Droht Polens Medienlandschaft Eintönigkeit nach deutschem Muster?

PiS-Chef Jarosław Kaczyński nahm auch an den Protesten im TVP-Sendegebäude teil. Screenshot: TVP Info-YouTube-Video

Die Auseinandersetzung um die Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Medien nahm gestern in Warschau dramatische Formen an, incl. Polizei- und Rettungsdienst-Einsatz.

Die neue liberale und EU-freundliche Mehrheit im polnische Parlament, dem Sejm, hatte vorgestern Abend in einer Resolution “die Wiederherstellung der rechtmäßigen Ordnung und der Unabhängigkeit” der öffentlich-rechtlichen Medien gefordert. Die meisten Abgeordneten der nationalkonservativen PiS nahmen jedoch an der Abstimmung schon nicht mehr teil, sie waren zum Gebäude des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders TVP in der Ulica Woronicza gefahren und verbrachten dort auch die Nacht.
Gestern morgen erklärte der neue Kulturminister, Sienkiewicz, die Vorstände von TVP, Polskie Radio und der Nachrichtenagentur PAP sowie die jeweiligen Aufsichtsräte für abgesetzt und schickte in Begleitung von Sicherheitskräften neues Führungspersonal zum TVP-Gebäude. Der bisherige TVP-Vorsitzende Matyszkowicz weigerte sich jedoch sein Büro zu räumen. Es kam zu heftigen Wortgefechten und wohl auch körperlichen Auseinandersetzungen. Polizisten in Uniform tauchten im Gebäude auf. Mindestens eine Abgeordnete der PiS musste sich in ärztliche Behandlung begeben. Derweil wurde am frühen Nachmittag der Informationssender TVP Info komplett abgeschaltet. Inzwischen hat sich die Lage etwas entspannt. Mehr gezwungen als freiwillig musste Matyszkowicz sein Büro dem Nachfolger Sygut überlassen. Der der PiS angehörende Staatspräsident Duda hat sich eingemischt und die Regierung gemahnt, nicht rücksichtslos ihre Eigentümerrechte durchzusetzen.
Zum Hintergrund: Nur einige Wochen nach ihrem Wahlsieg 2015 hatte die nationalkonservative Sejm-Mehrheit TVP und Polskie Radio zu “nationalen Kulturinstituten” im Eigentum des Schatzministeriums erklärt und die Kontrolle dem Kulturministerium übertragen. Der Rundfunkrat (KKRiT) verlor seine wichtigsten Kompetenzen. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich ein Teil der Journalisten den neuen Machtverhältnissen angepasst, ein anderer Teil wurde gegen Parteigänger der Nationalkonservativen ausgetauscht. TVP und Radio Polskie wurden informelle Regierungssender.
Im weitgehend dem liberalen Lager nahestehenden Printbereich hatte die PiS 2021 einen Coup organisiert. Der Verlag Polska Press, der rund 75% des polnischen Regionalzeitungsmarktes kontrolliert und bis dahin im Besitz der deutschen Passauer Verlagsgruppe war, wurde vom staatlich kontrollierten Energiekonzern Orlen übernommen.
Nimmt man alle Sender des polnischen Fernsehens zum Maßstab, hatte das rabiate Vorgehen der PiS allerdings erst zu so etwas wie Pluralität geführt. Denn die beiden großen privaten TV-Sender mit mehreren Vollprogrammen, der zu großen Teilen dem Oligarchen Solorz gehörende Sender Polsat und der von Warner Bros kontrollierte Sender TVN, betätigten sich in ihren Infokanälen und -sendungen im Sinne der damaligen liberalen Opposition, Polsat weitgehend, TVN konsequent.
Die Vorgänge zeigen: Polen tickt anders. Die beiden großen politischen Lager stehen sich antagonistisch gegenüber. Auch außerhalb von Wahlkämpfen beharkt man sich heftig. Korruptionsvorwürfe gegen Politiker der Gegenseite sind praktisch beständig öffentliches Thema. Die Bildung einer Großen Koalition ist undenkbar.

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11 Kommentare

  1. Medienkontrolle ist aktuell eines der Hauptprojekte des EU Regime. Da machen die Vorgänge in Polen Sinn.
    Wir dürfen gerade den Umbau der EU in eine totalitäre Autokratie erleben. Spannend.
    Ich bin aber froh nicht mehr 20 zu sein. Heute muss man Mitläufer sein, was mir schon immer schwer fiel.

