Gestern NSU – und heute immer noch NSU

2. NSU-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags am 8. Dezember 2023. Bild: Bayerischer Landtag

Der Untersuchungsausschuss No. 2 in Bayern scheint wie aus der Zeit gefallen, dabei stößt er permanent auf bislang unbekannte Dinge der ungeklärten Mordserie. – Vor genau 25 Jahren begann die Geschichte des Trios Böhnhardt-Mundlos-Zschäpe

 

Er scheint wie aus der Zeit gefallen, der zweite NSU-Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags, der seit dem Sommer 2022 tagt. Das ist vier Jahre nach Ende des Strafprozesses gegen Beate Zschäpe und die vier anderen Angeklagten und sogar neun Jahre nach dem ersten Durchgang, dem Untersuchungsausschuss Nummer 1. In Bayern wurden fünf der insgesamt zehn Morde verübt, die dem NSU zugeschrieben werden, allein in Nürnberg drei sowie möglicherweise ein Sprengstoffanschlag. Warum in Bayern die Hälfte der Mordtaten, wo doch das angebliche Täter-Trio aus Thüringen kam und in Sachsen lebte, warum überhaupt neun Morde im Westen und nur einer im Osten, dafür gibt es bisher keine Erklärung.

Gerade mal ein Jahr Zeit hat der aktuelle U-Ausschuss, doch obwohl die Hälfte bereits vorbei ist, konnte er sich noch mit keinem einzigen der fünf Morde befassen. Das liegt vor allem daran, dass die dafür erforderlichen Akten von den Behörden und Ministerien bislang nicht geliefert wurden.

Noch ehe der Ausschuss mit seiner Arbeit begonnen hatte, waren im Landeskriminalamt Daten in großem Stil gelöscht worden – „versehentlich“, wie es bei solchen Vorgängen pflichtschuldig immer heißt. Das mag man so lange glauben, bis sich das „Versehen“ ein ums andere Mal wiederholt. Nicht nur digitale Akten wurden gelöscht, auch Papierakten wurden vernichtet. Das sind langwierigere Vorgänge und zeugt von bewussten Handlungen.

Auffällig ist, dass darunter wiederholt Akten einer zentralen Figur waren: Kai Dalek, Führungskader in der rechtsextremen Szene und zugleich führender V-Mann des Verfassungsschutzes. Möglicherweise stand Dalek mit den Behörden sogar in einer festen dienstlichen Beziehung. Seine Rolle ist bisher nicht aufgeklärt. Dazu gehört auch die Frage, warum die Dienste den Einflussagenten Dalek Ende der 1990er Jahre offensichtlich aus seinem Einsatzgebiet abzogen. Hing das mit dem Untertauchen des Trios Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe zusammen? Oder etwa mit der Rolle von Tino Brandt, der genauso gestrickt war wie Dalek: Führungsmann im nationalistischen Thüringer Heimatschutz und von Anfang an V-Mann des Verfassungsschutzes?

Jedenfalls zeigt sich am Umgang der Behörden mit dem derzeitigen Untersuchungsausschuss, dass dieser ganz offensichtlich eben nicht aus der Zeit gefallen ist, sondern dass im Gegenteil die Auseinandersetzung um den NSU-Hintergrund bis ins Jahr 2023 reicht. Viele Details und Puzzlestücke der NSU-Geschichte kann man nach mehr als zehn Jahren Befassung aus etwas anderem Blickwinkel betrachten – und stellt dabei fest, dass so manche Spur nicht hin, sondern weg vom Trio Böhnhardt-Mundlos-Zschäpe führt.

Die „Garagenliste“ und die V-Männer

In der letzte Sitzung des Jahres 2022 erschien als Zeuge in München ein gewisser Dieter Jens Häfer aus Gera, 59 Jahre alt. Als das Trio seine ersten Schritte in der Szene machte, Anfang der 1990er Jahre, zählte er bereits zu den älteren Jahrgängen. Er war Sänger der rechtsextremen Band „Legion Ost“. Sein Name steht auf einem der wichtigsten Dokumente der NSU-Geschichte: der sogenannten „Garagenliste“ von Uwe Mundlos. Sie heißt so, weil sie am 26. Januar 1998 bei einer Razzia der Polizei in der Garage von Beate Zschäpe in Jena gefunden wurde, vor genau 25 Jahren also.

