
Der Internationale Gerichtshof (ICC) hat die von Russland erhobene Klage, dass die Ukraine an der Bevölkerung des Donbass Völkermord begangen habe, am 5. Dezember mit einer Mehrheit von 11 Stimmen gegen 4 Stimmen angenommen. Damit ist noch keine Entscheidung über den Fall getroffen worden, bei dem es darum geht, ob der russische Präsident Putin zurecht behauptet hatte, dass die Ukraine seit 2014 an der Bevölkerung der beiden „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk Völkermord begehe und 4 Millionen Menschen damit bedrohe. Putin benutzte den Vorwurf als einen Grund für die „Spezielle Militäroperation“, die die Bevölkerung schützen sollte. Nach Artikel IX der Völkermord-Konvention besteht die Pflicht, Völkermord zu unterbinden oder zu verhindern.
Die Ukraine und der Westen weisen den Vorwurf als haltlos zurück, werfen ihrerseits Russland Völkermord in den besetzten Gebieten vor, waren aber am 26. Februar 2022 nicht deswegen vor den ICC gezogen, sondern um die Ukraine von dem russischen Vorwurf reinzuwaschen, sie sei mit Völkermordabsichten gegen die Bevölkerung des Donbass vorgegangen. Nach Lesart des Westens (vor Trump) war der Krieg völlig „unprovoziert und ungerechtfertigt“ (wholly unprovoked and unjustified). Der ICC nahm die Klage der Ukraine an, der sich 33 Staaten anschlossen, und entschied als vorübergehende Maßnahme, dass Russland sofort die Militäroperationen beenden müsse.
Russland hatte schließlich gegen die Klage der Ukraine eingewendet, dass der ICC dafür nicht zuständig sei. Das wies der ICC allerdings zurück. Dass nun die ICC-Richter mit großer Mehrheit entschieden haben, die Gegen-Klage Russlands, die Ukraine habe einen Völkermord begangen, als zulässig anzuerkennen, ist ein schwerer Schlag für die Ukraine und ihre Unterstützer und freut die russische Regierung. Allerdings ist der ICC bereits beschädigt, weil der Westen zwar die Kriegsverbrechenvorwürfe gegen Putin begrüßte, aber nicht die gegen Netanjahu. Bundeskanzler Merz scheute auch nicht davor zurück, Netanjahu in Israel zu besuchen und wollte ihn auch schon mal nach Deutschland einladen. Den USA und insbesondere der Trump-Regierung ist der ICC sowieso lästig, um es nett auszudrücken.
Die Ukraine ist dem Rom-Statut des ICC auf Druck der EU im letzten Jahr noch schnell beigetreten, allerdings nur halb, was die EU sicherheitshalber auch gnädig übersah. Sieben Jahre lang nach dem Beitritt zum ICC soll dieser keine Zuständigkeit für Kriegsverbrechen haben, die möglicherweise von Bürgern der Ukraine, gleich ob Zivilisten, Politikern oder Militärs, begangen wurden. Bis dahin hofft man, Russland verurteilt zu haben und die möglichen ukrainischen Kriegsverbrechen mit Unterstützung der Nato vernachlässigen zu können.
Im Februar 2024 hatte der ICC den ukrainischen Antrag als zulässig erklärt, zu prüfen und zu entscheiden, „dass es keine glaubwürdigen Beweise dafür gibt, dass die Ukraine für die Begehung von Völkermord unter Verstoß gegen die Völkermordkonvention in den Oblasten Donezk und Luhansk der Ukraine verantwortlich ist“. Eine Gegen-Klage Russlands wurde allerdings zugelassen. Die Anerkennung der Volksrepubliken und die Invasion, von Russland auch von der Völkermord-Konvention abgeleitet als Pflicht zur Verhütung von Völkermord, müssten nach dem internationalen Recht beurteilt werden und würden nicht unter die Zuständigkeit des ICC fallen. Die Ukraine wollte geltend machen, dass dies gegen die Völkermordkonvention verstößt. Nach dieser Entscheidung haben sich der Klage der Ukraine die 33 Staaten, darunter Deutschland, erneut angeschlossen.
