Europäisierung der französischen Atomstreitmacht?

Die Triomphant-Klasse strategischer Atom-U-Boote stellt den maritimen Teil der französischen Nuklearstreitkräfte dar Bild: CC BY-2.0

Die Debatte über die Verteidigung des europäischen Raums erreicht derzeit ihren Höhepunkt. Dies ist natürlich eine Folge der russischen Invasion in der Ukraine, aber auch der alarmistischen Äußerungen einiger europäischer Politiker.

Zwar ist die Gefahr einer direkten Intervention Russlands in Europa nicht auszuschließen, aber nicht mehr im Rahmen dessen, was zu den Glanzzeiten des Warschauer Pakts geschah. Moskau hat keine Ideologie (den Marxismus-Leninismus) mehr zu exportieren, um die Welt der “petits matins qui chantent ” zu schaffen, sondern nur noch seine eigenen Interessen zu verteidigen.

Die – nach dem Völkerrecht illegale, daran sei erinnert – Annexion der Krim erfolgte nicht wegen ihrer bei Moskauer Touristen beliebten Strände, sondern wegen Sewastopol, dem wichtigen Marinestützpunkt, der Moskau eine Zugangsmöglichkeit zu den “warmen Meeren” verschaffte, eine alte russische Fantasie – wie die der “Einkreisung”.

Zwei Regionen bereiten Moskau derzeit Probleme: Kaliningrad, das von Polen und Litauen umschlossen ist, und Transnistrien, dessen Bevölkerung mehrheitlich russischsprachig ist und das an Moldawien grenzt – und nach dem Völkerrecht zu Moldawien gehört.

Die baltischen Staaten und Polen schlagen ständig Alarm, weil ihre Geschichte sie das Schlimmste befürchten lässt. Man kann sie nur zu gut verstehen. Die schwedische und die finnische Position sind weniger eindeutig.

In dieser vergifteten Atmosphäre werden Stimmen laut, die fordern, dass die französische force de frappe (Atomstreitmacht) in der einen oder anderen Weise den befreundeten europäischen Ländern zugute kommen sollte, und behaupten, dass dies zur Abschreckung beitragen würde, die bereits durch den amerikanischen Schutzschild im Rahmen der NATO repräsentiert wird. Dies führt zu einigen Rückbesinnungen auf die “Grundlagen”.

Bild:  Statista/CC BY-ND 3.0

Sicherlich sind die USA seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, um es vor einer von Moskau ausgehenden Aggression zu schützen. Aber wer kann sich auch nur einen Moment lang vorstellen, dass ein Resident des Weißen Hauses beschließen würde, in Europa ein – wenn auch begrenztes – nukleares Feuer zu entfachen, auf die Gefahr hin, dass im Gegenzug Schläge auf amerikanisches Territorium erfolgen würden? Selbst zu Zeiten des Kalten Krieges hat kein ernsthafter europäischer Politiker wirklich daran geglaubt.

Außer im Falle einer Apokalypse hätte Washington europäischen NATO-Flugzeugen niemals erlaubt, Atombomben abzuwerfen (der Auslösecode liegt – wie bei den britischen Waffen – im Pentagon). Es ist wahrscheinlich, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird. Die amerikanischen B-61-Bomben sind so konstruiert, dass sie nicht eingesetzt werden.

Das war übrigens auch der Grund dafür, dass Frankreich schon lange vor dem Amtsantritt von General de Gaulle 1958 Atomwaffen anschaffte, auch wenn dieser den entscheidenden Anstoß gab. Dies erschwerte die Berechnungen der Strategen der Roten Armee. Sie hatten es nicht mehr mit einem einzigen Entscheidungszentrum zu tun (Washington, da London weisungsgebunden war), sondern mit zweien, nämlich mit Paris.

Damals wie heute ist die sechseckige Abschreckungskraft dazu da, die Interessen der französischen Bürger zu verteidigen. Zur Erinnerung: Diese sind ein wenig die Geiseln dieser Erpressung (man sagt ihnen nicht alles): “Wir sind bereit zu verschwinden, aber die Kosten werden für einen möglichen Aggressor (Moskau) zu hoch sein.”

