Die Zeitenwende erzwingt einen grandiosen Ministerwechsel

Verteidigungsminister Boris Pistorius mit der US-Botschafterin Amy Gutmann am 19. Januar 2023. Bild:DoD

 

Ein ehrloser Rücktritt der Verteidigungsministerin und der Antritt eines wahren Kriegsministers

 

  1. Ein ehrwürdiger Zapfenstreich

Unter dem Titel „Verteidigungsministerin der Zeitenwende: Christine Lambrecht verabschiedet“ (BMVG, 29.3.2023) ehrten die politischen Entscheidungsträger die ehemalige Verteidigungsministerin mit dem Großen Zapfenstreich, „dem feierlichsten militärischen Zeremoniell der Bundeswehr“. (BMVG) Dieses Zeremoniell der Bundeswehr wurde denn auch abgewickelt auf folgende Weise:

Berlin, 28.März 2023, Paradeplatz am Bendlerblock 20:15 Uhr: Dunkel die Nacht und kein störender, die Aufmerksamkeit des Publikums ablenkender Lärm der Straße; ansonsten das in Szene gesetzte Schauspiel getaucht in kaum das Dunkel erhellenden, milden, dezent-orangefarbenen Licht; hervorgehoben dadurch die punktuell leicht flackernden Fackelscheine der Fackelträger; die in Marschkolonne und absoluten, strammen Gleichschritt; Marschmusik und Trommelwirbel; zuweilen der die Nacht durchdringende Befehl an die aufmarschierte Marschkolonne: „Gewehr ü, Gewehrt ab, Augen rechts“; soviel zum geistigen Inhalt der Veranstaltung; auf der Ehrentribüne versammelt nicht das gewöhnliche Volk der Straße, sondern die ehrenwerte Gesellschaft von ausgewählten, sogenannten herausragenden Persönlichkeiten dieses Landes; insgesamt: Zurschaustellung und Zeremonie einer Ehrfurcht erweckende Atmosphäre – gedacht als politische Botschaft für die Wohnstuben daheim dahingehend:

„Der amtierende Verteidigungsminister Boris Pistorius sagte in seiner Rede an seine Vorgängerin, dass der Große Zapfenstreich als Ehrenbekundung des Militärs gegenüber der politischen Leitung einer zentralen historischen Traditionslinie folge: ‚Der zivile Oberbefehl über die Streitkräfte ist eine wichtige, eine entscheidende demokratische Tradition.'“ (BMVG)

Dieser politischen Botschaft nach haben die demokratisch in Szene gesetzte „Ehrenbekundungen“ des Militärs gegenüber der damaligen politischen Leitung des Militärs unter Mussolini oder unter der nationalsozialistischen politischen Leitung keinen historischen Bezug. Wenngleich, etwa Lenie Riefenstahl, mindestens genauso gekonnt das damalige gelungene Zusammenspiel zwischen politischer Leitung und ihrem Militär in Szene setzte – unter dem damals wie heute recht aktuellen Titel: „Triumph des Willens“, des deutschen Willens natürlich. Am grundlegenden Dienstverhältnis zwischen politischer Leitung und seinem Militär ist jedenfalls kein Unterschied auszumachen. Beide Male ist es die politische Leitung, dem das Militär als seinem Oberbefehlshaber untergeordnet ist.

Wie auch immer: Die ganze Szenerie des militärische Zapfenstreichs anlässlich zu Ehren der ehemaligen Verteidigungsministerin ist dem gewöhnlichen Publikum gegenüber zugleich das versinnbildlichte, zur unmittelbaren Anschauung gebrachte Prinzip von Befehl und unbedingten soldatischen Gehorsam; symbolträchtig inszeniert als eine gleichsam „liturgische Erfahrung“ (Smend, Rudolf, Verfassung und Verfassungsrecht, München und Leipzig, 1928). Eine Zeremonie, Ehrerweisung und Feier dieses sehr seltsamen Gehorsams, der eine eine unbedingte Todes- und Tötungsbereitschaft der dazu professionell Ausgebildeten und Erzogenen unterstellt; und zwar dann, wenn die Regierungsverantwortlichen den Ernst der Stunde bekanntgeben und anordnen.

