Israel: Geiseln im Kreuzfeuer

Bild: Hanay/CC BY-SA-4.0

Die Befreiung der israelischen Geiseln aus der Hamas-Gefangenschaft ist zum Politikum verkommen. Wie kann das sein?

 

Am 7. Oktober 2023 sind etwa 1145 Menschen, Israelis und Fremde, die meisten von ihnen Zivilisten, von der Hamas umgebracht worden. Außerdem wurden 253 Menschen entführt. 110 von ihnen sind inzwischen befreit (zudem 11 Leichen nach Israel gebracht) worden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt befinden sich 132 israelische Geiseln in Hamas-Gefangenschaft.

Nach erstem Schock über die Ausmaße des Desasters und anfänglicher Lähmung begann Israel einen groß angelegten Krieg gegen die Hamas. Als Kriegsziel wurde zuerst die Zerstörung der politischen und militärischen Hamas-Herrschaft im Gazastreifen erklärt. Sehr bald erhob sich jedoch in der Bevölkerung und den Medien die Frage, was mit den Entführten geschehen solle. Es war klar, dass man sie freibekommen wollte; dies wurde indes von der Regierung nicht sofort zum Kriegsziel erhoben. Erst auf massiven Druck der betroffenen Familien und den sich mit ihnen proaktiv Solidarisierenden in der Bevölkerung ist die Geiselbefreiung zum offiziellen Kriegsziel Israels erhoben worden.

Wie aber sollten sie befreit werden? Die Rettung der ersten 110 Entführten war das Ergebnis eines Deals mit der Hamas, bei dem Israel der palästinensischen Organisation kampffreie Tage und die Befreiung in Israel gefangener PalästinenserInnen als Gegenleistung garantierte. Schon da wurde klar, dass die Hamas die Entführten als ein taktisches Mittel zur Erlangung der für sie angesichts des sich stetig steigernden Drucks der israelischen Armee dringend benötigten Feuerpausen einsetzte. Dies unter anderem festigte die Doktrin der israelischen Regierung und des ihr unterstellten Militärs, dass die Befreiung der Geiseln einzig durch die persistente Steigerung des militärischen Drucks auf die Hamas zu erreichen sei.

Aber mit jeder Woche, die verging, stellte sich heraus, dass diese Prämisse eher israelischem Wunschdenken entstammte, als einer realen Einschätzung ihrer Verwirklichungsmöglichkeit. Israel steigerte den militärischen Druck zu barbarischen Dimensionen einer humanitären Katastrophe im Gazastreifen, aber von Geiselbefreiung konnte nicht die Rede sein. Bald genug wurde klar, dass die beiden erklärten Kriegsziele – Niederschlagung der Hamas und die Errettung der Entführten –  im Widerspruch zueinander standen (und noch immer stehen): Für die Hamas kommt, soweit man weiß, eine Geiselbefreiung nur dann infrage, wenn Waffenstillstand bzw. eine Beendigung des Krieges beschlossen wird. Für Israel, so die Einstellung der Regierung und nicht weniger in der israelischen Bevölkerung, käme ein Stopp der Kampfhandlungen, bevor die Hamas endgültig niedergerungen worden ist, einer Niederlage gleich.

Die aber kann sich Benjamin Netanjahu und mit ihm seine Regierungskoalition nicht leisten. Der Premier ist darauf bedacht, den Krieg so lange wie nur möglich fortzusetzen, damit er sich seinem Prozess und einer möglichen Verurteilung (vorerst jedenfalls) entwinden kann. Seine politischen Verbündeten wollen die Fortsetzung des Krieges, um ihre Herrschaft zu erhalten, wobei bei den messianisch beseelten Nationalreligiösen Bezalel Smotrich (Finanzminister) und Itamar Ben-Gvir (Polizeiminister) noch Expansionsphantasien einer jüdischen Neubesiedlung des eroberten Gazastreifens eine Rolle spielen. Zudem gehen sie alle davon aus, dass ein “Sieg” im Krieg sie rehabilitieren würde, nachdem sie als politisch Verantwortliche sowie die Armee und die Geheimdienste am 7. Oktober so eklatant versagt hatten.

