„Legitimationszelle“: Israelischer Militärgeheimdienst soll Journalisten als Terroristen darstellen

Eines der Fotos – hier mit Hamas-Führer Yahya Sinwar vielleicht 2019 -, die vom israelischen Militär ohne nähere Erklärungen benutzt werden, um Al-Sharif als Terroristen zu bezeichnen.

 

Die israelische Regierung hat eine Kampagne gestartet, Bilder aus dem Gazastreifen, die Opfer des militärischen Vorgehens und der beabsichtigten Hungersnot zeigen, generell als Hamas-Propaganda und als Fake darzustellen (Sind inszenierte Fotos Beweise, dass es im Gazastreifen, so die israelische Regierung, keinen Hunger gibt?). Israel freundliche Medien wie die Bild ziehen hier mit. Darüberhinaus wird mit dieser Kampagne die Ermordung von palästinensischen Journalisten gerechtfertigt, um Belege der im Gazastreifen begangenen Kriegsverbrechen zu unterdrücken. Zuletzt waren am Montag 20 Menschen, darunter fünf Journalisten, im Nasser-Krankenhaus ermordet worden. Auf den ersten Angriff durch eine Drohne folgte ein zweiter mit einem Panzer, damit wurden auch Menschen, die zur Hilfe gekommen waren, getötet (Kriegsverbrechen Israels: Blutiger Montag für Gaza-Journalisten).

Update: Die nachgeschobene Begründung, der Angriff habe einer von Hamas angebrachten Kamera gegolten, der zweite Beschuss mit 4 Granaten durch den Panzer einem angeblichen Zielfernrohr eines Gewehrs, und dass sechs „Terroristen“ getötet worden seien, kann man als strategische Kommunikation werten, die Thema dieses Artikels ist, der schon vor dem Vorfall geschrieben wurde.

Zuletzt wurde der bekannte palästinensische Journalist Anas al-Sharif zusammen mit anderen gezielt getötet, weil er angeblich ein Hamas-Kämpfer unter dem Deckmantel eines Journalisten sei (Israelisches Militär tötet gezielt fünf Mitarbeiter von Al-Jazeera im Gazastreifen). Man muss wissen, dass die israelische Regierung eine unabhängige Berichterstattung unterbindet und Journalisten von außerhalb den Zugang zum Gazastreifen verbietet. Sie dürfen ihn höchstens embedded betreten, so dass sie nur sehen, was sie sehen sollen. So kann man dann behaupten, dass alle palästinensischen Journalisten Instrumente von Hamas seien. Ein perfide Strategie.

Das investigative israelische +972 Magazine und Local Call haben nach Gesprächen mit drei Informanten aus Geheimdienstkreisen herausgearbeitet, dass das israelische Militär nach dem 7. Oktober eine Einheit gegründet hat, die strategische Kommunikation zur Verbesserung des Ansehens von Israel in der Weltöffentlichkeit leisten soll. Genannt werde sie „Die Legitimationszelle“, so Yual Abraham, der Autor des Beitrags, die Aufgabe sei, aus dem Gazastreifen entsprechende Informationen zu sammeln und entsprechend aufzuarbeiten. Zunächst ging es darum, die Nutzung von Schulen oder Krankenhäuser durch Hamas für militärische Operationen oder missglücktes Abschießen von Raketen zu belegen, die zu zivilen Opfern im Gazastreifen führten. Dazu gehörte aber auch, palästinensische Journalisten mit Hamas zu verbinden, um eine Rechtfertigung zu haben, sie gezielt zu töten. Es seien in den letzten zwei Jahren  mehrere „Forschungsteams“ im Militärgeheimdienst gegründet worden, um Hamas-Lügen aufzudecken und Journalisten unglaubwürdig zu machen.

Dabei wäre die kaltblütige Ermordung eines unbewaffneten Journalisten, selbst wenn er Hamas irgendwie nahesteht, selbstverständlich ein Kriegsverbrechen. Umgekehrt wäre jeder israelische Journalist, der für ein der Regierung nahestehendes Medium arbeitet, legitimes Ziel von militärischen Gegnern.

Nach Auskunft eines Informanten, sei die Einheit stets beauftragt worden, Geheimdienstinformationen zu finden, um Kritik, die in den Medien auftauchte, zu entkräften: „Wenn die globalen Medien darüber sprechen, dass Israel unschuldige Journalisten tötet, dann gibt es sofort Druck, einen Journalisten zu finden, der nicht so unschuldig ist – als ob dies die Tötung von 20 anderen irgendwie akzeptabler mache“, so der Informant. Insgesamt sei es darum gegangen, die Fortsetzung des militärischen Vorgehens gegen die Menschen im Gazastreifen zu rechtfertigen.

Dabei wurde offenbar auch gerne einmal manipuliert. So wurde beispielsweise der Journalist Ismail Al-Ghoul mit seinem Kameramann im Juli 2024 getötet. Die Armee behauptete aufgrund eines angeblich von einem „Hamas-Computer“ erhaltenen Dokuments aus dem Jahr 2021 später, er sei „Mitglied des militärischen Flügels und ein Nukhba-Terrorist“ gewesen. Nach dem Dokument hat er seinen militärischen Rang 2007 erhalten, als er 10 Jahre alt war, und sieben Jahre bevor er angeblich von Hamas rekrutiert wurde.