Heutzutage allerdings mit der Hervorhebung, dass dieser eigenartige Gehorsam und das Militär in der ausgerufenen und angebrochenen Zeitenwende eine ungleich andere Bedeutung und Stellung innerhalb der „immer neuen Herstellung der Staatsgemeinschaft als Willensverband überhaupt“ (R.Smend, ebd.: 34) einzunehmen haben – gegenüber der Zeit vor der deutschen und europäisch beschlossenen Zeitenwende durch eben die Regierungsverantwortlichen.

Gemessen am so geschaffenen Zustand „einer ‚Zeit höchster Intensität“ (Pistorius), der zugleich das „größte Ertüchtigungspaket in der Geschichte der Streitkräfte“ (Pistorius) ausgelöst hat, gemessen daran hat die ehemalige Verteidigungsministerin im Urteil der kriegstrunkenen massenmedialen öffentlichen Meinung vollkommen versagt. In der 13 Monate währenden Zeitenwende habe sie die Macht, die ihr qua Amt zukommt, nicht dazu genutzt, für die „Riesenaufgabe, für eine starke Bundeswehr“ (Pistorius) zu sorgen, die Deutschland in Europa zur unbestrittenen militärischen Führungsmacht erhebt; und, im Verbund damit, Europa zu einer globalen geopolitischen Machtprojektion befähigt – nebst der endgültigen Erledigung der Russischen Föderation durch den ukrainischen Oberbefehlshaber und seiner Befehlsgewalt über die ihm unterstellte ukrainischen Bevölkerung.[1]

Angesichts dieses nicht unbescheidenen Anspruchs soll unter der ehemaligen Verteidigungsministerin die Zeitenwende beim Militär nicht nur nicht angekommen sein, vielmehr „ist das Verteidigungsministerium in eine tiefe Lethargie gefallen.“ (Der Spiegel, Hamburg, Printausgabe Nr.3, 14.1.2023, Titelgeschichte „Heerjemine!“) mit einem Wort: „Lambrecht beschämt ganz Deutschland“ (Bild-Zeitung, 2.1.2023) – so das fachkundige Urteil einer kriegsbegeisterten Zeitenwende-Öffentlichkeit. So kann es nicht bleiben, ein Rücktritt muss sein.

  1. Ein ehrloser Rücktritt

Am 16. Januar 2023 zieht die Verteidigungsministerin die Konsequenz und tritt vom hohen, verantwortungsvollen und ehrwürdigen Amt zurück. Vorausgegangen war, wie gesagt, eine über Monate anhaltende, vernichtende Kritik an Ihrer Amtsführung. Den Gipfel der sogenannten „Entgleisungen“ und „Fehltritte“ bildet eine Video-Silvester Botschaft an die berühmten „Menschen im Land“: Skandalös, blamabel, unprofessionell, unwürdig, geschmacklos lautet unisono das Urteil einer kriegsmoralisch glänzend integrierten Öffentlichkeit. Eine Neujahrsbotschaft, die nichts als „Spott und Häme“ verdient, waren noch die mildesten Kommentare der herabsetzenden und hasserfüllten Verurteilung und Verachtung. Der öffentlichen Kriegsbegeisterung entsprechend, zählen diese Hassbotschaften aber nicht als Hassbotschaften. Den Rücktritt der Ministerin nehmen die öffentlichkeitswirksamen Leitmedien zur Klarstellung der Schuldfrage als endgültig ehr- und charakterlose Abdankung: „Christine Lambrecht schiebt die Schuld für ihren vorzeitigen Abgang auf die Medien.“ (Bild-Zeitung, 16.1.2023)

Allerdings legt diese Aburteilung Buchstabe für Buchstabe nur Zeugnis ab vom Geist der Kritik, der seit der ausgerufenen Zeitenwende herrscht. Es lohnt sich also durchaus, im Nachgang die berühmt-berüchtigte Neujahrs-Videobotschaft noch einmal näher anzusehen. Durchaus im Kontrast zur öffentlichen Inszenierung des Großen Zapfenstreichs, „dem feierlichsten militärischen Zeremoniell der Bundeswehr“. (BMVG) Sind doch in der Betrachtung der Neujahrs-Videobotschaft mit den Augen der kriegsbereiten Öffentlichkeit sämtliche Maßstäbe der Kritik, die die geistig-moralische Zeitenwende hervorgebracht hat, darstellbar.