Derweil verschlechtert sich die Lage der Entführten (zu denen auch bedürftige Alte, Kranke und Verletzte zählen) unter den horrenden Bedingungen der Hamas-Gefangenschaft mit jedem Tag. Das rief bereits vor Wochen die Angehörigen der Geiseln auf den Plan. Zwar haben sie sich organisiert und praktizieren eine orchestrierte, von den Medien unterstützte öffentliche Aktivität zur fortwährenden Erinnerung an die Gefangenen und deren Errettung, und doch ist ihre Lage prekär: Zum einen sind sie, was die Befreiung anbelangt, von der Regierung abhängig, wollen sie mithin nicht provozieren. Zum anderen steigert sich ihre Ungeduld und Frustration zur verzweifelten Wut auf die Regierenden, denen sie (freilich immer noch zögerlich) vorwerfen, dass ihnen die Befreiung der Geiseln keine Priorität sei.

Es kam bereits auch zu peinlichen Zusammenstößen zwischen den Delegierten der Angehörigen und den Bevollmächtigten der Regierung bei (eher spärlichen) gemeinsamen Sitzungen. Nicht von ungefähr erschien kein einziger Regierungsvertreter auf dem massenhaft frequentierten Platz vor dem Tel Aviver Museum, wo am letzten Wochenende ein “Tag der Solidarität mit den Entführten” stattfand.

Wie gesagt, die Zeit drängt sehr, wenn man die entführten Geiseln lebendig befreien möchte. Die Frage, die sich nun aber stellt, ist, ob das, was als Bedingung für die Befreiung vorausgesetzt wird, überhaupt noch triftig ist.

Raviv Drucker, ein renommierter israelischer Politkommentator, schreibt dazu diese Woche: “Am Anfang des Krieges war ich der Meinung, dass die Liquidierung der Hamas im Gazastreifen ein wichtigeres Kriegsziel sei, als die Rückkehr der Entführten. Die Frage war damals, ob das ein reales Ziel sei. Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt nicht die Mittel, um dies zu entscheiden. Nun stellt sich heraus, dass sich dieses Ziel in absehbarer Zukunft nicht erreichen lässt. Unter diesen Bedingungen ist der umgekehrte Plan vorzuziehen: Die volle Rückkehr der Entführten jetzt und Beendigung des Krieges.” Er weiß freilich auch, dass dies eine “schwer zu schluckende Pille” sei, “weil Hamas den Sieg proklamieren wird”.

Der Autor und Kritiker Kobi Niv ist da eindeutiger: “Der Krieg ist noch nicht beendet, und es gilt zu bezweifeln, ob er überhaupt beendet werden wird, aber man kann schon mit Gewissheit feststellen: Hamas hat uns besiegt, und zwar in Großmaßstab.” Er führt aus: “Es gab zwei Ziele, die die Hamas mit der entsetzlichen barbarischen Attacke am 7. Oktober, und sie war vorsätzlich entsetzlich und barbarisch, verfolgte: Das eine Ziel – die Sicherheitsauffassung und -empfindung Israels vollkommen zu zerstören; das andere – Israel zu zwingen, die militärische Unterdrückung des palästinensischen Volkes zu beenden und den Konflikt politisch zu lösen.” Hamas-Chef Yahya Sinwar wisse allzu gut, daß er Israel militärisch nicht besiegen könne, das habe er auch einige Mal gesagt; daher “hatte er seiner eigenen Auffassung zufolge keine Alternative, als Israel in der entsetzlichen und barbarischen Weise zu attackieren, wie er es tat”.

Niv folgert, aus der Sicht der Hamas sei die Aktion gelungen. Sie habe das Sicherheitsgefühl Israels und seiner Bürger gründlich zerstört und Israel gezwungen, auch wenn das noch nicht realisiert werde, seine Politik gegenüber den Palästinensern völlig zu ändern und von der Politik einer unbegrenzten Gewaltanwendung zu der eines Strebens nach einer politischen Lösung um jeden Preis überzugehen.

