Journalist Pablo González: Zwei Jahre ohne Anklage in polnischer Haft

Screeshots aus einer seiner Reportagen für den spanischen Sender La Sexta vor der Verhaftung.

Auch unter der neuen polnischen Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk hat sich an der Lage von Pablo González bisher nichts geändert. Der Journalist mit einem spanischen und russischen Pass sitzt am kommenden Mittwoch genau zwei Jahre wegen angeblicher Spionage für Russland in Isolationshaft. Die polnische Justiz hat gerade auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Untersuchungshaft um weitere drei Monate verlängert. Weiterhin werden weder Beweise noch eine Anklage gegen den Basken vorgelegt oder wurde ein Prozess angesetzt.

Schon jetzt ist klar, dass Pablo González mehr als zwei Jahre in Polen inhaftiert sein wird. Zum achten Mal hat das zuständige Gericht kürzlich die Untersuchungshaft für den Journalisten verlängert, um ihn für weitere drei Monate hinter Gittern halten zu können. Darüber hatte zunächst die spanische Onlinezeitung „Público“ berichtet, für die der in Russland geborene baskische Journalist unter anderem gearbeitet hat. Público machte erneut deutlich, dass auch weiterhin weder eine Anklage vorgelegt, noch ein Termin für einen Prozess angesetzt wurde. Die Zeitung streicht heraus, dass in den zwei Jahren seit seiner Verhaftung durch den polnischen Geheimdienst am 28. Februar 2022 „keine Beweise gegen ihn vorgelegt wurden“.

Die Verteidigung hat auch gegen die achte Verlängerung der Untersuchungshaft Widerspruch eingelegt. Niemand geht aber ernsthaft davon aus, dass das zuständige Gericht bei der noch ausstehenden Entscheidung anders als bisher urteilt und dem Journalisten Haftverschonung bis zum Prozess gewährt. Das fordern die Angehörigen, Freunde und Unterstützer seit langem. Bisher wurde die weitere Untersuchungshaft stets mit Flucht- oder Verdunkelungsgefahr angesichts einer möglichen hohen Strafe begründet. Der Journalist hat längst Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt, da seine Situation eine Verletzung der Menschenrechtskonvention darstelle. Die Ankündigung des früheren Außenministers Zbigniew Rau vor fast einem Jahr, der Prozess werde „relativ bald“ beginnen, blieben nur leere Worte.

Dem Basken droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren, da er wegen angeblicher Spionage für Russland verhaftet wurde. Der Vorgang fand im Grenzgebiet zur Ukraine statt, wie Overton berichtet hatte. Von dort hatte González auch für den spanischen Fernsehsender „La Sexta“ über die zahllosen Flüchtlinge berichtet, die kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine über die Grenze nach Polen strömten. Er sei als „Agent der Hauptverwaltung für Aufklärung“ (GRU) identifiziert worden, erklärte ein polnischer Regierungssprecher zu der Verhaftung. Gonzalez habe „unter Ausnutzung seines Status als Journalist“ für den Militärnachrichtendienst spioniert.

Seit zwei Jahren hört man aber aus Warschau kaum noch etwas zu dem Fall. In Medien der russischen Opposition werden González bisweilen Vorwürfe gemacht, die dann von großen spanischen Medien aufgegriffen werden. So hatte „Agents“ behauptet, González habe die Stiftung des 2015 in Moskau ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzow in Moskau ausspioniert. Die Quellen sind unklar, wie in Overton schon herausgestrichen wurde (Entlarvende Doppelmoral des Westens im Fall Gerschkowitz und im Fall Gonzalez). Agents bezieht sich auf eine Quelle in der Stiftung, die angeblich Zugang zu den Daten auf dem Computer oder dem Handy haben soll. Das klingt wenig glaubwürdig und es wird kein Dokument geliefert, nicht einmal aus angeblichen Berichten zitiert, die González verfasst haben soll. Damit ist klar, dass Agents kein Material vorliegt.

Aus Gonzalez wird in der Agents-Logik quasi ein russischer Spion, da er nach Angaben des Mediums „die gleichen Flüge“ von Moskau nach Sankt Petersburg und zurück wie Sergei Turbin, ein GRU-Geheimdienstoffizier,  genommen habe. Dabei bezieht man sich auf angebliche gehackte Daten. Daraus liefert Agents aber weder einen Screenshot noch einen Link auf die Daten, während das zu den Daten geschieht, welche die angebliche Agententätigkeit von Turbin belegen sollen. Der habe als Adresse bei verschiedenen Anlässen die „der Militärakademie des Verteidigungsministeriums“ angegeben. Die soll sich nach Ansicht von Agents auf die „Ausbildung von militärischen Geheimdienstoffizieren“ konzentrieren. Das alles ist so vage, dass sogar Agents schreibt, dass man nur „die Anschuldigungen bestätigten kann“, welche der polnische Geheimdienst erhebt.