Gerade wieder hat Russland nach Rodion Miroshnik, Sonderbotschafter des Außenministeriums für Kriegsverbrechen Kiews und ehemaliger ukrainischer Politiker in Lugansk, dem UN-Sicherheitsrat und der OSZE angebliche Beweise für die Tötung von Zivilisten in Krasnoarmeysk (Pokrowsk) in der Region Donezk und Woltschansk in der Region Charkiw durch die Ukraine vorgelegt. Miroshnik, belegt mit EU-Sanktionen, berichtet regelmäßig über angebliche Kriegsverbrechen vor allem gegen Zivilisten und zivile Infrastruktur. Russlands Generalstaatsanwaltschaft hat parallel 41 frühere und aktuelle Regierungsabgehörige der Ukraine des Völkermords an ethnischen Russen in der Ostukraine angeklagt. Darunter Petro Poroshenko, Denys Shmyhal, Rustem Umerov und Oleksandr Syrskyi. Ab 2014 seien fast 5000 Zivilisten getötet und 13500 verletzt worden. Die Folge seien „Migration, niedrigere Geburtenraten und höhere Sterblichkeit“ gewesen, was dazu geführt habe, dass die lokale Bevölkerung zwischen 2014 und 2022 von 6,5 Millionen auf 4,5 Millionen zurückgegangen sei.
Am 18. November 2024 schon hatte Russland nach Fristverlängerung ein 10.000 Seiten starkes Dossier mit Belegen für die Völkermordvorwürfe gegen die Ukraine als Gegenklage eingereicht.
Am 5. Dezember hat der ICC die russische Gegenklage als zulässig erklärt. Versuche, dies wegen Nicht-Zuständigkeit des Gerichts und einer nicht zulässigen Erweiterung des Falls zurückzuweisen, wurden von der Mehrheit der Richter abgelehnt, das es eine direkte Verbindung zwischen dem ukrainischen Gesuch nach einer Bestätigung, keinen Völkermord begangen oder vorbereitet zu haben, gibt und der russischen Gegenklage, dass es eben einen solchen gegeben habe. Nun kann die Ukraine bis 7. Dezember 2026 eine Antwort auf die Vorwürfe und Russland eine Entgegnung der ukrainischen Antwort bis 7. Dezember 2027 einreichen. Allein die Fristen machen deutlich, dass ein Urteil vermutlich erst nach Kriegsende fallen wird.
Moskau ist selbstverständlich von der Entscheidung des ICC angetan. Die vom Westen benutzten „legalen Waffen“ seien gescheitert: „Nachdem der Internationale Gerichtshof heute die rechtliche Zulässigkeit der russischen Forderungen bestätigt hat, hat er sich bereit erklärt, die gesamte Bandbreite der vom Kiewer Regime und seinen Komplizen begangenen Verbrechen zu bewerten“, so das Außenministerium. „Die Ukraine hat sich zahlreicher Kriegsverbrechen und anderer Verstöße gegen das Völkerrecht gegenüber Zivilisten schuldig gemacht: Massenmorde, Folter, Bombardierungen und wahllose Beschießungen. Die russische ethnische Identität wurde in der gesamten Ukraine gewaltsam ausgelöscht: durch ein Verbot der russischen Sprache und Kultur und die Verfolgung der russischsprachigen orthodoxen Kirche. Gleichzeitig wurden die Komplizen des Dritten Reiches verherrlicht und die Erinnerung an den Sieg über den Nationalsozialismus zerstört.“ Russland setzt auf die „Ausgewogenheit und Objektivität“ des ICC. Das sei entscheidend für die “Umsetzung des Prinzips der friedlichen Klärung internationaler Streitigkeiten.
Weniger erfreulich dürfte allerdings für Putin sein, dass selbst nach einem Friedensabkommen, das Russland wie in dem amerikanischen 28-Punkte-Plan Amnestie gewährt, der Haftbefehl gegen Putin und andere Regierungsmitglieder nach Auskunft des ICC nicht zurückgezogen würden.
Ähnliche Beiträge:
- Ukraine vs. Russland: IGH weist Terrorismusvorwürfe gegen Russland weitgehend zurück
- Die militärische Lage in der Ukraine
- Völkermord im Gazastreifen?
- Der längste Krieg in Europa seit 1945
- Wie reagieren der Kreml, die Bevölkerung und die Opposition auf Krieg und Sanktionen?



Obwohl ich den ICC für wichtig halte, möchte ich dessen Entscheidungen doch auch anzweifeln. Wenn man die Anklagen gegen Netanjahu und Putin vergleicht, ist eine starke Unwucht erkennbar. Netanjahu hat neben zahllosen Frauen und Zivilisten nachweislich mindestens 17000 namentlich bekannte getötete Minderjährige auf dem nicht vorhandenen Gewissen, und das noch nach entsprechender öffentlicher Ansage seiner Hyänen. Putin wird vorgeworfen, Kinder entführt zu haben, eine annähernd genaue Zahl wurde zumindest nicht medial verbreitet, ist damit also unsicher. Und das Argument, diese aus dem Kriegsgebiet (seines Krieges) evakuiert zu haben, hat noch niemand entkräften können. Also wird auch dort mit zeierlei Maß gemessen und der ICC machte sich damit unglaubwürdig. Wenn nun wieder in Richtung Neutralität ermittelt wird, ist das zu begrüßen, für Vertrauen reicht es aber noch nicht. Allerdings genießen in Europa kaum noch irgendwelche Institutionen irgendwelches Vertrauen, außer bei den Angehörigen der Chickeria unter sich.