Diese Einschätzung kommt wohl allzu selbstgewiss und apodiktisch daher. Militärexperte Amos Harel analysiert die entstandene Konstellation realistischer: “Angesichts der unerträglichen Bedingungen der Gefangenschaft, von denen die befreiten Entführten vor etwa zwei Monaten berichteten, könnten wir demnächst vom Tod weiterer Entführter erfahren. Auch ihr seelischer Zustand ist sehr besorgniserregend. Daher die verzweifelte Dringlichkeit, die ihre Familien jetzt im Rahmen der Kampagne zu ihrer Befreiung artikulieren. Im Moment führen die von der IDF unternommenen Schritte nicht zur Befreiung der Entführten; die Familien befürchten, dass gerade diese militärischen Schritte unbeabsichtigt zu deren Tod führen könnten.”

Bezeichnend ist aber vor allem, was Harel noch hinzufügt: “Regierungschef Benjamin Netanjahu wiederholt seine leeren Worthülsen (‘Wir kämpfen weiter bis zum Sieg’), aber bei ihm rührt dies hauptsächlich von Überlebenserwägungen her. Netanjahu weiß, dass trotz zunehmender öffentlicher Unterstützung für einen Deal, der mit schweren Kompromissen verbunden sein wird, ein solcher Zug seine Regierung von innen auflösen werde, da seine Partner von der radikalen Rechten sie verlassen dürften.”

Aber es geht dabei nicht nur um Netanjahus Perfidie (von der war ja schon oft genug die Rede). Es geht nicht minder darum, dass trotz der öffentlich gesteigerten Unterstützung eines Deals mit der Hamas, Netanjahu auch ein großes Wählerkontingent (die base) hinter sich weiß, das den Krieg auf keinen Fall beenden will, solange kein eindeutiger “Sieg” Israels errungen worden ist. Und dies rührt etwas an, was nachgerade als Paradigmenwechsel im nationalen Ethos Israels gewertet werden darf: Es galt in Israel seit jeher als unverrückbar, dass kein Gefallener auf dem Kampffeld zurückgelassen, und jeder israelischer Kriegsgefangener davon ausgehen kann, dass der Staat ihn um jeden Preis freibekommen wird – entführte Zivilisten zumal.

Man erinnere sich nur daran, welchen Preis Israel 2011 für die Befreiung des Soldaten Gilad Shalit aus der Hamas-Gefangenschaft zu zahlen bereit war. Und nun geht es um 132 Geiseln, die meisten von ihnen Zivilisten. Dies muss als (moralischer) Riss in der israelischen Gesellschaft angesehen werden: Israel mag sich noch so selbstgefällig in der Einheitsparole “Zusammen werden wir siegen” suhlen – von Einheit kann keine Rede sein; der nationale Konsens ist erodiert. Nicht nur ist der Sicherheitsvertrag zwischen der Regierung (mithin dem Militär) und den BürgerInnen des zionistischen Staates am 7. Oktober schändlich verraten worden (auch was nachfolgend die Bewohner an den Grenzgebieten von Gaza und Libanon anbelangt, von denen Hunderttausende noch immer evakuiert sind), sondern auch das stets hochgehaltene staatliche Einstehen für die Befreiung von Gefangenen und Entführten ist nicht mehr garantiert. Es ist nicht ausgemacht, dass man um den (mittlerweile unerreichbar scheinenden) “Sieg” willen das Schicksal der Entführten nicht bereits besiegelt hat.

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24 Kommentare

  1. Je geringer die Zahl der Entführen, Opfer etc., im Vergleich zu anderen Greultaten, desto größer der moralische Impetus handelnder Politiker, der Meden, Publizisten etc.

    Die Hamas brauchte ein Druckmittel, um die „Haftbedingungen“ der Palästinanser zum Besseren auszuhandeln, die sich über Jahrzehnte immer weiter bis ins Unerträgliche verschlechterten. Der Staat Israel hat die Tat – als logische Konsequenz faktischen handelns – rechtstaatlich/demokratisch bewusst oder unbewusst provoziert.
    Dieser Horror hätte durch die von der UN angemahnte Zweistaatenlösung lange vorher vermieden werden können.
    Das Muster ist bekannt: Fakten schaffen und Schuld sind die anderen – bei ausbleibendem Friedenswillen.
    In der Ukraine wie in Israel/Palästina.

    Am Tod der Opfer sind allesamt die beteiligten und verantwortlichen Politiker schuld und jene, die diese in Regierungsverantwortung gebracht haben. Ganz zu schweigen von Staaten an sich, die mit Waffenlieferungen und moralischer Unterstützung diese Kriege weiter befeuern.

