Kriegsrisiko in Lateinamerika?

Präsident Maduro verkündet im Kreis der Generäle eine Mobilisierung der Streitkräfte. Bild: twitter.com/NicolasMaduro

Konflikt zwischen Venezuela und Guyana um das Gebiet Esequiba, das mehr Erdölressourcen besitzen soll als Saudi-Arabien  und bis zum 19. Jahrhundert zu Venezuela gehörte.

Der venezolanische Präsident Nicolas Maduro erklärte am 28. Dezember: “Ich habe die Aktivierung einer gemeinsamen Aktion aller Bolivarischen Nationalen Streitkräfte [Venezuelas] in der östlichen Karibik an der Atlantikküste angeordnet, eine gemeinsame Aktion mit defensivem Charakter als Antwort auf die Provokation und Bedrohung des Friedens und der Souveränität unseres Landes durch das Vereinigte Königreich.”

Diese “Provokation” ist die Ankunft des britischen Patrouillenschiffs HMS Trent vor der Küste von Guyana am 29. Dezember, wo es “weniger als eine Woche lang” an militärischen Übungen in guyanischen Gewässern teilnehmen soll. Es handelt sich um ein schwach bewaffnetes 2000-Tonnen-Hochseepatrouillenboot, das normalerweise im Mittelmeer eingesetzt wird. Anfang Dezember war es in die Karibik gereist, um an der Bekämpfung des Drogenhandels teilzunehmen.

Bereits zuvor hatte Caracas in einer Erklärung “die Ankunft des Schiffes kategorisch zurückgewiesen (…) was einen Akt feindlicher Provokation darstellt”, und hinzugefügt: “Die Anwesenheit dieses Militärschiffes ist äußerst schwerwiegend (…) Venezuela fordert die guyanischen Behörden nachdrücklich auf, sofortige Maßnahmen für den Abzug der HMS Trent zu ergreifen und davon abzusehen, weiterhin militärische Mächte in den Territorialstreit zu verwickeln.”

Der Vizepräsident von Guyana, Bharrat Jagdeo, antwortete Präsident Maduro: “Wir haben keine Pläne, offensive Maßnahmen gegen Venezuela zu ergreifen (…) Wir haben nicht die Absicht, in Venezuela einzumarschieren. Präsident Maduro weiß das und braucht sich keine Sorgen zu machen”, und erklärte, dass die Ankunft eines britischen Patrouillenbootes in den Gewässern von Guyana Teil “lang geplanter Routineübungen” gewesen sei.

Der Grund für die Spannungen

Der Auslöser war die Entdeckung großer Ölreserven im Seegebiet Guayana Esequiba im Jahr 2015, nachdem Exxon Mobil die Genehmigung zur Ausbeutung dieser Reserven erhalten hatte. Diese Reserven könnten sich auf bis zu elf Milliarden Barrel Öl belaufen. Um sich eine Vorstellung davon zu machen: Die Reserven von Guyana wären größer als die von Saudi-Arabien!

Im Oktober 2023 leitete Nicolas Maduro in seinem Land die Durchführung eines Referendums ein, das am 3. Dezember stattfand und darauf abzielte, das Gebiet Guayana Esequiba zu annektieren, indem er “die unveräußerlichen Rechte Venezuelas und seines Volkes auf das Gebiet” einforderte. Diese Region macht fast 70% der Fläche Guyanas aus und ein Fünftel der Bevölkerung Guyanas lebt dort, d.h. 125.000 Menschen.

Das Ergebnis des Referendums war eindeutig: mehr als 95% stimmten mit “Ja”. Maduro schlug daraufhin ein Gesetz zur Integration der Essequibo-Völker vor, indem er ihnen so bald wie möglich venezolanische Identitätspapiere ausstellte. Georgetown hat sich dem Referendum mit einem Antrag beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag widersetzt, doch Caracas erkennt diese Gerichtsbarkeit nicht an.

Das Referendum hat die latenten Spannungen zwischen den beiden Ländern erheblich verschärft und Besorgnis über die militärischen Folgen ausgelöst.

Erschwerend kommt hinzu, dass auch Surinam den Südosten von Guyana, die Tigri-Region, ins Visier genommen hat.