Allerdings werden die Anschuldigungen nicht offen erhoben. Deshalb streicht auch Público heraus, dass in den bisher geheim geführten Ermittlungen „nicht ein einziges Beweisstück“ vorgelegt wurde: „Die Gerichte haben keine konkreten Fakten zur Untermauerung der Anschuldigungen vorgelegt.“ Da Großbritannien inzwischen nicht mehr in der Europäischen Union ist, das seit fünf Jahren den Wikileaks-Gründer Julian Assange in einem Hochsicherheitsgefängnis inhaftiert hält, sei „Pablo González der einzige Journalist aus einem EU-Staat, der in einem Gefängnis eines Mitgliedstaates inhaftiert ist“. Dessen Situation erinnert derweil immer stärker an die des Australiers.

Anklage wird verzögert, der Wille von González soll gebrochen werden, so sein Anwalt

So werden auch die Vorgänge um die Inhaftierung von González von Journalistenverbänden und Nichtregierungsorganisationen angeprangert, die seine Freilassung fordern. Reporter ohne Grenzen (RSF) hat den Fall als „beispiellos in der Europäischen Union” angeprangert. Es sei „ebenso unerträglich wie ungewöhnlich“, hatte RSF schon vor einem halben Jahr getwittert, dass der Journalist noch immer inhaftiert sei, „ohne dass die polnischen Behörden seine schwerwiegenden Anschuldigungen belegen konnten“.

Derweil ist die Lage noch unerträglicher geworden. Weiter belassen die polnischen Ermittler alles im Nebel, während González in Isolationshaft sitzt. Es soll offensichtlich weiter spekuliert und gemutmaßt werden, weiter wird auch nach zwei Jahren nur geheim ermittelt. Das lässt schwer daran zweifeln, dass es real Hinweise auf eine Agententätigkeit gibt, wie sie Agents anführt. Auffällig ist, dass weiterhin keine Anklage erhoben, ihm kein Prozess gemacht wird. Somit kann sich der Journalist auch real nicht verteidigen.

Der Madrider Vertrauensanwalt von González geht davon aus, dass Polen versucht, „den Willen“ seines Mandanten auch über die harten Haftbedingungen zu brechen. Wenn Polen über Belege verfügen würde, „hätten sie die längst vorgezeigt“, erklärt Boye seit geraumer Zeit. Nach nun zwei Jahren drängt sich diese Ansicht geradezu auf. Boye geht davon aus, dass Polen in einer Sackgasse gelandet ist und keinen Ausweg wisse.

So ähnlich sieht das auch Piotr Niemczyk, Ex-Direktor eines polnischen Geheimdienstes. In einem Beitrag in der „Gazeta Wyborcza“ verhöhnte er frühzeitig seine ehemaligen Kollegen für ihr Vorgehen. Dass sich ein „russischer Spion“ für Menschenrechte einsetze und Flüchtlinge unterstütze, die vor Putin fliehen, kommt ihm ziemlich spanisch vor. „Kein russischer Spion, getarnt als Journalist, würde sich erlauben, zwei Pässe und Kreditkarten des Landes mit sich zu führen, für das er spioniert“, plaudert der Experte aus dem Nähkästchen. „Kein operatives Verfahren der Welt lässt dies zu.“

Genau auf der Tatsache aber, dass der in Russland geborene Gonzalez auch einen über einen russischen Pass verfügt, in dem er als Pavel Rubtsov (Nachname des Vaters) geführt wird, basiert ein guter Teil der Spionage-Konstruktion. Zunächst wurde von Polen sogar behauptet, es seien gefälschte Pässe. Das hat sich aber auch längst als falsch herausgestellt. Allerdings fällt auch auf, dass es die polnischen Ermittler alles andere als eilig hatten, die Lage zu klären. Erst ein Jahr nach der Verhaftung wurde ein Rechtshilfeersuchen an Spanien gestellt, um die Passfrage zu klären.

Zudem wurde zunächst alles getan, um Boye als Verteidiger herauszuhalten. Mehr als ein Jahr wurde dem Anwalt jeder Kontakt zu seinem Mandanten verwehrt. Erst nachdem großer internationaler Druck aufgebaut wurde, konnte Boye mit González in Kontakt treten. Danach versuchte die polnische Justiz aber den international renommierten Verteidiger wieder aus dem Verfahren zu drängen.