  2. Jetzt langt es mal immer nur über Israel oder Ukraine zu diskutieren bitte mal mehr über unser eigenes Land.Da liegt auch genug im argen.

  3. Nein, die am 7. Oktober getöteten Menschen sind auch zu einem nicht unerheblichen Teil durch den israelischen Beschuss gestorben. Die bewaffneten Hamas-Leute konnten gar nicht einen solchen Schaden anrichten, völlig zerbombte Häuser und zerschmolzene Autos. https://www.youtube.com/watch?v=d0gECjlpXF8
    Und ein Teil dieser Toten waren auch Soldaten.
    „For all the sensationalism surrounding the events of Oct. 7, when Hamas broke through the Gaza fence and seized territory in the Gaza Envelope as part of Operation Al-Aqsa Flood, there is still much that we do not know. The official Israeli death toll from the attack is estimated at 1,200 civilians, revised from an initial estimate of 1,400. Among this figure are several hundred civilians, which Israel says were killed by Hamas militants. Other testimony from survivors of Oct. 7 suggests an alternative explanation—that in its fervor to defeat Hamas, Israeli commanders may have willingly targeted and sacrificed Israeli soldiers and civilians in the crossfire. Max Blumenthal of The Grayzone joins The Chris Hedges Report for an in-depth look.“

    1. „For all the sensationalism surrounding the events of Oct. 7, when Hamas broke through the Gaza fence and seized territory in the Gaza Envelope as part of Operation Al-Aqsa Flood, there is still much that we do not know. The official Israeli death toll from the attack is estimated at 1,200 civilians, revised from an initial estimate of 1,400.

      Nein, Stand 15.12.2023 waren es 695 israelische Zivilisten.

      „The final death toll from the attack is now thought to be 695 Israeli civilians, including 36 children, as well as 373 security forces and 71 foreigners, giving a total of 1,139.“
      https://www.france24.com/en/live-news/20231215-israel-social-security-data-reveals-true-picture-of-oct-7-deaths

    2. Ach Gottchen, das ist jeitzt zwei Monate alt und überwiegend schon vergessen. Das war dochj klar, dass der Blumenthal mit irgend einer dämlichen Geschichte kommt, die sich dann als unwahr erweist.
      Angeblich waren da Apache-Hubschrauber, die wahllos drauflos gefeuert haben. Nun hat der Apache eine 30-mm Kanone und Raketen, sonst nichts. Den Einschlag von 30-mm Projektilen erkennst Du sofort, den von Raketen erst recht. Nun hat mich Kollege Aquadraht darauf aufmerksam gemacht, dass es da verschiedene Munition für die MK gibt. Das ist völlig unerheblich: den Einschlag eines 30-mm Projektils erkennst Du immer.
      Nun hat Blumenthal nicht ein einziges Foto parat, auf dem etwas Derartiges zu sehen ist. Ich fand auch keins.

      Das ist das Schicksal heutiger Lügner, das sie so oft ignorieren. Von einem öffentlich sichtbaren Sachverhalt muss es Fotos oder Videos geben. So ist das nun mal im Handyzeitalter. Wenn es keine gibt, hat das Behauptete nicht stattgefunden.

      Blumenthal ist ein Dummschwätzer.

      1. Den ‚Dummschwätzer‘ kann ich hiermit unbesorgt an dich zurückgeben. Wer so in seinem Narrativ steckt wie du, hat diesen ‚Titel‘ eher verdient. Es gibt die Beweise nämlich und Haaretz hat auch entsprechend berichtet. Und in den USA kann man davon ausgehen, dass es auch genug Leute gibt, die Ivrith lesen und verstehen können. Das schließt Zeugenaussagen ein. Außerdem ist das Aussetzen einer detaillierten Untersuchung der Vorgänge am 7.10. wohl schon deutlich genug.
        Man findet auch Bildmaterial, sofern man nur zielgerichtet sucht und sei es auf rumble.com (auf YouTube eher nicht, auf Grund von dessen Regeln bzgl solcher Bilder). Und The Grayzone ist nicht das einzige Format, das sich mit entsprd Recherchen befasst. In den USA gibt’s noch etliches mehr.
        Übrigens hat eine Autopsie eines in einem Hamas-Tunnel aufgefundenen entführten israelischen Grenzwächters ergeben, dass er nicht durch physische Gewaltanwendung zu Tode gekommen ist (wie bspw die 3 trotz deren Vorsichtsmaßnahmen von IDF-Schießwütigen erschossenen israelischen entführten jungen Männer (ganz im Sinne der IDF-Ausbildung und deren wiederbelebter Hannibal-Direktive), sondern durch Giftgas, was die IDF offensichtlich in einige Tunnel eingeleitet hatte. Aber das erfährt man natürlich nicht aus westlichen MSM.

