Ging der kognitive Niedergang schon vor sozialen Medien und KI los?

Computer in der Schule
Standen Computer oder Tablets in Schulen am Beginn? Bild: pxhere.com

Mindestens die Hälfte der neu im Internet veröffentlichten News soll bereits KI generiert sein. Die Gefahr wird beschworen, dass Menschen nicht mehr unterscheiden können, was von generativer KI und was von Menschen geschrieben wurde. Umgekehrt können aber KI-Systeme auch nicht treffsicher diese Unterscheidung treffen. Der Turing-Test soll ja schon längst von den KI-Systemen bestanden worden sein.

Allerdings würde es keine Rolle spielen, wer der Autor von Nachrichten ist, könnte man sagen, wenn sie denn wahr oder richtig sind. Aber darüber gibt es bei vielen Aussagen über die Welt kaum einen Konsens. KI macht Fehler und schwindelt, das ist auch bei menschlichen Schreibern nicht ganz anders. Den Verstand ausschalten sollte man bei beiden Quellen nicht.

Nach einer Untersuchung ist die Zahl der KI-generierten Artikel mit der Einführung von ChatGPT im November 2022 explodiert und soll im November 2024 bereits die der von Menschen geschriebenen Artikel überstiegen haben. Allerdings soll der Anteil der KI-generierten Artikel während des letzten Jahres etwa gleich geblieben sein, was bedeuten könnte, dass sie nicht so gut ankommen.

Ob das alles stimmt, ist sowieso fraglich, weil die Studie KI-Programme zur Entdeckung von KI-generierten Texten eingesetzt hat, deren Zuverlässigkeit in Frage steht. Zudem nutzen viele Menschen KI zur Anlage oder für Teile eines Textes, ergänzt durch eigene Textstücke oder Umschreibungen, wie man das beim Plagiieren auch macht. Angeblich handele es sich aber nur um eine Positiv-Falsch-Rate von 4,2 Prozent für Artikel, die als KI-generiert eingestuft werden und von Menschen stammen, und eine Falsch-Negativ-Rate von 0,6 Prozent.

Unabhängig von genauen Zahlen dürfte auf jeden Fall die Neigung zunehmen, Texte von KI schreiben zu lassen, da diese oft besser im Stil, fehlerfreier und schneller zu erstellen sind. Schreiben, zumindest von längeren Texten, nicht von schnellen und kurzen Postings  in sozialen Medien, dürfte als Kulturtechnik am Schwinden sein, wobei wie immer in Nischen ein KI-freies Schreiben in hervorgehoben persönlichen Stilen kultiviert werden wird.

Mit dem Lesen sieht es allerdings auch schlecht aus. Man geht davon aus, dass in Deutschland 20 Prozent der Menschen und 26 Prozent der 15-Jährigen eine Lese- und Schreibschwäche haben, also etwa kompliziertere Texte nicht mehr wirklich verstehen. Das betrifft Lesen und Hören. Ein Fünftel der Bevölkerung! Dem wollen manche mit einfacher Sprache entgegenkommen, die aber nur ihren Teil zur komplexitätsreduzierenden Verdummung beiträgt.

KI, das leuchtet ein, verführt zur kognitiven Faulheit und damit zu einer Art Verdummung oder, weniger dramatisch gesagt, zum Verkümmern von Fähigkeiten, die durch Technik ersetzt werden. Das hat während der jüngeren Geschichte zum Aussterben von vielen Berufen und entsprechenden körperlichen und kognitiven Fähigkeiten geführt. Das kann nur für diejenigen dramatisch sind, die unmittelbar in der Übergangszeit davon betroffen sind. Computer haben allerdings mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik zu einem Abbröseln der Mittelschicht und der Vermehrung von prekären und schlechter bezahlten Jobs geführt.

Zurück zu Schreibheften, Stiften und Büchern?

Der Psychologieprofessor Jean M. Twenge von der San Diego State University wies in einem Beitrag für die New York Times darauf hin, dass die Leistungen in Tests der Schüler in den USA 2023 und 2024 auf ihren tiefsten Stand gefallen sind. Er verweist auf die PISA-Studien, nach denen die Leistungen der 15-Jährigen im Lesen, in Mathematik und in der Wissenschaft 2022 auf einen Tiefpunkt gesunken sind. Das ist eine Entwicklung, die schon vor mehr als 10 Jahren begonnen hat und weder durch Covid noch KI erklärt werden kann. Mittlerweile scheint es eine Art Konsens zu geben und Smartphones sowie soziale Netzwerke für den kognitiven Niedergang verantwortlich zu machen.