 

  1. Eine Videobotschaft an das Volk und die Maßstäbe einer Kritik

 

„Es ist mehr oder weniger der Sinn der Stellung aller Staatsoberhäupter, die Einheit des Staatsvolkes zu ‚repräsentieren‘ oder zu ‚verkörpern‘, d.h. ein Symbol für sie zu sein, wie es Fahnen, Wappen, Nationalhymnen […] sind“. (R.Smend, 1928: 28)

Silvesterabend, 31.12.2022 mitten in Berlin: Die deutsche Verteidigungsministerin, irgendwo in Berlin auf offener Straße; vom Wind ständig aufs Neue zersauste Haare, inmitten ohrenbetäubender Silvesterkracher und Böllerschüsse, die die Worte der Verteidigungsministerin im ohrenbetäubenden Silversterlärm so gut wie unverständlich machen. Eine Ministerin, ununterscheidbar vom gewöhnlichen Menschen auf der Straße: Weder eine feierlich angemessene Kleidung, noch eine feierliche, stilvolle Atmosphäre; kein stiller, andächtiger, symbolträchtig ausstaffierter und aufgeladener Raum, in den ein hässlich-störender Lärm der Straße dringen kann; keine noble, souveräne, Ehrfurcht gebietende Distanz der hohen, amtsführenden, entscheidungsbefugten Person zum niederen Volk der Straße. Welch ein Unterschied zur gekonnten, professionell aufbereiteten Distanz zum gemeinen Volk, die zugleich als betonte Volksnähe inszeniert ist: „Wir, liebe Bürgerinnen und Bürger…“; eine Volksnähe also, die die unterwürfige Distanz des niederen Straßenvolkes zum politischen Entscheidungsträger zur Grundlage hat – wie etwa die Weihnachtsansprache 2022 des Bundespräsidenten oder die Neujahrsansprache des Bundeskanzlers anschaulich belegen.

Ebenso wenig bedächtige, wohltemperierte, ausgefeilt berechnende Sentenzen, die die bedeutungsschwangere Erhabenheit des Gesagten gleichermaßen hervorheben wie sie die unvergleichliche Persönlichkeit eines Regierungsverantwortlichen gegenüber den gewöhnlichen Bürgerinnen und Bürgers des Landes betonen; keine geschliffene Rede, der die Menschen im Lande nachdenklich-ergriffen lauschen sollen; keine Inszenierung der Zeremonie einer kirchlichen Messe und einer möglichen „liturgischen Erfahrung“ (R.Smend), wie sie der Große Zapfenstreich vorführt; keine Ehrfurcht erregende und Respekt fordernde Atmosphäre gegenüber der Repräsentantin eines Hohen Amtes und des Hohen Amtes selbst; nirgendwo eine deutsche, noch die europäische, auch keine ukrainische Fahne, von denen eine jede Fahne das Bekenntnis und die innere Verbundenheit mit der jeweiligen, übergeordneten politischen Gemeinschaft symbolhaft zum Ausdruck bringen soll; kein Wille zum Krieg, keine Kriegsbereitschaft, schon gar nicht eine Kriegsbegeisterung sichtbar, wie sie die Zeitenwende, ihre regierungsamtlichen Vertreter und, im vorauseilenden Gehorsam, die Vierte Gewalt unterm Signum einer totalitären Propaganda rund um die Uhr in die Wohnstuben und bis ins hinterletzte Kinderzimmer tragen: täglich, stündlich minütlich; stattdessen liefert die ehemalige Verteidigungsministerin eine Videobotschaft an das Volk, jenseits jeglicher Kriegs-Propaganda.

Endgültig und unumkehrbar ehrlos: Kein Feindbild ist auszumachen, wie es insbesondere ihr und ihrem Amt ziemt, wie es ihre Amtskollegen ihr so vorbildlich vorleben; und, Höhepunkt der vaterlandslosen und absolut abscheulichen Gesinnung: kein Wort über die immense Aufrüstung, auch weit über die 100 Milliarden Sondervermögen hinaus; kein Wort über die zügig weiter voranzutreibende Eskalation des Krieges mittels der ukrainischen Bevölkerung durch unterbrochene Waffenlieferung; kein Wort über die Notwendigkeit eines Sieges über Russland; und, der Gipfel des Ganzen am Vorabend des kommenden neuen Jahres der Zeitenwende: keine öffentliche Verurteilung Putins und dieses „völkerrechtswidrigen Angriffskrieges“![2] Die Verteidigungsministerin hingegen:

Mitten in Europa tobt ein Krieg. Und damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte, viele, viele Begegnungen mit interessanten und mit tollen Menschen. Dafür sage ich ein herzliches Dankeschön. (Chr. Lambrecht, Silvester-Videobotschaft)

Solches Verhalten offenbart eine gänzliche politische Pflichtvergessenheit, unwürdig einer politischen Amtsträgerin und des Amtes, das sie gegenüber den einfachen Menschen auf der Strasse repräsentiert. Insgesamt: Der anscheinend erbrachte Nachweis, dass hier die politische Amtsträgerin nicht ihren Dienst im Interesse des Erfolgs des deutschen Gemeinwohls in der angebrochenen und seit 1 Jahr währenden Zeitenwende in den Vordergrund stellt, sondern vornehmlich ihr privates Interesse verfolgt.

Also lautet das politische Todesurteil: An dieser Amtsträgerin ist nirgendwo eine Personifikation der Staatsräson in der Zeitenwende erkennbar, worauf das Volk einen unbedingten Anspruch hat; nirgendwo sichtbar die Amtsträgerin als die höchstpersönliche Versubjektivierung des demokratische Willens zum Krieg – radikalisiert durch „eine ‚Zeit höchster Intensität“ (Pistorius); einer Zeit des „größten Ertüchtigungspakets in der Geschichte der Streitkräfte“. (Pistorius) So nehmen jubilierende Erleichterung und Entschlossenheit kein Wunder:

Bei der Bundeswehr herrscht seit dem Wochenende Erleichterung über den Abgang von Christine Lambrecht, aber große Anspannung mit Blick auf die Entscheidung über ihre Nachfolge. „Der nächste Schuss muss sitzen“, heißt es. (Bild-Zeitung, 16.1.2023)

 Und der der nächste Schuss wird sitzen, mit dem Nachfolger im Amt, im Verein mit Seinesgleichen oder auch über ihn hinaus, so oder so.

 

  1. Der Nachfolger im Amt – ein wahrer Kriegsminister!

 

„Deutschland hat endlich wieder einen Kerl an der Spitze der Bundeswehr und er ist beliebt wie niemand sonst. Wie macht er das? […] Er ist gerade drei Wochen im Amt, hat noch immer nicht Russland besiegt, was kann man da schon über ihn sagen? […] Was für ein Mensch ist da an der Macht?“ (ntv-Interview mit Pistorius, 10.2.2023)

Dieses Rätsel um die Beliebtheit ist sogleich gelöst, denn die Antwort auf diese rhetorisch gestellte Frage liefert der Sender stellvertretend für die bundesrepublikanische Medienlandschaft und stellvertretend für die Öffentlichkeit in der Zeitenwende gleich mit:

„Der Name Boris Pistorius allein – so könnte man auch eine römische Kriegsgaleere taufen. Er hat die Statur einer Munitionskiste. Seine Stimme brummt und raspelt sonor wie ein rangierender Radpanzer. Seine Mimik ist fest, aber nicht starr, zwischen den Brauen liegen Falten der Konzentration, aber nicht des Zorns […] Seine Sätze sind kurz. Seine Antworten sind schnell, wie aus dem Pistorius geschossen […] ‚Bum Bum Boris‘ (‚Bild‘) weiß, was er da tut.“ (ntv)

Kein Zweifel: Der Neue ist die perfekte Personifikation des mittels der Zeitenwende radikal gewordenen, entschlossenen Willens zum Krieg. Darüber hinaus anscheinend begnadet mit der Durchsetzungsfähigkeit, alles in seiner Macht stehende zu tun um mitzuhelfen, der Russischen Föderation eine solche militärische und politische Niederlage zu bereiten, dass sie ihre (auch nukleare) Kapitulationsurkunde signiert. Viel mehr noch: Donnerwetter, der Neue im Amt scheint definitiv entschieden, seine ganze Macht und Persönlichkeit in die Waagschale zu werfen, um Deutschland innerhalb Europas zur unwidersprechlichen militärischen Führungsmacht zu erheben; und in diesem Sinn Europa zu einem souveränen Global Player in den kommenden geo- und weltpolitischen Auseinandersetzungen, „Herausforderungen“ genannt, zu machen.