Das ist gescheitert und Boye konnte gerade seinen Mandanten erneut im Gefängnis besuchen. Er beklagt „langsame, sehr langsame Ermittlungen“. Gegenüber Overton erklärte er: „Die führen zu nichts, weil man versucht, etwas zu beweisen, was es nicht gegeben hat.“ In Polen sei er „Zeuge einer Reihe von Untersuchungen und Ermittlungen geworden, die idealerweise im Jahr 2022 hätten durchgeführt werden müssen und nicht jetzt, zwei Jahre nach seiner Verhaftung.“

Man darf vermuten, dass dahinter keine Unfähigkeit steckt, sondern vor allem der Wille, den Vorgang möglichst in die Länge zu ziehen. Boye verwies auch auf die „besorgniserregende“ Tatsache, dass „das polnische Recht keine Obergrenze für die Dauer der Untersuchungshaft“ vorsieht, weshalb man Menschen in dem Land ohne Anklage unbegrenzt inhaftieren kann. Man habe deshalb mit dem Verteidigerteam „verschiedene Zukunftsszenarien“ erörtert, eine lange Untersuchungshaft sei die „größte Sorge“.

Die geht weiter davon aus, dass man den Basken weichkochen wolle, um ihn dazu zu bringen, etwas zuzugeben, was er nie getan hat. Die Haftbedingungen von González seien weiter hart. Boye verweist auf die „sehr strenge Einzelhaft, wenig Zeit im Hof“. Die Kommunikation mit seiner Familie fände praktisch nur über „zensierte Briefe“ statt, „die im Durchschnitt erst nach zwei Monaten ankommen“. So hat der Journalist auch keinen Kontakt zu seinen Kindern, sein Frau konnte ihn bisher nur zwei Mal besuchen. Der erste Besuch fand erst fast ein Jahr nach seiner Verhaftung statt. Der spanische Vertrauensanwalt erklärte nach seinem Besuch aber auch, dass trotz der schwierigen Lage sein Mandant „bei guter Gesundheit und guter Laune“ sei.

Angesichts der Vorgänge ist es schon erstaunlich, wie sich die sozialdemokratische spanische Regierung bisher zu den Vorgängen verhält. Der spanische Außenminister José Manuel Albares erklärte kürzlich, dass die Rechte von González in Polen gewahrt würden. Das gelte auch für „sein Recht, mit seinen Verwandten zu kommunizieren und von ihnen besucht zu werden, das Recht, seine Anklagepunkte zu erfahren.“ Dabei weiß auch Albares, dass es keine Anklage gibt, die konkreten Vorwürfe weiter unbekannt sind. Er weiß auch, wie es real um die Kommunikationsbedingungen steht.

Hoffnung auf neue polnische Regierung

Deshalb widerspricht auch die González-Unterstützergruppe in Madrid dem Minister und fordert die spanische Regierung auf, dafür zu sorgen, dass die „psychologische Folter“ von González beendet wird. Sie drängt die spanische Regierung deshalb auch dazu, seine Überstellung nach Spanien bis zu seinem Prozess zu fordern. Dass Albares beim Treffen mit seinem neuen polnischen Amtskollegen Radosław Sikorski kürzlich gefordert hat, den Journalisten „so bald wie möglich“ vor Gericht zu stellen, ist ein zaghaftes Zeichen für Veränderung.

Es gibt noch Hoffnungen, dass sich unter der neuen Regierung in Polen etwas an der Lage des Journalisten ändern könnte. Die Madrider Unterstützergruppe hatte einen Brief an den neuen polnischen Justizminister Adam Bodnar in der polnischen Botschaft übergeben, in dem auch daran erinnert wird, dass die EU-Kommission wegen den Problemen in der polnischen Justiz EU-Gelder blockiert hat. Die Kommission hatte wegen Rechtsstaatsproblemen auch Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet.

Die ersten Wochen der neuen Regierung seien kompliziert gewesen, erklärt die Gruppe. Sie hofft aber auf die Aussagen der neue Regierung, „dass es ihr Ziel sei, die Rechtsstaatlichkeit in Polen wiederherzustellen“, die in den letzten zehn Jahren von der rechtsradikalen PiS untergraben worden sei. Man setzt auf Bodnar, da „der sich in der Vergangenheit für die Pressefreiheit und die Menschenrechte eingesetzt“ habe. Der müsse nun dafür sorgen, dass „die Rechte von Pablo González endlich respektiert werden“.

