
Fulda, Bahnhofsvorplatz, 19.4 Ostersamstag 2025, 15:00. Etwa 150 – 200 Leute sind zur Kundgebung des Ostermarsches gekommen. Von der älteren, elegant gekleideten Dame mit weißem Hut, Spruchband und einem kleinen herzerwärmenden Antikriegs-Plakat bis zu ein paar jungen Männern mit T-Shirts in beige mit der Aufschrift „Heimat“ ist alles dabei. Muss ich mich aufregen, wenn auch Leute vom äußersten rechten Rand [1] mir zuhören? Warum? Jesus wollte auch alle Menschen erreichen und ist deshalb auf jeden zugegangen. Matthias Marterer vom Friedensforum Osthessen [2] hat zu Beginn klar gesagt, was verboten ist: Tragen von verfassungsfeindlichen Symbolen und Fahnen von Parteien. Das muss reichen.
Ich steige auf einen schwarzen Plastik-Tritt, der sonst vor unserem Wohnwagen steht, damit mich die Leute, die hinten sind, sehen können, wie beim Speakers’ Corner im Londoner Hyde Park. Bereits nach den ersten Sätzen merke ich: Der Funke springt über. „Ihre Rede hat uns sehr berührt“, sagt mir hinterher eine ältere Dame und ihr Mann nickt zustimmend. Ein anderer will den Text [3] haben, um ihn seiner Frau mitzubringen. Zum Glück habe ich ein paar Exemplare ausgedruckt. Auch ein junger Mann bedankt sich; er findet es nur schade, dass so wenig aus seiner Altersgruppe da sind.
Danach spricht Gabi Faulhaber vom Bündnis „Friedlicher Hessentag.“ [4] Bei diesem Volksfest, das dieses Jahr in Bad Vilbel stattfindet, fährt die Bundeswehr jetzt auch Panzer auf, in denen groß und klein herum klettern dürfen, mit der Begründung, die Bundeswehr sei eine demokratisch legitimierte Armee. Das Bündnis kritisiert, dass Technikbegeisterung und Abenteuerlust auf diese Weise missbraucht werden und ruft zu einer Gegendemonstration am 14. Juni in Bad Vilbel auf. [5] Zwischen den Beiträgen singt Thomas Gabriel [6] mit Gitarre eingängige Lieder zum Thema Frieden, in denen Hoffnung schwingt und die ewige Frage: „Wann wird man je verstehen?“ [7] Die Stimmung ist gut, gelöst und hoffnungsvoll.
Ein junger Mann mit einer Jacke, die ihn als Mitarbeiter der Osthessenzeitung (OZ) ausweist, wieselt hin und her und macht Notizen. Als wir abends wieder zu Hause sind, ist sein Bericht bereits im Netz zusammen mit über 70 Fotos von der Veranstaltung. [8] Auch die Fulda News, 1998 von Norbert Hettler gegründet und seither von ihm betrieben, bringt unter der Überschrift „Ein starkes Zeichen für den Frieden“ einen guten Bericht. [9] Solche lokale Internet-Zeitungen, die sich durch Werbung finanzieren, sind offenbar erfolgreich.

Eine junge Frau hat ein Mikro mit der Aufschrift „Strassenfuchs“ in der Hand, ihr Partner filmt. Sie geht auf Passanten zu, stellt Fragen und hört zu. Die Interviews, die sie in Fulda geführt haben, sind bereits im Netz und über 6000 Mal aufgerufen worden. [10] Noch verdienen sie damit kein Geld, aber es hat Potential. Was der Strassenfuchs da einfängt, mag einem gefallen oder nicht, was die Leute ins Mikrophon sagen, mag stimmen oder nicht – aber es ist ungeschnitten, ohne Filter. Die Leute können in Ruhe ausreden. Das Mikro ist der Sensor, der die öffentliche Meinung in ihrer ganzen Bandbreite erfasst. Das ist Journalismus, der den Dialog in Gang setzt. Das ist die Blutbahn einer Demokratie. Wer alles heraus schneidet, was nicht ins eigene Weltbild passt oder nicht regierungskonform ist, legt die Blutbahn tot und lässt die Glieder der Gesellschaft über kurz oder lang absterben.
