Ist das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome gescheitert?

Drei Gründe, warum Israels “mächtiger” Irin Dome durch billige Hamas-Raketen “zusammengebrochen” ist.

Unter den vielen Schwachstellen der israelischen Sicherheit, die durch den Angriff der Hamas aufgedeckt wurden, ist die Unfähigkeit des Iron Dome, der angeblich zu den besten Luftabwehrsystemen der Welt gehört, die angreifenden Raketen zu neutralisieren, besonders bemerkenswert.

Dies hat viele Fragen aufgeworfen. War der Iron Dome überbewertet oder wurde er von den Raketen der Hamas überwältigt? Werden Länder nun zögern, Verteidigungssysteme von Israel, dem zehntgrößten Waffenexporteur der Welt im Jahr 2022, zu kaufen?

Übrigens hat Israel im vergangenen Jahr Verteidigungsgüter im Wert von 12,556 Milliarden US-Dollar exportiert. Die Zahlen für 2022 bedeuten eine 50-prozentige Steigerung gegenüber den vorangegangenen drei Jahren und eine Verdoppelung des Volumens gegenüber dem letzten Jahrzehnt. Auf Drohnen entfielen 25 Prozent der Exporte des Jahres 2022 und auf Raketen, Flugkörper oder Luftabwehrsysteme 19 Prozent, heißt es.

Was den 2011 entwickelte Iron Dome betrifft, so haben sowohl das System als Ganzes als auch seine Komponenten auf dem globalen Waffenmarkt Interesse geweckt. Während Teile des Iron Dome bereits an Länder wie Kanada, Großbritannien, Finnland, die Tschechische Republik und die Slowakei verkauft wurden, hat die Unterzeichnung des von den USA ausgehandelten Abraham-Abkommens im Jahr 2020 mit Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und dem Sudan das System für Israels Nachbarn im Nahen Osten attraktiver machen. Im November 2022 bekundeten ungarische Regierungsangehörige ihr Interesse an dem Iron-Dome-System als Radarkomponente.

Laut Pieter Wezeman, leitender Forscher am Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstitut (SIPRI), haben in den letzten zehn Jahren mehrere Länder Interesse an dem Iron-Dome-System gezeigt: Rumänien und Zypern im Jahr 2022, Aserbaidschan im Jahr 2016, Südkorea im Jahr 2012, Indien im Jahr 2010 und Singapur im Jahr 2009. Indien und Südkorea haben diese Pläne jedoch letztlich nicht weiterverfolgt; in anderen Fällen gibt es keine Bestätigung für tatsächliche Bestellungen oder Lieferungen.

Berichten zufolge kaufte Aserbaidschan seine Version des israelischen Iron Dome im Mai 2021. Die Vereinigten Staaten kauften Iron-Dome-Komponenten im Jahr 2019. Wezeman zufolge “haben die USA ein auf Iron Dome basierendes System beschafft, das aus zwei Batterien mit US-Radaren und anderen Komponenten besteht und die Tamir-Raketen [die beim Iron-Dome-System vbenutzt werden] verwendet. Israel wäre daran interessiert, diese Tamirs von den USA zu bekommen. Die USA haben auch den Prozess zum Kauf von 1920 Tamir-Raketen im Jahr 2023 eingeleitet, aber wir werden sehen, ob dieses Geschäft jetzt überstürzt zustande kommt, da Israel viele dieser Raketen benötigt, um seine Iron-Dome-Fähigkeiten aufzufüllen und zu erweitern.”

Übrigens bedarf jede Ausfuhr von Iron Dome oder seiner Komponenten in ein Drittland der Zustimmung Washingtons, da das System gemeinsam von den Vereinigten Staaten und Israel entwickelt wurde. Das System, das auf einem Lastwagen transportiert werden kann, besteht aus drei Hauptelementen: der Abschussvorrichtung und ihren Abfangvorrichtungen, einem bodengestützten Multi-Missions-Radar und einem Kontrollsystem. Es fängt die Raketen und Flugkörper mit seinen Abfangraketen ab und nutzt das Radar, um sie zu entdecken und zu verfolgen.