Diese Strategie war übrigens in Frankreich stark umstritten, wo der Slogan “eher rot als tot” ein gewisses Echo in der intellektuellen Klasse fand, die man zunehmend als vom KGB infiltriert entdeckte. Es ist übrigens seltsam, dass jahrzehntelang kein einziger hochrangiger Spion von der französischen Spionageabwehr aufgespürt wurde, während es heute investigativen Journalisten gelingt, dies zu tun …

Die Frage nach den “grundlegenden Interessen” Frankreichs wurde immer absichtlich unklar gehalten, damit der potenzielle Gegner keine “rote Linie” hat, bis zu der er gehen kann. Als Anekdote: Paris dachte bereits in den 1960er Jahren an die chinesische Bedrohung …

Schließlich darf man sich nicht täuschen lassen. Selbst wenn ein Abschreckungssystem eingeführt würde, wäre es wie das der NATO: mit “doppeltem Schlüssel”. Das heißt, dass kein Schlag ohne die Zustimmung des Élysée-Palastes erlaubt wäre, damit Vilnius – oder eine andere Hauptstadt, die sich bedroht fühlt – uns nicht ins Unwiederherstellbare treibt.

Ein weniger wichtiger, aber zu untersuchender Aspekt ist die Frage, welche Waffen der europäischen Verteidigung gewidmet werden könnten und welche Trägersysteme sie tragen würden. Das französische System, das bereits als sehr teuer bezeichnet wird, müsste komplett überarbeitet werden…

Die verantwortlichen  Politiker vermeiden es, diese grundlegende Frage, bei der das Leben und der Tod aller Franzosen auf dem Tisch liegt, in den Vordergrund zu stellen. Einige stellen sich vor, dass die Verteidigung der grundlegenden Interessen des Vaterlandes an den Grenzen Russlands beginnt. Kurz gesagt: Sind die Franzosen bereit, sich für die Europäer zu opfern?

Der Artikel ist im französischen Original zuerst auf der Website des Centre Français de Recherche sur le Renseignement (CF2R) erschienen.

Bild: Statista/CC BY-ND 3.0

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16 Kommentare

  1. Na ja bei dem größenwahnsinnigen Getöse eines deutschen Kriegsministers – Herr Pistorius – wäre ich als Franzose lieber dafür die eigene Atommacht zu behalten – Wer weis schon ob den Deutschen zu trauen ist sollten die wieder zu alter Größe erwachen?

    Die haben doch nicht nur mit Moskau (Stalingrad) sondern auch mit Frankreich (Vertrag von Versailles, Verdun, Normandie, Befreiung von Paris, Rückeroberung Elsass-Lothringens) das ein – oder andere – Hühnchen aus längst vergangenen Zeiten zu rupfen.

    Sollte die EU wirklich einmal in Einzelstaaten zerfallen, was ich nicht hoffe, dann wäre es für Frankreich sicher von Vorteil gegenüber “den neuen kriegstüchtigen Preußen” in Berlin eine mächtige “Gotteswaffe” (Zitat irgend ein Russe in Putins Russland heute) in der Hinterhand zu haben…..

    Übrigens, wer das nicht für ernst nimmt, der ist selber schuld, denn die Corona-Krise hat gezeigt wie schnell die Grenzen z.B. zwischen Deutschland und Frankreich wieder dicht sind, und beim alltäglichen Einkauf erlebt Mensch hier auch, lange nach Corona, dass dadurch die (angebliche) deutsch-französische “Freundschaft” nicht gerade gefördert wurde…..janz im Jejenteil meine Herren…..*daumenrunter*

    Daher liebe “französische Freunde” behaltet die Atombombe für euch, wer weis ob ihr die nicht gegen die “deutschen Krautfresser” in Berlin wieder gebrauchen könnt sollte die EU, dank deutscher Frau Von Der Leyen, wieder in seine europäischen Einzelteile, Nationalstaaten, zerfallen……;-)

    Übrigens nur so wird für mich, als Mitbürger in Deutschland, die massivste Aufrüstung erklärbar – da spielen sicher in gewissen Kreisen, wie oben erwähnt, noch andere Gedankenspiele eine Rolle als die Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland – Deswegen liebe Nachbarn in Europa seit wachsam, der deutsche Adler reckt sein Haupt empor, und Wilhelm I und Wilhelm Ii sind stolz auf Herrn Kriegsminister Boris Pistorius……(Nazi ist der sicher keiner, aber die Preußen waren ja auch – ganz ohne Hitler – schon eine “kriegstüchtige” Verbrecherbande – nicht umsonst wurde Preußen nach 1945 – von den allierten Siegermächten endgültig aufgelöst, als deutscher Bundesstaat – übrigens auch interessant, dass nicht einmal bei der deutsch-deutschen Einheit 1990 daran gedacht wurde “Preußen” wieder als eigenes Bundesland zuzulassen – Warum wohl? Das wissen nur die Siegermächte des 2. Weltkrieges)

    Sarkastische Grüße
    Bernie

    1. Solange Deutschland von Regierungspolitikern wie die aktuellen – oder möglichen wie Merz – geführt wird, mache ich mit zwar Sorgen, dass unnötig viel Porzellan zwischen internationalen Beziehungen zerdeppert wird, aber Deutschland kann großen Kontrahenten wie einem von Putin regierten Russland oder einem von Xi regierten China nicht existenziell gefährlich werden. Sie kann maximal EU-Ländern das Leben schwer machen, aber auch nur dort, wo die USA kein Interesse haben.

