Hat Angela Merkel im Fall von Mercedes-Benz Argentina versucht, Barack Obama zu beeinflussen?

Causa Mercedes-Benz – Mörder und Profiteure.

 

Von Gaby Weber ist gerade das neue Buch “Causa Mercedes-Benz – Mörder und Profiteure” erschienen. Eine spanische Version kam zeitgleich als ebook heraus. Es geht um den Fall der 1976 und 1977 ermordeten Gewerkschaftsaktivisten von Mercedes-Benz Argentina (MBA), der in Deutschland, Argentinien und den USA anhängig war bzw. ist.

Die Autorin hat diesen Fall 1999 ausgegraben und Zeugenaussagen und Dokumente zusammengetragen und der Justiz vorgelegt. Am Ende wurde er von der Menschenrechtsbürokratie gekapert und endete als Karteileiche. Mit dem Buch will die Autorin eine breite und globale Debatte über die Bürokratisierung von politischen Bewegungen anregen. Welche messbaren Erfolge haben zwanzig Jahre von oben gesteuerte Menschenrechtspolitik erzielt?

Interessant ist auch die Innenansicht des Versuchs, die Morde an den Gewerkschaftsaktivisten in den USA anhängig zu machen. Die Überlebenden und die Familienangehörigen hatten dort im Januar 2004 Zivilklage eingereicht und zunächst verloren, dann aber doch gewonnen. Am Ende hat der Supreme Court der gesamten Richterschaft Kaliforniens verboten, die Sache zu hören. Es geht um die Frage, welche Rolle Angela Merkel dabei spielte. Hat sie, wie Gaby Weber vermutet und belegt, den US-Präsidenten bestechen wollen? Hier ein stark gekürzter Auszug aus dem Buch.

 

SCOTUS und POTUS: erbärmliche Mickerlinge!

 

… Die Zeitungen berichteten von einem überraschenden Besuch von Angela Merkel bei Barack Obama, die Tagesordnungspunkte waren nicht bekannt. Das Verhältnis zwischen den beiden war schlecht. Als Obama vor einigen Monaten, im Wahlkampf, Berlin besucht hatte, wollte er vor dem symbolträchtigen Brandenburger Tor sprechen, Merkel verhinderte das. Der Slogan „Change“ war ihr fremd. Dann reiste sie plötzlich nach Washington, und es soll, laut Presseerklärung, ein herzliches Treffen gewesen sein.

Hatte Josef Ackermann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank (durch ein ansehnliches Aktienpaket am Stuttgarter Konzern beteiligt) Angela Merkel um diesen Besuch gebeten? Die Bundeskanzlerin hatte ihm ein Jahr zuvor eine Geburtstagsfeier ausgerichtet, im Kanzleramt mit 30 Gästen auf Staatskosten. Ackermann war wegen des neuen Windes auf der anderen Seite des Atlantiks besorgt. Wollte er wegen der US-Klage gegen Daimler „auf Nummer Sicher gehen“?

Wie konnte ich meine Informationen überprüfen? Zunächst fragte ich das Auswärtige Amt, ob sich Merkel bei ihrem Besuch im Weißen Haus negativ zu dem US-Verfahren gegen Daimler geäußert habe. In diesem Fall hätte die Kanzlerin klar ihre Kompetenzen überschritten, denn solche Einwände müssen über den Amtsweg auf den Weg gebracht werden, und der führt über die deutsche Botschaft in Washington. So war es – formell korrekt – im Zivilprozess vor einem New Yorker Gericht geschehen. Opfer der Apartheid hatten mehrere, auch deutsche Unternehmen wegen ihrer Kollaboration mit dem rassistischen Regime verklagt. Die deutsche Botschaft hatte protestiert und mit einem Amicus Curiae Brief vor dem Berufungsgericht gewarnt, dass die Eröffnung des Verfahrens die Souveränität des deutschen Staates verletzen würde. Das Auswärtige Amt stellte sofort klar: „Die Bundesregierung (hat) keine Einwände gegen das Verfahren erhoben.“