Israel verfügt angeblich über 11 Iron-Dome-Batterien, die im ganzen Land verteilt sind. Jede Batterie kann eine Fläche von bis zu 155 Quadratkilometern gegen Raketen mit einer Reichweite zwischen 4 und 70 km abdecken. Eine Batterie umfasst drei bis vier Abschussrampen, die jeweils bis zu 20 Abfangraketen enthalten. Jede Batterie kostet angeblich rund 100 Millionen US-Dollar (157 Millionen Euro) und jede Abfangrakete rund 50.000 US-Dollar.

Angesichts der damit verbundenen Kosten wählt das Iron-Dome-System seine Ziele aus. Um Abfangraketen zu schonen, stellt das Radarsystem schnell fest, ob die feindliche Rakete auf ein bewohntes Gebiet zufliegt. Ist dies nicht der Fall, wird die Rakete ignoriert und kann landen, ohne Schaden anzurichten.

Die Israelis sind in der Tat stolz auf die Leistung von Iron Dome. Die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) behaupten, Iron Dome sei “eine einzigartige Ikone der technologischen Innovation”, die in der Lage sei, mehrere Bedrohungen gleichzeitig abzuwehren, und zwar mit einer Erfolgsquote von bis zu 97 Prozent. Kein anderes existierendes Luftverteidigungssystem könne die fast 2000 Abschüsse des Iron Dome vorweisen.

Es wurde darauf hingewiesen, dass die IDF seit 2011 (dem Jahr, in dem Iron Dome entwickelt wurde) das Iron-Dome-System eingesetzt haben, “um über 1700 ungelenkte Raketen und Mörsergranaten abzuschießen, die von militanten Kräften im Libanon, in Syrien und im Gazastreifen auf israelische Gemeinden abgefeuert wurden. Eine Iron-Dome-Batterie kann auch Flugzeuge, Drohnen, große Artilleriegranaten und möglicherweise sogar Marschflugkörper und ballistische Raketen abschießen – wie der Abschuss einer iranischen Fateh-Rakete am 20. Januar 2019 beweist.”

Einige Skeptiker wie Dr. Moti Shefer gehen jedoch davon aus, dass Iron Dome einer der größten Bluffs ist, die es je gab. Shefer, ein israelischer Ingenieur, argumentiert: “Es gibt heute keine Rakete auf der Welt, die Raketen oder Flugkörper abfangen kann. Iron Dome ist eine Ton- und Lichtshow, die nur die öffentliche Meinung Israels und sich selbst abfängt. Alle Explosionen, die man am Himmel sieht, sind Selbstexplosionen.

“Keine Iron-Dome-Rakete ist jemals mit einer einzigen Rakete zusammengestoßen. Offene Räume sind ein Mythos, der erfunden wurde, um die derzeitige Abfangquote von Iron Dome in die Höhe zu treiben. Die Raketen, die als von Iron Dome abgefangen gemeldet werden, erreichen entweder nie den Boden oder sind virtuelle Raketen, die vom Iron-Dome-Kontrollcomputer erfunden und zerstört wurden. Bis heute hat noch niemand eine abgefangene Rakete auf den Boden fallen sehen”.

Es muss jedoch klargestellt werden, dass die obige Bemerkung von Shefer bereits 2014 gemacht wurde. In der Zwischenzeit muss es weitere technologische Innovationen gegeben haben, um die Abfangraketen zu verbessern.

