Robert Kennedy Jr. hat die Medien, die jüdische Community und ganz New York in das passend benannte “Glasshouse” eingeladen, um seinen Philosemitismus zu demonstrieren und seine standfeste Haltung zu Israel.
Volles Haus, großartiger Blick durch die vollverglasten Wände auf den Hudson River und auf das Kriegsschiff “Intrepid” (Furchtlos), das heute als Museumsschiff vor Anker liegt. Furchtlos ist auch der Kandidat, Robert Kennedy Jr., der an diesem warmen New Yorker Abend spricht. Nicht ganz furchtlos, eigentlich, er fürchtet, als Antisemit gebrandmarkt zu werden nach einer dummen Bemerkung. Aber tapfer.
Eigentlich sollte die Veranstaltung in der Society for Ethical Culture stattfinden, die Bastion des liberalen Judentums an der Upper West Side. Die aber haben ihm kurzfristig den Vertrag gekündigt und überdies gesagt, es habe eigentlich gar keinen Vertrag gegeben. Also, ich bin kein kluger Mann, aber ich weiß, bei einer Veranstaltung schließen beide Seiten einen Vertrag. Aber es ist doch praktisch, wenn man das Geld der Kennedys hat und solch ein Glashochhaus mieten kann.
Der Spross der Familie — sein Onkel ist der legendäre, von Lee Harvey Oswald (hüstel) ermordete JFK, sein Vater ist Robert Kennedy — hat sich in der Woche zuvor bei einem Pressefrühstück in die Nesseln gesetzt. Er sagte, das Corona-Virus sei von den Chinesen erzeugt worden, und außerdem infiziere es eher Weiße und Afro-Afrikaner, während Chinesen und aschkenasische Juden davor gefeit seien.
Abgesehen dafür, dass die Beweislage dafür dürftig ist; das ist nicht die optimalste Strategie für einen Kandidaten, der ohnehin die gesamte US-Presse gegen sich hat wie sonst nur Donald Trump. Deshalb hat RFK Jr. die Medien und die jüdische Community und ganz New York in das passend benannte “Glasshouse” eingeladen, um seinen Philosemitismus zu demonstrieren, und seine standfeste Haltung zu Israel.
So weit, so gut. Leider kam er auf die Idee, Shmuel Boteach dazu zu bitten, ein Rabbi, zumindest so stellt er sich vor, der durch sein Buch “Kosher Sex” bekannt wurde. Boteach (und Kennedy) sind mit Larry David befreundet, dem Kopf hinter den legendären Comedys “Seinfeld” und “Curb Your Enthusiasm”, wo es darum geht, dass der gutwillige David versehentlich von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpert.
David (oder war es Boteach?) hat Kennedy mit dessen Frau Cheryl Hines bekannt gemacht, die in ” Curb Your Enthusiasm” Davids (nunmehr geschiedene) Frau spielt. Leider ist Cheryl nicht gekommen. Aber auch Kennedy zeigt offenbar ein ähnliches Talent wie sein Fast-Schwager, Fettnäpfchen zu bestolpern.
Noch ist der Kandidat nicht da. Der Saal füllt sich nur langsam, was allerdings nicht an dem gebremsten Enthusiasmus der Anhänger liegt, sondern an den zeitgemäßen Sicherheitskontrollen. Bevor wir anfangen, rennt Rabbi Boteach durch den Saal und sucht zehn Männer für einen Minyan, weil er Kaddish, das Totengebet für seine kürzlich verstorbene Mutter sprechen will. Das sei ein jüdischer Brauch.
Das ist richtig, aber doch eher in der Synagoge und nicht auf einem New Yorker Wolkenkratzer vor einem Glasdach und ein paar hundert teils goyischen Zuschauern. Einer der Minyanisten trägt ein Trump-Fan-T-Shirt und eine zugehörige Mütze.
Endlich kommt Kennedy! Jubel im Saal! Er sitzt vorne, auf einem weißen Sessel neben Boteach, der ihn vorstellen soll, aber sich erstmal ausführlich selber vorstellt. Er komme gerade aus Italien, wo er eine ganz andere Persönlichkeit habe als hier, viel extrovertierter; Pasta! Gelato! Mein lieber Scholli, denke ich, wenn der irgendwo noch extrovertierter ist, platzt er aus der Anzughose.
Nun spricht der Kandidat. Er spricht mit rauer, schwer zu verstehender Stimme, einer chronischen Atemwegserkrankung wegen. Das heißt, eigentlich spricht jetzt doch wieder Boteach, der ihn unterbricht. In den USA erlebten wir eine nie gesehene Welle des Antisemitismus, wie vor 2000 Jahren in Israel, als Gott den Tempel stürzte, sagt der Rabbi. Er erinnert an den Anschlag auf die Synagoge von Pittsburgh, auch an Anschläge in Europa und natürlich die ständige Dämonisierung von Israel.
