Heine und Wagner – deutsche Ärgernisse

Heinrich Heine. Bild: public domain

Was hatte es damit auf sich, dass ich zu einer Veranstaltung über Heine und Wagner ausgeladen worden bin?

Eine deutsche Vertretung in Israel rief mich vor einigen Wochen an und bat mich, einen Vortrag in ihrer Institution zu halten. Man feierte irgendetwas, ich weiß nicht mehr was. Ich sollte vorschlagen, zu welchem Thema ich reden wolle. “Soll ich über die politische Lage in Israel sprechen?”, fragte ich. Ja nicht, erschrak man am anderen Ende der Leitung, das fehle ihnen noch als deutsche Vertretung in Israel.

“Soll es etwas Kulturelles sein?”, fragte ich weiter. Ja, das ist gut, war die Antwort, Kultur ist gut. “Vielleicht Richard Wagner in Israel?”, schlug ich vor. Nein, bitte nicht das, hieß es wieder; zu heikel für eine deutsche Vertretung in Israel. Woraufhin ich anbot, über ein deutsches Thema zu reden, und konkret vorschlug, einen Vortrag über Heinrich Heine und Richard Wagner zu halten. Ich bezog mich dabei auf ein Buch, das ich vor einigen Jahren publiziert habe, in dessen Vorwort ich den Vergleich zwischen beiden deutschen Kulturgestalten aus dem 19. Jahrhundert anstellte. Die Idee, die beiden als deutsche Ärgernisse zu interpretieren, war nicht einmal meine eigene.

In einem 1973 erschienenen Artikel nannte Jost Hermand den Dichter Heinrich Heine “ein permanentes Ärgernis”. Schon im Titel des Aufsatzes (Das falsche Ärgernis) ist Hermands Intention zu erkennen: Ein Heine, der mehr als hundert Jahre nach seinem Tod noch immer ein Ärgernis in Deutschlands Bundesrepublik darzustellen vermag, entlarve eine anachronistische, weil immer noch nicht bewältigte, politische Idiosynkrasie, deren Ursprung, Verbreitung und Verfestigung sich bis tief in Deutschlands geschichtliche Entwicklung im 19. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Das Phänomen Heine wird dabei zum dialektisierenden Paradigma dieser Entwicklung erhoben; denn, so Hermand, “wenn man Heine nicht akzeptiert, akzeptiert man auch die Demokratie in Deutschland nicht”.

Ein 1982 von Klaus Umbach herausgegebenes Buch über den Komponisten Richard Wagner trägt den Titel Richard Wagner. Ein deutsches Ärgernis. Nicht von ungefähr gebrauchte Umbach dieses Attribut, denn auch für ihn stand die von ihm anvisierte historische Gestalt für eine Entwicklung. “In Wahrheit”, schrieb er, “fügen sich Wagners Leben und das Jahrhundert nach ihm bruchlos ineinander. […] Das Jahrhundert nach Wagner ist Wagners größter und bedenklichster Triumph.” Zwei deutsche Ärgernisse also, beziehungsweise zwei Ärgernisse des deutschen 19. Jahrhunderts.

Das hätte ein schönes Vortragsthema abgeben können, zumal Wagner und Heine auch zwei israelische Ärgernisse darstellen. Wagners Musik wird in Israel boykottiert, weil er ein großer Antisemit gewesen und von Hitler verehrt worden sei. Heine erfuhr in Israel einen anderen Boykott: Weil er zum Christentum übergetreten ist, weigerte man sich, einer Straße in Tel Aviv seinen Namen zu schenken. Erst in den 1990er Jahren bequemte man sich, eine Straße an der Grenze zwischen Tel Aviv und Jaffa nach ihm zu benennen.

Die deutschen Vertreter in Israel waren vom Thema angetan und nahmen dieses Angebot an. Etwa zwei Wochen nach der Vereinbarung rief mich der Direktor der Vertretung an. Er habe mit seinen Vorgesetzten in Deutschland geredet, und die haben ihm die Veranstaltung mit mir strikt untersagt, es sei denn, ein Sprecher “mit entgegengesetzten Anschauungen” würde zusätzlich eingeladen werden. Er müsse daher meine Einladung annullieren.