Abraham verweist auf überdies auf den bekannten Vorfall im Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza City am 17. Oktober 2023, bei dem Hunderte von Palästinensern getötet worden sein sollen (Hunderte Tote durch Raketeneinschlag in Krankenhaus in Gaza-Stadt).Die israelische Regierung behauptete damals, eine Rakete des Islamischen Dschihad sei abgestürzt, zudem sei die Zahl der Opfer weit übertrieben.

Präsident Isaac Herzog erklärte, die IDF hätten damit nichts zu tun, und versuchte, daraus für Israel Kapital zu schlagen: „Eine Rakete des Islamischen Dschihad hat viele Palästinenser in einem Krankenhaus in Gaza getötet – einem Ort, an dem Leben gerettet werden sollten. Schande über die Medien, die die Lügen der Hamas und des Islamischen Dschihad schlucken und eine Blutverleumdung des 21. Jahrhunderts rund um den Globus verbreiten. Schande über die abscheulichen Terroristen in Gaza, die vorsätzlich das Blut Unschuldiger vergießen. Noch nie war die Entscheidung so klar wie heute. Israel steht einem Feind gegenüber, der aus purem Bösen besteht. Wenn Sie für die Menschlichkeit eintreten – für den Wert allen menschlichen Lebens – dann stehen Sie an der Seite Israels.“

Die „Legitimationszelle“ hatte damals ein abgehörtes Gespräch zwischen zwei Hamas-Mitgliedern veröffentlicht, die die Katastrophe auf eine abgestürzte Rakete des Islamischen Dschihad zurückführten, die vom Friedhof hinter dem Krankenhaus gestartet worden sei. Das wurde von vielen Medien übernommen. Weiterhin ist umstritten, ob die verheerende Explosion von einer Rakete aus dem Gazastreifen oder einer israelischen Rakete verursacht wurde. Nach Abraham habe ein Menschenrechtsaktivist im Dezember erklärt, er sei erstaunt gewesen, seine Stimme in dem abgehörten Gespräch zu erkennen, in dem er sich mit einem Freund unterhielt. Hamas-Mitglied sei er nie gewesen.

Dass die Beschuldigung eines Journalisten, Propaganda für Hamas zu betreiben und an deren „falsche Hungerkampagne“ mitzuwirken, einem Todesurteil gleicht, musste Al-Sharif erfahren, der vor der neuen israelischen Offensive zusammen mit drei Kollegen von al-Dschasira und zwei weiteren Journalisten getötet wurde. Drei weitere Journalisten wurden verletzt. Das gab das israelische Militär auch ganz offen zu, man fürchtet anscheinend keine Verurteilung deswegen, weil man eben einen Journalisten mit Hamas zusammenbrachte. Nachprüfbar sind die „Beweise“ nicht.Möglicherweise hatte er früher Sympathien für Hamas, das sollen auch Fotos belegen, die ihn etwa mit Hamas-Führer Yahya Sinwar zeigen. Am 7. Oktober ist in seinem Telegram-Account das wieder gelöschte Posting erschienen: „“9 Stunden und die Helden ziehen immer noch durch das Land, töten und nehmen gefangen… Oh Gott, wie großartig du bist.“ Aktiv an Kampfhandlungen hat er sich aber nicht beteiligt, ob er wirklich aktiver Hamas-Kämpfer gewesen war, wie das die IDF behaupten, lässt sich nicht wirklich belegen. Es gibt jedenfalls keine Rechtfertigung, ihn und andere Journalisten zu ermorden, wenn sie unbewaffnet sind und an keinen Kampfhandlungen beteiligt sind. Es ist auch nicht statthaft, einen Verdacht gegenüber einem palästinensischen Journalisten auf alle anderen zu erweitern.

IDF-Todesliste?

Al-Sharif war der zweite von sechs Al-Dschasira-Journalisten, die nach den IDF angeblich in Wirklichkeit Hamas-Kämpfer bzw. Terroristen sein sollten. Hossam Shabat, einer der Sechs, wurde bereits im März 2025 getötet. Nach Angaben des CPJ wurden dieses Jahr bereits 29 Journalisten getötet, seit 2023 sollen es 184 sein. Al-Dschasira berichtet von 270 Journalisten und Medienmitarbeitern. Nicht alle wurden absichtlich getötet, manche kamen sozusagen als Kollateralschaden ums Leben. Reporter ohne Grenzen (RSF) gehen von mehr als 200 getöteten Journalisten im Gazastreifen aus. RSF hat vier Klagen gegen Israel wegen der Tötung von Journalisten als Kriegsverbrechen beim Internationalen Strafgerichtshof (ICC) eingereicht

Auf Anfrage von +972 zur Ermordung von Al-Sharif wiederholte der IDF-Sprecher die Behauptung, dass „die IDF einen Terroristen der Hamas-Terrororganisation angegriffen hat, der unter dem Deckmantel eines Journalisten des Senders Al Jazeera im nördlichen Gazastreifen operierte“. Dabei habe die Armee „in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht keine unbeteiligten Personen und insbesondere Journalisten absichtlich verletzt“.

