Existenzielle Bedrohung Israels

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am 21.4.: “The State of Israel is strong and the IDF is strong – both defensively and offensively. Our enemies cannot overcome us – we will overcome them.” Screenshot von PMO-YouTube-Video

Benjamin Netanjahu spricht von einer existenziellen Bedrohung Israels. Hat er eigentlich selbst begriffen, um welche es dabei geht?

 

Im Forum der Abteilungsleiter des Mossad gab Benjamin Netanjahu vor einigen Tagen folgende Sätze von sich: “Nationen zerfallen zunächst von innen und nicht durch äußeren Druck. Die innere Spaltung muss jetzt verschwinden, weil wir einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt sind, und bei einer existenziellen Bedrohung werden Kräfte vereinigt und nicht gespaltet. Das ist das Allerwichtigste.”

Man traut seinen Augen nicht – wie perfide kann man sein? Netanjahu, der größte Hetzer im Innern, den die israelische Parlamentsgeschichte je gekannt hat, er, der keine Gelegenheit ausgelassen hat, sich als populistischer Aufwiegler aufzuführen, dem keine noch so schmutzige Verleumdung zu billig war, um Gegner niederzumachen, er, der sich seit Jahren als demagogisch ungezähmter Scharfmacher profiliert und mit Hilfe einer Schar von primitiven Hasspredigern zur inneren Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft beigetragen hat wie kein anderer – er redet von der Gefahr der Spaltung? Er mahnt zur Einigkeit? Er, der selbst während des Krieges das Militär und die Geheimdienste kritisch anging, um die Schuld am 7. Oktober von sich abzuwälzen, fordert plötzlich die Konsolidierung “der Kräfte”?

Als Argument dafür führt er an, dass man sich nun einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt sehe. Gesetzt der Fall, dass das überhaupt stimmt – wer ist der Verantwortliche für diese Notlage, in die das von ihm regierte Land geraten ist, wenn nicht er selbst? Wenn er mit der existenziellen Bedrohung den massiven Angriff Irans auf Israel in der Nacht des 14. April meint, hat er diesen durch das israelische Attentat auf den iranischen Brigadegeneral Mohammad Reza Zahedi am 1. April, das seitens des Iran als Provokation gewertet werden musste, doch selbst verschuldet.

Wenn er nun die mögliche Reaktion Irans nicht im Voraus mitbedacht hat, dann hat er sich als Regierungschef wieder einmal (wie schon am 7. Oktober) als unfähig erwiesen, die mit seinen Entscheidungen einhergehenden Risiken verantwortungsvoll zu bdenken. Wenn er aber Irans Reaktion in Kauf genommen hat, dann ist es umso schlimmer um seine Entscheidungsfähigkeit bestellt: Man bedenke nur, welche Katastrophe Israel hätte widerfahren können, wenn Israels Verbündeten (allen voran die USA, England und Frankreich) dem zionistischen Staat am 14. April nicht beigestanden hätten und auch nur ein Viertel der Drohnen und Langstreckenraketen aus dem Iran in empfindlichen israelischen Orten gelandet wäre.

Stimmt es aber überhaupt, dass “wir einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt sind”, wie von Netanjahu bei der Mossad-Sitzung postuliert? Insofern Israels Existenz bedroht ist, rührt das nicht von einem abstrakten Diskurs über eine wie immer geartete Wesensbestimmung des “jüdischen Volkes” oder die normative Beurteilung des “historischen zionistischen Weges” her, sondern einzig von realen, also konkreten inneren wie äußeren Bedrohungen. Israels reale Existenz ist aber unbestritten. Sie abstrakt wegreden, mithin eliminieren zu wollen, ist ebenso widersinnig, wie sie abstrakt als “Zufluchtsstätte des jüdischen Volkes” oder als “einzige Möglichkeit genuinen jüdischen Lebens” zu fetischisieren.

