Leichter als Luft, Folge 19 — Hausfestival im Elektroclub

Berlin, Alexanderplatz
Quelle: Pixabay

Die Suche nach den geheimnisvollen „schönen Wesen“ ist gescheitert. Aber das macht nichts, denn das Hausfestival des heimatlichen Elektroclubs steht kurz bevor.

 

Das »Shiva Gate Festival« fand traditionell im Jugendpark statt, nahe dem Fluss. Gegenüber eines kürzlich restaurierten, »Den Märzgefallenen von 1921« gewidmeten Denkmals wurde die Hauptbühne errichtet. Kleinere Bühnen, Tanzflächen, Chill-Out-Areas, Küchenzelte, Marktstände und Feuerstellen erstreckten sich einige Hundert Meter den Fluss entlang.

Organisiert wurde das Event nicht direkt von Shivas Paradize. Oder zumindest nicht offiziell.

Aus Sicherheitsgründen, schierer Faulheit oder gewohnheitsmäßiger Geheimniskrämerei vermieden die mysteriösen Shiva-Fürsten auch in dieser Frage, sich zu erkennen zu geben. So wurde die Organisation des Festes in jedem Jahr an einen anderen Partyveranstalter vergeben.

Der Auftrag, die Shiva Gate auszurichten, war in der Szene so populär, dass es bisweilen zuging wie bei der Vergabe der Olympischen Spiele im 20. Jahrhundert der Menschenwelt.

In diesem Jahr hatte ein Verein namens »Heimaterben« den Zuschlag erhalten. Diese Entscheidung war auf harsche Kritik und Unverständnis gestoßen. Von diesen »Heimaterben« hatte bisher kaum wer gehört, »und der Name klingt auch total daneben!«, merkte KQ an, der im Gefühl hatte, dass die Vergabeentscheidung nicht die einzige Ungereimtheit bleiben würde.

Die Shiva Gate war ein ebenso legendärer wie berüchtigter Klassiker unter den psychedelischen Sommerfestivals. Es waren in der Gerüchteküche äußerst widersprüchliche Einschätzungen im Umlauf. Von schrecklichen Skandalgeschichten wussten die einen zu berichteten, von Gewalt, Psychoterror und Scheußlichkeiten mehr. Andere beschrieben die Shiva Gate als ein Festival der Blumen und wollten ausschließlich Liebe und Licht erfahren haben.

Möglicherweise meinten diese divergierenden Erfahrungen in der Tat ein und dasselbe Ereignis. Es ist seit jeher Shivas Art gewesen, sich seine Leute sorgsam auszuwählen. Wer musste nicht erst durch die Prüfung härtester Qualen gehen, um schließlich in Shivas vielarmiger Geborgenheit eine Heimat zu finden? Nur einige wenige gibt es immer wieder, die der alte Schamanengott spontan ins Herz schließt und auch ohne diese Prozedur mit seiner Liebe umfängt.

Shivas mitunter rabiate Auslesemechanismen schienen rund um das Gate-Festival besonders angebracht. Gewissermaßen den Vorgarten des alten Kombinats für ein Event dieser Größenordnung zu öffnen, stellte ein erhebliches Risiko dar. Offene Mobilisierung über Flyer und Internet, dazu ein über die Jahre erworbener Kultstatus in der Partyszene – dass ein gewisser Prozentsatz totaler Arschlöcher das Festival heimsuchte, war unter diesen Umständen unvermeidlich.

War aber deren geistige Umnachtung nicht funktional für den heimlichen Zweck der Veranstaltung? Viele waren überzeugt, dass es sich bei der Shiva Gate quasi um das Halbfinale der Erleuchtung handelte. Zweifellos wurde das Festival seitens des aktiven Personals von Shivas Paradize in diesem Licht gesehen. Das Dunkel der Arschlöcher werde als Hintergrundfolie benötigt, um die Herzzentren der Wenigen, die Zugang zu Shivas Paradize zu erlangen würdig waren, umso heller zum Leuchten zu bringen, wurde da argumentiert.

Neolin 2 und seine Schüler bereiteten den Ort des Geschehens Wochen vorher mittels komplizierter Rituale vor. Auch während des Festivals leisteten sie unermüdlich Energiearbeit. Zusätzlich wurden Scouts in die Menge geschickt, die die Spreu vom Weizen scheiden und eventuelle Rekruten für Shivas Hausmacht ausmachen sollten.

Auch KQ, Fauna und das Weazel erhielten den Auftrag, neue Mitglieder für die Shiva-Community zu werben. Fauna war außer sich vor Stolz und bestand auf einer ausgiebigen Vorbesprechung der Aktion.

In deren Verlauf erklärte der Quex, er habe vor, seinen Job als Talentspäher in der Hauptsache tanzend zu erledigen. Der Rest werde sich irgendwie ergeben. Das sei die Mentalität des alten Indiens und mithin die seine.

Das Weazel wiederum weigerte sich aus Prinzip, verbindliche Abmachungen irgendwelcher Art einzugehen und hatte keinerlei Interesse, in »Neolins spiritueller Drückerkolonne« tätig zu werden, wie es sich ausdrückte.

Fauna schmiss sich in Offizierspose und regte sich fürchterlich auf über das, was sie als »unprofessionelle Einstellung« und »Verantwortungslosigkeit« geißelte. Die anderen hätten wohl keine Ahnung, in welcher welthistorischen Lage man sich befände. Sie unterschätzten das Potential der Shiva Gate für den intergalaktischen Befreiungskampf und überhaupt könne sie so nicht arbeiten.

»Intergalaktische Verantwortungslosigkeit«, äffte das Weazel Fauna nach. »Sind ausgerechnet wir jetzt verantwortlich für die Geschichte der Menschenwelt, oder wie?«, fragte auch KQ, der sich keine Mühe gab, einen verächtlichen Unterton zu unterdrücken.

Die Antwort lag eventuell näher, als die beiden ahnen konnten.

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