
Mit der Balkon-Story im Stadtmagazin hat die ehrgeizige Hauptstadtjournalistin Lola Mercedes gepunktet. Aber ihre Gegner in Redaktion und Verlag finden Wege, ihren Erfolg zu unterminieren.
Der noch amtierende Chefredakteur des Stadtmagazins sammelte seine Truppen und kämpfte. Der Geschäftsführer des Verlages, Lolas Hauptverbündeter, weilte im Urlaub, und Lolas redaktionsinterne Gegner nutzten die Gelegenheit nach Kräften.
Im neuen Heft war Lola mit Ausnahme einer Randspalte gar nicht vertreten. Sämtliche ihrer Vorschläge waren irgendwo versandet, wurden nach ausführlicher Diskussion auf die nächste Ausgabe verschoben, abgelehnt oder ohne ihr Wissen kurz vor Drucklegung aus dem Magazin gekickt.
Quer über das Stadtmagazin waren stattdessen Artikel gestreut, die, für den Außenstehenden nicht als solche erkennbar, unzweifelhaft Angriffe auf Lolas Position darstellten.
Einerseits gab es eine Reihe von Texten, die Lolas neue Blattlinie vorwegnahmen. Beispielsweise wurde ein Korruptionsskandal in einer Wilmersdorfer Kfz-Zulassungsstelle in investigativ-journalistischem Ton groß aufbereitet. Der Innensenator wurde im Interview mit bohrenden Fragen wegen eines brutalen Polizeieinsatzes gegen Antifaschisten konfrontiert und im Editorial, das der Chefredakteur wieder selber geschrieben hatte, kommentierte er bissig die Zustände im Berliner Nahverkehr und zitierte zustimmend die Forderung der Piratenpartei nach einem allgemeinen Nulltarif.
Das alles war recht gut gemacht, wie Lola zugeben musste. Da zeigte einer, dass er die von der Verlagsleitung erwartete Wende ebenso gut selber durchführen konnte.
Dazu kamen Angriffe persönlicher Natur, so gut versteckt und hinterhältig, dass sie für Eingeweihte als auf Lola gemünzte Attacken klar erkennbar waren, diese Wahrnehmung aber ebenso gut als paranoides Hirngespinst abgetan werden konnte.
Zum Beispiel eine genüsslich-süffisante Kolumne über den in Japan zum Massenphänomen gewordenen »Lolita-Komplex«, welcher in jüngster Zeit auf Berlin überzugreifen drohe. Sicher, das konnte man schlecht überzeugend erklären, dass mit diesem Lolita-Komplex Lola gemeint war. Nur, wenn da von der Fixierung älterer Herren auf dreiste Mädchenhaftigkeit, krankhafter Gefallsucht, Lust an der Intrige und einer neurotischen Fixierung auf ästhetische Oberflächlichkeiten die Rede war, zielte das doch wohl auf Lola, oder nicht?
Zumal derselbe Autor, rein zufällig ein dicker Verbündeter des Chefredakteurs, die Rezension einer Chanson-CD im Musikteil des Magazins zum Anlass nahm, einen alten Marlene-Dietrich-Hit erst zu zitieren: »Ich bin die fesche Lola / der Liebling der Saison« – um dann anzumerken, dass die Lola-Saison seinerzeit abrupt beendet worden sei, als sich die Dietrich in die Emigration begeben hatte.
Von besagtem Schreiber stammte auch die Kurzmeldung, in Berlin seien im vergangenen Monat 49 Autos der Marke Mercedes abgefackelt worden.
Lolita / Lola / Mercedes! Das, sagte sich Lola Mercedes, waren doch schlechterdings keine Zufälle.
Natürlich wusste sie auch, dass es keinen Sinn hatte, diese Gemeinheiten zu thematisieren. Das würde sie vollends der Lächerlichkeit preisgeben. Getroffene Hunde bellen, würden die Gegner sagen oder sich breit grinsend wundern, wie Lola Mercedes ausgerechnet diesen Artikel über die Lolitas auf sich beziehen könne, wo sie doch eine so professionelle, intellektuell versierte Persönlichkeit sei …
Lola war stinksauer. Die Rückenschmerzen machten sich wieder bemerkbar, just nachdem sie die Attacken im aktuellen Heft entdeckt hatte. Es half nichts. Lola musste solche kleinen fiesen Manöver einfach aushalten und hoffen, ihre Position würde demnächst stark genug sein, die Urheber dieser Schmieragen und Intrigen auszuschalten, einen nach dem andern. Da würde sie keinen Pardon kennen, schwor sie sich.
Lola fiel das lehrreiche sizilianische Gleichnis vom altehrwürdigen Mafia-Paten ein. Der saß im späten Herbst seines Lebens melancholisch im Rollstuhl und ließ noch einmal die Gesichter seiner Feinde Revue passieren. Mit Wärme und Nachsicht gedachte er all jener, die dank seiner Mithilfe unnatürlich früh aus dem Leben geschieden und an sich aber doch recht passable Menschen gewesen waren. Dagegen grämte sich der elegante Senior unendlich bei der Erinnerung an die, denen er in einem Moment rührseliger Schwäche und fataler Rücksichtnahme die Lampe nicht hatte ausblasen lassen, – was sich bitter gerächt hatte, ausnahmslos.
Diesen menschlich sympathischen, strategisch verheerenden Fehler würde Lola nicht machen.
Köpfe mussten rollen.
Köpfe würden rollen.
Fürs Erste warf Lola eine Ibuprofen 600 gegen die verdammten Rückenschmerzen ein.
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