Was also könnte diese Existenz real bedrohen? Zunächst und vor allem natürlich Kriegshandlungen größeren Ausmaßes. Nicht zuletzt wegen der wüsten rhetorischen Auslassungen seines Präsidenten wird diesbezüglich in den letzten Jahren primär ein potentiell nuklear bewaffneter Iran zur Sprache gebracht. Ein solcher muss in der Tat als strategische Bedrohung Israels angesehen werden, zumal davon auszugehen ist, dass trotz aller (westlicher) Bemühungen, dies zu unterbinden, große Teile des Nahen Ostens früher oder später nuklearisiert werden dürften. Da nun aber nukleare Waffen nicht beliebig einsetzbar sind, wird seit dem Kalten Krieges ihre extreme Bedrohlichkeit durch ein ihr innewohnendes “Sicherheitsventil” gleichsam entsichert: das sogenannte Gleichgewicht des Schreckens.

Tatsächlich ist davon auszugehen, dass alle beteiligten Staaten in der Region über das bestausgeplauderte Geheimnis längst unterrichtet sind, namentlich, dass kein Feindesland Israels Existenz (nuklear oder sonstwie) bedrohen kann, ohne in Kauf zu nehmen, damit seine eigene aufs Spiel gesetzt zu haben. Kleine, konventionell geführte Regionalkriege sind denkbar, auch eine ausladende Guerilla- und Terroraktivität, mithin Raketenbeschuss von israelischen Grenzorten im Norden und Süden des Landes. Wer aber von einem Nuklearkrieg spricht, redet in ganz anderen Kategorien, solchen nämlich, die – konsequent durchdacht – ein Szenario mitbedenken müssten, bei dem große Teile des gesamten Nahen Ostens in Schutt und Asche gelegt werden würden.

Man kann eine solche apokalyptische Vision ausbuchstabieren und videospielartig pervers-genussvoll ausmalen. Gewiss. Wer aber – zu recht! – davon ausgeht, dass Israel an einer solchen Entwicklung nicht interessiert ist, kann nicht zugleich postulieren, irgendein anderer Staat strebe sie an. Die Angst vor einer lebens- und existenzbedrohenden Katastrophe ist kein jüdisch-israelisches Monopol – auch kein ideologisches Privileg.

Aber es gibt eine andere, wesentlich größere Bedrohung der Existenz Israels. Netanjahu selbst behauptet ja: “Nationen zerfallen zunächst von innen und nicht durch äußeren Druck.” Nun, der Leitartikel der Ha’aretz am Vorabend des diesjährigen Pessachfestes, an dessen rituellen Mahl der zehn biblischen Plagen gedacht wird, trägt den Titel “Die zehn Plagen Netanjahu”. Welche sind es?

Der Artikel listet sie eine nach der anderen auf: Der Personenkult, der auf Herrschafts- und Machterhalt um jeden Preis aus ist; die Zerstörung der Demokratie, um dieses Ziel des Personenkults zu verwirklichen; die Spaltung und die Hetze, von denen bereits oben die Rede war; die Legitimierung des Kahanismus, nicht zuletzt um seinen Herrschaftserhalt durch rassistisch-faschistischen Bündnispartner zu garantieren; die Verewigung des Konflikts mit den Palästinensern, die nicht zuletzt eine Kollaboration mit der Hamas gezeitigt hat; die zunehmende Annexion palästinensischen Landes, mithin um die Errichtung eines palästinensischen Staates zu verhindern; die innere Diskreminierung der israelischen Araber, die von Netanjahu als ein Kollektiv von “Terroranhängern” apostrophiert werden; die Zerstörung der Ökonomie durch skandalöse Budegetierung des religiös-orthodoxen Parteien, die ihm den Erhalt der Regierungskoalition garantieren; die Provokation der USA, obwohl Israel Abhängigkeit von ihnen ständig wächst; Tod der Erstgeborenen, der sich auf die letzte Plage in der biblischen Pessachgeschichte bezieht, und im Leitartikel mit den Worten angezeigt wird:

“All diese Plagen sind minder bedeutend im Vergleich zur Katastrophe des 7. Oktober, für die Netanjahu infolge der Schwächung des Staates und des Militärs verantwortlich ist. Eine Katastrophe ist es, die sich mit einem fehlgeschlagenen, grausamen Krieg in Gaza, in dem zigtausende Palästinenser und Hunderte von Soldaten getötet worden sind, fortsetzt; mit einer nutzlosen Konfrontation im Norden und einer weiteren eröffneten Front mit dem Iran; vor allem aber mit dem Hilfeschrei der israelischen Entführten, die in den Tunnels der Hamas um ihr Leben kämpfen, während ihre Freiheit dem Premierminister gleichgültig ist.”