  4. Mein lieber Moshe Zuckermann, es ist immer recht interessant zu erfahren, das sich Israel erst seit dem 7. Oktober im Kriege wähnt. Schon vergessen die Besatzungspolitik des Staates Israel im Westjordanland? Oder die langanhaltende Blockadepolitik gegenüber dem Gazastreifen? Das obwohl der Gazastreifen von Israel kontrolliert wird, nicht umsonst wird er von EU als Teil der von Israel Occupied Territorys angesehen. Ja sie werden es erahnen, das sind alles Kriegshandlungen, den dieser Krieg begann am 5. Juni 1967 und nicht am 7. Oktober 2023. Die Toten und Entführten des 7. Oktober auf israelischer Seite waren das Ergebnis der israelischer Kriegspolitik, gegenüber den Palästinensern und jetzt tut es weh, sehr weh.

    Im diesen Sinne, ein freundliches Am Yisrael, Torath Yisrael, Erez Yisrael

  5. Wenn man alles niederbombt oder -schiesst, was sich bewegt, werden auch die Geiseln darunter sein. (Man denke nur an die drei erschossenen Geiseln, die alles mögliche taten, um sich zu erkennen zu geben und die trotzdem von ihren eigenen Leuten erschossen wurden.) Mir scheint, dass die israelische Regierung sie längst „abgeschrieben“ hat. Wenn jemand von ihnen den Krieg überleben wird, dann zufällig. Wahrscheinlich wissen die Geiseln das selbst, mittlerweile.
    Mir tut es unendlich leid um sie, und um alle die, die noch sterben müssen, egal ob Israelis oder Palästinänser. Die Hamas wird nicht besiegt werden und es wird keinen Frieden geben, wenn der politische Konflikt ungelöst bleibt. Und es stimmt: Israel hat diesen Krieg schon verloren.

    1. Schlimmer: Israel hat den Frieden verloren.

      Hat es ihn überhaupt je gewollt? Hat ihn überhaupt jemand der Beteiligten gewollt?

      Die Frage ist, wie wir wissen, rein rhetorisch.

    2. Mir scheint, dass die israelische Regierung sie längst „abgeschrieben“
      ja natürlich, von Anfang an.
      Mich erstaunt immer die Naivität der Bewohner des demokratischen Westens hinsichtlich der Seriosität ihrer Führer.
      Dessen Machthaber haben ganz eigene Interessen, weder das Leben Fremder, noch das der eigenen Bevölkerung spielen dabei eine Rolle. Was wir an Freiheit und Sicherheit haben ist nicht Verdienst der jetzigen Führungsfiguren dieses „Wertewestens“ sondern das Erbe der Vergangenheit, ganz wesentlich dabei der Aufklärung und der Klassenkämpfe des 19. bis Anfang 20. Jh.. Es ist eine Erbmasse die derzeit sichtbar und zielstrebig abgebaut wird. man gebe sich da keinen Illusionen hin.
      In dem Sinne hat sich vermutlich auch die Hamas verkalkuliert. Ein wirkliches Verhandlungs-Pfund sind die Geiseln nicht mehr, da abgeschrieben. Vielleicht z. T. sogar von der Israelischen Regierung als gefährliche Zeugen betrachtet, auf die gezielt Jagd gemacht wird. Die gezielte Liquidierung der 3 unglücklichen Männer spricht ja sehr für diese These. Die Befreiten scheinen ja auch nicht so zu Wort zu kommen.

