
Am 3. Juli gaben die USA die bislang wohl sensibelste Akte zum Mord an J. F. Kennedy frei. Es handelt sich um den erhaltenen Teil der Personalakte des Schattenmannes George Joannides (1922–1990), der die nunmehr nicht mehr abstreitbare Rolle der CIA vor und nach dem Attentat nach Kräften vertuschte.
Als 1978 ein Untersuchungsausschuss die jeweils angeblich verrückten Einzeltätern zugeschriebenen politischen Morde an den Kennedy-Brüdern und Dr. Martin Luther King unter die Lupe nahm, fungierte Joannides als Ansprechpartner für die Zusammenarbeit mit der CIA. Diese stellte ihn als kompetenten und unvoreingenommenen Mitarbeiter dar, verschwieg jedoch die Tatsache, dass Joannides bereits 1963 eine bedeutende Rolle als Leiter der Abteilung für psychologische Kriegsführung an der CIA-Station in Miami spielte. Dort arbeitete er mit kubanischen Exilgruppen wie dem Directorio Revolucionario Estudantil (DRE) – das mit dem angeblichen Alleintäter Lee Harvey Oswald in obskurer Verbindung stand.
Joannides hatte seit 1952 eine Karriere in der CIA als Experte für verdeckte Operationen und Desinformation gemacht, die ihn ein Jahrzehnt in Athen einsetzte. Ende der 1990er Jahre kam dem Journalisten Jefferson Morley der Verdacht, Joannides sei identisch mit dem Geheimagenten „Howard Gebler“. Rädelsführer des DRE hatten von einem CIA-Kontaktmann dieses Namens berichtet. Die bis dahin als authentisch wahrgenommene Gruppe militanter studentischer Castro-Gegner wurde tatsächlich von der CIA über Joannides alias „Gebler“ kontrolliert und finanziert. Zwar hatte die CIA Geblers Existenz tapfer bestritten und auf ihre interne Tarnnamen-Datenbank verwiesen, die keinen Treffer auswarf. Jedoch beweist ein Dokument aus der Akte, dass für Joannides als Tarnpapier ein Führerschein auf „Howard Mark Gebler“ ausgestellt wurde.
Propaganda-Fake gegen Fair Play for Cuba Committee
Der ursprüngliche Auftrag des Informationskriegers dürfte die psychologische Bekämpfung der Pressure Group „Fair Play for Cuba Committee“ (FPCC) gewesen sein, in der prominente Meinungsführer wie Jean-Paul Sartre, Truman Capote und Norman Mailer für einen friedlichen Dialog mit Castro warben. In weiser Voraussicht vor Schmutzkampagnen vermied das FPCC allerdings konsequent jede Angriffsfläche, mit der die Gruppe etwa als kommunistisch hätte denunziert werden können.
Wie von der CIA gerufen, trat dann jedoch im Sommer 1963 in New Orleans der Ex-Marine Lee Harvey Oswald als angeblicher Vorsitzender eines – offenbar nur inszenierten – lokalen FPCC-Chapters auf, lieferte sich eine pressewirksame, aber wohl gestellte Schlägerei mit den Heißspornen des DRE und gab sich anschließend in einem Radio-Streitgespräch als Marxist-Leninist zu erkennen. Diese Inszenierung fiel damit dem echten FPCC in den Rücken. Wie Morley herausfand, verfügte der eigentlich in Miami stationierte Joannides damals ausgerechnet über eine Wohnung in New Orleans.
Oswalds Flugblatt wies als Anschrift eine Adresse aus, an welcher der rechtsextremen Privatdetektivs Guy Bannister firmierte, der im Behördenauftrag linke Organisationen mit V-Leuten zum Zweck der Zersetzung unterwandern ließ und in Waffengeschäfte mit paramilitärischen Exilkubanern verstrickt war. Bannisters Sekretärin berichtete, Oswald einmal in dessen Büro gesehen zu haben. Bannister arbeitete auch mit dem rechtsextremen CIA-Pilot David Ferrie zusammen, der Oswald seit 1955 kannte und ihm seinen Büchereiausweis lieh, den Oswald bei seiner Festnahme bei sich trug.
Soweit die ausschließlich für die Beobachtung des Auslands zuständige CIA innerhalb der USA operierte und die Öffentlichkeit täuschte, verletzte sie hierdurch ihre Kompetenzen. Damit nicht genug, lancierte die CIA mit den Exilkubanern Gerüchte, die Sowjets hätten nach Kuba-Krise nicht alle Raketen abgezogen, sondern 44 Stück in Höhlen versteckt. Kennedy, der direkte Geheimverhandlungen mit Castro sowie Chruschtschow führte, glaubte dies allerdings nicht und beschwerte sich bei CIA-Vize Helms über solche Propaganda.