Und nun zermartere ich mir seit Tagen und vielen schlaflosen Nächten den Kopf, was die Heine- und Wagner-kundigen deutschen Vorgesetzten der Vertretung in Israel wohl mit “entgegengesetzten Anschauungen” gemeint haben mögen. Wollten sie jemanden haben, der nachweist, dass Wagner kein Antisemit gewesen sei und entsprechend kein deutsches Ärgernis gewesen sein kann? Dass Wagner nicht als linker Revolutionär begonnen habe und späterhin zum chauvinistischen Nationalisten (und Opportunisten) mutiert sei? Dass er kein genialer Künstler war? Dass man Werk und Person nicht voneinander trennen dürfe? Dass … was immer angeführt werden kann, um meine Sichtweise auf ihn zu wiederlegen?

Und wollten sie jemanden haben, der zeigt, dass Heine mitnichten ein Problem für Deutschland dargestellt habe? Dass man ihn als Juden nicht gehasst habe? Dass es nicht stimmt, dass man lange kämpfen musste, ehe die Universität seiner Heimatstadt Düsseldorf seinen Namen tragen durfte? Dass man seine emanzipative Kritik des deutschen Obrigkeitsstaates nicht verabscheut habe? Dass … was immer angeführt werden mag, um dazulegen, dass er kein deutsches Ärgernis gebildet habe?

Zu welchem Ergebnis ich auch dereinst kommen werde, was es mit den “entgegengesetzten Anschauungen” zu Heine und Wagner auf sich habe. Jetzt schon bin ich froh zu registrieren, dass deutsche Staatsinstitutionen stets auf Ausgewogenheit aus sind – nicht nur in politischen, sondern auch in kulturellen Angelegenheiten.

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14 Kommentare

  1. Hojotoho! Hojotoho! Heiaha! Heiaha!
    Wie mag wohl „Eine deutsche Vertretung in Israel“ heißen deren Name nicht im Artikel geschrieben werden darf?
    Ist das nur vorauseilenden Gehorsam oder schon Selbstzensur??

    Vielleicht Ministerium für Liebe???

  2. Toll. Erst gestern hab ich mit Heines Biografie von Rolf Hosfeld begonnen (2014).
    aus dem Vorwort:

    „(…) Die deutsche Leitkultur fühlte sich durch ihn beleidigt. Das sah schon Nietzsche so, der meinte, im Unterschied zum bloßen Deutschen zeige Heines Lyrik in ihrer Vollkommenheit, wie wenig man den Gott abgetrennt vom Satyr verstehen könne. Der Europäer Nietzsche verdankte ihm fast die gesamten Grundgedanken seiner Philosophie, darunter seine Kritik des Ressentiments, und vor allem seinen Stil. Gerade deshalb verwundert es, wenn ausgerechnet Theodor W. Adorno noch 1956 anlässlich Heines hundertstem Todestag ihn zu einem kraft- und ortlosen Ziviliationsliteraten herabzumendeln versuchte. (…)“.

    Und wiederum 20 Jahre später hat bei Hermand das Heine-Ressentiment wohl immer noch Bestand.

    Vielleicht offenbart sich gerade hier die Schwäche von „großintellektuellem“ Geschichtsphilosphismus, der über Jahrhunderte Entwicklungen festzustellen sich bemüht, und sich notgedrungen in primitiven archaischen Bildern, Mentalitätstheorien, Rassentypologien usw. verliert.

    Geschichte wird schließlich von Menschen gemacht. Also müssen über Jahrhunderte hinweg Gesetzmäßigkeiten für diese Menschen gelten.

    Heine entzieht sich dann wohl diesem demiurgenhaften Selbstbild der Gesellschaftstheoretiker.

    Denn dort wo einer die Welt zwischen Zivilisation (Deutsche) und Kultur (Heine) aufteilt (Nietzsche), ist für Alltag kein Platz – jener Ort aber, an dem die Kultur in der Zivilisation aufgeht und umgekehrt.

    Beides lässt sich wohl nur gemeinsam denken und leben.

    Alles andere ist faschistoid avant la lettre.

    p.s. Zum Problem der Geschichtsphilosophie vs. Soziologie eine Rezension bei H/Soz/Kult

    „Rezensionsessay: Die Geschichte hinter der Soziologie. Wolfgang Knöbls Problemgeschichte der historisch-soziologischen Vernunft“

    https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-117250?title=rezensionsessay-die-geschichte-hinter-der-soziologie-wolfgang-knoebls-problemgeschichte-der-historisch-soziologischen-vernunft

  3. Wahre Kunst, ob nun Musik, Literatur oder sonst, zeichnet sich dadurch aus, dass es immer äußerst schwer fällt verwertbare Spuren zur echten Wahrheit zu finden. Wer es versucht, wird, wie einst Heine, als er in der Nacht an Deutschland dachte, zwangsläufig um den Schlaf gebracht.