Das Trio floh unter der Mithilfe mehrerer Kameraden am selben Tag von Jena nach Chemnitz, daran war mindestens ein Spitzel des Verfassungsschutzes beteiligt. Die Sicherheitsbehörden waren also im Bilde.

Die Garage gehörte obendrein einem Polizeibeamten aus Jena, bei dem Zschäpe sie angemietet hatte. Die „Garagenliste“ von Mundlos ist eine Liste von 50 bis 60 Namen plus Telefonnummern sowie der Stadt und manchmal auch der genauen Adresse der aufgelisteten Personen. Allesamt Aktivisten der Neonazi-Szene vor allem aus Ostdeutschland, einige aber auch aus Westdeutschland. Und darunter wiederum mindestens drei einflussreiche V-Männer von Sicherheitsbehörden: Tino Brandt (V-Mann des LfV Thüringen), Kai Dalek (LfV Bayern) und Thomas Richter (Bundesamt für Verfassungsschutz). Ein vierter, Thomas Starke aus Sachsen, wurde zwei Jahre später V-Mann des LKA Berlin. Dieter Jens Häfer hat sich selber handschriftlich in die Spalten auf dem Blatt Papier eingetragen. Er muss also ein persönliches Verhältnis zu dessen Besitzer gehabt haben.

Die Liste, das ist Teil ihres Mysteriums, wurde erst viele Jahre später nach dem Auffliegen des NSU und nach Beginn der parlamentarischen Aufklärung bekannt. Die Ermittler, sprich BKA und LKA Thüringen, haben sie für ihre Ermittlungen nicht benutzt, sondern im Gegenteil regelrecht versteckt. Die Personen auf der Liste wurden nicht aufgesucht und vernommen. Der damals, 1998, verantwortliche BKA-Mann schrieb auf das Dokument den Satz: „Diese Namen sind nach den bisherigen Ermittlungen ohne Bedeutung“.

2012/2013 erfuhr der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags von dem Dokument und wollte unter anderem wissen, warum die Namen „ohne Bedeutung“ gewesen seien. Nun machte das BKA einen Fehler. Es erklärte nämlich, der Vermerk „ohne Bedeutung“ beziehe sich lediglich auf die Rückseite des Blattes. Eine zweite Seite – also die Rückseite – hatten die Abgeordneten aber nicht vorliegen. Sie hatten nur eine Seite bekommen. Auf dieser – vorenthaltenen – Rückseite steht auch der Name „Häfer“. Die musste nun nachgeliefert werden.

Das BKA wusste damals bereits, wie sich bei der Befragung herausstellte, dass mit Kai Dalek ein V-Mann des Verfassungsschutzes auf der Liste steht. Der Bundestagsausschuss förderte in der Folge noch mehr Fragwürdiges zu Tage. Allem Anschein nach war die Namensliste von Mundlos auch innerhalb des LKA Thüringen verborgen worden. Die Abteilung für Zielfahndung wusste nie davon. Einer der damaligen Zielfahnder erfuhr erst im Januar 2013 von der Liste, als er sich auf seine Zeugenvernehmung im Bundestag vorbereitete. Weder 2001, als er die Akten an seinen Nachfolger übergab, noch 2011, als nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos Akten durchgearbeitet wurden, war die Liste dabei.

Der Zeuge Dieter Häfer ist nicht nur von Interesse, weil sein Name auf dieser Liste steht. Obendrein logierte er in Nürnberg in einem möblierten Zimmer einer Wohnung eine Hausnummer neben jener Kneipe, in der es im Juni 1999 zu einem Anschlag mit einer Sprengfalle kam und der Kneipenbetreiber erheblich verletzt wurde.