Ein alter historischer Streit

Guayana Esquiba ist ein 150.000 Quadratkilometer großes Waldgebiet, das bis zum 19. Jahrhundert zu Venezuela gehörte. Die Briten übernahmen die Kontrolle über die Kolonie von den Niederländern und verfügten 1883 die Entstehung von “British Guayana”. Venezuela hatte gerade erst begonnen, sich von inneren Kämpfen zu erholen und war zu schwach, um sich dagegen zu wehren. Die Briten förderten daraufhin die Wiederbesiedlung der Region durch guyanische Ureinwohner.

Nach erfolglosen Verhandlungen brachten Venezuela und Großbritannien den Fall vor die internationale Justiz, das Pariser Schiedsgericht von 1899 entschied zugunsten Londons. Das Gebiet wurde am 26. Mai 1966 unabhängig und nahm dann 1970 den Namen Kooperative Republik Guyana an. Erst mit der Verfassung von Guyana aus dem Jahr 1980, die 1996 überarbeitet wurde, wurde die Aufnahme von Guayana Esequiba in das guyanische Staatsgebiet offiziell.

Venezuela seinerseits erklärte in Artikel 10 seiner Verfassung von 1999: “Das Territorium und die anderen geografischen Räume der Republik sind diejenigen, die der Generalkapitänschaft Venezuelas vor seiner am 19. April 1810 eingeleiteten politischen Transformation entsprechen, einschließlich der Änderungen, die sich aus den nicht für ungültig erklärten Verträgen und Schiedsverfahren ergeben.” Wie andere gibt sich das Land also eine “historische Legitimität”, um einzugreifen und seine “historischen Rechte” wiederherzustellen.

Der guyanische Präsident Irfaan Ali: “wir hegen keine Ambitionen oder Absichten, etwas zu begehren, was uns nicht gehört. Wir setzen uns uneingeschränkt für friedliche Beziehungen zu unseren Nachbarn und allen Ländern in unserer Region ein.” Bild: Office of the President

Wie geht es nun weiter?

Die Präsidenten Lula und Maduro telefonierten am 9. Dezember miteinander, wobei der brasilianische Staatschef an die “lange Tradition des Dialogs zwischen den lateinamerikanischen Ländern” erinnerte. Das brasilianische Verteidigungsministerium hatte jedoch am 29. November erklärt, dass es entlang seiner Nordgrenze “die defensiven Aktionen intensiviert” habe und den Territorialstreit zwischen seinen Nachbarn Guayana und Venezuela beobachte. Im Klartext heißt das, dass die brasilianischen Streitkräfte wegen der Expansionsbestrebungen des venezolanischen Präsidenten in Bezug auf Guyana in Alarmbereitschaft versetzt wurden.

Nach Gesprächen am 14. Dezember in St. Vincent und Grenada, bei denen sich die Gesandten der verschiedenen Parteien darauf einigten, “keine Gewalt gegeneinander” anzuwenden und “in Worten und Taten davon abzusehen, jeglichen Konflikt zu eskalieren”, ließen die Spannungen eine Weile nach, doch der guyanische Präsident Irfaan Ali und der venezolanische Präsident Maduro beharrten auf ihren Positionen.

US-Außenminister Antony Blinken dankte Brasilien für seine “Führungsrolle” und bekräftigte die Position Washingtons, dass “die Landgrenze zwischen Venezuela und Guyana respektiert werden muss, es sei denn – oder bis – die Parteien eine neue Vereinbarung treffen oder ein zuständiges Rechtsorgan etwas anderes beschließt”. Die USA hatten Anfang Dezember “routinemäßige” militärische Luftübungen in Guyana angekündigt.

Das internationale Gleichgewicht ist derzeit destabilisiert, Konflikte brechen manchmal dort aus, wo man sie nicht erwartet, weil verschiedene Akteure die Schwächung des Westens nutzen, um Rechnungen zu begleichen, die jahrelang offen gelassen wurden (Russland-Ukraine, Hamas-Israel, afrikanischer Kontinent, Aserbaidschan-Armenien usw.). Venezuela könnte diese Situation ausnutzen, um sich in ein militärisches Abenteuer zu stürzen.