    1. Das sehe ich ähnlich. Ich bin auch froh nicht mehr jung zu sein. Aber ich glaube auch, dass es einen Generationenunterschied gibt. Die jungen Menschen merken gar nicht, dass wir auf einen totalitären Staat zusteuern. Ich habe immer wieder Diskussionen mit meinen Kindern, Neffen und Nichten. So letztes Wochenende. Da erzählte mir meine Nichte, dass ein Lehrer sich nicht mehr traut, seine Meinung bzgl. des Gaza-Krieges zu äußern, weil er Ägypter ist und sich traute auch die Perspektive der Palästinenser in den Unterricht einfließen zu lassen. Er wurde sofort zur Schulleitung zitiert. Seitdem sagt er nichts mehr zu diesem Thema aus Angst seinen Job zu verlieren. Als ich dann darauf hinwies, dass die Beschränkung der Meinungsfreiheit auch bei anderen Themen stattfindet und dies eine totalitäre Tendenz sei, da antwortete sie, aber sie kommen doch nicht ins Gefängnis. Dass eine drohende Vernichtung der ökonomischen Existenz die Menschen auch zum Schweigen bringen und mittlerweile 46% der Menschen sich nicht mehr trauen, ihre Meinung zusagen, hat sie nicht überzeugt. Sie ist eigentlich ein kritischer Mensch, kann aber irgendwie die gesellschaftliche Praxis nicht entsprechend interpretieren. Oder wir Alten interpretieren zu viel in die gesellschaftliche Praxis hinein… wie gesagt ein Unterschied der Generationen….

      1. Lehrer sind häufig Beamte und müssen extra-staats-/regierungstreu sein.

        Die Kinder könnten auf eine Privatschule, aber auch die haben ihre Leitlinien.

        Freies Denken in Forschung und Lehre oder auch Medienpluralität ist derzeit kein Topthema.

  2. In unseren Medien wurde es immer so dargestellt, das die neue Regierung endlich die Unabhängigkeit der Medien herstellt. Es wird so getan, als seien unsere Medien unabhängig, was sie objektiv nicht sind.

  3. Nun hat sich Polen unter der PiS mit beiden großen Nachbarn, Deutschland und Russland, in aggressivster Weise angelegt. Man fragt sich schon, ob sie da nicht einen großen Freund im Hintergrund hatten, der ihnen so ein Verhalten ermöglicht. Aber ja doch, für alle sicher überraschend sind das wohl die USA gewesen. Polen soll der fanatische antirussische Frontstaat sein, der die zögernde EU auf Scharfmacherkurs bringt. Da ist die PiS gerade noch rechtzeitig abgewählt worden, denn diese Politik könnten sie jetzt nicht mehr fahren. Auf die USA ist keinerlei Verlass mehr, denn das alles macht ja nur Sinn im Zusammenhang mit der Ukraine. Wo die Amerikaner inzwischen ziemlich offensichtlich kapituliert haben.
    Dass Tusk jetzt so forsch gegen das PiS-Netzwerk vorgeht, heißt für mich, dass er in dieser Sache die EU hinter sich weiß. Das ist schon eine Aussage, nämlich dass Brüssel sich von Polen keinerlei Frechheiten mehr bieten lassen will. Jetzt ist Zeitenwende, ein Signal auch nach Washington.
    Dass der Kampf zuerst um die Presse entbrennt, überrascht nicht. Natürlich hat sich die PiS-Blase bereichert, nachdem zumindest zeitweise dem Parlament das Haushaltsrecht entzogen wurde. Die Presse war wichtig, um das zu vertuschen. Genau da setzt Tusk an. Da wird es ganz schön scheppern, wenn die PiS-Skandale aufgedeckt werden.

