Katalonien: Schweinepest-Virus wahrscheinlich bei Laborunfall freigesetzt

Viel spricht in Spanien dafür, dass ein Laborunfall hinter dem Virus steckt, der seit fast zwei Wochen Katalonien in Aufruhr versetzt. Parallelen zum Corona-Virus drängen sich geradezu auf. Bei 13 verendeten Wildschweinen wurde die Afrikanische Schweinepest (ASF) festgestellt. Der zuständige Minister der Regionalregierung hatte zunächst aber eine absurde „Wurstbrot-Theorie“ aufgestellt. Derweil haben Labore aber festgestellt, dass es sich um ein Virus handelt, an dem in einem Labor in der Gegend geforscht wird, wo das Virus auftritt.

Nun hat der zuständige Minister der katalanischen Zentralregierung Óscar Ordeig eine „unabhängige Untersuchung“ der Vorgänge im Rahmen des Ausbruchs der Afrikanischen Schweinepest (ASF) in Katalonien angekündigt. Seit zwei Wochen hält das Virus die Region um Cerdanyola del Vallés in der Provinz Barcelona in Aufruhr. Inzwischen wurden offiziell 13 Fälle bei 37 verendeten Wildschweinen dokumentiert, seit der Ausbruch Ende November am Rand des Collserola Natural Park registriert worden ist. Die Regionalregierung hat den Zugang zu Naturgebieten nun bis zum 14. Dezember verboten. Das Verbot gilt für 91 aufgelisteten Gemeinden, dazu gehört auch die katalanische Metropole Barcelona. Freizeitaktivitäten, Jagd und Forstarbeiten sind dort nun verboten.

In dem Gebiet wurden inzwischen auch 30.000 gesunde Zuchtschweine vorsorglich gekeult, obwohl in keinem Betrieb eine Infektion festgestellt wurde. 11.000 Jobs hängen an der Schweine-Industrie, mindestens 300 befristet Beschäftigte wurden inzwischen schon entlassen. Insgesamt 80.000 Tiere sollen, nach bisherigen Angaben der Regionalregierung, noch gekeult werden. Die ökonomischen Folgen sind in einem Sektor noch nicht absehbar, der jährlich allein im Umfang von neun Milliarden Euro Schweinefleisch exportiert. Spanien ist der größte Exporteur von Schweinefleisch in der EU. Einige Länder, wie Japan und Mexiko, haben die Einfuhr schon verboten. Spanien liegt hinter China, USA und Brasilien weltweit auf dem vierten Rang bei der Schweinezucht. 54 Millionen Tiere wurden im Jahr 2004 geschlachtet.

„Wir haben mehr Informationen über den Ursprung des Ausbruchs, müssen aber weiterhin Daten sammeln“, erklärte der zuständige Minister Ordeig. „Diese Woche werden wir sehr wichtige Informationen erhalten“, fügte er an. Ausgerechnet dieser Sozialdemokrat erklärte nun, man solle nicht spekulieren und die von ihm nun ausgewiesenen Wissenschaftler arbeiten lassen: „Wir müssen vorsichtig bleiben und dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen.“

Erst einmal soll es ein Wurstbrot gewesen sein

Nicht die „Politik“, sondern „die Fachleute und Wissenschaftler“ müssten entscheiden, welche Forschungszentren untersucht werden und ob sie überhaupt untersucht werden müssen. Denn inzwischen deutet viel darauf hin, dass das Virus über einem Laborunfall freigesetzt wurde. Auch Experten im spanischen Agrarministerium vermuten, „dass der Ursprung in einer biologischen Sicherheitsanlage liegen könnte”.

Die Aussagen von Minister Ordeig kann man als Realsatire bewerten. Denn es war ausgerechnet dieser Sozialdemokrat, der eine absurde Theorie aufgestellt hatte, noch bevor irgendetwas auch nur ansatzweise untersucht worden war. Der Mann hatte doch tatsächlich ein „Wurstbrot“ für den Ausbruch der Schweinepest verantwortlich gemacht. „Die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus von kontaminierten Wurstwaren in einem weggeworfenen Wurstbrot stammt, ist sehr hoch“, hatte der katalanische Minister für Landwirtschaft, Viehzucht und Ernährung Ende November gegenüber  Medien erklärt.

Seine „Logik“ war bestechend: „Der Ausbruch wurde in einem Gebiet festgestellt, in dem viel LKW-Verkehr herrscht und es Raststätten gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wildschwein infiziertes Futter gefressen hat, ist hoch“, meinte er. Damit hat er natürlich die Transportunternehmen und LKW-Fahrer gegen sich aufgebracht, die angesichts der „ungerechtfertigten, voreiligen und falschen Anschuldigungen“ eine Entschuldigung von ihm fordern.

