Kanzlerakten: Verstreut in der ganzen Welt

Laut Gesetz müssen amtliche Akten im Bundesarchiv liegen. Bild: Außenansicht der Hauptdienststelle des Bundesarchivs in Koblenz, wo die Kanzlerakten eigentlich hingehören. Bild: BArch, B 198 Bild-2017-0202-001 / Hacke, Mila

 

Ein presserechtlicher Anspruch auf Auskunft, welche Akten des Kanzleramts bei Privatleuten oder (privaten) Stiftungen ausgelagert wurden, besteht nicht, entschied das Berliner Verwaltungsgericht. Nicht nur die Kohl-Witwe Maike kann erst einmal aufatmen und die brisanten und zum Teil geheim gestempelten Unterlagen ihres Exmannes weiter in ihrem Keller verstecken und der Öffentlichkeit entziehen. Jetzt liegt die schriftliche Urteilsbegründung vor.

 

Es ist eine lange Geschichte, und man sollte sie mit Humor genießen, denn sie wirft ein bezeichnendes Licht auf den Unwillen der deutschen Verwaltungsgerichte, für die Durchsetzung demokratischer Rechte und Gesetze zu sorgen. Sie beginnt anno 2010, als ich zur Finanzierung der israelischen Atombombe recherchierte. Es waren nämlich Bundeskanzler Konrad Adenauer und seine engsten Vertrauten, die der israelischen Regierung 630 Millionen DM für das “Atomkraftwerk” in der Negev-Wüste Dimona spendierten. Das Auswärtige Amt hatte mir auf meinen Antrag die bis dahin streng geheime Akte “Geschäftsfreund” (so der Tarnname der Aktion) freigegeben. Aus ihr geht aber nicht hervor, ob dafür Zinsen entrichtet oder eine Rückzahlung vereinbart wurde, denn nicht nur die Öffentlichkeit hatte davon nichts erfahren, auch das Parlament und das Kabinett war nicht informiert worden. Diese Information hoffte ich, in den Akten von Hermann Josef Abs (Chef der Deutschen Bank und der Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW) und von Hans Globke (hoher Beamter in Hitlers Reichsinnenministerium und danach allmächtiger Staatssekretär Adenauers) zu finden. Globke hatte “das Ding” (so der israelische Deckname) mit Ministerpräsident David Ben Gurion geregelt.

Laut Gesetz müssen amtliche Akten im Bundesarchiv liegen, wo sie von Forschern und Bürgern eingesehen werden können. Aber leider nehmen sich die Politiker in dieser Republik, die sich “Rechtsstaat” nennt, das Recht heraus, selbst zu entscheiden, ob sie diese Gesetze befolgen wollen. Und die Justiz toleriert dies.

Die Globke-Akten liegen bei der Konrad-Adenauer-Stiftung und die des Herrn Abs im Historischen Archiv der Deutschen Bank. Die Bank wollte mich überhaupt nicht in ihr Archiv lassen, erst nach Klageeinreichung zeigte sie sich gnädig und ließ mich die begehrten Unterlagen einsehen. Die KAS hingegen legte mir in St. Augustin nur die offenen Globke-Akten vor, die VS-gestempelten Dokumente und komplette Akten hielt sie zurück. Daher forderte ich das Bundesarchiv auf, diese Akten zurückzuholen und mir zur Einsicht vorzulegen. Schließlich ist das seine Aufgabe, und so steht es im Bundesarchivgesetz, BArchG. Die Behörde gab mir Recht und meinte, dass sie das gerne täte, aber nichts gegen die Aktenklauer unternehmen könne. Das drückten sie natürlich vornehmer aus. Daraufhin verklagte ich das Bundesarchiv wegen Untätigkeit.

Die Sache ging durch die Instanzen, und 2017 urteilte das Karlsruher Verfassungsgericht, dass diese Akten weiterhin Eigentum der Bundesrepublik seien, dass ich aber den Falschen verklagt hätte, nicht das Bundesarchiv, sondern das Kanzleramt sei Eigentümer der Akten. Ich begann also wieder von vorne, verklagte das Kanzleramt, verlor in allen Instanzen, zuletzt sogar vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Unregelmäßigkeiten auf ganzer Linie, um es vornehm auszudrücken (EGMR: Rechtsprechung und NS-Nazi-Kontinuität).

Ich wollte auch die Akten von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl einsehen, die seine Witwe Maike in ihrem Keller in Oggersheim versteckt. Das steht in allen Zeitungen, und auch Maike macht daraus kein Geheimnis. Allerdings lässt sie nur diejenigen dort hineinblicken, die ihre Gnade finden, kritische Journalisten haben da schlechte Karten. Die KAS bestätigte mir, dass sie die Kohlakten, die anfangs der Ex-Kanzler dort gelagert hatte, auf dessen Wunsch nach Oggersheim geschickt hatte, damit der Biograph Heribert Schwan damit – im Sinne seines Auftraggebers – arbeiten konnte. Das bestätigte Schwan später auch vor Gericht. Im Oggersheimer Keller durften auch die Historiker vom Münchner Institut für Zeitgeschichte Dokumente kopieren und für ihre Veröffentlichungen verwenden, etwa über das Verhältnis Kohl-Mitterand. Das Institut bestätigte dies, und alles habe ich in einem Dokumentarfilm über diese Justizposse dokumentiert.