Am 2. August 2022 führten die USA, die von Rafael Advanced Defense Systems, dem Hersteller von Iron Dome, zwei Batterien mit 12 Abschussvorrichtungen und 240 Abfangraketen erworben hatten, auf dem Raketenübungsplatz White Sands einen erfolgreichen Abfangtest durch, um sicherzustellen, dass die Sicherheitsstandards der US-Armee erfüllt werden. Dies war der zweite Abfangtest, seit die beiden Batterien Ende 2020 an die US-Armee geliefert wurden.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, warum die Iron Dome-Rakete gegen die Angriffe der Hamas so unwirksam war.  Unter den Antworten, die von einigen Experten gegeben wurden, sind die folgenden bemerkenswert:

Erstens ist der Iron Dome so konzipiert, dass er den bedrohlichsten Raketen – wie etwa Marschflugkörpern – Vorrang vor kleineren Raketen oder den von der Hamas eingesetzten Ultraleichtflugzeugen gibt. Sam Cranny-Evans von der Denkfabrik Royal United Services Institute sagt, dass “dieser sehr gut koordinierte Angriff mit fast 5000 Raketenangriffen bedeutete, dass nicht 10 oder 20 Raketen von einem Ort aus in den israelischen Luftraum abgefeuert wurden, sondern dass dies aus mehreren Winkeln geschah, was die Luftabwehr erschwert”.

Sein Argument ist, dass das schiere Ausmaß des Angriffs die israelischen Verteidigungssysteme überforderte, weil sich die Angriffe der Hamas nicht nur auf Raketen beschränkten, sondern auch den gleichzeitigen Beginn von Land-, Luft- und Seeangriffen einschloss. Das war zu viel für die israelischen Verteidigungssysteme, um sich auf die Iron Domes zu konzentrieren. Malcolm Davis, ein leitender Analyst für Verteidigungsstrategie am Australian Strategic Policy Institute, scheint dieser Ansicht zuzustimmen.

Zweitens ist es möglich, dass die Hamas die Schwachstellen des Systems untersucht und dementsprechend neue Waffen eingesetzt hat, um in das System einzudringen. In einem Bericht der New York Times werden US-Regierungsangehörige mit den Worten zitiert, dass “neue Waffen, die von der Hamas am Samstag zum ersten Mal abgefeuert wurden,  schwieriger abzufangen gewesen sein könnten, was ebenfalls eine Rolle gespielt haben könnte. Die Hamas setzte bei dem Angriff ein neues Raketensystem mit der Bezeichnung Rajum ein. Außerdem benutzten sie kleine Drohnen, die Munition auf israelische Militärstellungen abwarfen, so Janes, ein Verteidigungs- und Open-Source-Nachrichtendienstleister.”

Die Hamas und ihr wichtigster Unterstützer, der Iran, scheinen ihre Lehren aus der Vergangenheit gezogen zu haben, in der der Raketenbeschuss durch die Hamas vom Iron Dome noch wirkungsvoll abgewehrt werden konnte. Dementsprechend wurden ihre neuen Waffen/Raketen zu Hunderten in rascher Folge abgefeuert, so dass der Iron Dome damit nicht mehr zurechtkam. Und diese Raketen waren zudem ziemlich billig. Uzi Rubin, der als einer der Väter der israelischen Raketenabwehr gilt, wurde mit dieser Aussage zitiert. Die von der Hamas abgefeuerten Kurzstreckenraketen kosten zwischen 300 und 800 US-Dollar pro Stück. Jede Abfangrakete des Iron Dome kostet  40.000 bis 50.000 US-Dollar.

In Anbetracht der obigen Argumente kann man mit Sicherheit sagen, dass Israels Iron Dome nicht ausreicht, um ein größeres Gebiet zu schützen, wenn es mit einer überwältigenden Anzahl von Raketen konfrontiert wird, selbst wenn diese billig und von geringerer Leistungsfähigkeit sind. Allerdings geht es hier um die Quantität und nicht um die Qualität. Deswegen wäre es verfrüht zu sagen, dass dem Iron Dome der Untergang droht.

Der Artikel ist im englischen Original unter dem Titel “The Dome Is Doomed?” in der EurAsian Times erschienen. Prakash Nanda ist Vorsitzender des Redaktionsausschusses der EurAsian Times und äußert sich seit fast drei Jahrzehnten zu Politik, Außenpolitik und strategischen Themen. Als ehemaliger National Fellow des Indian Council for Historical Research und Empfänger des Seoul Peace Prize Scholarship ist er außerdem Distinguished Fellow am Institute of Peace and Conflict Studies.

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