
Die Klage gegen den Immobilienkonzern, der seinen Balkon zwangssaniert hatte, sollte eine Riesensache werden für den Kanarienquex. Bald schon wird die Aussicht auf diese Knallerkampagne überwölbt von den Alltagsproblemen der quexschen Dauermisere …
»Diese Scheiße mit dem Balkon!«, brütete KQ wütend vor sich hin. Alle hatten sie ihn reingeritten in diesen Spleen, hatten ihm eingeredet, er würde zum Berliner Mieterhelden, die Partymeute würde ihn auf Händen tragen, Hauptstadt- und womöglich Bundespresse würden seinen Coup auf den Titelseiten abfeiern.
Und jetzt sollte er zahlen dafür?
Wovon denn bitte?
Alles hatte er sich so schön ausgemalt, sich sogar schon überlegt, in welchem Outfit er bei der Pressekonferenz auflaufen würde, die natürlich im Soho-House steigen musste, am besten oben, auf der Dachterrasse.
Einen scharfen Anstieg seines Marktwerts hatte er sich auch erhofft und mittels dieser Kampagne seine Collagen und Montagen besser verkauft zu bekommen. Jene knallbunten Großkunstwerke, für die wenig betuchten Kunden schon der nötige Platz fehlte, verschleuderte er momentan geradezu.
300 Stunden Arbeit gingen in eine Wand, die KQ in ein großflächiges Kunstwerk verwandelte. Was hatte er davon? Genug Geld, um den Mietrückstand auszugleichen und die dringendsten Rechnungen zu bezahlen, und für einen halben Monat, in dem er ohne Not leben und feiern konnte!
Dafür hatte er an der Hochschule der Künste studiert? Als Student hatte man ihn mit Medienpreisen zugeschmissen, die Hochschule warb bis heute auf ihrer Homepage mit seinem preisgekrönten Namen, mit dem bürgerlichen und dem Zusatz »AKA Kanarienquex«. Nur wissen wollten die nichts mehr von ihm. Geschweige denn, dass die mal Geld rüberschöben für ein Projekt.
Auf den Dozentenstellen hockten inzwischen die Langweiler und Loser seines Jahrgangs. Während er Kunstprojekte in ganz Asien gerissen, dazu in Stockholm, Beirut und in New York ausgestellt hatte, waren die auf ihren jungfräulichen Ärschen sitzengeblieben, hatten sich bei Verwaltung und Professoren lieb Kind gemacht – und jetzt drückten sie den Kanarienquex ins Seitenaus. Frei von eigener Kreativität witterten sie im schillernden Quexvogeltier einen gefährlichen Konkurrenten. Sie schirmten ihn gekonnt von den alten Professoren ab. Jede Anfrage, ob mündlich, postalisch oder per E-Mail versandete nach belanglos freundlichem Hin und Her im Nirwana der Universitätsbürokratie.
KQ drohte derweil dauerhaft auf das Niveau eines gehobenen Schnorrers herabzusinken. Kein Geld haben und gar kein Geld haben, das ist bekanntlich ein Unterschied – und der Quex hatte in aller Regel überhaupt gar kein Geld. Mal nicht für eine Schachtel Zigaretten, oft keines für den Asia-Imbiss unterhalb seines kaputtsanierten Balkons, mitunter gerade so viel in bar, um sich beim Penny um die Ecke sein Überlebensset zu kaufen: einen Sack Kartoffeln und eine Flasche Joghurtdressing für die Hauptmahlzeiten. Beim türkischen Gemüsemarkt kaufte er dazu Brot, Schafskäse und eine Tüte Oliven oder Peperoni. Das reichte für einige Tage, die er dann in seiner Wohnung dahinvegetierte.
Wenn er Glück hatte, erreichte ihn zwischendurch eine Einladung zu einer Vernissage oder Finissage oder zu einer anderen Gelegenheit, sich bei neunmalklugen Gesprächen und mittelmäßiger Kunst den Wanst vollzuschlagen. Neuerdings räumte er immer noch ein paar Happen vom Buffett in eine Plastiktüte, die er heimlich mitführte. Das war natürlich riskant, denn mit seinem jederzeit perfekt gestylten Äußeren schaffte es der Quex, in der Branche weiterhin für ausgesprochen erfolgreich gehalten zu werden.
