El Salvador: Militär und Polizei sollen Städte von Banden säubern

Polizisten durchkämmen die Stadt Soyapango. Bild: PNC (Policía Nacional Civil de El Salvador)

Präsident ließ den Notstand für den Krieg gegen Banden und „terroristische Strukturen“ ausrufen, baut ein Gefängnis für 40.000 Bandenmitglieder und hat jetzt die erste Großstadt abgesperrt.

Nayib Bukele, der Präsident von San Salvador, hat in der Nacht zum Samstag die Stadt Soyapango mit 260.000 Einwohnern in der Nähe der Hauptstadt seit Samstag mit 10.000 Soldaten und 1500 Sicherheitskräften einschließen lassen, um sie dann Haus für Haus nach Bandenmitgliedern vor allem von Mara Salvatrucha-13 (MS-13) und Barrio 18 zu durchsuchen (Video). Bislang sind die meisten Mitglieder mit Tätowierungen überzogen und leicht erkennbar. Drohnen kreisen über der Stadt, durch die Straßen ziehen Polizisten und Soldaten, sie durchsuchen Häuser und kontrollieren Ausweise. Es ist die erste Stadt, die derart systematisch „gesäubert“ wird. Normale Bürger, so Bukele, hätten nichts zu befürchten und könnten ihrer Arbeit normal weiter nachgehen.

Seit Amtsantritt 2019 bekämpft Bukele mit dem Einsatz des Militärs im Rahmen des Plan Control Territorial die Banden.  2019 ging die Zahl der Morde um 30 Prozent zurück, aber sie stiegen wieder an und erreichten im März mit Dutzenden von Morden einen Höhepunkt. Bukele hat im März den Notstand ausgerufen, um hart gegen die Banden vorzugehen, die große Teile des Landes seit vielen Jahren kontrollieren. Fast 60.000 Menschen wurden seitdem inhaftiert, im Notstand ist ein richterlicher Beschluss für die Inhaftierung nicht erforderlich, die Untersuchungshaft kann verlängert, Kommunikation überwacht, Versammlungen verboten. Honduras ist inzwischen dem Vorbild San Salvador und hat ebenfalls den Notstand ausgerufen, um die Banden zu bekämpfen.

Regierungspropaganda

 

Menschenrechtsorganisationen kritisieren das harte Vorgehen mit zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, willkürlichen Festnahmen, Folter und Misshandlungen in den Gefängnissen, während gegen die Täter nicht ermittelt wird. Die Gefängnisse sind mit jetzt 80.000 verdächtigen Bandenmitgliedern überfüllt, es herrschen unmenschliche Haftbedingungen, mittlerweile hat El Salvador die USA bei der höchsten Zahl von Gefängnisinsassen überholt. Es sollen auch 2000 Menschen „verschwunden“ sein. Das Notstandsregime wurde seitdem aber immer wieder vom Parlament verlängert, nach Umfragen unterstützt eine Mehrheit der Bevölkerung den Krieg gegen die Banden. Bukele sagt, der Kampf gegen die Banden werde hoch professionalisiert geführt, es gebe kaum Tote unter den Bandenmitgliedern. Dagegen hätten, so seine Anspielung auf die USA, andere Länder des Terrorismus bekämpft, was zwei Millionen Menschen des Tod gebracht hat.

Bukele sieht sich als Retter El Salvadors. Bild: Twitter-Account von Bukele

Vorgeworfen wurde Bukele und seiner Partei „Nuevas Ideas“ seit Anfang ein Paktieren mit den Banden, um einen Waffenstillstand zu bewirken. Offenbar werden inhaftierte Bandenchefs mitunter bevorzugt behandelt. Im März scheint der Geduldsfaden von Bukele gerissen zu sein.

Die vollständige Absperrung von Soyapango wird als Phase 5 des Plan Control Territorial bezeichnet, die mit Extracción beschrieben wird, also mit einer Säuberung der Stadt von allen Bandenmitgliedern und „terroristischen Strukturen“. Die Operation sei sorgfältig geplant worden, es seien 40 strategische Punkte eingerichtet worden, wo sich nach Information des Geheimdienstes noch Bandenmitglieder aufhalten sollen. Martialisch werden auf Bildern schwer bewaffnete Formationen gezeigt, die Stärke und Entschlossenheit demonstrieren und den Bandenmitglieder wohl Angst und Schrecken einflößen sollen. Gleichzeitig vermitteln die Bilder den Eindruck von einem Staat, der auf Gewalt aufbaut und in eine Diktatur umschlagen könnte.