Twenge sieht über Smartphones hinaus noch eine weitere Ursache: In Schulen sei mittlerweile gängig, im Unterricht und für Hausarbeiten Tablets oder Notebooks zu verwenden. Die Schüler würden damit keineswegs nur schulspezifische Inhalte sehen, sondern oft auch während des Unterrichts Filme, Fernsehsendungen, Spiele und auch Pornos: „Eine Studie unter Schülern der Michigan State University – fast alle volljährig und vermutlich besser in der Lage, sich zu konzentrieren als junge Teenager – ergab, dass sie fast 40 Prozent der Unterrichtszeit damit verbrachten, in sozialen Medien zu scrollen, E-Mails zu checken oder Videos auf ihren Laptops anzuschauen – alles außer ihren Schulaufgaben.“ Entsprechend würden Zuhause die Geräte auch nicht nur für Schulaufgaben benutzt.

Für Twenge ist es die Ablenkung durch die Geräte mit Zugang zum Internet, die Konzentration und Leistung verschlechtern, schon allein, weil das Zeit wegfrisst, die endlich ist. Ein Beleg ist für ihn die Situation in Finnland, das lange Zeit als Musterland für gute Schulbildung galt: „Im Jahr 2022 gaben Teenager in Finnland zu, ihre Geräte während des Schultages fast 90 Minuten lang für nicht-pädagogische Zwecke zu nutzen. Möglicherweise als Folge davon sind die Testergebnisse finnischer Schüler zwischen 2006 und 2022 stark zurückgegangen. In Ländern wie Japan, wo Schüler während des Schultages weniger als eine halbe Stunde mit Geräten für Freizeitaktivitäten verbringen, sind die schulischen Leistungen relativ stabil geblieben, insbesondere in Mathematik und Naturwissenschaften.“

Twenge meint daher, es sei eine schlechte Strategie gewesen, Schüler mit Notebooks und Tablets von der Schule zu beglücken und das Lernen damit zu verbinden. Man müsste die Nutzung strikt beschränken können oder wieder zu Schulen kommen, in denen keine Geräte, weder Smartphones noch Tablets oder Notebooks verwendet werden. Zurück also zu Schreibheften, Stiften und Büchern.

Blöd nur, dass nach einer Studie 18-24-Jährige, deren Zugang zu sozialen Medien auf 9 Stunden in einer Woche beschränkt wurde, nicht etwa vermehrt zum Lesen oder anderen Tätigkeiten außerhalb des Hauses kamen. Sie verzichteten auf TikTok, Facebook und X, nutzen aber Instagram und Snapchat weiter und verbrachten halt mehr Zeit vor anderen Bildschirmen und blieben länger im Haus. Immerhin gingen Depressionen, Angst und Schlaflosigkeit zurück, die Einsamkeit aber blieb. Die Reaktionen auf die Detox-Erfahrung waren individuell sehr unterschiedlich, allgemein aber ist eine (teilweise) Entdigitalisierung zumindest im Laufe einer Woche kein Anstoß, mehr direkte Kontakte zu suchen oder Aktivitäten außer Haus zu vermehren.

Florian Rötzer

Florian Rötzer, geboren 1953, hat nach dem Studium der Philosophie als freier Autor und Publizist mit dem Schwerpunkt Medientheorie und -ästhetik in München und als Organisator zahlreicher internationaler Symposien gearbeitet. Von 1996 bis 2020 war er Chefredakteur des Online-Magazins Telepolis. Von ihm erschienen sind u.a. „Denken, das an der Zeit ist“ (Suhrkamp 1988), „Die Telepolis“ (1995), „Vom Wildwerden der Städte“ (Birkhäuser 2006), „Smart Cities im Cyberwar“ (Westend 2015), „Sein und Wohnen“ (Westend 2020) oder „Lesen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz“ (Bielefeld 2023)
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9 Kommentare

  1. lustig: „Die Leistungen der 15-Jährigen im Lesen, in Mathematik und in der Wissenschaft sind 2022 auf einen Tiefpunkt gesunken sind“. Bitte korrigieren und meinen Kommentar dann löschen

  2. Böse Zungen behaupten, der kognitive Niedergang begann bereits damit, daß ein Affe entschied, auf zwei Beinen zu gehen und so die Hände frei hatte, um Unfug damit anzustellen. Aus Sicht der Kreationisten war natürlich Gott schuld, logisch!