Sie verwechseln die Gerichtshöfe bzw scheinen nicht zu wissen, dass es zwei gibt, ICJ und ICC, auf deutsch IGH und IStGH, Internationaler Gerichtshof und den Internationale Strafgerichtshof, der Klagen gegen Personen verhandelt.
Edit: mea culpa, bereits der Artikel tut das, den ich aber mal wieder gar nicht gelesen hatte…
Der ICC ist ein Witz.
Wie kann man behaupten Richter zu sein und nicht wissen, dass das Gesetz nicht einfach vom Himmel fällt, sondern abhängig ist, von jener Gewalt, die das Recht im jeweiligen Geltungsbereich durchsetzt.
Auch ist Justitia fehl am Platz, wenn sie nicht die Gleichheit vor dem Gesetz garantieren kann. Beides ist in zwischenstaatlichen Konflikten nicht gegeben.
Die Richter die am ICC anheuern, können deshalb weder Berufsehre noch ein Gewissen haben. Das Ganze war mal gut um Negerkönige im Namen der Kolonialherren zu disziplinieren. Aber führ mehr taugt das ICC nicht. Wer die USA noch niemals wegen seiner Kriege und Gräuel angeklagt geschweige denn auch nur einmal verurteilt hat, sollte sich nicht anmaßen Internationales Gericht zu sein.
Siehe oben meine Antwort an Wunderlich.
Meine Kritik ist allgemeiner Natur und betrifft alle supranationalen Gerichtshöfe. Insofern trifft sie auch auf den ICJ zu.
Was soll man nur von Richtern halten, die die Bedingungen für Rechtsprechung ignorieren.
Sehr richtige Entscheidung! Bravo!
… was aber nichts daran ändert, dass sich Russland ebenfalls vielfältiger Kriegsverbrechen bis hin zum versuchten Völkermord schuldig gemacht hat. Mir fehlt da eine minimale Ausgewogenheit in der Berichterstattung. Völkerrechtlich betrachtet versucht Russland auch seit einiger Zeit, rechtswidrig urkrainisches Territorium einzunehmen und zu bombardieren und der Rechtsbegriff orientiert sich bezüglich dessen offenbar vor Allem an den nationalen Begehrlichkeiten. Verzeihung, aber der Leitartikel ist mir daher zu einseitig und ich halte es auch nicht für sinnvoll, die geläufige, westliche Erzählung durch ihr Gegenteil zu ersetzen, weil eine weitere Polarisierung nur zu noch mehr menschlichem Leid führt. Ich bin in diesen Fragen zutiefst gespalten und mein kleines Gehirn bildet insofern den Ist-Zustand mutmaßlich auch relativ realitätsnah ab. Was mir Sorge bereitet, sind die auf möglichst kleiner Flamme gekochten Stellvertretervernichtungskriege, wer immer sie auch vom Zaun gebrochen hat und sich in ihren Betrieb investiert. Einseitige Parteiergreifungen wirken in Hinblick auf die Konfliktbewältigung meines Erachtens nicht produktiv, sondern verstärkend. Andererseits wünschen sich die Wenigsten eine Verstärkung derartiger Konflikte, wie sie derzeit global betrachtet aufgrund der Überproduktion militärisch-industrieller Komplexe einmal wieder wie Pilze aus dem Boden schießen.
Nicht ICC (international criminal court) muss es überall heißen sondern ICJ (international court of justice).
Die Verknüpfungen im Artikel verweisen doch ausdrücklich auf die ICJ-URLs.
P.S.
Ich verwechsle die beiden Gerichte auch ständig.
Der UN-Gerichtshof ICJ ist nicht der ICC des „Statuts von Rom“. Dicker Fehler, Herr Rötzer.
Und nein, Grubenhund, trotz aller Deiner rassistischen Hetze: Man mag den Krieg in der Ukraine als russischen Angriffskrieg verurteilen oder nicht, Völkermord ist das nicht.
Aber die Ukraine hat in Wort und Tat die Auslöschung der russischen Ethnie im Donbass propagiert und praktiziert. Wer nicht der Meinung der Putschisten war, für den galt im besten Fall „Koffer, Bahnhof, Moskau“, bei Widersetzlichkeit Eskalation. Ob man das als Völkermord sieht, soll der Gerichtshof entscheiden.
Nicht das erste Mal, dass Herrn Rötzer dieser kapitale Fehler unterläuft.
