Im Westen wird die Zwangsmobilisierung (Busifizierung) in der Ukraine meist verschwiegen

„Busifizierung“ am 4.12. in Charkiw. Das Bild verwendeten die Organisatoren zur Ankündigung der Veranstaltung.

 

Erstaunlich ist, wie wenig in den Medien hierzulande über die Mobilisierung in der Ukraine berichtet wird, obwohl das Interesse der Ukraine-Unterstützer darin liegt, den Krieg weiterzuführen, um eigene Sicherheitsinteressen durchzusetzen. Dass dazu die Ukrainer mittlerweile gezwungen werden müssen, soll aber keine Thema sein, man schätzt die heldenhaften Freiheitskämpfer und schweigt über die auch manchmal schon tödliche Wut oder Verzweiflung, die den Militärs der Rekrutierungszentren (TCC) entgegenschlägt. Es gibt zahlreiche Beschwerden, auch in  der Ukraine wird das Problem heruntergespielt oder auf „russische Narrative und Desinformationen“ zurückgeführt.

Seit etwa einem Jahr sind die Mitarbeiter der Rekrutierungszentren auf den Straßen unterwegs, um mit roher Gewalt Männer, mittlerweile auch kranke und untaugliche, meist in Kleinbussen, aber auch in anderen Fahrzeugen einzufangen und ins Militär zu zwingen. Busifizierung (busifikatsiia) wird das genannt. Das erinnert an die Szenen aus den USA, wo die bewaffneten ICE-Agenten ebenfalls Menschen, keineswegs nur Kriminelle, einfangen, um sie irgendwohin abzuschieben, mitunter in die Hölle des Megagefängnisses in El Salvador. So sieht mittlerweile die „freie Welt“ und die Verteidigung der Freiheit aus.

Paradigmatisch für die selbst verordneten Denk- und Wahrnehmungsverbote ist ein Vorfall an der Central European University (CEU). Sie wurde 1991 von George Soros gegründet, war bis 2019 in Budapest und ist dann nach Wien umgezogen. Für die Generalstaatsanwaltschaft ist die CEU seit Oktober 2023 eine „unerwünschte“ Organisation“, weil sie eine „anti-russische Agenda“ verfolge, “die von Hass auf Russland und seine multinationale Bevölkerung geprägt ist“. Auch der Zusammenhang mit Soros wird angeführt. 2015 waren bereits die Open Society Foundations und die Open Society Institute Assistance Foundation von Soros als unerwünscht verboten worden, weil sie die Sicherheit des Staats und seiner Verfassung gefährden würden.

Die Herausgeber des Online-Magazins Review of Democracy (RevDem) des dort angesiedelten Democracy Institute hatten zugesagt, dass am 11. Dezember eine Podiumsdiskussion stattfinden kann. Der Titel der Veranstaltung war: “Men in the Vans, Women on the Streets: Gender, Resistance, and Forced Mobilization in Ukraine and Ex-Yugoslavia.” Es ging also um die gewaltsame Mobilisierung in der Ukraine, wo Männer seit geraumer Zeit eingefangen und in Bussen in die Rekrutierungszentren verschleppt werden. Oft protestieren Frauen vor Ort und versuchen, die Gefangenen wieder zu befreien, was auch mitunter gelingt.

Zur Begründung der Absage heißt es, dies sei nach „sorgfältiger Berücksichtigung der Bedenken, die von Kollegen, Dozenten und Studenten der gesamten Universität, insbesondere von Mitgliedern der ukrainischen Gemeinschaft der CEU, geäußert wurden“. Mit den Organisatoren und Teilnehmern der Veranstaltung wurde allerdings nicht gesprochen. Diskutiert worden sei die  Zwangsmobilisierung und die „tiefgreifenden Auswirkungen, die dieses Thema auf die Mitglieder unserer Gemeinschaft hat“. Das wird nicht näher ausgeführt, man merkt, die ukrainische Gemeinschaft hat die Thematisierung abgelehnt, befürchtet worden war wohl Kritik an der Mobilisierung und der dahinterstehenden Politik(er). Ohne diese wieder zu benennen wird den Veranstaltern mangelnde Ausgewogenheit vorgeworfen und erklärt, „dass das derzeitige Format der Veranstaltung nicht den Standards entspricht, die für eine akademisch ausgewogene und kontextbezogene Diskussion dieses Themas erforderlich sind. Insbesondere wurden mehrere Punkte zur Ausrichtung, zum Vergleichsumfang und zur Zusammensetzung des Podiums sowie zur Notwendigkeit einer klareren Kontextualisierung innerhalb der Realität des Krieges in der Ukraine angesprochen“. Das alles hätten Besucher der Veranstaltung einbringen können, wenn eine offene Diskussion erwünscht gewesen wäre.