Vor dem Einmarsch in Soyapango. Bild von Bukele veröffentlicht

Vorbild USA

Das Vorbild des Vorgehens der Regierung von San Salvador gegen die Banden im Land erinnert an das amerikanischen Vorgehen im Irak nach der Invasion gegen die Aufständischen. Damals hatte das US-Militär ganze Städte wie Falludscha abgesperrt und mit einem Wall eingeschlossen, um der Aufständischen habhaft zu werden. Bagdad war einfach zu groß, daher wurden hier Stadtviertel mit hohen Betonmauern voneinander isoliert, um die Übergänge zu kontrollieren. Ob der Ansatz erfolgreich war, Städte zu säubern, darf bezweifelt werden. Der neue Widerstand bildete sich in den Gefängnissen, wo auch Abu Bakr al-Baghdadi einige Zeit von den Amerikanern eingesperrt war, eine neue Führungszelle für al-Qaida im Irak aufbaute und schließlich den Islamischen Staat gründete.

Letztlich haben die USA in ihrem „Hinterhof“ immer wieder Diktaturen unterstützt. So auch in El Salvador eine Junta und die Großgrundbesitzer, die sich gegen eine Landreform zur Wehr setzten und das Land mit Todesschwadronen überzogen. Gegner wie Erzbischof Óscar Romero wurden ermordet. Es kam in den 1980er Jahren zu einem Bürgerkrieg, der Zehntausenden von Menschen das Leben kostete, vorwiegend wurden sie Opfer der Todesschwadronen sowie der Polizei und Armee.

USA haben zur Entwicklung der Banden beigetragen

Das Pentagon lieferte der Junta nicht nur Waffen und schickte Militärberater, sondern bildete auch salvadorianische Soldaten an der berüchtigten School of the Americas aus, in der rechte Militärs aus ganz Lateinamerika in schmutziger Kriegsführung geschult wurden.  Zur Ausbildung gehörten auch Foltertechniken. Ein Beispiel ist das Batallón Atlácatl, dessen Mitglieder in der School of the Americas ausgebildet und auch in El Salvador von US-Soldaten weiter trainiert wurden. Im Dezember metzelten sie auf der Suche nach Kämpfern von FMNL-Guerilla die Bewohner einiger Dörfer aus, zuvor wurden sie gefoltert, Frauen und Mädchen vergewaltigt.

1992 kam es zu einem Friedensabkommen, erst zu der Zeit wurde das Batallón Atlácatl aufgelöst. Manche der in brutalen Methoden der Kriegsführung in den USA ausgebildeten Soldaten und Kämpfer der Todesschwadronen wurden arbeitslos und schlossen sich Banden an. Mit dem Bürgerkrieg setzte eine Auswanderungswelle in die USA ein. Viele landeten in den Gettos, die schon von Gangs kontrolliert wurden (Pockets of Darkness). Nach den Mexikanern stellen die Salvadorianer in den USA die größte Einwanderungsgruppe aus Lateinamerika dar. 2,3 Millionen sollen in den USA leben. Die Banden und die Gewalt im Land führten ab 2000 zu weiteren Auswanderungswellen.

Die Bandenbildung wurde von den USA nicht nur als Folge der Unterstützung der Diktaturen und Juntas im Kampf gegen linke Bewegungen befördert, sondern auch, weil in den 1990er Jahren massenhaft die auf der Flucht vor den Kriegen Eingewanderten aus El Salvador, Honduras und Guatemala in ihre Heimatländer abgeschoben wurden. Darunter auch viele junge Gang-Mitglieder, die sich kriminellen Organisationen und Drogenbanden anschlossen, weil sie sich dort, aufgewachsen in der amerikanischen Kultur, nicht integrieren und keine Arbeit finden konnten. In einigen mittelamerikanischen Staaten sind seitdem ganze Städte und Regionen in die Hand dieser Gangs gelangt, die mit großer Grausamkeit ihre Macht durchsetzen. Und weil die abgeschobenen Gang-Mitglieder aber weiterhin Kontakte in die USA hatten, wanderten manche wieder illegal zurück und wurden Gangs wie MS-13 zu internationalen Verbrechensorganisationen.