      Aktuell ist die deutsche Regierung dabei seine Wirtschaft, die Basis seiner regionalen Macht, grundlegend zu zerstören. In ein paar Jahren sind unsere transatlantischen Politiker dann nur noch Kläffer wie heute die Balten, die je weniger sie vermögen, umso herzhafter ihre Feindschaft kultivieren, aber gänzlich nur noch Anhängsel anderer Mächte, die sie dann bspw. zu Showveranstaltungen in der UNO nutzen, um zu zeigen, dass sie nicht alleine einem anderen Land aus üblen Gründen schaden wollen.

      Und Preußen? Ich denke, es gab keinen einzigen Ost- oder Westdeutschen, der beim Entwerfen des Einigungsvertrags auf so eine seltsame Idee gekommen wäre. Das gehört auf den Stammtisch, an dessen Nebentisch die Österreich-Ungarische Monarchie verhandelt wird.

  2. Soviel ich weiß gilt für die französischen Atombomben das selbe wie für die Deutschen. Nur die Usa kann sie zünden. Ich persönlich würde den Amis sagen, dass sie mit dem Zeug verschwinden sollen, da wir uns damit nur selbst gefährden. Vor Allem würde ich Russland endlich in die EU aufnehmen, damit wir Frieden und Wohlstand haben und endlich von der USA unabhängig agieren können.

    1. Ueber die franzoesischen Atomwaffen bestimmt immer noch der franzoesische Praesident, heisst: er entscheidet alleine (ohne die Amis) wann er auf den roten Knopf drueckt!

      1. Nee, Gundula hat wahrscheinlich Recht. Bringe doch mal eine Quelle, am Besten eine, die sich sogar mit der Frage auseinandersetzt, ob die Franzosen ohne die USA ihre Atomwaffen benützen und betreiben können.

        Auch bei den Briten ist fraglich, ob die in der Lage wären ihr Programm ohne Hilfe aus USA zu warten und ob sie überhaupt selbst eine Atombombe zünden dürfen.

        Fragt sich z.B. wer die ganzen Zugangscodes hat?

        Oder die britischen U-Boote liefen und laufen wohl immer noch auf Windows.

        Bei den Deutschen wissen wir ganz sicher, dass sie gar nichts dürfen mit den Atomwaffen in Deutschland. Das Einzige was vielleicht deutsch ist, wenn eine F35 mit einer nuklear bestückten Rakete aufsteigt, ist der Pass vom Piloten. Der wurde aber gründlichst gedrillt in USA und geprüft, spricht nur Englisch und kann nichts selbst entscheiden oder von deutscher Armeeführung entscheiden lassen bei dem Vorgang.

        Unabhängig von den Atombomben haben wir in den letzten Jahren immer wieder gesehen, wie schnell selbst Franzosen und Briten bei Einsätzen in ehemaligen Kolonien an ihre Grenzen kamen und dann die US Army um Hilfe anbetteln mussten.

        Sie kamen dabei aber, wie auch die Bundeswehr, leider nicht auf die Idee mal zu hinterfragen was sie da machen, z.B. ob man in Afghanistan Brunnen bohren und Mädchenschulen bauen günstiger machen könnte, wenn es wirklich darum ginge.

        Die Propaganda mit der Verteidigung unserer Werte in Afghanistan? Roger Willemsen 21.09.2012

        https://www.youtube.com/watch?v=C6YhKGKNx8Q

      1. … und die sind mit Sicherheit bereit, außer Arbeit auch noch ganz andere Mittel aufzuwenden, um das zu verhindern. Da war das Blubbern in der Ostsee (die vermutlich größte Methan-Katastrophe, die je von Menschen ausgelöst wurde) nur der Vorgeschmack.

  3. Ich lebe in Frankreich und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass
    die franzoesischen Atomwaffen unter die Fittiche eines EU-Verteidigungs-Kommissars, eines Pistorius oder eines Rutte (NATO) kommen und…..schon gar nicht, wenn die naechste Praesidentin Marine Le Pen heisst.

  4. Es gibt keine Gefahr eines russischen Angriffs. Das Gegenteil zu behaupten ist galoppierender Unsinn. Es gab auch während des Kalten Krieges keine. Auch damals wars galoppierender Unsinn. Niemand in Russland ist grössenwahnsinnig, zumindest nicht von den Verantwortlichen. Was man vom Westen leider nicht behaupten kann. Dass man von sich auf andere schliesst ist nicht ungewöhnlich.