Diese Bedrohung habe es immer schon gegeben. RFK, der Vater des Kandidaten, sei von dem palästinensischen Terroristen Sirhan Sirhan erschossen worden. Sein Vater habe, wirft nun Kennedy ein, Juden und Schwarze in den USA zusammengebracht. Die Iren seien auch ja auch unterdrückt worden, daher die Solidarität.
Sofort werden beide von einer schrillen weiblichen Stimme aus dem Publikum unterbrochen: Sirhan Sirhan sei nicht der Mörder, warum lüge Boteach? Die Kennedys seien vom Mossad umgebracht worden! Sie wird niedergebuht. Dann ist Boteach wieder dran, oder vielmehr, er nimmt sich das Wort.
Er preist Kennedy; der sei der einzige, der nicht wolle, dass der Iran Geld bekomme. Es geht um das unter Barack Obama ausgehandelte Iranabkommen, das dem Ziel diente, das Atomwaffenprogramm des Iran zu beenden. Trump hat das gecancelt.
Überhaupt, sagte Boteach, und seine Stimme überschlägt sich nun, Kennedy, der einzige, der immer, immer treu an der Seite Israels gestanden habe, so wie seine ganze Familie, werde nun, wegen einer einzigen fahrlässigen Bemerkung als Antisemit abgestempelt. “Wisst ihr, wer wirklich ein Antisemit ist? Ilhan Omar.”
Die muslimische Abgeordnete aus Somalia hatte assoziiert, dass die amerikanische Liebe für Israel an den Parteispenden wohlhabender Juden liege. “It’s all about the Benjamins”, das Konterfeit Franklins auf der 100-Dollar Note. Aber natürlich spielt der Einfluss von rechten fundamentalistischen Christen eine viel größere Rolle. Auch jetzt schreit wieder einer “Lüge!” und wird von Wachen aus dem Saal geführt.
Jedenfalls, so Boteach, habe er den Schmerz Kennedys dieser Anschuldigung wegen durch das Telefon fühlen können. Wir sind nun fast eine Stunde in der Veranstaltung, aber immer noch hat Kennedy nichts gesagt und Boteach plappert wie Jar Jar Binks auf Anabolika. Endlich wendet er sich an den Kandidaten. Wie geht es ihm?
RFK Jr. ist verletzt, als Antisemit bezeichnet zu werden, sehr verletzt, das sei wie Gift. Natürlich hätte er vorsichtiger sein sollen, und wissen, dass alles, was er sage, verzerrt wird und gegen ihn verwendet. Ach, wirklich? Wann ist ihm das aufgefallen? Ist er vorgestern in die Politik gegangen? Hat er ein New York Times-Abo?
Nun holt er aus und spricht. Lange. Sehr lange. Er erzählt von Israel, die Zerstörung des Tempels durch die Römer, Antisemitismus im Mittelalter, in England und Spanien, der Fall des Osmanischen Imperiums, der Holocaust, die Anerkennung Israels durch Harry Truman, dessen Politik in der Türkei und Griechenland, die Eisenhower-Jahre und wie das friedliche Israel dauernd, völlig unverdient, von feindlichen Arabern angegriffen worden sei, vom Sechs-Tage-Krieg bis zur Intifada.
Alle drei Minuten wird er unterbrochen von Boteach, der seinen Senf dazugibt. Das Publikum wird unruhig. Man hat inzwischen vergessen, kandidiert eigentlich Kennedy als Präsident der USA oder Boteach als Oberrabbiner von Israel?
Nun kommt die Frage auf, warum sich Kennedy mit Louis Farrakhan getroffen hat, der Vorsitzender der Nation of Islam, der verdächtigt wird, den schwarzen Bürgerrechtler Malcolm X umgebracht zu haben, und der als Antisemit gilt.
Mit Farrakhan hat er sich getroffen, sagt RFK, nachdem er festgestellt hat, dass manche Impfstoffe gefährliche Nebenwirkungen haben, und diese seien vor allem an schwarze Kinder gegeben worden. Aber er rede mit allen. Jeder könne zum Besseren überzeugt werden. Er habe sogar mit Sirhan Sirhan geredet.
Damit ist er wieder bei seiner Familie, der klingende Name der, wie auch das Geld der Kennedys, seine Kandidatur ermöglicht. Sein Onkel Jack sei im Zweiten Weltkrieg gefallen, sagt er. Zur Rettung der Juden. Wie konnten die Deutschen nur diesen Zivilisationsbruch hinlegen, das habe sich die Familie oft gefragt.
