
Donna Fauna hat den Weg in die Illegalität angetreten und siedelt in den Partyschuppen „Shivas Paradize“ um. Vorher hat sie aber noch einen letzten Tag in der Normalgesellschaft zu absolvieren und stößt dabei auf ein Wesen, das sie restlos fasziniert.
Was tun, mit dem verbliebenen Geld und einem angebrochenen, letzten Menschheitstag?
Fauna dachte nicht daran, den Wagen vollgetankt an der Spedition abzustellen. Auf einen Gesetzesbruch mehr oder weniger kam es ohnehin nicht mehr an. So cruiste sie chaotisch durch den Moloch und fuhr stundenlang sämtliche Originalschauplätze des Historienfilms Kampf und Amouren der Donna F. ab. Dabei suchte sie nach Gelegenheiten, ihr Restgeld zu verschleudern.
»Apos Grillstation« hatte sich wieder einmal als gute Idee erwiesen. Fauna saß auf der Bierbank vor dem Imbiss und schlürfte ihre Linsensuppe. Sie hatte sich zwei gehäufte Löffel tiefroten Chili in die Suppe geknallt und hatte zu kämpfen, mit der Schärfe zurecht zu kommen. Fauna brannte lichterloh – von den Lippen über Mund und Kehle bis runter in die Magengegend.
Fauna stand es durch und gönnte sich gerade ihren »Ayran danach« – als gleißender Lichterschein ihre Augen blendete. Es war, als ergieße sich die in ihrem Körper aufgestaute Hitze nach auswärts in dieses alles überstrahlende Bild. Bewegte Traumbilder, zwanzig Meter voraus, noch fünfzehn, zehn, fünf …
Fauna sprang auf. Rückte sich kurz den Zopf zurecht, strich den Rock glatt und stellte sich auf den Gehsteig – der näher kommenden Lichtgestalt todesmutig in den Weg.
Sie schaute dem Lichtwesen in die asiatischen Augen und fürchtete, zu erblinden. Hektisch, aber mit freudigem Lächeln, gab sie unartikulierte Quietschlaute von sich. Das Lichtwesen blieb stehen. Fauna brachte ein fröhliches Wiehern zu Gehör. Das Lichtwesen öffnete verdutzt den Mund.
Fauna erlebte alles in Zeitlupe, stieß endlich ein lang gezogenes: »Äääähm, ich … eeehm« aus. Das Lichtwesen machte ein fragendes Gesicht. »Also, beziehungsweise: Konnichi wa! … oder so ähnlich …«, kramte Fauna auf gut Glück ihre einzigen zwei japanischen Worte hervor. Das Lichtwesen lächelte jetzt breit und fragte: »Onamae wa nan desu ka?« Fauna machte nun ihrerseits ein fragendes Gesicht. »Wie heißt Du?«, erläuterte das Lichtwesen. »Äh, so, ja. Ich heiße nicht, ich bin: Donna Fauna, die bin ich.« Das Lichtwesen lachte wie erfreut auf: »Trifft sich gut, Donner. Mich nennen sie …«
Sonne? Hatte der jetzt echt gesagt, er heiße Sonne? Fauna hatte Sonne verstanden. War ja wohl unglaublich, der Typ – unglaublich super!
Dass Donna Fauna nicht »der Donner« hieß, sondern »die Fauna« war, und dass der andere nicht Sonne hieß, sondern sich koreanisch »Son Hoe« geschrieben wissen wollte – das Verhältnis war von Anfang an mit Missverständnissen behaftet.
Was der Donner heute so getrieben hatte, wollte die Sonne wissen. Nichts Besonderes: »Bin nur aus der Menschheit ausgetreten, hab grade meine Wohnung aufgelöst und geh heute Abend in den psychedelischen Untergrund. Was treibst Du so?«
»Ich wollte grade in den Jugendpark«, sagte darauf die Sonne: »Willste mitkommen?« – »Ja schon …«, erwiderte Donnerfauna. Sie habe aber ihren Umzugswagen dabei. »Macht nix«, befand das Zentralgestirn, er selbst sei auch motorisiert. Also könnten sie ja runter an den Fluss und da was rauchen. Zum Fluss? – Okay, zum Fluss.
»Wow, was ist das?! Roten Libanesen hatte ich Ewigkeiten nicht mehr …«, jubelte am Flussufer das Sonnenkind. – »Ist mein Abschiedsgeschenk an mich selber; zum Austritt aus der Menschheit.«
Und so erzählte Fauna. Die Geschichte von der Hutschachtel und der Sommerlady, von ihrem unbändigen Hass auf die komplette Spezies, vom Weazel, das es ohnehin schon immer gewusst hatte, und von Shivas Paradize, wo sie die Grashalme einer neuen, besseren Zivilisation zu wachsen hören glaubte.
