Gibt es einen deutsch-polnischen Konkurrenzkampf um ukrainische Arbeitskräfte?

 

 

Bild: VisitUkraine

 Der polnische Arbeitgeberverband “Lewiatan” schlägt jedenfalls Alarm und verlangt von einer neuen Regierung schnelle Gesetzesinitiativen, mit denen der Status der im Land lebenden Ukrainer verbessert und langfristig gesichert wird. Andernfalls sei deren verstärkte Abwanderung nach Deutschland zu befürchten.

In einem Interview mit der Wirtschaftszeitung “Gazeta Prawna” erläuterte in dieser Woche die zuständige “Lewiatan”-Mitarbeiterin Nadia Kurtieva: “Die EU hat den besonderen Schutzstatus für Ukrainer inzwischen bis März 2025 verlängert. Aber eine Änderung des polnischen Rechts gibt es nicht. Die Firmen stehen unter Druck.”

Das polnische Parlament hatte im März 2022 eine zwei Jahre gültige Sonderregelung für Geflüchtete aus der Ukraine verabschiedet. Sie konnten sich bei den Kommunalverwaltungen problemlos eine sonst nur Polen und dauerhaften Residenten vorbehaltene elfziffrige Registrierungsnummer besorgen, Voraussetzung für einen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu öffentlichen Sozial- und Gesundheitsleistungen. Unter dem unmittelbaren Eindruck des russischen Angriffs zeigte sich auch die große Mehrheit der polnischen Bevölkerung gegenüber den Geflüchteten zunächst ausgesprochen hilfsbereit.

Doch inzwischen hat sich die Stimmungslage gewandelt. Viele schauen differenzierter auf den Krieg im Nachbarland. Eine politische Gruppierung, die auch im neuen Sejm vertretene “Konfederacja”, machte die Streichung von Sozialleistungen für Ukrainer im Wahlkampf zu einer ihrer wichtigsten Forderungen. Die Regierung Morawiecki reagierte schon im Frühjahr 23 auf die geänderte Stimmungslage und verpflichtete die Ukrainer nach 120 bzw. 180 Tagen Aufenthalt in Polen zur Übernahme von 50% bzw. 75% ihrer Unterkunftskosten. Dennoch äußerten im Juli in einer Meinungsforschungs-Umfrage von IRCenter rund 50% der befragten Polen die Auffassung, die Regierung sorge mehr für die Ukrainer wie das eigene Volk.

Polens Arbeitgeber haben eine andere Einschätzung der ukrainischen Zuwanderung, die in Polen bereits vor dem Februar 22 einsetzte. Aus ihrer Sicht kommen aus der Ukraine vor allem beruflich ambitionierte und vielfältig qualifizierte junge Leute. Der Anteil der über 60-Jährigen liegt auch unter den Geflüchteten nur bei 10%. 749.000 Ukrainer sind inzwischen bei der polnischen Sozialversicherung ZUS registriert. Nach Schätzungen arbeiten einige hunderttausend als Nicht-Registrierte auf dem Bau, in Haushalten, in der Landwirtschaft und in Hotels und Restaurants. Das Gastgewerbe wurde neben dem Einzelhandel und dem Gesundheitsbereich zum wichtigsten Beschäftigungsbereich der Ukrainerinnen. Jede zweite polnische Firma beschäftigt nach einem Bericht der Tageszeitung “Rzeczpospolita” Menschen aus der Ukraine. Von den Geflüchteten sind rund 50% erwerbstätig.

Doch um die Ukrainer dauerhaft im Land zu halten, fordern Polens Arbeitgeber jetzt ein durchdachtes Integrationskonzept mit qualifizierter Berufs- und Sozialberatung und möglichst der Erwerbsarbeit vorgeschalteten Sprachkursen. “In Polen sind die Ukrainer oftmals entgegen ihrer Qualifikation beschäftigt, weil die Anerkennung ihrer Diplome kompliziert ist oder Sprachkenntnisse fehlen”, klagt “Lewiatan”-Sprecherin Kurtieva.

Ob Sprachkurse, die Nähe zum Heimatland und die ähnliche Kultur allerdings ausreichen, die Ukrainer in Polen zu halten, bleibt zweifelhaft. Die polnischen Sozialleistungen für Arbeits- und Mittellose erreichen addiert gerade einmal 40% des deutschen Bürgergeld-Niveaus. Und auch der polnische Mindestlohn liegt mit 23,50 Zloty (=ca. 5,30 Euro) kaum über 40% des deutschen. “Polen verliert die ukrainischen Flüchtlinge. Immer mehr wandern nach Deutschland ab”, warnte im September die “Rzeczpospolita” unter Bezugnahme auf eine Studie der Migrationsforscher des EWL-Instituts und der Warschauer Universität.