Danach läuft unser Zug durch die Innenstadt; wir singen das alte Ostermarsch-Lied [11]
Marschieren wir gegen den Osten? – Nein!
Marschieren wir gegen den Westen? – Nein!
Wir marschieren für die Welt,
die von Waffen nichts mehr hält,
denn das ist für uns am besten
Wir kommen an einem gut besuchten Straßencafé vorbei. Die Gäste sitzen in der Sonne und sehen amüsiert-gelangweilt-hochnäsig zu, wie unser Zug vorbeizieht. Ich komme mir vor wie Jack Nickolson als unangepasster Insasse einer kranken psychiatrischen Anstalt in dem Film „Einer flog über‘s Kuckucksnest.“ [12] Mit einem Herrn, der vorne an einem der Tische sitzt, komme ich kurz ins Gespräch. „Was sie da erzählen, ist Quatsch“, meint er. Mit einem deutlichen „Frohe Ostern!“ fordert mich das neben ihm sitzende Mädchen auf abzuhauen. Auf dem Platz vor der Stadtpfarrkirche „Zum heiligen Kreuz“ bilden wir einen großer Kreis. Martina Fuchs, die die Veranstaltung mit organisiert und mich eingeladen hatte, hält zwei längliche Rollen in der Hand, in denen es rasselt: Es sind Kügelchen, die die kläglichen Reste des Sondervermögens symbolisieren, mit denen wir abgespeist werden sollen, nach dem der Löwenanteil für Panzer, Drohnen und Raketen verbraten worden ist. Sie kippt die Kügelchen in hohem Bogen in eine Suppenschüssel. Viele prallen ab und springen runter, so dass nur noch wenig in der Schüssel bleibt, das wir auslöffeln können.
Zum Abschluss auf dem Universitätsplatz hören wie die Grußbotschaft von Didi Hallervorden zur Friedensprozession am Karfreitag in Dresden: „Wir stehen hier zusammen, weil wir uns von keinem Politiker, von keinen Medien und von keiner Sprachpolizei in einen dritten Weltkrieg hinein quasseln lassen wollen.“ [13] Michael Hanfeld schrieb dazu in der FAZ: „Dieter Hallervorden warnt auf der von Rechtsextremen durchwirkten „Friedensprozession“ in Dresden vor dem Dritten Weltkrieg und passt sich der russischen Propaganda an.“ [14] „Mancher Journalist weiß genau, wies ist“, [15] lästerte Kurt Tucholsky vor über 100 Jahren. Bei den „Rechtsextremen“ handelt es sich um eine Gruppe von Künstlern von Justus Frantz über Arnulf Rating und Dieter Dehm bis zu Katja Ebstein. [16]
Mein Bericht aus Fulda ist subjektiv, ich war ja einer der Mitwirkenden. Normalerweise macht das nur der Schriftführer des örtlichen Sportvereins beim Abfassen eines Spielberichts für ein kostenloses Anzeigeblättchen. Aber wir haben es gerade mit einem Berichtsnotstand zu tun, in dem die Leitmedien nur noch nachplappern, was in Berlin gesagt wird. Die Frankfurter Rundschau hat sich gar nicht die Mühe gemacht, am Karfreitag oder Ostersamstag zu einem der hessischen Friedensmärsche zu gehen. Atemlos meldet sie, auf einer Demo in Berlin seien russische Fahnen gesichtet worden. (Hört! Hört!) Die Grünen-Chefin habe sich „kritisch zu bestimmten Demonstrationen der Ostermärsche“ geäußert. [17] Die Rundschau war wieder im Auftrag ihrer Herren unterwegs. Schon bald könnten diese schalen Propaganda- Schablonen von einer künstlichen Intelligenz produziert werden und unsere Gesellschaft vollends zu einer gefügigen, nach Belieben steuerbaren Masse machen. Eine Handvoll Idealisten, die in ihrer Freizeit oder in ihrem Ruhestand dagegen anschreiben, werden diese Entwicklung kaum aufhalten. Da sollte man sich vielleicht etwas Neues überlegen …
Quellen