Daraufhin fragte ich das Kanzleramt, ob Frau Merkel bei ihrem Besuch gegen die Eröffnung des Prozesses protestiert habe. Die Antwort ließ mehr als zwei Monate auf sich warten: „Hierüber (liegen) keine Unterlagen im Bundeskanzleramt vor.“ Eine Abgeordnete der Partei „Die Linke“ stellte eine parlamentarische Anfrage. Das Büro Merkel antwortete: „Die Bundeskanzlerin hat anlässlich ihres Besuchs in den USA im November 2009 das von Ihnen genannte Zivilverfahren nicht angesprochen.“ Daran besteht kein Zweifel. Es ging nicht um den Besuch im November 2009, sondern um den Besuch wenige Monate zuvor, VOR dem Urteil in San Francisco. Den Brief unterzeichnet hatte Eckart von Klaeden, Staatsminister im Bundeskanzleramt und Merkels rechte Hand. Klaeden wurde 2013 von der Daimler AG eingestellt. (…)

2009 verkündete das Berufungsgericht von San Francisco sein Urteil und verneinte die Zuständigkeit. Es gebe einen „alternativen Gerichtsstand“ (Argentinien und/oder Deutschland) und „Mercedes-Benz USA (sei) nicht DaimlerChrysler-Agent, um gerichtlich belangt zu werden“. Ich fragte die US-Anwälte, ob damit das Verfahren am Ende sei; und sie antworteten: im Prinzip ja. (Der) Oberste Gerichtshof sei immer noch mit erzkonservativen republikanischen Richtern besetzt, und (die Anwälte) wollten kein Grundsatzurteil riskieren. (…)

Würde sich jemand in den USA dafür interessieren, ob die deutsche Bundeskanzlerin versucht hatte, den US-Präsidenten zur Einflussnahme auf das Verfahren zu bewegen? Ich stellte auf der Grundlage des Freedom of Information Act (FOIA) eine Anfrage an das Justizministerium in Washington und bat um Kopien der Abschriften von Merkels Unterhaltung mit Obama. Diese Gespräche werden aufgezeichnet und können freigegeben werden, wenn sie einen historischen Wert besitzen. Meine Anfrage trug das Datum: 6. April 2010. Sie wurde nie beantwortet, aber einen Monat später, am 6. Mai, annullierten („vacated“) die kalifornischen Richter ihr eigenes Urteil vom August 2009 ohne Angabe von Gründen. Irgendetwas war wohl auf diesen Tonbändern zu hören … „Wir werden neu verhandeln“, schrieben die Richter in ihrer knappen Entscheidung.

In San Francisco war hinter den Kulissen entschieden worden, den Fall Mercedes-Benz zu hören. Man wollte klarstellen, dass die US-Gerichtsbarkeit unabhängig war. Auch die Richter in Pasadena beschlossen im August einstimmig, die Zuständigkeit zu bejahen. Chapeau. Jedenfalls was die kalifornischen Richter angeht. Kein Chapeau für die Medien, weder die US-amerikanischen noch für die deutschen. Mit keinem Wort kommentierten sie diese Wende in einem der wichtigsten Zivilprozesse gegen ein deutsches Großunternehmen. Sie fragten nicht, warum die Richter ihr eigenes Urteil annulliert hatten, ohne auch nur einen einzigen Grund zu nennen. (…)

Im Mai verlor Daimler erneut vor dem US-Berufungsgericht und beantragte eine Verhandlung „en banc“, eine Erörterung mit sämtlichen Richtern. Die Angehörigen konnten kaum glauben, dass sie in Kalifornien gewonnen hatten. Sie hatten die Vollmachten unterschrieben, weil sie nichts unversucht lassen wollten, aber ausgerechnet in den USA gegen die mächtige Daimler AG gewinnen? Erneut verlor Daimler, der Antrag auf eine Verhandlung „en banc“ wurde zurückgewiesen.