KQ tat alles, diese Illusion am Leben zu halten.
Aber er musste auch essen.
Kam keine Einladung und kein Anruf, wurde der Quex selber aktiv und telefonierte die betuchteren seiner Freunde ab – also all jene, die im Genuss eines festen Einkommens standen. Die freuten sich über seine Besuche, was für ihre ehrliche Zuneigung sprach. Denn im näheren Umfeld waren die sozialen Umstände des Quexlebens längst ein offenes Geheimnis, über das man sich lediglich in seinem Beisein dezent ausschwieg.
Nicht so Donna Fauna: »Entschuldige, dass ich Dein Lamento unterbreche, Du Verdammter dieser Erde. Aber woher nimmst Du eigentlich das Geld für die Drogen, die Du Dir pausenlos reinpfeifst?«
KQ gab sich unschuldig empört: »Was’n für Drogen? Du spinnst wohl! Ich nehm’ gar nicht so viel.«
Aber Fauna war unerbittlich: »Schatz, ich kann auf 300 Meter Entfernung am Gang erkennen, auf welcher Substanz jemand drauf ist. Mir machst Du nichts vor. Du bist ein richtiger kleiner Kokser geworden!«
KQ explodierte: »Das sagst Du mir? Das stimmt überhaupt nicht. Ich hab’ das total im Griff. Weißt Du eigentlich, was Du da machst? Ich versuch’ mich irgendwie nach oben zu kämpfen, und Du erzählst überall rum, dass ich voll süchtig bin! Du machst mir alles kaputt mit Deinem blöden Geschwätz, mit Deinen miesen Lügen!«
»… und Koks versaut den Charakter, KQ«, hatte Donna Fauna noch geschrien, nachdem sie der Quex grob angegangen und mit keineswegs sanfter Gewalt aus der Wohnung geschmissen hatte.
Draußen rieb sich Fauna den Oberarm. Der Quex hatte sie geschlagen. Der Schmerz war auszuhalten, jedoch musste sie sich eingestehen, dass sie in dieser immer verrückteren Beziehung zum Opfer häuslicher Gewalt zu werden drohte.
An sich war das ein Witz. Fauna war fast eineinhalb Köpfe größer als der Kanarienquex. Sie hatte einige Jahre Kampfsport hinter sich und war eine erfahrene Veteranin militanter Straßendemonstrationen. Wer sie als draufgängerische Aktivistin der linksradikalen Szene kannte, würde ihr die Geschichte von den Quex-Übergriffen wohl schlicht nicht glauben können. Bloß waren Körpergröße und Kampfkraft nicht entscheidend. Die Frage war, ob einer über die Hemmungslosigkeit verfügte, gegen Menschen, noch dazu gegen einen, den man zu lieben vorgab, gewalttätig zu werden. Fauna hatte in der Hinsicht alle Hemmungen der Welt.
Na ja. Nicht alle vielleicht, bei Menschen, die sie nicht liebte. Beim vorletzten CASTOR-Transport etwa hatte sie einen Kampfbullen glatt niedergerannt, Knie voran, aus vollem Lauf, beim Sturm auf die Gleise. Dem Quex aber konnte Fauna kein Haar krümmen. Sie schlug niemals zurück, sondern nahm nur schützend die Arme hoch, wenn es wieder losging. Der Kanarienquex schien das inzwischen begriffen zu haben. Seine Hemmschwelle sank kontinuierlich. Die Übergriffe wurden langsam gefährlich.
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„Dear F. Merz,
what are you doing last week?
Elon Musk
D.O.G.E“
Was ich dafür geben würde?
Korrekturfunktion please
„…were you doing last week?“
Schreib richtig ab oder lass es Dir von Google übersetzen.
Aber die Intention gefällt mir…😜
Ist halt Weakness.
Das ist HR.