[2] https://friedensforumosthessen.de/ueber/
[3] Nold, Stefan (19.4.2025) Frieden muss jetzt. Rede auf der Osterkundgebung in Fulda https://overton-magazin.de/kommentar/gesellschaft-kommentar/frieden-muss-jetzt/
[4] https://www.friedlicher-hessentag.de/
[5] Faulhaber, Gabi (19.4.2025) https://www.friedenskooperative.de/ostermarsch-2025/reden/gabi-faulhaber-fulda
[6] https://www.youtube.com/channel/UCEsOai1Y0IMeqJaLbKV3tBA/videos
[7] Seeger, Pete (1955) Where have all the flowers gone. Deutsche Version Max Colpet: Sag mir wo die Blumen sind. Zuerst Gesungen 1962 von Marlene Dietrich. https://www.youtube.com/watch?v=slRnc0MobHU
[9] https://www.fuldainfo.de/ostermarsch-osthessen-friedensfaehig-statt-kriegstuechtig/
[10] Der Strassenfuchs (20.4.2025) Pazifismus in Kriegszeiten – mutig oder naiv? Eine Straßenumfrage. https://www.youtube.com/channel/UCrEUuzqD8Dd8tZareZKmmKg bzw. direkt: https://www.youtube.com/watch?v=UR3GxeJhEjk
[11] Stütz, Hannes (um 1960) Unser Marsch ist eine gute Sache. Lied der Ostermarsch Bewegung http://www.sapler.igm.de/static/demokratie/Unser_Marsch_ist_eine_gute_Sache.pdf
[12] Forman, Miloš (Regie) Bo Goldman und Lawrence Hauben (Drehbuch) (USA, 1975) One flew over the cuckoo‘s net (deutsch: Einer flog über das Kuckucksnest) Produzenten: Michael Douglas and Saul Zaentz.
[13] Hallervorden, Didi (18.4.2025) Video-Botschaft für die Friedensprozession in Dresden. https://www.youtube.com/watch?v=qPXn_jmH1Zg
[14] Hanfeld, Michael (20.4.2025) Hallervorden spricht auf rechter „Friedensprozession.“ https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien-und-film/dieter-hallervorden-bei-rechter-friedensprozession-in-dresden-110429482.html FAZ: Frankfurt.
[15] Tucholsky, Kurt (1920) Mancher Journalist /weiß genau, wies ist, wenn der Umsturz alle Seelen fasst. Und er sichert sich/ leis und vorsichtig,/ dass er nur den letzten Anschluss nicht verpasst. Der Zeitgeist pfeift. Der Zeitgeist lockt./ Und ganz gesiegt ist halb geschmockt. / Schnedderedeng – im Refrain: /Und sie immer mitn mit, mitn Schmidt, mitn mit /und sie immer mitn mit, mitn mit, mitn Schmidt.Sommerlied Aus: Mary Gerold-Tucholsky (Hrsg): Kurt Tucholsky Gedichte, S. 311. 1. Auflage. (1983) Rowohlt: Reinbek bei Hamburg. Gesungen von:
[Busch Ernst (1960) Der politische Tucholsky. Ernst Busch singt. (Melodie: Hanns Eisler). Aufnahme mit der Instrumentalgruppe unter der Leitung von Adolf-Fritz Guhl und Walter Goehr. VEB Deutsche Schallplatte Berlin Langspielplatte 44025. Deutsche Grammophon Gesellschaft. Siehe auch Live-Aufnahme: https://www.youtube.com/watch?v=yAG8WAZPCUE
[16] Fuchs, Marcus (2025) Friedensprozession Dresden. GAL Gemeinsam anders leben UG: Dresden. https://friedensprozession.de/
[17] Völkner, Paula (21.4.2025) Ostermärsche richten sich an Merz-Regierung – auch Gegenwind für Friedensdemos. Frankfurter Rundschau: Frankfurt. https://www.fr.de/politik/friedensdemos-ostermaersche-richten-sich-an-merz-regierung-auch-gegenwind-fuer-zr-93691804.html
Ich glaube Wir haben den Atomkrieg verdient.
Es ist der Einzig gerechte Krieg. Er wird uns ALLE umbringen oder vergiften. Ich tippe auf einen begrenzten Nuklearkrieg in Europa. Natürlich wird der Rest der Welt unter dem nuklearen Winter und Hungersnöten und Krankheiten ebenfalls massiv leiden. So wird es kommen…
Verdient hätten sie es, diese satten dummen Ignoranten.