Guyana, ein kleines Land mit 800.000 Einwohnern, ist militärisch nicht so stark wie Venezuela mit seinen 28 Millionen Einwohnern und einer starken Armee mit 230.000 gut ausgerüsteten Soldaten. Das einzige Problem für Caracas ist, dass Georgetown zwei große Verbündete hat: Brasilien und Kanada. Außerdem ist Guyana Teil des Commonwealth. Vor allem aber wären die USA gezwungen einzugreifen, da sie nicht tolerieren können, dass das als “Feind” betrachtete Maduro-Regime eine solche destabilisierende Aktion dort durchführen kann, was sie als ihren “Vorhof” betrachten.

Aber man sieht immer mehr Führer, die ohne westliche kartesianische Logik handeln. Es scheint, als suche Maduro nach einem Vorwand, um seine “Sonderoperation” zu starten, die natürlich “defensiv” ist …

Der Artikel ist im französischen Original zuerst auf der Website des Centre Français de Recherche sur le Renseignement (CF2R) erschienen.

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16 Kommentare

  1. Venezuela wurde in der Vergangenheit vehement von von den ‘Besatzern’ angegriffen, in Form von ‘Farbenrevolution, Sanktionen bis hin zum Raub von Goldreserven.
    Ich persönlich denke Venezuela hat kein Problem mit Guyana, sondern will auf seine eigen Situation aufmerksam machen, mit welchen Mitteln die Kolonialisten arbeiten.
    Das gilt übrigens für etliche andere Nationen in der Region.

  2. Ein Glücksfall für die westlichen Ölmultis: Ein kleiner, schwacher Staat mit riesigen Ölreserven, die auf Ausbeutung warten. Eine Horror-Vorstellung für sie wenn das quasi sozialistische Venezuela darüber Verfügung bekäme. Aber auch ein Glücksfall für die USA, deren Einfluss auf viele Öl-Förderländer rapide sinkt. Es macht auch Sinn, dass sie ihren Juniorpartner, die ehemalige Kolonialmacht GB, ins Konfliktgebiet vorschicken.

    Das strittige Gebiet selbst ist unerschlossen und bis auf wenige Indigene auch unbewohnt. Die 0,8 Millionen Einwohner des Staates konzentrieren sich auf die Hauptstadt und der Küste. Venezuela dürfte es mit seiner Drohgebärde erst einmal darum gehen die Öl-Multis an der Ausbeutung des Gebietes zu hindern. Die Darstellung im Artikel, dass Brasilien hier Partei gegen Venezuela ergreift, bezweifle ich. Ansonsten ein Artikel geschrieben im Sinne der Öl-Multis, die aber seltsamerweise im Artikel gar nicht vorkommen.

    1. Dafür wird auf fehlende “westliche kartesianische Logik” verwiesen. Ich grüble noch, ob ich das verstehen muss.

      Was Brasilien macht oder nicht macht, ist eher davon abhängig, ob die USA dort gerade eine ihrer Wunschregierungen am Start haben.

      Jedenfalls sollte das starke Interesse an dem Öl ein deutliches Signal für alle “Klimaretter” sein, die meinen, sie können das damit erledigen, dass der wohlstandsverwöhnte Teil der entwickelten Welt die Wenigerreichen mit Wohlstandsklau mittels CO2-Steuern trietzt.

      Vor einiger Zeit war hier man ein Artikel über eine breitere Zusammenarbeit Venezuela mit Russland in Sachen Öl. Könnte sein, dass das ein Payback-Versuch für Armenien und Bergkarabach wird.

  3. “Diese Reserven könnten sich auf bis zu elf Milliarden Barrel Öl belaufen. Um sich eine Vorstellung davon zu machen: Die Reserven von Guyana wären größer als die von Saudi-Arabien!”