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Im August 2017, kurz nach dem Karlsruher Urteilsspruch, hatte ich beim Kanzleramt nachgefragt, wo sich seine Akten bezüglich Globke, Kohl und Adenauer befinden und was es unternommen hatte, um diese Akten wieder ins Kanzleramt bzw. ins Bundesarchiv zu überführen. Ich bezog mich auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) und das BArchG. Das Kanzleramt schrieb, dass ihm die Kohl-Witwe versichert habe, dass sie keine amtlichen Akten besitze und dass das Amt dies glauben würde; fröhlich ignorierte es sämtliche Zeugen. Vielleicht liest man dort auch keine Zeitungen. Ich klagte also wieder, verlor wieder; der Streit um die Kohlakten liegt zur Zeit in Karlsruhe, wo meine letzten Beschwerden auf Aktenzugang ohne Angabe von Gründen ablehnt wurden.

Allerdings tauchte im Rahmen der Gerichtsverhandlungen die Frage auf, ob nicht auch ein presserechtlicher Anspruch bestünde, da ich ja bekanntlich Journalistin bin. Also, nochmal Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht eingereicht, diesmal nach Presserecht, und Ende Juni 2025 wurde verhandelt. Die Klage wurde abgewiesen. Ich hätte mich von vorneherein auf das Presserecht beziehen müssen, und mich dazu an das Bundespresseamt wenden müsse, wurde mir vorgehalten. Außerdem fehle mir das Rechtsschutzbedürfnis, da ich mich, was etwa die Globke-Akten angeht, an die KAS hätte wenden können – also an dieselbe private Stelle, die nicht dem BArchG unterliegt und die mir schon einmal die VS-gestempelten Akten vorenthalten hatte. Zitat aus dem Urteil: “die Beklagte (habe) mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln nach solchen Unterlagen gesucht, aber keine weiteren Unterlagen gefunden. Darüber hinausgehende Möglichkeiten, nach weiteren Unterlagen zu suchen, ständen ihr nicht offen.” Aha, aber hätte die Beklagte, also das Kanzleramt, nicht einen Gerichtsvollzieher oder gar einen Staatsanwalt beauftragen können, mal in Oggersheim in den Keller zu steigen? Diese Frage stellten sich die Richter nicht. Wo kämen wir denn da auch hin?

Die Prozesse übrigens sind durch Spenden finanziert. Und natürlich werde ich immer wieder gefragt: Lohnen sich solche Klagen angesichts der willfährigen Richter überhaupt? Ich denke: ja. Wenn sich die Justiz blamieren und einen illegalen Zustand nicht beenden will, dann ist das eben ihre Entscheidung. Das sollte man ihr nicht ersparen.

Nach der Kündigung meines Kontos durch die Comdirect, können die Prozesse hier unterstützt werden: IBAN DE43120300001207441294, bic BYLADEM1001 oder  über Paypal gaby.weber@gmx.net.

Gaby Weber

Gaby Weber
Weber studierte Romanistik und Publizistik an der Freien Universität Berlin und promovierte 1982 am Lateinamerika-Institut. Seit 1978 ist die Mitgründerin der taz als Journalistin und seit 1986 als freie Korrespondentin tätig, zuerst aus Montevideo und ab 2002 aus Buenos Aires. Außerdem hat sie mehrere Reportagen und umfangreiche Recherchen zur Geschichte nachrichtendienstlicher Aktivitäten veröffentlicht. 2012 erschien ihr Buch „Eichmann wurde noch gebraucht“.
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2 Kommentare

  1. In Schweden hätte Gaby diese Probleme nicht. Es gibt dort ein Offenlegungsgesetz, das DeepSeek wie folgt zusammenfasst:

    Schweden hat kein „Total-Offenlegungs-Gesetz“, aber der Staat muss fast alles öffentlich machen, sofern keine gesetzliche Ausnahme greift. Bürger können fast alles einsehen – ein Modell für viele Demokratien.

    Allerdings. Denn ein Staat, der so transparent mit seinem Wissen umgeht, besitzt auch das Vertrauen der Bürger. Das Misstrauen bei uns kommt daher, weil wir so ein Gesetz nicht haben und die Archivierung äußerst schlampig ist. Vielleicht absichtlich schlampig.
    Schweden ist wegen diesem Gesetz nie in die Bredouille geraten. Nun ja, sie haben da auch nicht viel zu verbergen. Im Gegensatz zu uns. Gaby vermutet Abgründe. Zurecht, kann ich nur sagen.

    1. Die Handhabung ist Absicht. Die Politiker machen einfach, was ihnen gefällt und die willigen Büttel in Roben lassen es ihnen durchgehen. Praktischerweise waren die Politiker schlau genug, die Archivgesetze ohne Strafbewehrung zu schreiben. Wer will denn schon Gefängnis versauern, wenn man die Gesetze selbst macjt? Dort kommt doch nur der ungewaschene Pöbel rein.

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