…..die notwendige Reinigung wird wie so oft durch Zerstörung erfolgen. The new world civilization will be built on bones and ashes….
Man hat ein Klima der Denunziation geschaffen. Es könnte ja ein Bekannter unter den Zuschauern sein, der wiederum seinen Bekannten darüber informiert, dass man gegen die Kriege ist und damit auch gegen die Regierung. Und das könnte Folgen haben, die man nicht wegstecken kann. Daher bleibt die Teilnehmerzahl an solchen Veranstaltungen überschaubar. Ob nun die Qualitätsmedien darüber berichten oder nicht oder sowas in eine rechte Ecke schieben, sollte uns egal sein, ich nehme diese Medien eh nicht mehr ernst, viele andere auch nicht.
Mich würde mal interessieren, vieviele Leute ihren Protest in den sozialen und alternativen Medien kundtun, nur dann könnte man einschätzen, was noch zu retten ist. Ansonsten muss es halt knallen, ich schätze, die erste Oreshnik fliegt auf Schobenhausen und dann geht das Feuerwerk richtig los. Man möchte es so.
Ein Feuerwerk am dritten Samstag im Mai beim Spargelfest gab es schon immer.
Liebe Mitkommentatoren,
hört doch mal mit dem Katastrophenherbeireden auf!
Genießt das Leben jetzt und tut was ihr könnt. Macht euch nicht selbst fertig!
Lasst euch von den sozialen Medien nicht wertvolle Lebenszeit stehlen.
Wenn „es knallt“ habt ihr noch genug Zeit zum Jammern.
Aber vorher gibt es noch Zeit zum Singen, Feiern, Lieben und Lachen!
Umarmt heute eure Liebsten.
Damit ihr etwas zu verlieren habt und nicht vorher an Trostlosigkeit verendet.
Mein Wort zum Alltag. 🙂
👍! Sich nicht verarschen lassen aber auch das Leben dabei nicht vergessen. Daraus erwachsen vielleicht sogar Kräfte gegen den Todeskult. Denn das wollen diese erbärmlichen Psychopathen: Angst, Angststarre, Resignation.
Es ist im Grunfe nichts Neues. Die Mainstreammedien konnten noch nie etwas mit Gegenbewegungen egal welcher Art anfangen umd haben sie immer kleingeredet. Früher war halt noch das „geh doch nach drüben“ mit dabei und einige Meyien waren nicht ganz so regierungskonform. Jetzt sind alle nur noch regierungskonform.
Ich sehe aus dieEn Gründen auch Demos nicht mehr als das Mittel, um seinen Unmut zu zeigen.
@ Gunther
Vielleicht ein kleiner Irrtum? Könnte es nicht sein, dass diese Mainstreammedien, unsere sog.4.Gewalt, nicht nachplappern, sondern die heimliche Regierung sind? Die dann „gewählten Kasper“ nur für die „demokratische Legitimation“ zuständig sind?
Wenn es denn so wäre und sein könnte, würden diese Claqueure dafür dann auch fürstlich belohnt und abgesichert werden.
Oder sehe ich das falsch?🤣🤣🤣
Berichtsnotstand, schönes treffendes Wort. Die Sache mit dem Strassenfuchs finde ich auch interessant, auch wenn die Abhängigkeit zu Plattformen von Grosskonzernen bleibt. Alles fängt mal klein an, könnte aber ein Entwurf für Gegenöffentlichkeit sein, wenn sich in verschiedenen Städten Menschen ein Beispiel am Strassenfuchs nehmen.
Bezüglich Vermeidung von Quellenfreigabe und Strafverfolgung empfiehlt sich eher ein pures Audioformat. Das Thema ist ja nicht vom Tisch und in Deutschland besonders präsent in Bezug auf Politiker, die schon beleidigt sind wenn jemand keine Lobeshymne auf sie singt. Das vermeidet zwar nicht eine angeordnete Zensur des Inhalts aber immerhin die Verfolgung unschuldiger Bürger, die unzensiert das aussprechen, was sie bewegt.