Dass sich in dem auch Gebiet ein Forschungszentrum des „Institut für Forschung und Technologie im Bereich Agrar- und Ernährungswirtschaft“ (IRTA)  konnte oder wollte ihm nicht in den Sinn kommen. Dabei forscht dieses Zentrum ausgerechnet an der Schweinepest mit dem Ziel, einen Impfstoff herzustellen. Man darf sich fragen, ob das nur Unfähigkeit oder ein offener Versuch war, die eigene Verantwortung zu vertuschen. Niemand anderes als dieser Minister ist nämlich auch der Direktor der IRTA. Letztlich ist das ziemlich egal. Beide Varianten sollten dafür sorgen, dass der unfähige oder vertuschende Ordeig so schnell wie möglich zurückgetreten wird. Passieren wird das vermutlich aber nicht.

Referenzvirus, das häufig bei experimentellen Infektionen verwendet wird

Dass Ordeig von seiner absurden vernebelnden Theorie ablassen musste, hängt mit dem Bericht des Referenzlabors der Europäischen Union mit Sitz in Valdeolmos (Madrid) zusammen. Das Forschungszentrum für Tiergesundheit (CISA-INIA) kam nämlich zu dem Schluss, dass das genetische Material des Virus aus dem Großraum Barcelona darauf hindeutet, dass es von dem ursprünglichen Erreger stammt, der 2007 in Georgia aufgetreten ist. „Der Virusstamm Georgia 2007 ist ein Referenzvirus, das häufig bei experimentellen Infektionen verwendet wird, um das Virus zu untersuchen oder die Wirksamkeit von Impfstoffen zu bewerten, die sich derzeit in der Entwicklung befinden“, erläuterte das Landwirtschaftsministerium am vergangenen Freitag.

Alle derzeit in den EU-Mitgliedstaaten zirkulierenden Viren gehören aber zu den genetischen Gruppen 2-28 und damit eben nicht zu der neuen genetischen Gruppe 29. Zu dieser Gruppe gehört aber das nun in Katalonien gefundene Virus. Das nun in Spanien isolierte Virus unterscheidet sich nach Angaben des spanischen Agrarministeriums deshalb von allen anderen in der EU derzeit zirkulierenden ASF-Viren. Der Referenzvirusstamm wird häufig bei experimentellen Infektionen in geschlossenen Einrichtungen verwendet, um Forschungen durchzuführen oder die Wirksamkeit von Impfstoffen zu bewerten. Und das geschieht auch in dem IRTA-Zentrum für „Recerca en Sanitat Animal (CreSA)“. Das liegt in Bellaterra und damit genau in dem Gebiet, in dem die an dem Virus verendeten Wildschweine gefunden wurden.

Alles, was von diesem Minister kommt, sollte nun mit großer Vorsicht genossen werden. Auch wenn er nun eine „unabhängige“ Untersuchung beschwört, sollte man das spanische Sprichwort anwenden: „Sag mir, was du proklamiert, und ich sage dir, was dir fehlt.“ Dass es mit der Unabhängigkeit nicht sonderlich weit her ist, zeigt sich schon an der Tatsache, dass die Leitung der Kommission ausgerechnet der IRTA-Geschäftsführer Josep Usall übernimmt. Dem untersteht steht Ordeig als IRTA-Direktor direkt, und dem Minister Ordeig dazu indirekt. Was soll da an einer „unabhängigen Untersuchung“ schieflaufen, fragt man sich sarkastisch. Dass der Gruppe auch noch fünf Forscher angehören, die nicht aus der IRTA stammen, könnte aber dann doch dafür sorgen, dass wir real erfahren, was hier gelaufen ist.

All die Vorgänge erinnern doch stark an das Coronavirus. Auch hier wurden zum Teil abstruse Theorien über die Entstehung von e SARS-CoV-2 ins Feld geführt. Die Hinweise auf die Labor-Theorie versuchte man lange ins Märchenreich zu verschieben. Allerdings musste dann sogar in diesem Frühjahr das ZDF in Bezug auf den deutschen Auslandsgeheimdienst BND titeln: „Virus könnte aus Labor in Wuhan stammen.“ Die Tagesschau titelte: „Hielt das Kanzleramt BND-Einschätzung zu Corona zurück?“ Der BND ging demnach „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ davon aus, dass das Coronavirus seinen Ursprung in einem Labor in China hatte, wird mit Bezug auf einen Artikel der Süddeutscher Zeitung berichtet Hier war auch die Politik im Spiel. Das Kanzleramt soll die brisante Einschätzung zurückgehalten haben. Overton hatte die Frage unter anderem hier und hier aufgearbeitet. „Warum man wissen konnte, dass das Virus aus dem Labor kam“, erklärte der Biologe Günter Theißen im Overton-Gespräch.

Der Journalist und Übersetzer Ralf Streck wurde 1964 in Flörsheim am Main geboren. Er studierte Politikwissenschaft und Turkologie an der Universität in Frankfurt. Seine journalistische Laufbahn begann bei Radio Dreyeckland in Freiburg, wo er eine Fortbildung zum Fachjournalist für Umweltwirtschaft absolvierte. Er lebt seit mehr als 20 Jahren im Baskenland, ist spezialisiert auf linke Unabhängigkeitsbewegungen und berichtet für diverse Medien in Europa vor allem von der Iberischen Halbinsel.
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