Deutungshoheit über Jahrhundertmord
Als in den Stunden nach den Schüssen von Dallas die Festnahme von Lee Harvey Oswald gemeldet wurde, wies „Gebler“ sofort das DRE an, mit den Informationen über den angeblichen Schützen als vorgeblich kommunistischer Castro-Sympathisant an die Presse zu gehen. Der Text wurde über die CIA-nahe PR-Agentur Robert R. Mullen & Company unverzüglich an Redaktionen lanciert, die das Feindbild vom kommunistischen Alleintäter prägten. Die vorgetäuschte Verbindung zu Oswald mit dem FPCC hatte zur Folge, dass sich diese Organisation einen Monat später auflöste. An der Seite eines scheinbar gewalttätigen Kommunisten wollte niemand stehen.
Fest steht jedenfalls nunmehr, dass mit CIA-Direktor Richard Helms, CIA-Abwehrchef James Jesus Angleton und Joannides drei hochrangige CIA-Männer über ihre angeblich fehlenden Erkenntnisse über Oswald logen. Tatsächlich führte Angleton bereits dreieinhalb Jahre vor den Schüssen in Dallas eine besondere Akte über Oswald, wie sie nur bei eigenen CIA-Agenten vorgesehen ist, gewährte den üblichen Zugang hierzu allerdings nicht der eigenen Abteilung, sondern der für verdeckte Operationen. Diese und etliche anderen Indizien sind kaum anders erklärbar als durch die Schlussfolgerung, dass Oswald ein US-Geheimagent gewesen sein muss.
Offenkundig verfolgte die CIA ein gesteigertes Interesse, den ihr vorgeblich völlig unbekannten Oswald mit Kuba in Verbindungen zu bringen. Die außenpolitisch relevante Entscheidung, Castro auch den zunächst noch ungeklärten Mord am Präsidenten anzulasten, könnte theoretisch spontan gefallen sein. Dann allerdings wäre Joannides ein hohes Risiko eingegangen, seine Kompetenzen zu überschreiten, zumal wohl auch der neue Commander in Chief President Lyndon B. Johnson hätte gefragt werden müssen. Es bestand auch das Risiko, dass der damals noch lebende Oswald die ihm zugedachte Rolle nicht mitspielen und die CIA blamieren würde.
Lebensnäher erscheint es, dass die CIA für einen Fall wie ein Attentat bereits konkrete Pläne vorbereitet hatte, um sie opportun als Chance propagandistisch zu nutzen. Dies entspräche der Arbeitsweise des CIA-Mordplaners William King Harvey, der bei von ihm geplanten Attentaten stets Fehlspuren legte, um politische Gegner wie Kommunisten in Misskredit zu bringen. Nachdem Kennedy der CIA die Zuständigkeit für verdeckte Operationen gegen Kuba entzogen hatte, setzten Harvey und CIA-Vizedirektor Helms ihre paramilitärischen Aktionen heimlich eigenmächtig fort, was während der Kuba-Krise zum Eklat führte. Harvey war daraufhin auf die CIA-Station in Rom strafversetzt worden, unternahm jedoch im Sommer 1963 eine geheimnisvolle Reise in die USA. Die Dokumente diesbezüglich sind noch gesperrt, sollen aber demnächst ebenfalls freigegeben werden.
Lebende Tageslichter
Die Entschlossenheit der CIA, sofort unterschwellig die Deutungshoheit über das dubiose Attentat zu übernehmen und die Presse mit Desinformation zu füttern, nährt jedoch den Verdacht, dass es sich bei dieser Kampagne um das Cover Up eines Staatsstreichs gehandelt haben könnte. Die Befehlsgewalt über die CIA und Pentagon ging jedenfalls mit Kennedys Tod automatisch an Johnson über, ein Präsident nach dem Geschmack des Pentagons, des Geheimdienstapparats und des Establishments – den Eliten, die Eisenhower 1960 als „militärisch-industriellen Komplex“ bezeichnet hatte. Angleton kümmerte sich persönlich darum, mögliche Spuren wie Memoiren von CIA-Personal zu beseitigen und Kritiker des Warren-Reports durch lancierten Rufmord mundtot zu machen.
Demnächst sollen auch die CIA-Akten über den Mafiakiller Herminio Diaz Garcia offengelegt werden, den vormaligen Leibwächter des damaligen Mafia-Oberhaupts Santos Trafficante jr. Drei Jahre nach dem Kennedy-Mord war Garcia bei einem Mordanschlag auf Fidel Castro getötet worden. Sein damals gefasster Mitstreiter Tony Cuesta soll einem Mithäftling gegenüber, Reinaldo Martinez, Garcia als Kennedys Todesschützen identifiziert haben. Seit den 1970er Jahren ist bekannt, dass die CIA bereits bei den Mordanschlägen auf Castro mit der Mafia kooperierte. Welchen seriösen Grund die Regierung Biden 2024 gehabt haben könnte, die CIA-Akte über den 1966 verstorbenen Mafia-Killer auf ewig unter Verschluss zu halten, ist derzeit unbekannt.