Kennedy redet nicht über seinen Großvater Joe Kennedy, der Patriarch der Familie, ein super-reicher irischstämmiger Banker aus Boston, der Sympathien für Hitler hatte und Franklin Roosevelt und Winston Churchill hasste, der Vertreter des Britischen Imperiums, die Unterdrücker der Iren. Roosevelt gab Joe Kennedy schließlich einen Botschafterposten, damit der die Klappe hielt. Denn Iren wie er, oder auch der Radiopfarrer Father Coughlin hatten großen Einfluss auf die irische Wählerschaft.
Kennedy allerdings schockiert es, dass seine eigenen Kinder Israel als Apartheidstaat sehen, der die Palästinenser unterdrückt. Er aber wolle den Amerikanern erzählen, dass diese Sichtweise falsch sei. Israel sei der einzige Ort im Mittleren Osten, wo Frauen und Schwule Rechte hätten. Die einzige Demokratie.
Selbst das israelische Militär sei das humanste der Welt, steuert Boteach bei. Wenn die in die Palästinensergebiete gehen und Terroristen erschießen, geschehe das behutsam. Und die Kennedy-Familie, die sei wie die Juden, gloriös und tragisch.
Höflicher Beifall. Übrigens sind nicht nur Kennedys Kinder keine Wiedergänger von Ze’ev Jabotinsky, auch RFKs (jüdischer) Schwippschwager Ed Schlossberg hat sich gegen ihn ausgesprochen. Ja, klar, sagt Kennedy, Joe Biden habe dessen Frau Caroline Kennedy einen hochdotierten Botschafterposten in Australien gegeben.
Inzwischen ist es fast zehn Uhr, und Kennedy hat immer noch nichts zu seinen politischen Zielen gesagt, was auch nicht einfach ist, wenn ein schwatzender Rabbi einem dauernd mit Anekdoten über die Gutheit der IDF ins Wort fällt. Endlich kommt das Publikum dran. Es formiert sich eine Schlange vor dem Mikrofon.
Die erste Frage kommt vor einer iranischen Jüdin; was denn Kennedy tun wolle, um den unterdrückten Frauen im Iran zu helfen. Die Frage beantwortet der Einfachheit halber gleich Boteach, der, erfahren wir nun, aus einer Familie von iranischen Juden stammt, die seit 2500 Jahren im Iran sind: Harte Linie! Sicher, der Schah sei nicht okay gewesen, aber er habe weniger Menschen umgebracht als die Mullahs.
Dann eine Frage zur Ukraine. Wir sollten keinen nuklearen Krieg riskieren, sagt Kennedy. Die Lage mit Russland sei sehr gefährlich. Schon sein Onkel — also John F. Kennedy — habe das erkannt, es habe damals einen Freund der Familie gegeben, ein KGB-Agent, der oft in Hyannis Port war, und der Briefe zwischen Kennedy und Chruschtschow geschmuggelt habe, weil beide ihren Apparaten nicht trauten.
Ist er für Impfungen? Ja, aber die solle nicht gesetzlich vorgeschrieben werden. Pubertätsblocker für Kinder, die sich trans fühlen? Auf keinen Fall ohne Einwilligung der Eltern, und eigentlich seien schwere Medikamente auch nicht gut. Dann warnt er noch vor dem Überwachungsstaat, Künstlicher Intelligenz, Chat GTP, Geräte, die ihre Besitzer überwachen. “Eine Welle des Totalitarismus kommt auf uns zu.”
Nach diesem kurzen Ausflug ins Allgemeine ist Israel wieder dran. Während Boteach noch etwas Senf zugibt, haben sich ein paar jüngere liberale Juden nun das Mikrofon erkämpft. Das israelische Militär hat letztes Jahr eine amerikanische Journalistin erschossen, würde Kennedy die Auslieferung des Schützen fordern?
Der Saal wird unruhig. Ein paar Leute schreien einander an, Boteach versucht, den Frager lautstark abzuwürgen, Kennedy sagt gar nichts. Werde Kennedy mit den Jewish Voices for Peace reden, fragt eine junge Frau? Darüber weiß er nicht genug, sagt er. “Bezahlte Schauspielerin” zischelt es, und Boteach würgt auch sie ab.
Noch ein liberaler Jude, der wissen will, warum Kennedy, mit seinem Anti-Kriegskurs das militaristische Israel unterstützt. Boteach wird jetzt richtig fuchtig. Er fordert den Übelbold auf, seinen Namen zu nennen, und überhaupt, Assad — der syrische Herrscher — habe zehnmal so viele Araber umgebracht wie Israel.
Der junge Mann sagt, er interessiere sich für Israel, weil die USA, also seine Steuergelder, das finanzierten. Auch er wird niedergebrüllt. Man kann aber seine Fragetechnik anhören, dass er trainiert ist, so wie in Deutschland die Klimaklebenden.