Als Teilnehmer der Veranstaltung, organisiert von dem ukrainischen Soziologen Volodymyr Ishchenko vom Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin und der Bulgarin Almut Rochowanski, Fellow am Quincy Institute und feministische Aktivistin. Beide haben über die Zwangsmobilisierung publiziert. Vorgesehen als Teilnehmer war Tarik Cyril Amar, deutscher Historiker und außerordentlicher Professor an der Koç-Universität in Istanbul, ehemaliger Direktor des Zentrums für Stadtgeschichte in Lviv und Fellow am Holocaust Memorial Museum in Washington. Er hat erst kürzlich über die Zwangsmobilisierung publiziert: The Nation and Busification. Die aus Serbien stammende Politikwissenschaftlerin Milica Popović vom Institut für Kulturwissenschaften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften leitet das Projekt „Das Schweigen des Nein-Sagens: (Nicht)Erinnerung an Deserteure aus den Jugoslawienkriegen“. Dabei geht es auch darum, dass den Deserteuren kein Asyl in anderen Ländern gewährt wurde und die Erinnerung an den Widerstand gegen die Mobilisierung und den Krieg in den postjugoslawischen Staaten vergessen oder unterdrückt wird.

Eingeladen war überdies die ukrainische Historikerin Marta Havryshko vom Strassler Center for Holocaust and Genocide Studies der Clark University, die sich ausgiebig und kritisch neben dem Holocaust und der nationalistischen Bewegung der Ukraine mit der Zwangsmobilisierung und sexuellen Gewalt beschäftigt hat. Sie ist von ukrainischen Nationalisten bedroht worden, wird beschuldigt, prorussische Propaganda zu verbreiten und ist auf die berüchtigte Website Myrotvorets gesetzt worden. In einem Offenen Brief haben 400 Wissenschaftler anhand ihres Falls ihre Sorge vor Einschränkungen der akademischen Freiheit und Anfeindungen von ukrainischen Nationalisten zum Ausdruck gebracht: „Wir erleben einen alarmierenden Anstieg von Belästigungen, Drohungen und Verfolgungen – oft ausgehend von nationalistischem Aktivismus und öffentlichen Kampagnen –, die sich gegen Wissenschaftler richten, die ihre Forschung unter diesen außergewöhnlich schwierigen Kriegsbedingungen fortsetzen.“ Vermutlich sollte ihr Auftritt vor allem verhindert werden, weil sie sich wie in dem Essay „How Nazi Collaborators Are Celebrated in Wartime Ukraine“ kritisch mit der offenen Weiterführung der rechtsnationalistischen Ideologie in der gegenwärtigen Ukraine auseinandersetzt.

In einem Offenen Brief kritisieren die Wissenschaftler das Canceln der Veranstaltung. Sie würden durchaus die Zwangsmobilisierung zu kontextualisieren, was auch das Thema der Veranstaltung gewesen wäre. Sie seien als Wissenschaftler auch in der Lage, eine ausgewogene akademische Debatte zu führen. Als Ukrainer mit Freunden und Familie im Land seien Ishchenko und Havryshko ebenfalls wie Mitglieder der ukrainischen Gemeinschaft, auf die Rücksicht genommen werden solle, direkt vom Krieg betroffen, Popović habe die jugoslawischen Kriege erlebt.

Die nicht näher ausgeführten Gründe zur Absage der Veranstaltung sehen sie eher als vorgeschoben an: „Wir glauben auch, dass der wahre Grund für diese Absage unsere öffentliche Haltung und unsere politischen Ansichten sind – insbesondere unsere kritische Sichtweise auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine und den Nationalismus – sowie die mangelnde Bereitschaft von RevDem und dem Democracy Institute, sich mit den unbequemen Komplexitäten von Kriegen auseinanderzusetzen, die nicht in den vorherrschenden politischen Diskurs in der aktuellen Atmosphäre der europaweiten Militarisierung passen. Solche Absagepraktiken sind ein Warnsignal für die sich rapide verschlechternden Bedingungen der akademischen Freiheit und der Freiheit der Wissenschaft sowie der Meinungsfreiheit in der Europäischen Union, selbst durch Institutionen, die ansonsten behaupten, gegen solche autoritären Tendenzen zu kämpfen.“ Dem ist nichts hinzufügen. Die Busifizierung ist in der Ukraine ein heißes Thema und wird dort von Medien auch behandelt. Das Schweigen über die Praktiken der Mobilisierung in (vielen) Medien und Politik ist beredt und anders nicht zu erklären.

