten auf die Fragen der Journalisten drehen, so nebenbei.
Hatte er sich die Pressekonferenz jetzt mit Fauna vorgestellt? Das ging natürlich nicht, das ging gar nicht mehr, also: Nach dem Auftritt, den die sich im Caravaggio geleistet hatte und danach an der Torstraße – Fauna bei der Pressekonferenz, das ging auf keinen Fall! War letztlich besser so, dachte sich KQ, die mit ihrem Tuntenterror, das passte auch gar nicht zum Style der Veranstaltung.
KQ unterließ es, sich die Szene noch einmal, aber diesmal ohne Fauna, vorzustellen. Musste nicht sein, weil: Alles war perfekt. Aber vielleicht sollte er doch Filterzigaretten rauchen? Kam vielleicht besser bei dem Anlass und bei dem zu erwartenden Presseauflauf. Kein Trash! Auf dem Level nur kein Trash!
Egal, das konnte er sich noch überlegen. Erst musste er sich um was anderes kümmern. Der Joint, den er extra vor der Koks-Line gebaut hatte, war vom Glastisch gefallen und auf dem Laminat doof unter das Sofa gerollt, auf dem KQ sich die Pressekonferenz im Soho vorgestellt hatte.
Ach, verdammt, natürlich bekam er den Joint unterm Sofa mit den Fingern nicht zu fassen. Jetzt musste er unters Sofa tauchen, und siehe da: Ach, Fuck! Der Joint war weiter gekullert als gedacht. Schöner Mist! Also runter vom Sofa, das Sofa anheben, drunter greifen, Joint retten.
So.
KQ saß wieder auf dem Sofa, der Joint brannte schon. So war das halt, im Grunde genommen alles perfekt. Bloß manchmal hakte es ein bisschen.
Normal, oder?
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