Tatsächlich führt inzwischen nicht mehr Polen, sondern Deutschland mit 1,094 Mio. die Liste der EU-Aufnahmeländer für ukrainische Geflüchtete an, auch wenn bezogen auf die Einwohnerzahl ihr Anteil in Polen mit 959.000 und vor allem in Tschechien mit 372.000 deutlich höher ist (Quelle: statista, 3.10.23). Aber im September 22 waren in Polen noch 1,37 Mio. Geflüchtete aus dem südöstlichen Nachbarland registriert.

Bekanntlich sind auch aus Sicht der deutschen Arbeitgeber, Menschen aus der Ukraine höchst willkommen. Ihre Privilegierung gegenüber Geflüchteten aus anderen Weltregionen ist Ausdruck dessen. Auch wenn bislang nur rund 20% der Ukrainer hierzulande einer Erwerbsarbeit nachgehen, “der ausgedünnte deutsche Arbeitsmarkt profitiert”(tagesschau.de) zumindest langfristig. Und die oben erwähnte Studie offenbarte, dass es nicht nur die bloße Höhe von Sozialleistungen und Löhnen ist, die viele Ukrainer zum Weiterwandern nach Deutschland veranlasst. Polen sei das Land erster Wahl für einen vorübergehenden Aufenthalt während eines vermeintlich kurzzeitigen Krieges gewesen. Doch weil es für die Ukraine keine Friedens-, ja nicht einmal eine Waffenstillstands-Perspektive gebe, planen immer mehr Ukrainer ihre dauerhafte Ansässigkeit im Ausland. Und für viele komme dafür eher Deutschland als Polen in Betracht.

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18 Kommentare

    1. Das was Herr Scholz da von sich gibt, ist zutiefst Menschenverachtend.
      Aber ich denke, daß seine Pläne nicht aufgehen werden. Die Menschen aus anderen Ländern
      sind nicht, wie er arroganterweise meint, dumm und naiv und lassen sich weiterhin in ein Niedriglohnland
      wie Deutschland locken. Des weiteren ist längst bekannt, daß das mit dem Abschieben nicht einfach ist.
      Die Länder in die man abschiebt müßen erst ihr Einverständnis dafür geben und in gewisse Länder
      darf sowieso nicht abgeschoben werden u.s.w. Bekanntlicherweise werden ja die Ausweisdokumente
      vor Betreten des Landes vernichtet, bzw. weggeworfen.
      Das alles ist Augenwischerei und dummes Geschwätz, damit das Stimmvolk sich wieder beruhigt
      und meint, es wäre alles unter Kontrolle. Dem ist leider nicht so.

  1. “Unter dem unmittelbaren Eindruck des russischen Angriffs zeigte sich auch die große Mehrheit der polnischen Bevölkerung gegenüber den Geflüchteten zunächst ausgesprochen hilfsbereit.”
    Kann man nicht so stehen lassen. Richtig wäre: “Unter dem unmittelbaren Eindruck des russischen Angriffs, den die Politik im Gleichschritt mit den Medien erzeugt haben, zeigte sich auch die große Mehrheit der polnischen Bevölkerung gegenüber den Geflüchteten zunächst ausgesprochen hilfsbereit.”
    Es gab zumindest bis dahin keinen “russischen Angriff “, lediglich eine Einnahme verschiedener Stützpunkte unter anderem in Kiewer Vororten als Drohung, das Minsker Abkommen ernsthaft anzugehen, durchaus in Erfüllung des Abkommens völkerrechtlich zulässig.
    Dass der Westen und die Putschregierung darauf warteten, um aus dieser Situation heraus einen veritablen Krieg zu entwickeln (Arestowitsch, Merkel, Macron) und “haltet den Dieb!” seitdem schreit, kann die realen Abläufe nicht vertuschen, sofern man objektiv sein will.

  2. Leider gibt es keinerlei Infos zum möglichen Hintergrund des Beitraggebers, der Licht ins Dunkel bringen könnte.
    Allerdings ist der Inhalt des Artikels vermutlich zu anspruchsvoll, als dass sich mir die logischen Gründe offenbarten.

    “Die polnischen Sozialleistungen für Arbeits- und Mittellose erreichen addiert gerade einmal 40% des deutschen Bürgergeld-Niveaus. Und auch der polnische Mindestlohn liegt mit 23,50 Zloty (=ca. 5,30 Euro) kaum über 40% des deutschen.”

    “Ob Sprachkurse, die Nähe zum Heimatland und die ähnliche Kultur allerdings ausreichen, die Ukrainer in Polen zu halten, bleibt zweifelhaft.”