Kann das wirklich Zufall sein, wie das BKA meint? Selbst wenn man berücksichtigt, dass Häfer erst Monate nach dem Anschlag im Nachbarhaus Quartier bezog, weil er auf Montage in Nürnberg war. Vielleicht war das Zimmer in der Szene bekannt und entsprechend auch die Kneipe nebenan?

Der Jenaer Neonazi Carsten Schultze will aus dem Munde von Böhnhardt und Mundlos von dem Nürnberger Anschlag erfahren haben, wie er im Münchner Prozess schilderte. Doch ob die beiden Uwes damit zu tun hatten, ist ungewiss. Nahezu ausgeschlossen ist, dass sie selber den Sprengsatz platziert hatten. Wodurch wussten sie davon? Standen sie in Kontakt mit dem oder den Tätern? Oder berichteten sie Schultze gegenüber etwa von einem anderen Anschlag, der komplett gescheitert ist und deshalb nicht Polizei bekannt wurde?

Lücken in der offiziellen Version vom Terrortrio

Sachverhalte, die weg vom isolierten Böhnhardt-Mundlos-Zschäpe-Trio führen und auf eine größere NSU-Gruppierung hindeuten, betreffen auch die Verschickung der NSU-Propaganda-DVD (Stichwort: „Paulchen Panther“) nach dem Tod der beiden Männer am 4. November 2011 in Eisenach. Ein Kuvert mit der Scheibe wurde bei den Nürnberger Nachrichten eingeworfen, was nicht durch die überlebende Zschäpe geschehen sein kann. Ein anderes Kuvert kam Ende November 2011 beim NS-Devotionalien-Versand namens Patria an, als Zschäpe längst in Untersuchungshaft saß.

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, per Gesetz nationale Chefermittlerin, inszeniert sich in Sachen NSU als konsequente und fehlerlose Aufklärerin. Doch wenn man nachhakt, muss sie eingestehen, dass auch sie vieles nicht beantworten kann und vieles nicht mit ihrer exklusiven Trio-Theorie zusammenpasst. Dennoch hat die Behörde im Herbst 2022, während also der bayerische U-Ausschuss, immerhin ein hoheitliches Organ des Staates, lief, Verfahren gegen fünf Verdächtige eingestellt. Das kann man auch als eine Machtdemonstration interpretieren: Während sich das Parlament abmüht und Zeugen ausfindig macht, klappt die oberste Anklagebehörde der BRD, obwohl sie viele Fragen zum NSU-Komplex nicht beantworten kann, die Akten trotzdem zu.

Dabei erfährt selbst ihre Version vom Terrortrio und den zwei allein handelnden Männern inzwischen eine offizielle Veränderung. Keine geringere Behörde als das Bundeskriminalamt vertritt mittlerweile die Ansicht, dass Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 in ihrem Wohnmobil in Eisenach nicht etwa gemeinsamen Selbstmord begangen haben, in dem Mundlos zuerst Böhnhardt erschoss und dann sich selbst. Inzwischen lautet die amtliche Version des BKA so: Mundlos habe Böhnhardt aus Versehen erschossen und daraufhin sich selbst. Das hieße nicht nur, dass Böhnhardt gegen seinen Willen getötet wurde, sondern lässt auch den angeblichen Selbstmord von Mundlos in einem Zwielicht erscheinen. Tatsächlich ist durch diese BKA-Version attestiert, dass nicht geklärt ist, was an jenem Tag in dem Fahrzeug genau geschah. Streng genommen können BKA und BAW auch einen Mord an Böhnhardt und Mundlos nicht ausschließen. Spätestens dann stimmt vom NSU-Narrativ nichts mehr.

Der derzeitige bayerische NSU-Untersuchungsausschuss ist nicht aus der Zeit gefallen, vielmehr holt er die Vergangenheit in die Gegenwart und den NSU-Skandal in die Jetzt-Zeit.