    Will der Autor mit dieser Behauptung seine Ahnungslosigkeit in Sachen Erdöl beweisen? Allein das größte saudische Erdölfeld Ghawar wird auf 170 Mrd Barrel geschätzt. Und da sind noch ein paar mehr.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Ghawar

  4. Riesige Ölvorkommen! Aber was ist passiert, seit sie 2015 entdeckt wurden? Guyana muss kein Öl mehr importieren, mehr ist da nicht. Das ist halt immer die Frage beim Öl: zu welchem Preis kann es gefördert werden? So wirklich preiswert kann es nicht sein, denn sonst hätte Exxon-Mobile mehr Enthusiasmus an den Tag gelegt.
    Da ist ein Video aus China auf dem Netz, wo zusehen ist, wie sich Passanten an einer belebten Hauptstraße mühelos unterhalten. Der Verkehr ist einfach nicht zu hören, weil alles Elektroautos sind. Es stammt aus der Technologiemetropole Shenzen, das ist nicht überall so. Aber Shenzen dehnt sich aus.
    Maduro passt nicht in die Garde der Linken, die im Rest Südamerikas die Energiewende vorantreiben. Bis 2019 fiel der Anteil der Erneuerbaren gar. Dass Lula das Militär in Bereitschaft hält, liegt daran, dass das Gebiet in Guyanas schwer zugänglich ist. Maduro könnte da eine Abkürzung über brasilianisches Gebiet nehmen. Lula traut ihm das zu. Wohl zurecht.

  5. Ein Referendum auf dem Weg zum Krieg, mal wieder geht es um die Befreiung eines wertvollen Besitzes, dem Öl. Ob Maduro noch zu Lebzeiten begreift, das Öl, Gas und Kohle kein langfristiges Geschäftsmodell mehr ist.
    Mit so einem strategischen Totalausfall ist die Zukunft Venezuelas sehr schlecht aufgestellt. Was er bereits in der Vergangenheit leider bewiesen hat.

  6. Was haben Großbritannien und die USA eigentlich auf dem fremden südamerikanischen Kontinent zu suchen?
    In Asien (Afghanistan) wurden sie ja schon ausgebremst.
    Manche lernen ihre Lektionen einfach nicht…

    1. Die beiden sind mit dem Einverständnis des Gastlandes dort. Ungefähr wie bei den Russen in Syrien.
      Aber was will der Maduro in einem fremden Land wenn er nicht eingeladen ist?

  7. Öl und Gas werden auch weiterhin gefragt sein in vielen industriellen Bereichen. Venezuela ist wie Kuba ein von Sanktionen, die allesamt völkerrechtswidrig sind, geschundenes Land.
    Es ist immer noch besser ein schlechtes Geschäftsmodell zu besitzen, als überhaupt keines, wie jetzt die europäischen Länder, allen vorran Deutschland. Hier könnte der Aufschlag bald ein sehr harter werden.

  8. Es wird keinen Krieg in Lateinamerika geben. Das ist ein wenig patriotisches Säbelrasseln, mehr nicht. Lulu und auch der kubanische Präsident werden Maduro überzeugen das Kriegsbeil nicht auszugraben!

    2024 wird für die um ihre Befreiung kämpfenden Völker ein gutes Jahr. Der zionistische Faschismus ist in einer ähnlichen Lage wie der US-Imperialismus in Vietnam so um 1968. Aber der deutliche Unterschied ist, die USA ist im unaufhaltsamen Niedergang, was 1968 anders war. Gerade haben sie einen Flugzeugträger aus den Mittelmeer abgezogen und der Iran schickt im Gegenzug ein Kriegsschiff ins Rote Meer, um den Boykott von Warenlieferungen an den zionistischen Kindermörder durchzusetzen. Israel ist weltweit isoliert und wird gerade im globalen Süden täglich mehr verachtet. Je mehr Kinder die Zionisten abschlachten, desto größer wird der weltweite Haß gegen ihr Apartheitsregime.

    In dieser Lage ist es auch für Venezuela besser einfach still zu halten und den unaufhaltsamen Niedergang des Imperium Americanum mit ein wenig Schadenfreude zu beobachten!

  9. die Blutsauger formieren sich, natürlich allen voran , wie gewohnt, wieder Uncle Sam! Was machr man mit Ungeziefer? Ich hoffe auf eine Lösung, obwohl im historischen Verlauf gesehen, wohl eher wieder die übliche Variante!

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