    1. Was die Konfrontationspolitik gegenüber Russland anbelangt, muss ich sie leider enttäuschen. Sie wird sich nicht ändern, auch wenn die Motivlage der Konservativen und der Liberalen sich in einigen Punkten unterscheidet.
      Neuer Aussenminister ist Radoslaw Sikorski geworden. Der lebte lange in den USA und ist mit der Publizistin Anne Applebaum verheiratet. Applebaum ist eine der bekanntesten Einpeitscherinnen der US-Neocons.
      Sikorski war in der ersten PiS-Regierung von 2005 bis 2007 parteiloser Verteidigungsminister. Er war dann vom damaligen Premier J. Kaczynski entlassen worden, weil dem nicht nur Sikorskis zweite – die britische – Staatsangehörigkeit missfiel, sondern Sikorski offenbar auch nach Verzicht auf die britische Staatsangehörigkeit ausserhalb des Dienstwegs Kontakt zu ausländischen Diensten unterhielt.
      Kurz zu den angesprochenen Unterschieden in der Motivlage von PiS und dem Tusk-Lager. Die PiS will Russland isolieren, weil sie für Polen im Raum zwischen Russland und Deutschland – incl. der Ukraine selbstverständlich – die Rolle einer Regionalmacht erträumen. Diese Vorstellung hängt stark mit der polnischen Geschichte zusammen. Gesellschaftspolitisch ist die PiS im übrigen gar nicht so USA-freundlich.
      Das Tusk-Lager agiert einfach nur als Interessenagentur der USA und der EU-Kernländer. Polnische Geopolitik spielt keine Rolle, auch wenn die Linke, die in Polen zweimal die Regierung stellte und jetzt als kleinster Partner der Tusk-Regierung angehört, Ende der 90er Jahre Vorstellungen von Polen als Brücke nach Osten entwickelt hatte. Nach der Beteiligung Polens am Irak-Krieg unter der linken Regierung Miller war das schnell verflogen.

  4. Ist ja ganz klar, man kann als Regierung die 4. Regierungsgewalt nicht einfach der Opposition überlassen, wenn man bedenkt, dass diese die öffentliche Meinung, oder konkreter: die öffentlich geäußerte Meinung, erzeugt, Hier werden die No-Goes festgelegt, hier wird Cancel Culture praktiziert, hier werden die Narrative unters Volk gebracht und die Breite des Meinungskorridors festgelegt.

    All dies wirkt nicht nur auf das Publikum, sondern über dieses wieder auf die Politik und ihre Möglichkeiten zurück. Ich vermute, dass heutige politische Entscheidungen und ihre Umsetzungen maßgeblich in kleinen Zirkeln aus Medienmachern, Lobbygruppen und Parteipolitikern entschieden werden. Letztere sind dabei oft nur die Ausführenden und haben in Bezug auf die beiden undemokratischen Machtgruppen die schwächere Position. Sie rennen, um es mit einem deutschen Politiker zu sagen, “BILD, Bams und Glotze” hinterher und nur im privaten Gespräch äußern sie ihren Dissens.

  5. Artur _C meint es seien die USA, ich denke eher GB.
    Und das unrecht kann nicht mit unrecht behandelt werden, da nur Obrigkeiten zu Worte kommen, aber selten der Plebs.
    Deutschland zieht neue Grenzen, nicht offensichtlich, aber mit ihrer Art sich zu verkleiden. Viel Gedöns, aber unterm Strich erfolgreich durchgesetzt.
    Scheiss Demokratie, wenn man das 1*1 nicht kann.

  6. Das klingt so ähnlich wie die “Versäulung”, die die Niederlande in der Vergangenheit hatten. Damit ging es den Niederländern jedenfalls besser als heute.
    Aber in Polen gibts anscheinend nur die katholische Welt und die säkulare / neoliberale Welt. Das sieht etwas altertümlich aus, und es fehlt die soziale und linke Welt?!

  7. In Polen gab es nach der Wende 1989 zweimal eine “linke” Regierung, 1993-1997 und 2001- 2005. Der der “Vereinigung der demokratischen Linken” (SLD) entstammende Staatspräsident Aleksander Kwasniewski wurde 1995 gewählt und 200O wiedergewählt. Im Unterschied zur PDS waren in der SLD hochrangige Funktionäre der Volksrepublik-Zeit an vorderster Stelle repräsentiert. Kwasniewski war vor 1989 Jugend- und Sportminister, der SLD-Premier Leszek Miller war vor 1989 Sekretär des ZK der Vereinigten Arbeiterpartei PVAP.

    Durch Affären, fehlende sozialpolitische Sensibilität und nicht zuletzt den Kriegseintritt an der Seite der USA 2003 – Bush nannte Kwasniewski “seinen besten Freund auf dem europäischen Kontinent – hat sich die polnische Linke diskreditiert. Die zweite Regierung hatte allerdings auch Pech, weil sie eine Verschärfung der Transformationskrise um die Jahrhundertwende mit extremer Arbeitslosigkeit managen musste.

    Bei den Wahlen hat die jetzt “Neue Linke” genannte Formation noch 8,6% erhalten. Sie ist Koalitionspartner Tusks und wird von den Polen vor allem mit Frauenrechten und einer EU-freundlichen Haltung, aber kaum mit Sozialpolitik, in Verbindung gebracht. Sozialpolitik bringen die Polen heute eher mit der PiS in Verbindung.

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