Leichter als Luft, Folge 17 — Neolin 2

Berlin im Rückspiegel
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Elektro-Hippies auch den dortigen Chefschamanen Neolin 2. Die Besprechungen mit diesem geraten allerdings zu einem Feuerwerk der Absurditäten.

 

Neolin 2 nahm die Sache überaus ernst.

Schweigend hatte er sich den Bericht von Fauna und KQ angehört, nur drei-, viermal nachgefragt, um noch mehr Details in Erfahrung zu bringen.

»Und? Was hältst Du davon?«, wollte KQ schnell wissen.

»Schwierig. Spontan würde ich sagen, es könnten die sein, nach denen wir suchen.«

»Ich wusste nicht, dass wir wen suchen …«, flüsterte Fauna dem Weazel zu.

»Andererseits«, fuhr der Shiva-Schamane fort, »müssen wir sehr vorsichtig sein. Wir leben, wie ihr wisst, in Kali-Yuga. Da wimmelt es nur so von irreführenden Zeichen und falschen Propheten.«

»Was is’n des für’n Yoga?«, wollte der Quex wissen.

Fauna erklärte: »Kein Yoga – YUGA! Kali-Yuga, das Zeitalter des Zerfalls. Du weißt schon, Kali: diese Hindu-Göttin mit den zig Armen und Krummsäbeln, die immer über Männerleichen tanzt und sich mit Totenschädeln behängt.«

»Ach, die«, sekundierte das Weazel: »Ist das nicht Shivas Rollkommando für robuste Kampfeinsätze?«

»Kann man so sehen.«, erläuterte Fauna: »Aber erstens würde Kali selber das nicht gerne hören und zweitens ist die Sache etwas komplizierter. In gewissem Sinne ist Kali nämlich nichts anderes als die ewige Mutter Erde, die …«

Neolin 2 hatte wenig Geduld, sich mit Spitzfindigkeiten aufzuhalten. Er stoppte das Geplänkel, indem er anhob: »Jedenfalls haben wir hier ein Problem. Diese Begegnung ist potentiell von großer Bedeutung. Aber es kann sich auch alles als eine gefährliche Illusion entpuppen.«

»Und wie können wir das rausfinden?«, erkundigte sich das Weazel.

»Das ist eben die Schwierigkeit«, fuhr Neolin fort: »Bei den Katholiken gibt es ein klares Prozedere für solche Fälle. Wenn Du da eine Marienerscheinung registrieren lassen willst, wählst du eine Vatikan-Hotline und die schicken Dir wen von der Kongregation. Der überprüft das dann ein paar Hundert Jahre lang, und wenn die entsprechende Ortschaft über die infrastrukturellen Voraussetzungen für Massentourismus und florierenden Devotionalienhandel verfügt, baut ihnen die CSU noch schnell eine Autobahnabfahrt für Pilger aus Polen und Niederbayern und dann kriegen sie ihre Marienerscheinung halt bestätigt. Offiziell, vom Vatikan, mit Registriernummer und allem Drum und Dran.«

»Ja, haben wir in Shivas Paradize denn so eine Kongregation?«, warf Fauna erstaunt ein.

»Natürlich nicht, Dummchen. Brauchen wir normal auch nicht. Wir hören zwar alle paar Tage Stories von übersinnlichen Erscheinungen, Out-of-Body-Geschichten und dergleichen, aber bisher hat sich nie die Notwendigkeit ergeben, das näher zu überprüfen. Wir wären niemals auf das schmale Brett gekommen, jemandem seine individuelle Wahrnehmung abzustreiten oder da auch nur Zweifel anzumelden. Der Erleuchtung selber ist es ja sowieso scheißegal, wie die Leute sie erreichen. Das hier ist aber ein Fall von größerer Tragweite. Sag mal, KQ: Du hattest doch Gedankenkontakt mit dem Männchen?«

»Ja, hatte ich, auf jeden hey, das war voll krass. Mit diesem wunderschönen Menschen auf dem Liegerad, weißt Du …«, bestätigte der Kanarienquex lebhaft.

Neolin hakte nach: »Um welche Spezies es sich bei diesen Wesen handelt, sei vorerst dahingestellt. Aber sag: Ist dir irgendwas erinnerlich, was den Inhalt dieses Gedankenaustauschs angeht?«

KQ fiel zunächst nichts ein. Er grübelte ein wenig, bis schließlich »der Schweizer« aus seiner Erinnerung nach oben tauchte:

»Ja, doch, pass auf, da ist was gewesen. Als wir den Kontakt beendet haben, kam mir irgendwie die Frage in den Sinn, ob die Botschaft für den Schweizer angekommen wär’. Mir ist nicht klar, ob er von mir oder ich von ihm diese Message gekriegt haben soll. Ich hab’ mir nur gedacht: ›Hast Du die Botschaft für den Schweizer?‹ Der Satz war einfach da. Ich hab’ mich noch gewundert, warum ich plötzlich was von einem Schweizer denke, und es mir deshalb wahrscheinlich auch gemerkt.«

Neolin 2 zuckte merklich zusammen. Sein Blick wurde glasig und seine Haltung straffte sich. Schwer atmend, als habe er eine Info von mordsmäßiger Wichtigkeit erhalten, saß er wortlos da. Dann schickte er das etwas verdatterte Trio mit den Worten weg, er könne das momentan nicht abschließend beurteilen und müsse sich mit den Shiva-Fürsten beraten. Das könne eine Weile dauern.