    “Und die oben erwähnte Studie offenbarte, dass es nicht nur die bloße Höhe von Sozialleistungen und Löhnen ist, die viele Ukrainer zum Weiterwandern nach Deutschland veranlasst.”

    Davon unberührt, dass D europaweit eine absolute Ausnahme bezüglich der Leistungen und Pflichten bildet; WAS ist also der originäre Grund der “Weiterwanderung”?🤔

    1. O.k. – Ich hätte das näher ausführen sollen, wollte den Artikel aber nicht, z. B. mit den Ergebnissen der EWL-Studie, überlasten. Aber grundsätzlich kann man sich ja gut vorstellen, dass bei der Wahl eines dauerhaften Auswanderungslandes mehr berücksichtigt wird als das Einkommen in einem vorübergehenden Asylland. Da geht es um öffentliche Daseinsvorsorge – Menschen in Polen stören z. B. lange Wartezeiten für Facharztbesuche -, Verlässlichkeit im Hinblick auf das Sozialsystem, um Bildungs- bzw. Zukunftschancen für die Kinder und perspektivisch auch darum, ob man sich mit dem Erlernen einer Sprache abmüht, die man später nicht nutzen wird. Im übrigen war und ist es nicht meine Absicht, das hohe Lied auf Deutschland zu singen, sondern ökonomische und demografische Interessen bei der Aufnahme speziell der Geflüchteten aus der Ukraine deutlich zu machen.

  3. Hat nicht jüngst Schlumpfi Olaf die Unternehmerschaft zum Go East aufgerufen, weil dort traumhafte Renditen (die natürlich noch staatlicherseits durch Bürgschaften etc. abgesichert werden) winken? Wer soll die erarbeiten, wenn die besten Arbeitskräfte der Ukrai im Ausland tätig sind?

    1. Moin
      “Wer soll die erarbeiten, wenn die besten Arbeitskräfte der Ukrai im Ausland tätig sind?”
      So schlimm wirds wohl nicht werden, sind ja noch viele Ü60 dort und wenn der Staat keine Renten mehr zahlen kann ist auch der Anreiz da….
      😉

  4. @Richard Kallok

    „Die polnischen Sozialleistungen für Arbeits- und Mittellose erreichen addiert gerade einmal 40% des deutschen Bürgergeld-Niveaus. Und auch der polnische Mindestlohn liegt mit 23,50 Zloty (=ca. 5,30 Euro) kaum über 40% des deutschen.“

    Mit Verlaub – so etwas zu schreiben, ohne einen kurzen Abriss über die Höhe der entsprechenden Lebenshaltungskosten anzufügen, ist imho keine journalistische Arbeit sondern ‘irgendwas mit Medien!
    //Kritik off

    Interessant der unterschiedliche Erwerbsanteil von Polen 50% und Deutschland 20%.
    Liegt er daran, das die Unterschiede in der Sprache so viel größer sind oder das es in Polen einfach mehr Arbeitsplätze gibt oder das der größte Niedriglohnsektor Europas auch der asozialste ist?
    Fragen über Fragen.

    Gruß

    1. Die Sozialleistungen in Polen sind zeitlich begrenzt.Dazu kommt,dass schon vor Kriegsausbruch ca.2Mio Ukrainer in Polen gearbeitet haben.Es sind Netzwerke entstanden,die bei der Arbeitssuche helfen.Polen hat einen hohen Bedarf an Arbeitskräften,da in den letzten drei Jahrzehnten viele Polen gen Westen gezogen sind auf der Suche nach gut bezahlter Arbeit…da füllen die Ukrainer jetzt die Lücken…
      Warum in De so wenige Ukrainer arbeiten?Bürgergeld plus Kostenübernahme der Wohnung durch die Kommunen ermöglichen vielen den Lebensstandard,den sie auch in der Ukraine hatten…

    2. “Mit Verlaub – so etwas zu schreiben, ohne einen kurzen Abriss über die Höhe der entsprechenden Lebenshaltungskosten anzufügen, ist imho keine journalistische Arbeit sondern ‚irgendwas mit Medien!
      //Kritik off”

      Wenn irgendwer irgendwie irgendwas schreibt, lohnt in der Regel keine längere Auseinandersetzung mit dem Geschriebenen.😉
      Da sind doch Inhalte in den MSM durchaus ertragreicher, wenn man den Text zu verstehen weiß!
      “Impf8ngen gegen Dummheit”, anwendbar auf sämtliche Themen – das hat schon was. Lesen der Kolumne ist tatsächlich erkenntnisreich 😁.
      https://web.de/magazine/wissen/klima/klima-kolumne-fake-news-impfen-38797642

      1. Moin

        Es ist schön, wenn der Puls von scheintod auf lebendig durch lachen hoch geht.
        Liebe diesen trockenen britischen Humor, der dort zitiert wird.
        Danke für.