Joannides leitete ab 1972 die CIA-Station in Saigon und war ab 1976 für 900 CIA-Mitarbeiter in Ostasien verantwortlich. Sein Überblick über die Geschehnisse von 1963 war jedenfalls offenbar so wichtig, dass man ihn 1978 kurz nach seiner Pension eigens reaktivierte, um den Untersuchungsausschuss über die Rolle der CIA zu sabotieren. Kurz danach verlieh die CIA Joannides ihre höchste Medaille. Seine Anweisung an das DRE, die falsche Fährte über Oswalds vorgebliche Beziehungen zu Kuba zu legen, scheint der CIA also gleichermaßen erwünscht gewesen zu sein wie die Irreführung des Untersuchungsausschusses.
Die Akte, auf deren Herausgabe der Journalist Jefferson Morley 15 Jahre vergeblich geklagt hatte, ist nunmehr für jeden im Netz einsehbar. Die Legende vom verwirrten Einzeltäter Lee Harvey Oswald, der nichts mit der CIA zu tun gehabt habe, ist mit der nun bewiesenen CIA-Kontrolle des DRE, das mit Oswald seltsame Kontakte pflegte, nicht mehr zu halten.
Autor Markus Kompa beschäftigt sich in einem kostenlosen und werbefreien Podcast #JFK60 ergebnisoffen mit dem Jahrhundertmord.
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Die schlimmste Pest dieses Planeten hat 3 Buchstaben: CIA
Danke Herr Kompa für die Recherche und den aktuellen Informationensstand
Bizarr ist auch, daß Oswald in den 50igern mehrere Jahre in der Sowjetunion lebte und dort verheiratet war. Allerdings galt er dort als „trübe Tasse“, und sie waren froh, als er in die USA zurückkehrte.
Das an sich war noch nicht das Problem. Bizarr im Wortsinne wurde es, als er in die USA zurückkehrte. Er war Militärangehöriger einer geheimen US-Base in Japan, hatte dort russisch gelernt (!!!), und war dann über seltsame Wege (Finnland?) in die SU „geflüchtet“ und hatte denen als Gegenleistung Radargeheimnisse der USA angeboten.
Dennoch konnte er nach dieser Episode völlig problemlos wieder in die USA zurückkommen, es wurden ihm keinerlei Schwierigkeiten bereitet, was für einen echten Geheimnisverräter undenkbar war, ja er konnte sogar seine sowjetische Ehefrau mit in die USA nehmen!
Klarer konnte man nicht zeigen daß Oswald für einen US-Geheimdienst (CIA oder Militär) gearbeitet und in dessen Auftrag in die SU „geflohen“ war.
Das erscheint uns so, ist aber nicht ganz so außergewöhnlich. Tatsächlich sind wohl zu dieser Zeit tausende Amerikaner in die Sowjetunion gegangen, um beim Aufbau zu helfen. Natürlich hat die CIA die Gelegenheit genutzt, um ein paar faule Eier einzuschmuggeln.
Die Sowjets erkannten von Anfang an, dass Oswald kein authentischer Überläufer war, und überwachten ihn nahezu lückenlos.
https://open.spotify.com/episode/13eFjOn6ROXdEWjrO6BJTQ
Gute Gründe sprechen für die Annahme, dass die Entsendung von Oswald in die Sowjetunion bewusst durchsichtig gewesen sei, um das KGB zu einer Reaktion provozieren sollte, mit der sich ggf. ein Maulwurf innerhalb der CIA hätte verraten können.
He, super! Es gibt neue Folgen!
Ich hab schon alle bis Nummer 12 aufmerksam angehört. Manche mehrmals!
Vielen Dank für die Arbeit, auch an Dirk Pohlmann!
Und dann musste man sich sechzig Jahre lang als Verschwörungstheoretiker verunglimpfen lassen.
Und selbst jetzt haben sich die Herrschaften kein Jota geändert. 1 plus 1 ist bei ihnen immer noch nicht 2.
Und der Duktus ist derselbe geblieben.
Vor kurzem erst hat so eine Trulla in der Tagesschau über den Fall Epstein „berichtet“, und dabei süffisant gesagt, daß US-„Amerikaner traditionell sehr offen für Verschwörungsmythen seien“ – und dann nannte sie als Beispiele den JFK-Mord, die Mondlandung und 9/11…..
Alles schön in einen Topf geworfen, einmal umgerührt und fertig ist der Brei. Und das vor dem Hintergrund, daß der Vorwurf der „Verschwörungstheorien“ in der Politischen Diskussion auf einem CIA-Paper begründet ist, daß genau damals, im Zuge der staatlichen und geheimdienstlichen Aufklärungsverhinderung der JFK-Mordes erstellt wurde….
Es ist die Aufgabe der (westlichen? nur westlichen?) Geheimdienste, Dinge zu tun, die man nicht offiziell tun möchte. Z.B. mit der Mafia zusammenzuarbeiten, Drogen und Waffen zu schmuggeln, Auftragsmorde, schwarze Propaganda (die man dem Gegner unterschiebt) oder graue Propaganda (Verbreitung von fake news) zu betreiben. Daran hat sich nichts geändert, aber offenbar sind seit dem zweiten Weltkrieg die Skrupel geschwunden. Ich verwette meine Großmutter, dass die Russenpropaganda heute auch überwiegend/fast alles graue Propaganda ist.