Die drei sollten sich in der Zwischenzeit möglichst in Shivas Paradize und Umgebung aufhalten, unbedingt aber auf der hiesigen Seite des Flusses. Viel Schlaf sei ratsam. Zwiebeln, scharfe Gewürze oder andere »aufgeilende Ingredienzien«, wie Neolin 2 sich allen Ernstes ausdrückte, gelte es zu vermeiden. Sie sollten auf sich aufpassen und Körper und Geist schonen. Eine etwaige Entscheidung werde rechtzeitig mitgeteilt.

»Ich will die schönen Menschen wiedersehen!«, jammerte der Quex sehnsuchtsvoll.

»Das waren keine Menschen, verdammt!«, herrschte ihn Neolin 2 an.

Daraufhin entließ er sie mit einer ebenso segnenden wie unwirschen Handbewegung.

Anfangs waren Fauna, Quex und das Weazel reichlich genervt. Was wurde da über ihre Köpfe hinweg ausgemauschelt?

Immerhin: Sie sollten es sich gut gehen lassen. Das hatte Neolin ja wohl eindeutig angeordnet.

Dem galt es sich zu fügen.

Als Neolin 2 die drei erneut zu sich rief, waren diese hochnervös. Der Shiva-Schamane gab sich betont freundlich und machte einen sehr aufgeräumten Eindruck. Er hieß alle, sich hinzusetzen, warf mit großem Brimborium seinen Weihrauchkessel an und unternahm große Anstrengungen, der Situation etwas Feierliches zu verpassen.

Als KQ stichelte: »Und? War das nun die Jungfrau Maria, die wir gesehen haben?«, musste er trotzdem grinsen, riss sich aber sogleich am Riemen, setzte eine gewichtige Mine auf und verkündete eine Entscheidung. Diese bestehe aus zwei Teilen.

Erstens wolle er ihnen ein Ritual beibringen, mit dem sie jeden Morgen und des Abends zur blauen Stunde einen Ruf in den Äther aussenden sollten. Wenn es sich wirklich um eine höhere Wesensform gehandelt habe, wie er vermute, bestünden gewisse Chancen auf Rückruf.

Der zweite Teil des Beschlusses, der laut Neolin 2 mit den Shiva-Fürsten und weit darüber angesiedelten Instanzen abgesprochen war, hatte es in sich: Fauna, Quex und Weazel sollten ausgesandt werden, um als Shivas hochoffizielle Delegation zu fungieren!

»Die haben drei geschickt. Wir schicken drei zurück«, beendete er die Durchsage.

»Warte mal, warte mal, wart mal, ganz langsam«, hielt Fauna dagegen: »Was heißt da hier, die haben drei geschickt? Wir sind mit denen zusammengerumpelt. Und die waren mindestens so überrascht wie wir. Und mindestens so erfreut, hatte ich das Gefühl.«

Neolin 2 ließ den Einwand nicht gelten. Kosmologisch mache es keinerlei Unterschied, ob das Treffen von den konkreten Beteiligten bewusst herbeigeführt oder an höherer Stelle eingefädelt worden sei.

»Im Übrigen«, fuhr er fort, »glauben wir auch nicht, dass es sich um eine direkt andere Spezies handelt.«

»Also doch bloß Menschen??«, fragte das Weazel enttäuscht. Neolin 2 beschwichtigte: »Das auch nicht gerade. Es könnte sich um eine Zwischenstufe handeln, was auch gut in unsere allgemeine Analyse passen würde, dass sich eine Spaltung im kollektiven Karma der Menschheit ankündigt. Zumindest tun wir hier in Shivas Paradize alles erdenkliche, um diese Karmaspaltung voranzutreiben.«

Die Wirkung seiner Worte abschätzend, verstummte er.

KQ reagierte als Erster: »Verzeih, Neolin der Zweite, großer Schamane von Shivas Paradize: Offenbar hast du deinen bereits bisher recht ansehnlichen Realitätsverlust weit über das Spektrum meiner begrenzten Wahrnehmungsfähigkeit hinaus ausgedehnt, aber sorry, Mann: Ich versteh kein Scheißwort von dem, was Du da laberst!«

Von KQs Grobheit leicht verunsichert, erklärte Neolin 2 weiter:

»Man kann es so sehen: Teile der Menschheit entwickeln sich auf einen qualitativen evolutionären Sprung zu. Der Prozess, der diesem Sprung, man könnte es auch als eine Mutation bezeichnen … ähm, also, sagen wir: Das alles verläuft jedenfalls nicht linear, sondern ist dem dialektischen Gesetz der ungleichen, aber kombinierten Entwicklung unterworfen. Soll heißen: Gewisse Elemente sind, in einigen Aspekten ihres Bewusstseins oder ihrer Körperlichkeit, schon in einem weit fortgeschritten Transformationsstadium. Wie beispielsweise das Weazel, dessen Geschlechtsorgane, ich will das hier mal sagen, sich als ziemlich zukunftsweisend herausstellen könnten. Aber niemand hat bisher den Kreis schließen können. Egal wie weit Einzelne oder auch ganze Gruppen an der einen Stelle sind, an anderen Punkten sind sie heillos der Stagnation der menschlichen Spezies verhaftet. Anders gesagt: Die Teile des Puzzles sind womöglich schon allesamt vorhanden, aber überall verstreut. Womöglich bietet sich hier eine Chance, sie zusammenzufügen.«

Es herrschte betretenes Schweigen.

Wieder war es der Quex, der die angespannte Stille unterbrach – indem er nämlich lauthals losprustete: »Baaaaaaaaaaaaaaaaaahahaha! OhGottOhGottOhGottOhGott – was für’n gigantischer Scheiß!« Von epilepsieähnlichen Lachattacken erschüttert, sprang er auf und hüpfte von einem Bein aufs andere. Fauna und das Weazel lagen sich derweil brüllend vor Lachen in den Armen. »Neolin, Neolin, Neolin!«, heulte Fauna auf, als sie sich einigermaßen gefangen hatte, dem Schamanen dabei die Schulter tätschelnd: »Du bist doch tatsächlich der drogenverspulteste Wirrkopf, den ich je kennengelernt habe! Und ich habe einige kennengelernt!«

KQ kugelte inzwischen tränenlachend über den Teppich und stellte eine erhebliche Bedrohung für die Statik von Neolins Tuchtempelkonstruktion dar.

Das Weazel, das sich durchaus freute, als möglicher Prototyp modernder Sexualanatomie gehandelt zu werden, zitierte: »Karmaspaltung«, »ungleiche, aber kombinierte Entwicklung«, »der Stagnation der menschlichen Spezies verhaftet« und äffte dabei gekonnt Singsang und Gestik des Shiva-Schamanen nach.

Es dauerte eine Weile, bis sich alle wieder beruhigt hatten. Das Weazel fasste die Sachlage zusammen:

»Jetzt also mit anderen Worten gesagt: Du und diese Sphärenheinis, mit denen du dich da beraten haben willst, ihr habt alle miteinander nicht den leisesten Schimmer, was das für komische Viecher waren, die Fauna und KQ da aufgegabelt haben, right? Und wir sollen jetzt überall rumeiern und das Lockvögelchen spielen. So sieht das doch aus, oder?«

»Na ja. So in etwa kann man das schon sehen«, räumte Neolin einigermaßen zerknirscht ein.

Der Kanarienquex stand, immer wieder in hysterisches Kichern ausbrechend, vom Teppich auf. Er versuchte, sich etwas zusammenzureißen, und wollte gerade seinen ablehnenden Bescheid bekannt geben – hielt dann aber inne. Sein Instinkt als berufsmäßiger Partytraveller gewann langsam die Oberhand. Hatte er das falsch verstanden oder hatte Neolin 2 da grade eine ausgedehnte Sommertour in Aussicht gestellt? In Shivas heiligem Auftrag?

Unerwartet ernsthaft räusperte sich KQ vernehmlich und erklärte in völlig verändertem Tonfall, mit weitausholenden Gesten:

»Äääähm, ja – beziehungsweise: Selbstverständlich sind wir bereit, diese Herausforderung anzunehmen. Uns ist, als habe Lord Shiva himself uns beauftragt, und es soll uns Ehre und Verpflichtung zugleich sein, diese Mission gewissenhaft zu erfüllen.«

Das Weazel schaute erst verdutzt, verstand aber sogleich:

»Eins geworden wie Shivas dreizackiger Wurfspieß werden wir – der Kanarienquex, Donna Fauna und ich, die Weazelratte mit den zukunftsweisenden Geschlechtsorganen – ausziehen in die Wildnis. Als Trägerinnen und Träger der Hoffnung, den Kontakt zu diesen wie auch immer gearteten Wesen erneut herzustellen.«

Neolin 2 war von dieser impulsiven Aufführung sichtlich geschafft. Entnervt murmelte er etwas von wegen ›absolut unangemessene Grundeinstellung‹. KQ konnte sich nicht verkneifen, trotzdem noch eine Anfrage betreffs eventuell benötigter finanzieller Mittel nachzuschieben. Neolin machte nur eine wegwerfende Geste, die wohl besagen sollte: Geld sei das allergeringste Problem, das ihnen bevorstehe.

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Ein Kommentar

  1. Klingt für mich, als wollte der Autor seine Trip Erlebnisse mit Lesern teilen die solche Erfahrungen nicht kennen, was natürlich nur scheitern kann, denn wenn es mit Worten zu sagen wäre, hätte es jeder seinem Bruder erzählt.
    Dennoch, er schlägt sich gut finde ich.

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