Und nein, aquadraht, mir rassistische Hetze zu unterstellen, ist eine üble Verleumdung, für die sich kaum rechtfertigen lässt. Im Rahmen derart drastischer Formen der Unausgewogenheit und Parteilichkeit kommen wir aber auf keinen Fall weiter. Der Konflikt muss deeskaliert werden und irgendwelche unbelegte Unterstellungen sowie Hassbotschaften bezüglich meiner Person weisen bisher kein Deeskaltionspotential auf. Wer hier Hetze betreibt, bist allenfalls Du.
Welche Bedeutung hat eigentlich der Nick „Grubenhund“?
https://web.archive.org/web/20210916110235/https://fort-russ.com/2017/08/exclusive-interview-former-osce/
Zum Odessa-Massaker am 2.5.2014.
Wird sicher auch ein Thema am ICC sein, zu mal es gut dokumentiert wurde. Auf YT gab es damals viele Stunden Videomaterial die sehr klar zeigten, was passierte. Die sind zwar zum großen Teil inzwischen von YT verschwunden, aber die russischen Behörden haben die garantiert gründlich gesichert. Dazu zum Beispiel die Aussagen des obiges OSZE-Mitgliedes (falls er nicht inzwischen geselbstmordet wurde).
Selensky, Pedroshenko & Co sollten sich eines im Klaren sein. Die juristische Aufarbeitung bestimmt nach Kriegen i.d.R. der Sieger und nicht der Verlierer.
‚Die juristische Aufarbeitung bestimmt nach Kriegen i.d.R. der Sieger und nicht der Verlierer.‘
Andererseits wird der vermeintliche Sieger zuweilen auch zum Verlierer. Wir kennen das aus eigener Erfahrung von der Führerelite unseres vergangenen, tausendjährigen Reiches, die zum bitteren Ende auf Zyankalikapseln bissen, um ihrer Hinrichtung zu entgehen.
„Dazu zum Beispiel die Aussagen des obiges OSZE-Mitgliedes“
Jetzt kommen Sie hier noch mit diesem hundertfach zum Totlachen kolportierten Kalauer von R. Bentley -aka „Donbass Cowboy“ aka „OSZE-Mitglied“, den seine russischen „Freunde“ schon längst -im April 2024- ermordert haben.
Ich weiß nicht, ob diese Entscheidung tatsächlich eine solche Bedeutung für Russland hat. Vollkommen unabhängig davon, dass sie das offiziell begrüßen. Ich habe in den beiden erwähnten Konflikten eine sehr unterschiedliche Meinung, aber egal wie ich das sehe, hat sich doch genau das gezeigt, was im Artikel angesprochen wird: Der ICJ ist ein zahnloser Tiger, der außerstande ist, auf die Kriege einzuwirken. Jenseits der westlichen Länder und seiner in schmachvoller Dummheit gehaltenen Mehrheitsbevölkerung wird er, so steht es zu vermuten, sowieso nur als ein Instrument des Westens gegen umbotmäßige Länder und Personen wahrgenommen. Die blutigsten Verbrecher nach 45 – und ich nenne Kissinger nur als ein Beispiel von vielen – starben zu Hause und nicht im Gefängnis.
Wenn der ICJ jetzt diese Entscheidung trifft, wird es vor allem seiner Reputation jenseits des Westens dienen müssen. Vielleicht werden sie auch, wenn es zu einer klaren Niederlage der Ukraine kommt und diese keinen praktischen Nutzen mehr für „uns “ hat, irgend ein Verfahren gegen Ukrainer durchführen. Das ist pure Spekulation. Vielleicht weniger spekulativ als die Annahme, man wüsste ob und worüber sich Putin freut. Praktische Bedeutung hat das aber alles nicht mehr.
Ich habe im Verlauf dieses Scheißkrieges immer angenommen, dass die Russen den Infowar gegen den Westen verlieren würden. Vielleicht ein weiterer der vielen Irrtümer meines Lebens. Natürlich ist die Macht des westlichen Kultur – und (Des)informationsapparates noch lange nicht gebrochen. Aber ich habe, so wie die meisten von uns, nur ein medial geprägtes Bild von der Wirklichkeit. Und das ist geradezu autistisch. Aber „wir“ sind nicht die Mehrheit auf diesem Planeten und ob die bei uns Herrschenden wirklich noch in der Lage sind, ihrer Sicht weltweit Geltung zu verschaffen, sollte man hinterfragen. Vielleicht gewinnen die Russen sogar den Infowar. Gerade auch weil wir Sputnik und RT-D verboten haben. Sie gewinnen ihn nicht in Deutschland oder Vaduz, schon klar. Aber diese „Schlachtfelder“ haben keine Bedeutung mehr.
Interessanter Beitrag, vor auch wegen seiner subjektiven Herangehensweise. Bitte mehr davon!