  5. Man zettelt eine Krise an, um danach im neoliberalen Modus für die Konkurrenz zu sorgen.
    Als hätte man nicht genug qualifizierte Subjekte.
    Ein desaströses Dauerspiel, auf der einen Seite labert man vom Immigration Stop, um im selben Atemzug zu äussern, man benötigt die armen geschundenen vertriebenen Leute.
    Krankheit fängt dort an, wo man hunderte Milliarden in ein Land pumpt, um danach die Menschen abzusaugen für ihren ‘nicht geführten Krieg’.
    Krank, sehr Krank sind die Apologeten…

  6. „der ausgedünnte deutsche Arbeitsmarkt profitiert“(tagesschau.de)
    Warum nicht gleich die Aktuelle Kamera zitieren?
    Im SWR1 hat CDU-Landrat Joachim Walter mal Klartext gesprochen, was eine vierköpfigen, nicht arbeitende Familien an staatlichen Leistungen erhält:
    Pro Monat 3200€-3500€. Plus dann nochmal bei staatlichen Einrichtung überall Vergünstigungen als Bürgergeldbezieher.
    https://www.youtube.com/results?search_query=+Joachim+Walter+swr1+ukraine
    Da muss ein arbeitendes Ehepaar schon einiges schuften um dann am Ende auf 3500€ netto zu kommen.
    Und dies gilt in Deutschland natürlich ebenfalls für ukrainische Flüchtlinge, welche die gleichen Leistungen erhalten und ohne Auflage eine Arbeit aufzunehmen.
    “Auch wenn bislang nur rund 20% der Ukrainer hierzulande einer Erwerbsarbeit nachgehen” – bedeutet also selbst wenn der Arbeitsmarkt von den 20% profitieren sollte, diese mit Sicherheit nicht die Sozialkassen mit der gleichen Summe auffüllen, welche die anderen 80% abkassieren.

    1. @telepolisForumsExilant
      Wenn das tatsächlich so sein sollte, was ich nicht glaube wenn ich das überschlägig betrachte, dann wäre das nicht zuviel und zeigt doch nur dass die arbeitende Bevölkerung zu wenig verdient!

      Walter ist wohl wieder mit Hetzparolen unterwegs, die allen schon bekannt sein dürften.

      Nerz setzt jetzt mit Migrantenhatz noch einen drauf. Jetzt sollen die Migranten auch noch schuld am maroden Schulsystem sein.

      Während man Miliarden für Krieg und Rüstung ausgibt hat gerade die CDU die jahrzehnte an der Regierung war das Schulsystem an den Rand des Ruins gebracht.

      Die, die angeblich gegen Hass und Hetze sein wollen sind die größten Hassprediger und Hetzer!

    2. Der Link (Im SWR1 hat CDU-Landrat Joachim Walter mal Klartext gesprochen) ist sehr aussagekräftig: in Tübingen lebt eine 4köpfige Familie auf 90m2 für knapp 1000€ + Heizkosten!
      Das ist dann offenbar der von Ihnen an- und unreflektiert übernommene deutschlandweite Standart☝️.
      Auf diese Weise kann man selbstverständlich mit Theorien hausieren gehen, auch weiterhin Stimmung machen, Behauptungen übernehmen und verunglimpfen.
      Zusätzlich natürlich “Plus dann nochmal bei staatlichen Einrichtung überall Vergünstigungen als Bürgergeldbezieher.”, was Sie auch immer darunter verstehen mögen.
      Au weia – leiden Sie unter einem restless leg oder treten Sie prinzipiell und aus Überzeugung nur gern nach unten?!🧐

  7. Na ja, ich komme bei 2 Erwachsenen und 2 Kindern unter 14 auf 1619 Bürgergeld, 713 Euro Unterkunftskosten (Berlin) und Heizkosten nach Verbrauch unter der Voraussetzung von wirtschaftlichem Verhalten. Die Wohnungs-Erstausstattung stammt i. d. R. aus Gebrauchtwaren-Zentren. Sehr wenig ist das nicht, aber übermässig viel?

    Wichtiger ist natürlich, dass nach den Erwartungen von Wirtschaft und Politik die Erwerbsquote der ukrainischen Einwanderer steigt, evtl. auch über die Erwerbsquote der ansässigen deutschen Bevölkerung, denn der Anteil der Alten unter den ukrainischen Zuwanderern ist gering. Sprachkurse und sonstige Integrationsangebote sollen nicht zuletzt dazu dienen, die Ukrainer an Deutschland als Aufnahmeland zu binden.

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