  3. Deutschland verschläft (?) mal wieder weltweite Erkenntnisse.

    Blick ins Ausland
    Immer mehr Länder verbannen das Handy aus der Schule
    Immer mehr Länder beschließen Maßnahmen gegen die Handynutzung an Schulen – zuletzt auch Finnland. Nach Dänemark, Österreich und den Niederlanden hat nun auch das finnische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Smartphone-Nutzung stark einschränkt. Frankreich und Italien praktizieren den Handy-Bann schon länger.

    – Finnland: Handyverbot ab August 2025

    – Dänemark plant Handyverbot im Unterricht und in den Pausen

    – Frankreich: Handys seit 2018 auch in den Pausen verboten

    – Niederlande: Handyverbot gilt ab Januar 2024

    – Italien: Altes Verbot ( von 2007) verschärft

    https://deutsches-schulportal.de/schulkultur/immer-mehr-laender-verbannen-das-handy-aus-dem-unterricht/

    .

    „Parlament beschließt Handyverbot an Schulen

    In Frankreichs Schulen dürfen Schüler bis 15 Jahre ihre Handys nicht mehr auf dem Schulgelände oder auf Ausflügen benutzen.
    30. Juli 2018

    https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-07/frankreich-parlament-schulen-handyverbot-mobiltelefon

    .

    Südkoreas Parlament beschließt Handyverbot an Schulen

    https://www.spiegel.de/panorama/bildung/handys-an-schulen-suedkorea-beschliesst-verbot-zur-verbesserung-des-lernverhaltens-a-7e1cb569-dde5-4258-856b-c8121cdff19f

    .

  4. erinnert sich noch jemand an die bildungspolitik unter bundeskanzler helmut kohl?
    wohl kaum, es gab sie nicht.
    dort liegen die wurzeln dieser angesteuerten entwicklung. und in den 90ern nahm das so richtig fahrt auf.

  5. Irgendwie nicht lustig, sowas zu lesen. Eine Gesellschaft im Sinkflug. Aber dafür haben die Heranwachsenden von Jahr zu Jahr bessere Noten. Die Zahl der Berliner Abiturienten mit sehr gutem Abschluss hat sich vervielfacht. An den Unis, auch Overton hat darüber berichtet, eine ähnliche Tendenz. Disziplin ist eh ein Fremdwort und gilt als geradezu faschistisch. Und dann ist da noch der Elefant im Raum – die Massenmigartion. Klassen mit Kindern, in denen keins ausreichend deutsch spricht, werden zur Normalität. Eine Freundin meines Sohnes, Grundschullehrerin im Südwesten, sehr engagiert und eher woke unterwegs, erklärte mir resigniert, dass da kein Unterricht mehr stattfindet. Gegnern der Migration ist das ein Beweis für ihre Haltung, Befürworter tun das mit den üblichen Floskeln ab. Beiden gemeinsam ist die vollkommene Hilflosigkeit. Es ist offensichtlich, dass es keine Lösung geben wird.
    Das Bürgertum, das es sich leisten kann, lässt seine Kinder privat beschulen. An den Universitäten setzt sich das fort. Die Massenuniversität, entstanden auch durch die sehr richtige Idee, das Bildungsprivileg der Besitzenden zu brechen, verkommt zu Abschlussverteilungsbehörden und zur Spielweise von Genderasten, Wokeschisten und anderen Minderbegabungen, durchsetzt von einzelnen Exzellenz – Clustern. Das letzte Mal, dass deutsche Soziologie von sich hören ließ, war, als ein Prof in Berlin forderte, dass man ihn als Trans mit Profex oder so ansprechen müsse.
    Die Erwartungen an die Absolventen sollten wohl nicht zu hoch sein? Außer natürlich, dass sie gelernt haben, dass sie das IdiotInnendeutsch verwenden müssen, weil es sonst Punktabzug gibt.
    Und wenn wir das alles bedenken, und ich fürchte, dass es sehr unvollständig beschrieben ist, sollten wir uns nicht vor der KI fürchten. Schlechter kann die auch nicht sein?

  6. Bei der Arbeit gilt: Konzentration ist Trumpf. So erreicht man eine Art Schwebezustand, die einen zu den echten Leistungen befähigt. Auch unter der Dusche, beim Autofahren oder im Halbschlaf kommen gute Ideen – aber nur denen, die nicht so blöd sind, sich ständig von einem Smartphone ablenken lassen.

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