Schon im März erklärte der Ombudsmann der Ukraine, Dmytro Lubinets: „Aufgrund der zahlreichen Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern an die Ombudsstelle kann ich mit Gewissheit sagen: Menschenrechtsverletzungen durch Mitarbeiter des Zentralen Kriminalkommissars (ZK) und der Sonderpolizei (SP) sind systematisch und massiv geworden. Es scheint, dass illegale Festnahmen und Misshandlungen durch Vertreter des ZK und der SP zu einem neuen, weit verbreiteten Trend geworden sind, der sich nur durch ein entschiedenes Eingreifen des Staates stoppen lässt.“

Florian Rötzer

Florian Rötzer, geboren 1953, hat nach dem Studium der Philosophie als freier Autor und Publizist mit dem Schwerpunkt Medientheorie und -ästhetik in München und als Organisator zahlreicher internationaler Symposien gearbeitet. Von 1996 bis 2020 war er Chefredakteur des Online-Magazins Telepolis. Von ihm erschienen sind u.a. „Denken, das an der Zeit ist“ (Suhrkamp 1988), „Die Telepolis“ (1995), „Vom Wildwerden der Städte“ (Birkhäuser 2006), „Smart Cities im Cyberwar“ (Westend 2015), „Sein und Wohnen“ (Westend 2020) oder „Lesen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz“ (Bielefeld 2023)
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5 Kommentare

  1. Im Westen wird die Zwangsmobilisierung (Busifizierung) in der Ukraine meist verschwiegen
    Dort wird wie man scheint, fast alles verschwiegen. Aber allmählich wird es damit eng.

    Die Gegner Russlands scheitern auf ganzer Linie: Ihre krachende Niederlage ist nun endgültig besiegelt
    https://www.youtube.com/watch?v=LvPYwN8jXPA

    Katastrophe für Selenski: Jetzt wird er von Vladimir Putin und Donald Trump in die Zange genommen
    https://www.youtube.com/watch?v=Bq2BxcEAh20

    Und dann wäre da auch noch ein massiver Korruptionsskandal.
    Hier gibt es viele interessante Artikel dazu:
    https://anti-spiegel.ru/category/aktuelles/

  2. Nun haben die ehrenwerten Banderas und ihre Freunde, die Zionisten, ja erst mal wieder 210 Milliarden Euro zur Verfügung, um die demokratische Vernichtung von Menschenleben und -existenzen fortzuführen. Zu befürchten ist allerdings, dass auch dieses Geld schnell in Tümpeln aus Blut und in schmutzigen Hosentaschen verschwindet, und dann ist endgültig Ende Gelände, für alles zwischen Dnepr und Atlantik. Hilfreich dazu ist, dass alles, was derzeit noch funktioniert, systematisch tot gemacht wird, wie diverse Handelsbeziehungen und Bereiche der Bildung, die militarisiert und politisiert werden. Das hatte der Ostblock auch 40 Jahre lang versucht und ist gescheitert, aber wir schweben ja über den Dingen, über der Physik, über der Humanität, über der Mathematik, über dem Völkerrecht, auf Wolke 7. Möglicherweise wird sich gerade diese Wolke wegen des Klimawandels auflösen und alles, was darüber schwebt, wird abstürzen.

    1. Die #Bandera-Lobby ist am vergangenen Samstag mit NATO-Fahne und antikommunistischen Tiraden in Dresden aufmarschiert, um gegen die Vorstellung des Buchs »Der Bandera-Komplex. Der ukrainische Faschismus – Geschichte, Funktion, Netzwerke« zu demonstrieren.

      Mit Artyom Stassyuk war bei der Demo der #Bandera-Lobby, „Antideutschen“ und #NATO-Propagandisten gegen die Präsentation von „Der Bandera-Komplex“ in Dresden auch ein Politiker der Partei #DieLinke dabei.

      (via Susann Witt-Stahl, X) https://t.me/MediaGuerillaBerlin/19523

  3. Gerade so gut könnte man verlangen, im deutschen ÖRR eine kriegskritische Diskussion mit Hinterfragung der geschürten Russophobie im Land und EU-weit zu veranstalten.
    Die kriminelle Manipulation und Desinformation hat von der Ukraine und ihren hilfreichen angelsächsischen Propagandaagenturen und Skriptschreibern aka Thinktanks aus den ganzen Kontinent überrollt und wird, wie 1914 das zum Selbstläufer gewordene journalistische und politische Kriegsgeschrei, nicht ruhen bis die Katastrophe da ist.
    Eine kritische Auseinandersetzung mit dem ukrainischen „Heldenklau“ wird also bei uns garantiert ausbleiben.
    Wo er doch nur allzu auffällig an die deutsche Geschichte erinnert, bis zur tödlichen Jagd auf Deserteure durch Spezialeinheiten.
    Erstaunliche Zeiten, fürwahr.

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