  6. Lieber Moshe Zuckermann – wie froh bin ich, dass Du uns so gut auf dem Laufenden hältst!

    Es ist gut zu wissen, dass der nationale Konsens in Israel zerbrochen ist! Das erfahren wir sonst nicht, außer von Dir.
    Und es eröffnet die Rückkehr eines winzigen Hoffnungsschimmers, dass sich die beiden Völker Israels doch noch von einem korrupten militarisierten Nationalismus befreien können.

    Und was ist bloß in den Borrell gefahren? Bisher war ein musterhafter Funktionär der EU, Kriegstreiber und schleimiger US-Vasall. Aber jetzt sagt er: „Israel hat die Hamas finanziert.“ Wie kommt die EU zu dieser Kehrtwende?
    Hat sich Belgien (zum Glück) gegen Deutschland durchgesetzt? Ist ein kleines Stück Verstand in die EU zurückgekehrt, weil sie nun doch nicht sofort in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwinden will?

  7. “ Aber jetzt sagt er: „Israel hat die Hamas finanziert.““

    Und nicht nur das. Nachdem Netanjahu laut und deutlich, also so, daß es niemand seiner Unterstützer und Gegner mißverstehen kann, zum wiederholten* Male erklärt hat, es werde keinen Palästinenserstaat geben fordert Borrell ebenso laut und deutlich eine Zweistaatenlösung „notfalls unter Zwang“.
    Biden, your turn!

    *https://www.spiegel.de/politik/ausland/benjamin-netanyahu-mit-mir-gibt-es-keinen-palaestinenserstaat-a-1023856.html

    Das war 2015, aber alle Welt beliebte das zu ignorieren.

  8. „Israel gezwungen, auch wenn das noch nicht realisiert werde, seine Politik gegenüber den Palästinensern völlig zu ändern und von der Politik einer unbegrenzten Gewaltanwendung zu der eines Strebens nach einer politischen Lösung um jeden Preis überzugehen.“

    Na ja, wenigstens ein positiver Ausgang ist möglich. Aber wenn, dann hat es Sinwar geschafft! Keinesfalls Israel!

    Was halt falsch ist. Israel hat sich 2005 völlig zurückgezogen und volle Bewegungsfreiheit garantiert. Die Absperrung war Resultat der Terrorangriffe an der Grenze und der Beschuss mit Raketen aus dem Gaza. Auf den Gaza ist nie eine Bombe gefallen, ohne vorherigen Raketenbeschuss. Sagt Zuckermann nie, ist aber so.

    Nun sagt Jov Galant, die IDF werde drin bleiben, sich aber in das Zivilleben nicht einmischen. Heißt, die Palästinenser haben politische Freiheit, aber Gewalttaten werden verhindert. Die Chance von 2005 gibt es nochmal. Warum soll das diesmal nicht klappen?

    Es heißt, dass Sinwar die Geiseln zu seinem Schutz in seiner Nähe hält. Rein räumlich ist im Gaza auch kaum noch etwas anderes möglich. Nun gab es die Theorie vom Figaro, wonach Sinwar den 7. Oktober ohne Absprache mit der Hamas-Führung und dem Iran begonnen hätte. Das könnte die Hamas-Führung nutzen, indem sie Sinwar umlegt, die Geiseln freilässt und Kapitulation anbietet und dann behauptet, Sinwar sei an allem schuld. Das gäbe mildernde Umstände.
    Hieße für Israel: bloß den Druck nicht vermindern.

    Das hat die größte Aussicht auf Erfolg.

    1. …Eben nicht, aber das Potenzial, die ganze Region, wenn nicht gar Welt, in Brand zu setzen. Die Situation ist längst nicht mehr wie im vorigen Jhdt. Die Staaten der Region haben sich ebenfalls weiterentwickelt. Ein Angriff auf den Iran würde bspw das Todesurteil für Israel bedeuten. So schätzen das wohl auch US-Militärs im Gegensatz zu manchen israelischen und US-Politikern (geschweige denn unseren) ein.

