Itamar Ben-Gvirs Bewegungsfreiheit

Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir. Bild: Ministerium für Nationale Sicherheit

Der Kahanist Itamar Ben-Gvir hat eine Prioritätsfrage im Verhältnis zu den Arabern auf den Punkt gebracht. Nicht nur der Inhalt, sondern auch die schiere Tatsache, dass er das wie selbstverständlich tun konnte, ist beachtenswert.

 

Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit Israels, proklamierte letzte Woche im Rahmen eines TV-Gesprächs: “Das Recht von mir, meiner Frau und meiner Kinder, uns in Judäa und Samaria zu bewegen, ist wichtiger als die Bewegungsfreiheit der Araber. Mein Recht auf Leben hat Vorrang vor der Bewegungsfreiheit.” An den am Podium sitzenden israelisch-palästinensischen Journalisten Mohammad Magadli gewandt, fügte er dann noch hinzu: “Sorry, Mohammad, aber das ist die Realität.”

Es ist schon bemerkenswert, wie unverhohlen und bestimmt der Minister seine Apartheid-Gesinnung artikulierte. Er sagte nicht etwa, dass sein Recht auf Leben Vorrang habe vor der Bewegungsfreiheit von Terroristen; er sprach nicht einmal von Palästinensern – es ging ihm um die Hierarchisierung von Juden und Arabern, um Jewish Supremacy, jüdische Vorherrschaft.

Für sich genommen verwundert das bei Itamar Ben-Gvir nicht. Er ist ja gesinnungstreuer Kahanist, faschistisch ausgerichteter Rassist, der – wenn es nach ihm ginge, und der Ideologie seines geistigen Vaters Meir Kahane entsprechend – Israel am liebsten araberrein sehen würde. Er propagiert zwar nicht wie Kahane offiziell den Bevölkerungstransfer, handelt aber ganz in seinem Geiste.

Als Polizeiminister wäre es seine Amtsverantwortung, die die palästinensische Bevölkerung Israels beutelnde Mordorgie zu bekämpfen, in deren Rahmen Mitglieder der organisierten Kriminalität fast täglich Anschläge auf Araber verüben (schon 160 Tote gab es allein in diesem Jahr; teilweise handelt es sich auch um Akte verfeindeter Familienverbände). Es handelt sich ja um Verbrechen, die an israelischen Bürgern begangen werden. Aber das hierzu professionell Erforderliche wird unterlassen. Warum soll man sich auch darum kümmern? Es sind doch Araber, die Araber töten? Was geht es die Juden an? Der israelische Apartheidstaat belangt nicht nur das Verhältnis Israels zu den Palästinensern in den besetzten Gebieten, sondern auch das zu den im eigenen Staat lebenden Palästinensern – von jeher leben sie im zionistischen Staat als Bürger zweiter Klasse. Das wird zwar nicht offiziell proklamiert, aber in nahezu allen Lebensbereichen real praktiziert.

Es sei hier gleichwohl darauf hingewiesen, dass die Doktrin einer jüdischen Vorherrschaft der Ideologie des Zionismus seit jeher innewohnte. Man nannte sie nicht so, sondern sprach von der unhintergehbaren Notwendigkeit einer jüdischen Majorität im zionistischen Staat. Das war die Maxime aller bedeutenden Protagonisten im klassischen Zionismus, allen voran David Ben-Gurions, den die Demographie auch praktisch sehr beschäftigte. Es sollte ja ein jüdischer Staat werden (ohne dass man recht zu bestimmen wusste, was es mit diesem Jüdischen inhaltlich auf sich habe, wenn man keine Theokratie anstrebte). Nicht von ungefähr wurde der Zionismus des Rassismus geziehen, wenngleich der diesbezügliche offizielle UNO-Beschluss später revidiert wurde. Wie es heute mit einer solchen institutionellen Revision stünde, sei dahingestellt.

Man mag sich fragen, was Ben-Gvir mit seiner an Mohammad Magadli gerichteten arrogant-überheblichen Feststellung “Sorry, Mohammad, aber das ist die Realität” meinte. Was ist die Realität? Dass Ben-Gvir daran glaubt, was er deklariert? Dass eine Jewish Supremacy real bestehe, gar wesenhaft sei? Dass der arabische Journalist gefälligst verstummen möge? Wie immer man diese Fragen beantworten möchte, muss ihnen eine Frage vorangestellt werden: Was ist selbstverständlich daran, dss Ben-Gvir – in diesem Fall als Vertreter aller Siedler in den besetzten Gebieten – überhaupt Bewegungsfreiheit im Westjordanland beansprucht?

Die Siedlung, in der er wohnt, gilt völkerrechtlich als Kriegsverbrechen. Daran ändert nichts, dass sie von Israel staatsoffiziell errichtet wurde. Mit dem gesamten Siedlungswerk hat Israel, ob man es nun wahrhaben will oder nicht, Kriegsverbrechen begangen. Was, darf man sich fragen, hat der Minister und seinesgleichen überhaupt in diesem palästinensischen Territorium verloren? Was hat er dort zu suchen? Diese Frage bekümmert einen Itamar Ben-Gvir nicht, sie beantwortet sich für ihn ganz einfach: Wie sein Gesinnungsgenosse Bazalel Smotrich beruft auch er sich darauf, dass das im 1967er Krieg eroberte Territorium das den Juden von Gott verheißene Land sei, welches sich somit jeder säkularen (und erst recht nichtjüdischen) Beurteilung und Bewertung entziehe. Das ist für Ben-Gvir nicht ein auf Irrealem beruhendes Postulat, sondern eben die Realität, wenn man will, die real gewordene Manifestation von Gottes Willen. Die Okkupation sei überhaupt keine Okkupation; wer sie als eine solche bezeichnet, begehe ein Sakrileg. So denkt der heutige Polizeiminister Israels.