Doch die Stuttgarter hatten Glück, der Fall wurde ausgesetzt. Der Supreme Court der USA (SCOTUS) beschloss, den Fall zu prüfen. Nun wurde der Supreme Court mit Amicus-Curiae Briefs überschüttet, ungefragte Stellungnahmen von Nicht-Prozessbeteiligten über die Wichtigkeit eines Rechtsstreites. Mit anderen Worten: Drohungen an die Justiz, was passieren würde, falls sie die Frechheit besäße, über das Massaker eines Großkonzerns zu richten. Auch der US-Justizminister kroch zu Kreuze und sprach sich gegen die Eröffnung aus. Der kalifornische Gerichtshof hatte durch seine spektakuläre Entscheidung, sein eigenes Urteil zu annullieren und den Fall zu hören, ein klares Zeichen gesetzt, dass er sich Eingriffe in die Rechtsprechung durch die Politik verbitte.

Obama hätte ebenfalls klarstellen können oder sogar klarstellen müssen, dass er nicht zu bestechen war, schon gar nicht von der Bundeskanzlerin. Zumindest hätte er anstandshalber darauf verzichten sollen, den SCOTUS-Richtern Empfehlungen zu erteilen. Er tat das Gegenteil und stellte sich mit dem Amicus-Brief seines Ministers demonstrativ auf die Seite von Daimler.

Dieser ganze Amicus-Krieg war absolut unverhältnismäßig und hatte nichts mit der Realität zu tun. Der MBA-Fall war keine Sammelklage, sondern eine Handvoll Kläger aus der Vorstadt einer südamerikanischen Metropole bettelten um etwas Gerechtigkeit. Es stand keine dieser riesigen Kanzleien auf der Gegenseite, sondern ein Gewerkschaftsanwalt und einer, der für eine kleine NGO arbeitete, den International Labor Rights Fund. Es sponserte kein Mäzen oder ein Medienimperium und schon gar nicht die Konkurrenz, und ich war eine freiberufliche Journalistin. Wir waren nicht mal Gulliver, während die Anderen Armageddon an die Wand malten.

Im Oktober fand eine einstündige Anhörung statt. Der Vorsitzende John Roberts verteidigte die richterliche Unabhängigkeit, kein Artikel der US-Verfassung verbietet einem Bundesstaat, eine lokale Niederlassung für Handlungen des Mutterhauses verantwortlich zu machen. „Wenn Kalifornien sagt, wir nehmen den Fall, worin besteht das verfassungsrechtliche Problem?“ Dem schloss sich Stephan Breyer an, ein Bundesstaat verletze nicht die Verfassung, wenn er die Zuständigkeit seiner Gerichte auf die Niederlassung oder auf das ausländische Mutterhaus ausweitet. Es wäre danach ein „big problem“ für den Bundesstaat, Investoren zu gewinnen, aber keine Verfassungsverletzung. „Er kann das tun, denke ich, auch wenn das ziemlich merkwürdig“ ist („but it’s pretty odd“). Immerhin war der Beschluss durch mehrere Instanzen gegangen, elf der zwölf Bundesrichter hatten ihn bestätigt, es war kein Spleen eines durchgeknallten Einzelrichters irgendwo in der Prärie. Es ging um das heiligste Gut der Justiz: um die richterliche Unabhängigkeit.

Am 14. Januar 2014 hob der Supreme Court das Urteil des kalifornischen Berufungsgerichtes auf. Die bei der Anhörung erörterte „richterliche Unabhängigkeit“ war kein Thema mehr. Die kalifornischen Richter hätten die Konsequenzen, die die Bejahung ihrer Zuständigkeit auf ausländische Investoren gehabt hätte, unterschätzt, hieß es in ihrem Urteil. Der Rechtsweg war ausgeschöpft. (…)

Das oberste Tribunal der Vereinigten Staaten (SCOTUS) und der President of the United States (POTUS) hatten sich auf beschämende Weise unterworfen, als sie die kalifornische Richterschaft knebelten und ihr die Eröffnung eines Verfahrens verboten – in dem es um die Ermordung einiger südamerikanischer Gewerkschafter ging. Ihr wollt eine Großmacht sein? Ihr seid erbärmliche Mickerlinge!