Dazu zählte auch der Zeuge Dieter Häfer, der im Dezember vor dem Gremium erschien. Doch auch nach einem Vierteljahrhundert kann er sich nicht entspannt auf den Zeugenstuhl setzen und die Fragen an ihn gleichmütig beantworten. Er war Teil der rechtsextremen, auch bundesweiten Vernetzung jener Jahre. Das kann man ihm nachweisen. Dennoch streitet er zunächst regelmäßig ab, etwa zu wissen oder jemanden zu kennen oder Kontakte zum Beispiel nach Nürnberg gehabt zu haben. Er bestreitet zunächst auch, sich in die Namensliste von Mundlos eingetragen zu haben. Die Vergangenheit scheint ihn nervös zu machen. Er sagt Sätze wie: „Es ist obskur, warum ich überhaupt hier sitze. Mir gefällt die ganze Geschichte hier nicht.“

Man gewinnt den Eindruck, die Brisanz der Causa „NSU“ bzw. der Morde könnte auch ihn treffen. Es hört sich ein bisschen an, als wisse er, dass die „Gefahr“ auch mit dem Tod der zwei Uwes und der Einsperrung von Zschäpe nicht vorbei sei.

Der Ausschuss setzt seine Zeugenbefragungen am 26. Januar 2023 fort, auf den Tag genau 25 Jahre nach dem behördlich begleiteten Untertauchen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe.

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8 Kommentare

  1. Es gibt viele tote Zeugen. Einerseits auf der vermeintlich NSU-nahen Seite; andererseits auf der Seite des Staates. Oder gibt es da Schnittmengen?

  2. Wahrscheinlich Celler Loch 2.0, nur besser durch Justiz und „Ermittlungsorgane“ abgesichert.
    Die Machtverhältnisse haben sich zwischen Legislative und Exekutive deutlich verschoben und erfahren jetzt allgemein weitere Veränderungen.
    Was interessieren noch gewählte Instanzen? Schäuble sprach als langjähriger Strippenzieher vor kurzem dazu Klartext. Machte er schon unter Seinesgleichen (Burschenschaften auf der Wartburg) vor Jahren deutlich.
    Die Demokratur ist im Vormarsch, „Demokratie“ war gestern .

  3. Sitzt Zschäpe wirklich? Wo? Hat sie nicht ein Kind? Was ist damit?
    An der Trio-Theorie stimmt nichts. Eine einzige miese Coverstory ohne jeden inneren Zusammenhalt und Konsistenz. Eine murxmäßige Geheimdienst-Bastelei miesester Sorte. Von billigsten Hobbykriminalisten zusammengebraut. Und Zschäpe weiß das natürlich am besten. Warum schweigt sie? Was hat sie davon bzw. was bekommt sie dafür?
    Aufgeklärt ist da gar nichts. Weil kein Aufklärungswille da ist. Natürlich nicht. Weil die „Aufklärer“ systemisch verstrickt sind. Ganz einfach.

    1. Erinnert mich an die RAF-Storry und Bad Kleinen. Den Krams hat man offenbar unnötigerweise hingerichtet und die Hogenfeld aus dem Verkehr gezogen, ohne dass man je wieder was von ihr gehört hätte. Sie werden (also nicht die Beiden;-) wissen, warum.

  4. BZ wohnt angeblich 4km von mir entfernt in der JVA Chemnitz und puzzelt mit minderjährigen Gewalttäterinnen :

    https://www.freiepresse.de/chemnitz/puzzeln-mit-beate-zschaepe-warum-eine-junge-kleinkriminelle-mit-einer-terroristin-im-chemnitzer-frauengefaengnis-sass-artikel12646916
    Da ich der Reporterin eine gewisse Einfalt bescheinigen würde, stimmt das wohl im grossen und ganzen.
    Die ganze NSU-Geschichte ist so hanebüchen, dass ich mich in meiner bescheidenen Intelligenz beleidigt fühlen würde, wenn ich sie glauben täte.
    BZ hat mglw. nur gerettet, dass sie eine Frau ist (und die entsprechenden Skrupel der Ausführenden).

    Danke an Herrn Moser, dass er nun auch hier ab-und-zu dieses absurde NSU-Theater mal wieder thematisiert. Aber mir fehlt die für jeden offensichtliche Konsequenz….

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