Nun die Gretchenfrage: Wie glaubt Kennedy, die Nominierung zu bekommen? Er hat die Partei doch gegen sich? Ja, sagt RFK, das sei wie Moses und das Rote Meer. Das müsse sich halt teilen. Aber Biden läge um sechs Prozentpunkte hinter Trump und die Demokraten wollten gewinnen. Deshalb hoffe er, dass die auf ihn zukämen.
Also, ich bin kein Parteistratege, aber den Boteach würde ich bei der nächsten Veranstaltung zuhause lassen, sonst gewinnt Kennedy Crown Hights in Brooklyn, Boca Raton in Florida und die linke Hälfte der Pico Avenue in Los Angeles. Und mit “zuhause” meine ich, irgendwo in der Wüste Lut im Iran, wo es kein WLAN gibt.
Nach der Veranstaltung stehen wir alle noch ein bisschen am Hudson-Ufer und diskutieren. Ich komme mit einem Juden meines reifen Alters in Gespräch, der Großbritannien und dem Versailler Vertrag die Schuld am Zweiten Weltkrieg gibt. Er findet Trump nicht schlecht, aber wählen will er ihn nicht. Wir sind hier in New York.
Am nächsten Tag erfahre ich aus der Tagesschau, dass Kennedy ein wildgewordener Verschwörungstheoretiker ist, weil er glaubt, die USA seien ein autoritärer Staat, wo man sich nicht mehr vor den Übergriffen der Regierung verstecken könne. Sind die Überwachungssatelliten im All an den Kollegen komplett vorbeigelaufen? Die Versuche der Regierung, Zugriff auf iPhones und Alexa zu bekommen? Die Aushöhlung des Bankgeheimnisses? Kontrollversuche von Facebook?
Es ist aber wirklich schade, dass Kennedy dazu so wenig gesagt hat. Andererseits, diese Geschichte, wie Moses vor den Römern durch den Tempel in Jerusalem weggeschwommen ist, die war irgendwie auch interessant.
Würde mir die Autorin als ständige Kolumnistin in “unseren Medien” wünschen, obwohl ich die meide.
Schöner und treffender kann man den ganz normalen täglichen Wahnsinn nicht beschreiben.
Obwohl, sie beschreibt den Zustand einer Oberschicht, nicht den des normalen Volkes und dazu noch in einem völlig verrückten Land. Was muss erst dort los sein.
…wen interressiert schon das normale Volk… siehe UA.. wie viel tote Ukrainer sind der NATO wert?
Wirklich interessanter Einblick in die Welt der wahnsinnigen Elite.
Nehmen die Juden jetzt den Platz des ” Königsmachers ” ein ???
Das passiert, wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt.
Ist das eigentlich Absicht, wenn Korrekturen nicht gespeichert werden?
Dem Herr Oberst schließe ich mich an, zu dieser Ouvertüre passt das was Herr Moshe schrieb.
Eine tief gespaltene Gesellschaft, inszeniert von oben, damit man sich unten bekriegt.
Apropos Inszenierung, es ist die israelische Regierung ‘selbst’, die ihre Pseudodemokratie zersetzt.
Die Frage für mich heisst: Wozu wird sowas inszeniert um welche Ziele zu erreichen?
“Am nächsten Tag erfahre ich aus der Tagesschau, dass Kennedy ein wildgewordener Verschwörungstheoretiker ist, weil er glaubt, die USA seien ein autoritärer Staat, wo man sich nicht mehr vor den Übergriffen der Regierung verstecken könne. Sind die Überwachungssatelliten im All an den Kollegen komplett vorbeigelaufen?”
Die Verschwörungspraktiker von der Tagesschau interessiert die Realität nicht, die sind vollständig mit ihren Narrativen beschäftigt. Demnach sind alle die in den USA nicht zum Neocon/Biden/Clinton-Verein gehören schlecht und in schlechtes Licht zu rücken.
RFK jr. hat niemals behauptet, das China und Ashkenazijuden immun gegen Sars-cov-2 sind und diese beiden hinter der Entwicklung standen. Er hat auf die Studienlage hingewiesen (Uni Cleveland u.a.), dass genetische Unterschiede bei den Rezeptoren (AC2) es dem Virus leichter oder auch schwere machen würden, die Person an Covid erkranken zu lassen. Daraus kann und sollte man dann seine Schlüsse ziehen dürfen und zur Diskussion stellen.
Sehr aufschlussreicher und obendrein prima pointierter Artikel!
Danke.
Gab es für die Teilnahme eine Schmerzzulage?Ich habe schon beim Lesen bei 50% abgebrochen.
RFK Jr. BACKS OUT of Max Blumenthal Debate
https://www.youtube.com/watch?v=wkF_xAFX5dA