      1. Das Mitteilungsbedürfnis des Menschen ist gewaltig, doch das meiste, was er sagt, ist hohl und unreflektierter Müll, weil das Erkennen der Realität/Wahrheit Denkfähigkeit voraussetzt – und denken ist bekanntlich Schwerstarbeit – vor der fast alle zurück scheuen. Darum nehmen sie nur zu gerne das an, was sie selbst mögen.

  4. Auf die Frage „What do you think about western civilization“ wird Gandhi die Antwort zugeschrieben:
    „I would be highly in favor of“. Auf deutsche „Kultur“ oder „Zivilisation“ trifft das offenbar auch zu.

  5. „Jetzt schon bin ich froh zu registrieren, dass deutsche Staatsinstitutionen stets auf Ausgewogenheit aus sind – nicht nur in politischen, sondern auch in kulturellen Angelegenheiten.“

    Danke für diese Portion Satire bzw. Sarkasmus.
    Würde diese Ausgewogenheit doch nur anstelle offiziell gezeigten Flüchtlingsrassismus und diametral unterschiedlicher moralischer Bewertung von Kriegen (nach geopolitischer Opportunität) treten.
    Sich mit Wagner differenziert auseinander zu setzen hieße, in geschichtsphilosophischen Kategorien zu denken (auch und gerade, was Wagners AS – als „Kind seiner Zeit“ – angeht):
    DAS Feindbild einer neoliberalen, dogmatischen und geschichtsvergessenen Gesellschaftstheorie.

  6. „Wagners Musik wird in Israel boykottiert ……..“
    Nun ja, es gab 2001 mit Daniel Barenboim in Israel eine Auffuehrung des Vorspiels von Tristan und Isolde….
    Barenboim schreibt auf seinem Blog…
     „Das Stück wurde als Zugabe nach einer vierzigminütigen Diskussion mit dem Publikum gespielt. Denjenigen, die gehen wollten, bot ich an, dieses zu tun. Nur zwanzig bis dreißig Leute, die Wagners Musik nicht hören wollten, verließen den Saal. Die Übrigen applaudierten dem Orchester begeistert, so dass ich das Gefühl hatte, wir hätten etwas Positives getan. Erst am nächsten Tag brach der Eklat richtig los, als Politiker die Aufführung zum Skandal erklärten, obwohl sie das Konzert nicht besucht hatten. “
    Was soll man dazu noch gross sagen…..wenn was politisch nicht in den Kram passt, wird’s halt so lange geschleift, bis es passt!

  7. Die Vermutung liegt nahe, dass die aus Deutschland veranlasste Ausladung nichts mit Wagner und Heine, alles mit Zuckermann zu tun hat, der inopportune politische Ansichten vertritt, was doch gewiss im geplanten Vortrag gespiegelt worden wäre, dann irgendwie, vielleicht kontaktmagisch, den Verdacht aufkommen lassen könnend, Deutschland stehe nicht bedingungslos hinter der israelischen Regierung, wer immer sie bildet. Und das gilt es zu verhindern. Gerade wenn in der deutschen Regierung mindestens zwei wahre Leuchttürme der Gesinnungsethik ihr Wesen treiben.

  8. Ich vermute stark, dass sich diese ominösen “entgegengesetzten Anschauungen” nicht auf den Gegenstand des geplanten Vortrags beziehen, sondern auf den Vortragenden, der ja in Deutschland bekanntermaßen regelmäßig des „israelbezogenen Antisemitismus“ beschuldigt und entsprechend denunziert wird. Natürlich sind diese Vorwürfe absurd und werden durch die ständige Wiederholung nicht plausibler.

  9. Diese Begebenheit zeigt den gegenwärtigen „Geisteszustand“ des deutschen Staates. Und es graust mich, wenn ich darüber nachdenke, wohin dieser führen muss …

    „Denk ich an Deutschland in der Nacht …“ Inzwischen bekommt man auch tagsüber kaum noch ein Auge zu …

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