In der gleichen Ausgabe der Haaretz schreibt der linkszionistische Publizist Uri Misgav, dass der zionistische Staat, der auf den Negev, auf Galiläa und die Enführten verzichtet, seine Raison d’être verloren habe. Das sei das Ende der zionistischen Vision und ihrer konstitutiven Werte. Dies nun aus dem Munde eines bekennenden Zionisten. Die eigentliche existenzielle Bedrohung Israels geht also (dieser Logik zufolge) nicht von äußeren Gefahren, sondern von innerem Zerfall aus. Darin hat Netanjahu recht. Er weiß nur noch nicht, daß er der Hauptschuldige an diesem Zerfall ist, und hat bis heute noch nicht die Verantwortung dafür übernommen – nicht einemal als temporäres Lippenbekenntnis. Wozu denn auch? Man kann seinen Worten ohnehin nicht trauen.

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15 Kommentare

  1. Wir haben überall nur noch morbide, paranoide und psychopathische Persönlichkeiten an der Macht, die dauernd über Sicherheit und Souveränität schwadronieren und dabei nur noch mehr Angst und Schrecken in der Bevölkerung verbreiten. Sie können nur noch Hysterie und Gewaltexzesse. Elitäres Totalversagen im gesamten Westen. Man sollte diese Halunken alle mit Mistgabeln zum Teufel jagen!

    1. “Der Personenkult, der auf Herrschafts- und Machterhalt um jeden Preis aus ist”

      Unser neuer “Held” heißt Pistorius und der wird auch von Wallace als Scholz Nachfolger ersehnt, Personenkult inbegriffen.

      Ohne Führer kommen die Leute wohl nicht klar, obwohl es auch ohne ginge.

      1. Ich würde keinen dieser Hetz Parteien wählen.Immer nur anderen Parteien am eigenen Versagen die Schuld zu geben ist leicht.DieAfd
        hat noch nicht einmal Regiert bei ihnen wird immer die Schuld am Versagen der anderen Parteien vorgeworfen.In einer echten Demokratie die ich übrigens immer noch nicht gefunden habe darf es so etwas nicht geben.Und darum Wähle ichdiese Hetzer nicht.

  2. Erleben wir so etwas nicht auch zeitnah in Deutschland bezüglich Russland und Ukraine?

    Es sind doch überall die verbrecherischen Kriegstreiber, egal ob in Israel, Deutschland oder sonstwo auf der Welt, die ihre Bevölkerungen ins Elend stürzen, sorry, natürlich nicht nur ihre eigenen.

    Zitat:
    “Im Forum der Abteilungsleiter des Mossad gab Benjamin Netanjahu vor einigen Tagen folgende Sätze von sich: “Nationen zerfallen zunächst von innen und nicht durch äußeren Druck. Die innere Spaltung muss jetzt verschwinden, weil wir einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt sind, und bei einer existenziellen Bedrohung werden Kräfte vereinigt und nicht gespaltet. Das ist das Allerwichtigste.”

    “Man traut seinen Augen nicht – wie perfide kann man sein? Netanjahu, der größte Hetzer im Innern, den die israelische Parlamentsgeschichte je gekannt hat, er, der keine Gelegenheit ausgelassen hat, sich als populistischer Aufwiegler aufzuführen, dem keine noch so schmutzige Verleumdung zu billig war, um Gegner niederzumachen, er, der sich seit Jahren als demagogisch ungezähmter Scharfmacher profiliert und mit Hilfe einer Schar von primitiven Hasspredigern zur inneren Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft beigetragen hat wie kein anderer – er redet von der Gefahr der Spaltung? Er mahnt zur Einigkeit? Er, der selbst während des Krieges das Militär und die Geheimdienste kritisch anging, um die Schuld am 7. Oktober von sich abzuwälzen, fordert plötzlich die Konsolidierung “der Kräfte”?”