Bodnar könne nun den Beweis für seine Überzeugungen antreten. Gefordert wird: „Die Beschleunigung des Gerichtsverfahrens“ und die „Respektierung“ des Rechts des Journalisten „auf ein faires, transparentes Verfahren, das so schnell wie möglich stattfinden“ müsse. Die Anwälte müssten endlich Zugang zu allen Akten erhalten, um die Verteidigung vorbereiten zu können. Seine Menschenrechte sollten gewahrt und die Haftbedingungen verbessert werden. Dazu gehörten auch „Familienbesuche und Telefon- oder Videogespräche mit den Kindern.“ Wie die Familie und die Verteidiger fordert auch diese Gruppe die Überstellung von González an Spanien bis zum Prozess.

Gegen die Hoffnung spricht, dass, so teilte Boye am Samstag mit, ein Sanktionsverfahren gegen die Verteidigung eingeleitet wurde, weil man über einen legalen Weg González Presse-Ausschnitte über seinen Fall übergeben hat. Man werde sich davon nicht einschüchtern lassen.

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14 Kommentare

  1. Nun gibt es noch einen Grund, warum Gonzalez so lang festgehalten wird: er hat dort Dinge gesehen, die die Öffentlichkeit nicht erfahren soll. Um die Städte Kramatorsk und Slawiansk herum müssen schlimme Dinge passiert sein, das geht aus vielen Berichten hervor. Reporter wie Billy Six und Mark Bartelmai konnten von dort acht Jsahre lang nicht berichten. Aber er war dort.
    Übrigens gibt es da eine Parallele: Julia und Sergeij Skripal werden seit sechs Jahten von den Briten festgehalten, unter Bedingungen, die wahrscheinlich denen von Julian Assange gleichen. Vermutlich deswegen, weil sie in Freiheit dem erzählten Stuss massiv widersprechen würden.
    Übrigens vor Kurzem gefunden: ein Interview mit Wil Mirsajanow, einem der Entwickler des geheimen Giftes Nowitschok

    “Wie wurden sie vergiftet? Es gibt eine Version, dass es sich im Auto befand und dass sich die Substanz auf dem Lenkrad oder dem Türgriff befunden haben könnte. Dann fuhr Skripal mit diesem Auto zu einer Bar. Das Problem bei dieser Version ist, dass er, wenn er das Produkt berührt, sofort eine Miosis bekommt und nicht mehr fahren kann. Wahrscheinlicher ist, dass er sich in einer Bar angesteckt hat. Möglicherweise gab es ein Sprühspray. Bei Nowitschok ist es nicht notwendig, das Gas ins Gesicht zu richten, obwohl diese Methode garantiert zum Tod führt. Es reicht aus, diskret auf eine offene Stelle zu sprühen.”

    https://novayagazeta.ru/articles/2018/03/15/75815-nado-bylo-navsegda-lishit-rossiyu-ee-sekreta

    Heißt, dass Nowitschok sofort wirkt und eben nicht erst Stunden später. Womit sowohl die Skripal-Geschichte mit der Türklinke, als auch die Nawalny-Story mit der Unterhose insd Reich der Fabel verwiesen wurden.

  2. Sollte es sich in Polen etwa um eine rechtsfreie Autokratie handeln? Das kann doch nicht sein! Frau BBock und Herr Hbeck: Bitte über nehmen Sie!

    Vielen Dank für den Bericht!

  3. Oh, super Danke. Der Wertewesten in Aktion. wer über Assange, Gonzalez… nicht reden will, sollte den Mund über Navalny gefälligst halten.

  4. Ich weiß schon, warum für mich Polen das unattraktivste Land/Bevölkerung, in der näheren Umgebung, darstellt:

    Ultra-katholisch, ultra-nationalistisch, absolut russophob, absolut pro-amerikanisch, absolut traditionell……und die Sprache: total vernuschelt.

    Polen ist für mich einfach ein ätzender Staat. Worauf sind die denn so stolz? Auf ihre Weißkrautgerichte?
    Warum ich mich ganz gut auskenne? Ich hatte viele polnische Freunde und Partner.

    Mein Beitrag ist emotional, daher auch nicht so gaaanz korrekt. Wäre schön wenn Pablo stabil bleibt und bald frei ist. Aber katholisch und revanchistisch, wie Polen nun mal ist, braucht man sich da keine Hoffnungen zu machen.

  5. War nicht Polen eins von diesen neuen EU-Ländern, wo die CIA ein Foltergefängnis unterhielt? Da passt diese Art Umgang mit einem Journalisten.

    Und unsere großartigen Menschenrechtskämpfer in den Medien haben mal wieder nichts gesehen und nichts gehört.

  6. Danke. Bin jetzt auch hier. Von diesen Inhalten hat sich Telepolis offensichtlich auch distanziert, da ChatCPT nichts gehört oder den polnischen Unfug aufkocht.

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