Was neu ist an Ben-Gvirs Diktum, ist nicht sein Inhalt, sondern die Tatsache, dass er es heute so offen aussprechen kann, ohne sich zu verstellen, ohne sich auch den geringsten Anschein von Apologie zu geben (das “Sorry, Mohammad” ist ja nicht als Entschuldigung gemeint, sondern als Affront). Der vorbestrafte Minister war schon immer grobschlächtig, perfide und präpotent anmaßend; heute darf er es staatsoffiziell sein. Im hebräischen Slang gibt es den Ausdruck “Vom Sprungbrett ins Schwimmbecken pissen” (Dinge offen tun, die man, wenn überhaupt, nur im Geheimen tut).

Bezeichnend ist, daß Ben-Gvirs Vorgesetzter, Benjamin Netanjahu, auf den rassistisch-faschistischen Spruch seines Ministers zunächst gar nicht reagierte, und als Kritik daran dann selbst aus dem Weißen Haus kam, sich damit begnügte zu verlautbaren, die Bewegungsfreiheit im Westjordanland werde für alle garantiert werden. Man mache sich nichts vor, Itamar Ben-Gvir ist nur das Symptom. Ein Riesenlager von Gesinnungsgenossen steht hinter ihm.

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8 Kommentare

  1. Ja, die Zeiten sind so wild und wirr, dass sie nun überall wieder aus der Deckung kommen und unverhohlen ihre seltsamen Ansichten raushauen, ohne den leisesten Zweifel an sich und ihrer Gesinnung erkennen zu lassen.
    Es ist, als wäre die Welt durchdrungen von Energien und Zeitgeist, die besonders die abartigen, trennenden, Gesinnungen erblühen lassen und ihre Brutstätten von jeder Form generalisierter menschlicher Empathie abschirmen.
    Auch das wird vergehen, auf die eine oder andere Weise….

  2. Das ist nur der Vorgeschmack auf das, was in Europa kommen wird: Der Vorrang der Weißen im Westen vor den unkultivierten aggressiven Primitivlingen im Osten. Eigentlich wird unser Engagement in der Ukraine bereits damit gerechtfertigt. Also nichts neues im Westen. Nur dass der Antikommunismus-Vorbehalt wieder durch einen rassistisch-völkischen ersetzt wird.

    1. Naja, die Kommunisten hatten immerhin die weltweite Revolution des Proletariates im Sinn, was natürlich eine Bedrohung für den Kapitalismus als solchen war. Solche Bestrebungen kann ich im heutigen Russland eher nicht erkennen. Auch nicht in der sich bildenden BRICS-Gemeinschaft. Diese scheint mir mehr Mittel zum Zweck die westliche Wertegemeinschaft auf Abstand zu halten und davon abzuhalten Frieden, Freiheit und Demokratie zu verbreiten zu sein.

      Um den Bogen zurück zum Artikel zu schlagen: die Lage in Israel ist da doch eine etwas andere. Die Israelis und Palästinenser leben so nah beieinander, daß sie praktisch auf demselben Fleck leben. Von China und Russland zum Wertewesten gibt es doch noch etwas geografiachen Puffer.

  3. Warum fällt mir das jetzt dazu ein?

    “Viele Menschen haben das Gefühl, ihr ‚eigenes‘ Land nicht mehr wiederzuerkennen. Zu Recht, möchte man sagen – denn es sieht anders aus, es ist jünger geworden, es spricht anders, es isst anders, es betet anders, als früher. Doch sie vergessen: Dieses Land gehört per se niemandem.“

  4. Tja, und wenn man solche Rassisten und Faschisten wie Ben-Gvir als Nichtjude kritisiert, ist man gleich Antisemit! Wobei – selbst kritischen Juden hat man das ja auch schon vorgeworfen. Da kann ichs ja mal riskieren.

  5. In der Ukraine findet ein Krieg statt, dort lebten auch viele jüdisch glaubenden Juden, nu sind sie ‘alle’ weg. Wo sind diese hingezogen?
    Brachiale Politik erfordert brachiale taten, nur diese Politik ist nicht fördernd für ein allgeinwohl, im Gegenteil, durch finanzielle Nöten wird man fast ‘automatisch gezwungen’ ein Narrativ anzunehmen.
    Diese Perversion läuft doch eine sehr lange Zeit.
    Übrigens, weil die Re ligion Idioten so sehr mit ihm kurzzeitigen Dasein umherschwelgen, warum Schwätzt keiner über andere angeblichen älteren Re ligionen?
    Die Wiege des Herzen oder vom Dasein, ist wesentlich verstümpert dargestellt, als tatsächlich vorhanden.
    Egal welcher Glaube sich der Mensch verpflichtet fühlt, ist und bleibt eine persönliche Sache und hat nichts mit den anderen zu tun.
    Politik ist Politik und Re ligion eine andere Sphäre…

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