      1. Man hat diese Macht in fremde Hände gegeben. Klar haben da einige mit beiden Händen zugelangt. Nun können sie nie genug bekommen.

  3. Sicher,Netanyahu ist ein Verbrecher.Das war sein Vater,der Privatsekretärtwortlt eine Herrn Jabotinsky, auch.Diese Herschaften haben die zionistische Bewegung eines Th.Herzl ,die mit etwas gutem Willen als nachholender Nationalismus bezeichnet werden kann,gekapert. Und aus dem jüdischen „Nationalismus“ eine primär rassistisch und faschistische Ideologie gemacht.
    Das Problem im Nahen Osten/Westasien ist nicht die Person Netanyahu oder der Staat Israel.
    Das Problem ist die rassistisch/faschistoide Ideologie des Zionismus.Eine Ideologie,die über Stellvertreter/Proxies für all die Kriege im Westasien der letzten Jahrzehnte verantwortlich ist.
    Und die ,um ihre Ziele zu erreichen,Israel erst zum „Panzerkreuzer“ des britischen und dann zum
    „unsinkbaren Flugzeugträger“ des amerikanisch/transatlantischen Imperiums gemacht haben.
    Und jetzt zerfällt das transatlantische Imperium und die Vasallen können nur mit Krieg und Vernichtung reagieren….

  4. Etwas blauäugig. Alles auf Netanjahu abzuladen, scheint mir zu kurz gesprungen. Das “unveräußerliche Existenzrecht des Staates Israel”? Um so ein Existenzrecht in Anspruch zu nehmen, wäre zuerst zu klären, wo die Staatsgrenze dieses Israel verläuft. Solange sich Israel vorbehält, seine Grenzen nach Gutdünken zu interpretieren, solange ist Netanjahu nur der Bote einer mörderischen Staatspolitik, die andere begründet haben. So sieht der Artikel von Zuckermann aus wie “Rettet die zionistische Idee – opfert die Gallionsfigur des Zionismus”. Bismarck konzentrierte das in der Frage, was muss sich alles ändern, damit alles so bleiben kann.

    1. Hat eigentlich nur der Staat Israel ein Existenzrecht, oder trifft das auch auf andere Staaten zu, sofern sie als solche anerkannt werden? Dann wäre das nämlich erstmal gar nichts besonderes, vor allem für Geschichtsvergessene.

      1. Die Anerkennung hat nichts zu bedeuten. Was wäre das für eine Welt, wo Menschenrechte davon abhingen, ob Andere ein Land anerkennen. Nur eben kann keiner mit Bestimmtheit sagen, was unter Staat Israel zu verstehen sei. Weil zu einer territorialen Zuordnung eben die Grenzen gehören.

  5. Man sagt ja das Hiters Großvater ein Rothschild war. Andere meinen das stimmt nicht. Gut darüber kann man streiten. Aber heute weiß man mit Sicherheit, dass es auch einen jüdischen Führer gibt. Und selbstverständlich ist das wieder ein Zionist, denn normale Juden sind gute Menschen und keine kindermordenden Monster.

    1. Es gibt immer einen Führer und davon viele. Beliebig austauschbar, Personen ohne jegliche Relevanz. Sie sollen nur den Mechanismus vertreten, damit bei uns morgens der Weckruf zur Arbeit erklingen kann.

  6. Fällt der grosse Geldspender und Waffenlieferant aus, dann hat Israel auch ein Problem.

    Mag jetzt ein wenig OT sein, aber die SMO in der Ukraine hat klare Ziele verankert :
    Entmilitarisierung und Entnazifizierung
    Beide Elemente sind nicht nur in der Ukraine vorzufinden!

  7. Wie jeder von sich überzeugte Überzeugungstäter nutzt auch Netanjahu Propaganda um jeden Preis aus. Fast wäre er gestürzt, da kam der 7. Oktober. Zufälle gibt es! Und dann spielen die Kräfte in Israel mit dem Feuer. Leute, Leute. Wer da die Gegenreaktion nicht bedenkt, hat in der Ebene der Politik nichts zu suchen. Und die Hintermänner, die eigentlichen Verbrecher, müsden weg!

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