Die Sonne hörte sich das alles an. Zog dabei genüsslich am Pfeifchen und blies den Rauch des Libanesen in den wolkenlosen Frühlingshimmel. Von Shivas Paradize hatte er gerüchteweise gehört. Wenn dieses Weazel auch ab und zu im Bombay Tempel rumhinge, ja, dann vielleicht vom Sehen …
Faunas Blick fiel auf das blaulackierte Sonnen-Gefährt:
»Wie, sagst Du, heißt dieses Ding?« – »Das is’ ne Schwalbe, Mann! Äh: Frau. Also: egal jetzt!«, erwiderte die Sonne stolz: »Echter Oldtimer. DDR-Produktion. VEB Ernst Thälmann, Jagdwaffen und Nutzfahrzeuge oder so ähnlich, in Suhl. Fast vierzig Jahre alt, die Maschine, kein Rost und schnurrt wie ’n Tiger. Deutsche Wertarbeit. Das ideale Citymobil. Und Du darfst es mit ’nem normalen Klasse III-Führerschein fahren.«
»DDR-Mobil, Klasse-III. Logo. Das passt«, kalauerte Fauna zurück und erst jetzt fiel ihr auf, wie sehr die kräftige Schwalbenfarbe dem geliebten FDJ-Blau ihrer neokommunistischen Westjugend glich.
Son Hoe hätte ebenso gut ein Kettcar fahren können und Fauna wäre begeistert gewesen. Diese FDJ-Schwalbe aber hatte es ihr auch unabhängig vom Besitzer angetan. Das wäre das perfekte Spielzeug, um sich im Industrieareal rund um Shivas Paradise die Tage zu vertreiben. Zudem würde so eine Schwalbe eine nicht zu unterschätzende Ausweitung ihres Aktionsradius bedeuten.
»Was kost’n so’n Teil?«, wollte Fauna wissen. »Spottbillig«, winkte der andere ab. »Die werden Dir momentan nachgeschmissen, wenn Du sie selber abholst. He, Donner, hol Dir auch ne Schwalbe!«
Die beiden schritten umgehend zur Tat. In einem Internet-Café ermittelten sie eine Schwalbe, die ganz in der Nähe auf Abholung wartete. Ebenfalls blau, kostete diese etwas mehr als die 200 Euro, die Fauna noch in der Tasche hatte. Also hin mit dem Transporter , Proberunde Sonne, Proberunde Fauna, Preis auf 150 Euro runtergehandelt, die Schwalbe in den Transporter verfrachtet. Transporter bei der Spedition abgestellt, mit leerem Tank, rauf auf die Schwalben und nichts wie weg.
Natürlich verliebte sich Fauna Hals über Kopf – und zwar in jenen schwalbenreitenden Liebeskrieger, zu dem der arme Son Hoe in ihrem Dummköpfchen mutiert war. Sie bildete sich ein, endlich Antwort auf die Kontaktanzeige ihres Lebens erhalten zu haben: »Old Shatterwoman sucht Winnetou« – Lover und Kampfgefährte in einem, diesmal in der asiatischen Updateversion, frisch aus Chiba-City oder Seoul!
Fauna sah sich mit dem Sonnenkind schon den Liebesschwur der Samurai ablegen und, in romantischen Tagträumen, Rücken an Rücken aus dem Dunkel der Nacht springende Angreifer zurückschlagen. Die Phaser leergeschossen, alle Wurfsterne verbraucht – die Lichtschwerter der Jedi-Ritter bei der Arbeit! Auf den Flügeln FDJ-blauer Schwalben reitend, fliegend über endlose Ebenen und sanft ansteigende Hügel; in den Satteltaschen die vegetarische Verpflegung, Fernrohr, MD-Player und Henrystutzen.
Jedoch: Auch zwei Schwalben machen noch keinen Sommer.
Aus Faunas Liebesträumen wurde nichts. So wie sie sich zuvor ungefragt in das Leben des Anderen hineinkatapultiert hatte, wurde sie einige Wochen später ebenso ungefragt wieder hinauskatapultiert. Freilich nicht ohne einige ungelenke Anläufe zu retten, was realistisch gesehen niemals existiert hatte.
Es blieb immerhin die Entdeckung der Schwalbe.
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Hab das Buch bestellt, ich brauch keine weiteren Folgen.😉
Flora und Fauna liegen mir auch immer sehr schwer auf dem Magen, zum Glück hat die moderne Industrie ja Ersatzstoffe parat.