Gefangene Bandenmitglieder. Bild: PNC

Wegsperren als Lösung?

Im Juni kündigte Bukele den Baubeginn des Megagefängnisses Centro de Confinamiento del Terrorismo (Terrorismushaftzentrum)an. Es soll in dem kleinen Land mit 6,5 Millionen Menschen eines der größten Gefängnisse der Welt werden, um El Salvador zum sichersten Land zu machen. 40.000 Gangmitglieder sollen hier in acht Gebäuden mit Zellen weggesperrt werden. Niemand soll fliehen können, verspricht Bukele.

Weg- und Zusammensperren dürfte nur kurzfristig helfen, weil Gefängnisse Brutstätten sind und sich manche weiter radikalisieren und neue Organisationsformen ausbrüten werden. Alle mit den Banden zusammenhängende Strukturen und Menschen wird man nicht ausrotten können, wenn das Land nicht selbst zu einem großen Gefängnis werden soll. Kurzfristig jedoch ist die Zahl der Morde im Land zurückgegangen – und auch die Migration in die USA, wo El Salvador nun nicht mehr unter den Top Ten zu finden ist, die von Mexiko, Kuba und Venezuela angeführt werden und zu denen auch noch Honduras und Guatemala zählen.

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4 Kommentare

  1. So bedrückend die von Herrn Rötzer geschilderte Situation heute in San Salvador und wohl auch in Honduras, durch die Jahrzehnte lange erfolglose Bekämpfung der Verbrecherkartelle mit Teilweiser Duldung durch Korruption und ausländische Förderung ist, so bietet der Autor doch auch keine andere, bessere Methode zur Bekämpfung der Verbrecher und zum Schutz der Zivilbevölkerung an. Übrigens habe ich auch keine Lösung….

    Aber für die normalen, friedfertigen Menschen in San Salvador wünsche ich mir eine sichere Welt.

  2. Ich denke, es wird nicht ausreichen, verurteilte Verbrecher nur wegzusperren. Es wäre hilfreich, dass die ihre Lebensmittel selbst anbauen und wie die Leute arbeiten müssten, die sie zuvor belästigt oder schlimmeres haben.
    Es würde helfen, dass sie gut schlafen können und nicht an Ausbruch denken müssen.
    Schlecht gearbeitet, schlecht zu essen. Die Organisation für den Lebensmittelanbau können die Gefangenen selbst organisieren. Falls da mal was falsch läuft, fällt es auf sie selbst zurück.

  3. Die Frage ist, ob die erwähnten „Menschenrechtsorganisationen“ nicht Teil des politischen Arms der organisierten Kriminalität sind. Häufig bleibt das Geschmäckle zurück, dass die sich mehr für das Wohlbefinden der Täter interessieren als für die Opfer. Natürlich kann man mit solchen Überschriften viele naive und idealistische Seelen vereinnahmen. Bekannte, die sich eine Weile AI angeschlossen hatten, lösten sich ernüchtert von diesem Verein ab – warum wohl?

  4. Die Lösung ist weder ein Polizei/Überwachungsstaat noch ein unfähiger Staat der bei Bandenkriegen nur zuschaut.
    Wahrscheinlich müsste El Salvador vom Wilden Westen lernen.
    Vernünftige Eigentumsrechte. Und Istanzen die diese auch durchsetzen und nicht durch Kurruption druchtränkter Staat.
    Die Menschen in El Salvador haben nicht nur das Problem der Banden sondern auch eins des Korrupten PolizeiStaats.
    Da sollten auch Lösungen gedacht werden die die Bürger selbstermächtigt. Das sind keine optimalen Zustände aber ein Zustand aus dem nach und nach Demokratie entstehen kann.
    Im Wilden Westen gab es das tatsächlich. Viel Privatwirtschaftliche Verträge. Bauern und Miner die sich selbst schützten und Solidaritätsgemeinschaften gründeteten.
    Ohne Mündige Bürger die Verantwortung übernehmen scheitert irgendwann jede Demokraite.

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