Das heißt absurderweise, alle anderen Getöteten müssten nach den israelischen Streitkräften auch Terroristen gewesen sein oder sie wurden nicht „absichtlich“ getötet, sondern gewissermaßen im Beifang als Kollateralschaden. Tatsächlich haben die IDF auf Anfrage von Times of Israel behauptet, dass auch weitere der bei dem Angriff Getöteten Terroristen gewesen seien. Welche und aufgrund welcher Beweise blieben die IDF schuldig, für die allgemein praktisch alle Getöteten Terroristen sind (ähnlich wurde dies im Kampf gegen den Terrorismus vom Pentagon praktiziert).

Florian Rötzer

Florian Rötzer, geboren 1953, hat nach dem Studium der Philosophie als freier Autor und Publizist mit dem Schwerpunkt Medientheorie und -ästhetik in München und als Organisator zahlreicher internationaler Symposien gearbeitet. Von 1996 bis 2020 war er Chefredakteur des Online-Magazins Telepolis. Von ihm erschienen sind u.a. „Denken, das an der Zeit ist“ (Suhrkamp 1988), „Die Telepolis“ (1995), „Vom Wildwerden der Städte“ (Birkhäuser 2006), „Smart Cities im Cyberwar“ (Westend 2015), „Sein und Wohnen“ (Westend 2020) oder „Lesen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz“ (Bielefeld 2023)
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12 Kommentare

    1. Echt ekelhaft, Kalsa.

      Deinen Anti-Deutschen Scheiß kannst du dir in die Haare schmieren.
      Du bist ein Nazifreund. Diesen industriellen Massenmord hier noch zu verteidigen…. Aber hey, du bist ja eigentlich cool und hip. Stehst halt nur nicht auf Araber. Sie sind Untermenschen für dich und dein hippes Israel.

      Aber ich denke daran: Jerusalem is the gayest city in the world.

  1. Nazis tun Nazi-Dinge.

    Israels Rassismus und Exzeptionalismus ist jetzt nichts Neues. Lange VOR Israels Gründung ermordeten und vertrieben weiße Einwanderer die Einheimischen. Und auch lange NACH der Gründung geht das so.

    Israel = Hass, Rassismus

  2. warum sollte man der Propaganda-Armee des rechtsradikalen Schurkenstaates Israel irgendwas glauben ? Was sagt eigentlich Al Jaazera zur Ermordung seiner Reporter ?

  3. Wir wissen sehr genau, wer für das Leid in Gaza verantwortlich ist. Aber sobald man es ausspricht, wird man reflexartig als ‚antisemitisch‘ gebrandmarkt – ein durchschaubarer Versuch, Kritik zu diskreditieren. In Wahrheit geht es nicht um Religion oder Herkunft, sondern um konkrete politische und militärische Entscheidungen, die Zivilisten und Journalisten das Leben kosten.

    Deutschland müsste längst klare Worte finden: ›Herr Präsident Netanjahu, unsere historische Schuld an der Shoa verpflichtet uns dazu, niemals wieder einen Völkermord zu dulden – egal von wem er ausgeht. Wir haben gelernt, und deshalb schweigen wir nicht. Wenn Sie weiterhin Zivilisten unter fadenscheinigen Vorwänden bombardieren, werden Sie sich dafür vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten müssen.‹

    Das wäre eine Haltung, auf die wir wirklich stolz sein könnten.

  4. Und der Rest der Welt schaut einfach zu. Widerlich, einfach nur widerlich.

    Auch Deutschland mischt natürlich fleißig mit. Mit Waffen. Wundert das?

  5. Schön zu lesen, dass weiter Bewegung in die Sache kommt

    Gazakrieg: Hunderte Ex-Diplomaten rufen EU zum Handeln auf

    …….Brief: 209 Diplomaten fordern EU zum Handeln auf

    Gleichzeitig mehren sich internationale Appelle. In einem offenen Brief haben am Dienstag 209 ehemalige Botschafter und hochrangige Diplomaten der EU-Staaten ein „sofortiges Handeln“ der Europäischen Union im Gazakrieg gefordert. Falls sich die 27 Mitgliedstaaten nicht kollektiv einigen, müssten einzelne Länder oder kleinere Gruppen von Staaten Maßnahmen ergreifen, heißt es in dem Schreiben.

    Zu den vorgeschlagenen Schritten zählen ein Stopp von Rüstungsexporten nach Israel, Handelsbeschränkungen für Produkte aus illegalen Siedlungen sowie der Ausschluss israelischer Regierungs- und Firmendaten aus europäischen Rechenzentren, sofern diese im Zusammenhang mit der Besatzung stehen. Unter den Unterzeichnenden sind 110 frühere Botschafter sowie die ehemaligen EU-Spitzendiplomaten Alain Le Roy und Carlo Trojan……..

    https://www.berliner-zeitung.de/news/israel-beraet-ueber-geiseldeal-ex-diplomaten-eu-massnahmen-li.2352049

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