  5. Der Autor hantiert recht freihändig mit dem Völkerrecht, in Wahrheit vertritt er „Westliche Werte“. Das wird z.B. deutlich, wenn er russische Befürchtungen einer Einkreisung durch die Nato als „alte russische Fantasie“ abtut. Wurscht, diese Folklore hören wir auch aus deutschen Landen bis zum Erbrechen.

    Die Geschichte der „Force de Pappe“ ist mir auch etwas anders in Erinnerung, dieser Abschnitt glänzt weniger mit Fakten als mit „schöner Sprache“ – eine im Französischen nicht unübliche Praxis, auf eine elegante Ausdrucksweise höchsten Wert zu legen. Im Originaltext ist das schön zu sehen, die deutsche Übersetzung kann diese Wirkung nicht entfalten.

    Zur (EU-)Sache geht es erst in den letzten drei Absätzen. Die Franzosen wollen erstens beim Einsatz von Atomwaffen das letzte Wort haben, sie wollen dafür zweitens jede Menge Geld, und sie sehen drittens überhaupt nicht ein, sich für „die Europäer“ zu opfern. Auf gut deutsch: Paris sagt NON.

    Dieses Statement kann sich uns’ Flinten-Uschi getrost hinter den Spiegel klemmen, die EU wird nicht zu einer Atommacht. Aber vermutlich dient dieser Aufreger eh nur der Ablenkung, letztlich geht es ihr (und anderen Regierungschefs) vor allem darum, die „Verteidigungs“-Politik der Kontrolle nationaler Parlamente zu entziehen.

    Schon lange ist die EU eine neoliberale APO, längst betreibt die Kommission ihre eigene Wirtschafts-, Grenz- und Aussenpolitik, Wähler und ihre Abgeordneten haben nichts zu melden. Dieser Kungelclub von Regierungschefs hat eine nie gewählte Präsidentin, die – ganz zufällig – vom größten Nettozahler der EU platziert wurde und – vermutlich ebenso zufällig – dessen Politik auch gegen unbotmäßige Mitgliedsländer durchsetzt. Spontan kommen mir Griechenland und Ungarn in den Sinn.

    Bei Interesse: Martin Sonneborn („Europa nicht den Leyen überlassen“) weiß Näheres zu berichten. Jedenfalls steht als Nächstes die Verlagerung der „Verteidigungs“-Politik in den ausserparlamentarischen Raum an. Mit den Waffenlieferungen an Kiew hat der EU-„Aussenminister“ Borrell schon mal vorgelegt. Die Gelder stammen aus der „Europäischen Friedensfazilität“ – George Orwell lässt grüßen!

  6. – eine alte russische Fantasie – wie die der „Einkreisung“. –
    Der Eindruck, dass an eben dieser Einkreisung gearbeitet wird, lässt das als mehr, als nur Fantasie erscheinen.

  7. Wie wär’s,wenn die US-Kolonien GB und Frankreich ganz auf die Kernwaffen verzichten würden? Das tut Kosten sparen,die den Briten und Franzosen abgepresst werden und woanders sinnvoller einzusetzen sind.Und gegen wen sollen die abschrecken? Das letzte mal,als russische Soldaten in Paris einmarschiert sind,sind vorher die französischen Armeen zusammen mit ihren „Verbündeten“ mordend und brandschatzend durch Russland gezogen…Liebe französische Regierungen: hört auf,gegenRussland zu stänkern ,dann braucht ihr auch keine Atomwaffen.
    Und was die Briten angeht: nachdem am 30.1.2024 bei einem Testschuss von einem U-Boot die Rakete nur wenige Meter vom Boot entfernt in Wasser gefallen ist und fast das U-Boot mit samt dem Kriegsminister an Bord versenkt hätte: lasst die Finger von den Dingern,die sind wirklich gefährlich! Und eure Inseln sind nur von afrikanischen Einwanderern bedroht. Ansonsten will niemand was von euch….lasst ihr die anderen Staaten in Ruhe,dann tut euch auch niemand was !

  8. Der Artikel wimmelt nur so von falschen Annahmen. Aber klar, die Russen bilden sich das alles nur ein, dass sie eingekreist werden und feindlich übernommen werden sollen und dann zerschlagen, also balkanisiert werden sollen. Oder die Chinesen bilden sich das auch nur ein, dass sie kleingemacht werden sollen so wie damals nach den erfolgreichen Opiumkriegen und die Inder sowieso.

    The Expansion of NATO Since 1949

    https://www.youtube.com/watch?v=ug2468hDl6E

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