 

Der Text wurde dem Buch von Gaby Weber entnommen: “Causa Mercedes-Benz – Mörder und Profiteure”. 156 Seiten. 12 Euro.

Siehe auch von Gaby Weber: Morde an Mercedes-Gewerkschafter vor dem Obersten Gerichtshof Argentiniens

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7 Kommentare

  1. 👌🏼👍👍👍
    Oh Mann, was für eine Story. Großes Kompliment an Gaby Weber, wie sie so etwas aus den Akten herauspolkt und über Jahrzehnte verfolgt. Unglaublich. Sagenhaft!

  2. Uch hab schon mal geschrieben das Autos die wa(h)ren Staatsbürger sind.

    Insbesondere in Deutschland den Land der Staatsangehörigen.

  3. Keine Frage, hervorragend recherchiert, aber….

    “Das oberste Tribunal der Vereinigten Staaten (SCOTUS) und der President of the United States (POTUS) hatten sich auf beschämende Weise unterworfen, als sie die kalifornische Richterschaft knebelten und ihr die Eröffnung eines Verfahrens verboten – in dem es um die Ermordung einiger südamerikanischer Gewerkschafter ging. Ihr wollt eine Großmacht sein? Ihr seid erbärmliche Mickerlinge!”

    Wer eine Grossmacht ist und bleiben will, der muss sich einen Dreck dafür interessieren, ob da nun einige südamerikanische Gewerkschaftler massakriert werden, oder nicht!

    In Palästina sind in den letzten Monten 12.000 Kinder israelischen Waffen zum Opfer gefallen, und die USA haben nach wie vor keine Zweifel daran welche Politik in diesem Zusammenhang einer Grossmacht angemessen ist.

    Man sollte Menschen IMMER Informationen über solche Sauereien zugänglich machen, aber nicht so tun als sei es das Ziel in solche Zusammmenhängen etwas erreichen zu können!
    Ganz im Gegenteil! Immer mehr Menschen müssen begreifen wie die Realität aussieht, wer die Macht hat zu entscheiden, und wie erbärmlich bedeutungslos wir normalen Menschn nun mal in Wahrheit sind!

    1. ” und wie erbärmlich bedeutungslos wir normalen Menschn nun mal in Wahrheit sind! ”

      Genau.
      Und der Job von Fr. Weber ist es diese Informationen ab und zu durchzustechen.
      Damit die Menschen auch eingeschüchtert bleiben.
      Ob dies Fr. Weber dabei bewusst ist oder nicht
      ist hierbei absolut unwichtig.

      Ferdinand hat gesprochen.

    2. Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren und wer mitmacht, macht sich mitschuldig.
      Das Ganze zeigt nur, dass unser Gegner immer wieder die Großfinanz und die großen Konzerne sind, die im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen gehen. Und dass alles Gerede über “wertebasierte Ordnung” nur Propaganda ist.
      Der Kaiser ist halt nackt.

  4. Also ich muss auch sagen das diese Fragerei in der Überschrift wie eine Werbung für Mercedes Benz wirkt.
    Und man kann auch sicher sein das Fr. Weber solche Informationen nur Peu a Peu bekommen und
    veröffentlichen wird.
    Aber auf gar keinen Fall zu aktuell.

    https://autos.yahoo.com/russian-billionaire-sells-hitler-mercedes-200000361.html

    https://www.motortrend.com/news/adolf-hitlers-1939-mercedes-benz-goes-hammer/

    https://en.m.wikipedia.org/wiki/Mercedes-Benz_770

    https://www.seattletimes.com/seattle-news/how-hitlers-car-ended-up-parked-in-medina/

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