  9. Sollte Zuckermann noch nichts von der Hannibal-Direktive gehört haben, die besagt, dass, damit keine israelischen Gefangenen gemacht werden, die eigenen Leute in dem verheerenden Angriff gleich mit getötet werden? Denn genau das, was bei Gilad Shalit geschah, sollte zukünftig verhindert werden. Dem fielen auch viele der bei dem Überfall vom 7.Okt. Getöteten zum Opfer, sie wurden Opfer von friendly fire und so wird es offenbar auch den anderen Geiseln in Gaza ergehen.
    Und dann ist da immer wieder irreführende Rede von Krieg. Nein, es ist kein Krieg, es ist ein barbarisches Gemetzel an einer wehrlosen Bevölkerung. Krieg findet zwischen 2 Staaten statt, die im Regelfall auch über ein eigenes Militär verfügen. Gaza ist kein souveräner Staat, sondern de facto besetztes Gebiet.

  10. Mit allem einverstanden, ausser mit dem ersten Satz: „Am 7. Oktober 2023 sind etwa 1145 Menschen, Israelis und Fremde, die meisten von ihnen Zivilisten, von der Hamas umgebracht worden.“

    Das ist schlicht so nicht wahr. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Toten wurde von der Reaktion der israelischen Armee selbst verursacht. Es enttäuscht, dass Zuckermann dies offenbar nicht wahrhaben will.

    Würden die Waffen schweigen, würde die Hamas wohl von einem Sieg sprechen, das ist gewiss anzunehmen. Aber was für eine Bedeutung kann dieser Begriff haben? Man sehe sich den Gaza-Streifen an. Gut, der Sieg bestünde vielleicht darin, dass die – von der Hamas abgelehnte – Zweistaaten-Lösung überhaupt wieder ernsthaft im Gespräch ist. Zuvor wurde allerseits leichthin behauptet, die israelische Salamitaktik habe sie bereits verunmöglicht und kümmert sich nicht weiter um das Problem. Das ist nun anders.

    1. Die Zweistaatenlösung ist ein Hirngespinst, eine Chimäre.
      Es gibt zwei Parteien, die Beide den alleinigen Anspruch auf das gleiche Gebiet erheben. Beide zudem monotheistisch fanatisiert, was die Überzeugung alleine im Recht und Besitz der absoluten Wahrheit zu sein noch befördert. Da ist kein Ende abzusehen solange nicht eine Partei bis zur praktischen Bedeutungslosigkeit zerstört ist.

      1. Naja, dann eben eine Ein-Staaten-Lösung mit gleichen Rechten für alle. Schließlich ist die Zeit der Apartheid, des Rassismus und der Besatzung eigentlich weltgeschichtlich vorbei. Zumindest für alle, die sich demokratisch nennen.

  11. Mich wundert, dass Zuckermann mehr quacksalbert als haarscharf analysiert.
    Damit tut er letztendlich weder sich, noch seinem Vaterland einen Gefallen.

    Und die logischeren und tragfähigeren Argumente eines wirklich Kritischen kümmert er sich nicht substanziell, sondern weist diese unwirsch ab.
    Die größte Versicherung für den Untergang Israels ist dessen unreflektierter Dominanzwillen ohne Aktionsradius für „Zugeständnisse“.
    Diese einfache Logik wird man zwar erst später zahlreicher erkennen, ist aber schon heutzutage völlig eindeutig richtig.
    Eine „win-win“-Lösung basiert immer auf einer starken Rücknahme von Dominanzbestrebungen. Und existenzielle Rechte wird die Vernunft auf keiner Seite tangieren, die Unvernunft dagegen als Sakralbestimmung auslegen.
    Und das ist die entscheidende Fragestellung und nicht die formale einer Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung.

    Und eines sei noch angemerkt:
    Herrisches Gesabbere verträgt sich nicht mit einer genuin jüdischen Kultur.
    Das nicht zu erkennen, zeichnet die eigentlichen Büttel asozialer Unkultur mit unreflektierendem Dominanzwahn aus.

  12. Natürlich kümmert sich Israel um die Geiseln. So hat es kürzlich im Gazastreifen eine palästinensischen Friedhof mit einem Bulldozer umpflügen lassen. Und zugegeben, dass sie nachgeschaut haben, ob da noch Geiseln dabei wären.

    Jetzt sind halt die toten Palästinenser wieder oben. Aber es gab zum Glück keine weiteren Opfer bei der Aktion, denn die waren ja schon tot.

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