Das überzeugt im Zeitgeist der Zeitenwende, da muss der Neue im Amt sich gar nicht bemühen, „durch Charisma punkten“ (ntv), denn solche Entschlossenheit das macht schon sein ganzes Charisma aus. Das ist er also, der neue „Mensch da an der Macht“, und glaubwürdig erscheint er als: „Das Gegenteil von Christine Lambrecht.“ (ntv)

Vollendung, Bewunderung und endgültigen Zuspruch findet der Personenkult um den Neuen im Amt in dem, was er als seine politische Weltanschauung berechnend der Öffentlichkeit zuleitet – in seinen Antworten „wie aus dem Pistorius geschossen“ (ntv):

Die Ukraine hat tolle Soldaten.
 Soll die Ukraine gewinnen?
 Ja, natürlich gilt der Satz noch.
 Und der Atomkrieg?
 Das macht mir nicht wirklich Angst.“
 Ist die Welt ohne Putin besser?
 Das kann man ohne zu Zögern und ohne Abstriche sagen.“
 Was macht das Amt mit Ihnen?
 Nichts. (Entnommen und in plakative Schlagzeilen gegossen hat ntv die Fragen und Antworten Pistorius‘ einem Bild-Zeitungsinterview mit Pistorius vom 8.2.2023)

Mit einem Wort: „Es sind diese kleinen Dinge, an denen die Öffentlichkeit erkennt, was für ein Mensch da an der Macht ist. Sie kann nur begrenzt beurteilen, welche Panzerzahl die richtige und ob ein Gesetzentwurf klug ist.“ (ntv)

Um andererseits Regierungsverantwortliche daheim und im Ausland zu überzeugen, die dem aufgemachten Personenkult beifällig zunicken, ansonsten aber nicht weiter Ernst nehmen, bedarf es etwas mehr als Sätze wie aus der Pistole geschossen. Aber auch da kann der Neue im Amt beeindrucken, weshalb er auch ins Amt berufen wurde. In den Kreisen Seinesgleichen ist der Neue gut angekommen schon als Innenminister mit einem Plan „Krieg in Europa – In der Krise zusammenstehen: Bund-Länder-Pakt für den Zivil- und Katastrophenschutz.“ (Pistorius, März 2022) Dieser Plan soll unter anderem Antworten darauf geben können, „wie auf eine anspruchsvollere äußere und innere Gefährdungslage zu reagieren ist“. Die politischen Aktionen und Reaktionen hinsichtlich äußeren und inneren Gefährdungslagen kommen sich dabei nicht in die Quere:

Denn beide Bereiche, äußere und innere Verteidigung, sind zwei Seiten einer Medaille und stehen nicht miteinander in Konkurrenz […] Entscheidend dabei ist: Gerade die Stärkung der inneren Verteidigungsfähigkeit erfordert ein Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen. Alle staatlichen Ebenen sind gefordert, hierzu ihren Beitrag zu leisten […]

Angesichts des Krieges und des Wirtschaftskrieges gegen Russland und den Zumutungen und Entbehrungen, die die Zeitenwende der Mehrheit der Bevölkerung abverlangt, kommt der inneren Verteidigungsfähigkeit gegen eine möglicherweise anwachsende Unzufriedenheit, gegen innere Unruhen, gegen ein womögliches Aufbegehren größerer Bevölkerungsteile eine nicht unbedeutende Rolle zu.

In Anbetracht des anvisierten Ziels, über Russland und die Ukraine hinaus auch mittels Krieg Deutschland und Europa zu einem globalen, auch nuklear durchsetzungsfähigen Auslöser und Akteur kommender geo- und weltpolitischen Auseinandersetzungen im 21. Jahrhundert zu machen, ist der äußeren Landesverteidigung gleichwohl ein grundlegender Vorrang einzuräumen. Das  (nukleare) Kriegsszenario im Gedanken schon einmal durchgespielt, ergibt folgende Notwendigkeiten für das existenzielle Überleben von Staat, Standort und Nation:

„Resiliente Bevölkerung [sowie..] Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen […] ebenenübergreifender geschützter Kommunikationsfähigkeit sowie einer zugehörigen Infrastruktur für Ausweichsitze relevanter Behörden – Ausbau der Strukturen für den flächendeckenden physischen Schutz der Bevölkerung durch Schutzräume bzw. alternative Schutzmöglichkeiten […].“

Gegenwärtig ist es aber noch nicht soweit. Der NATO geführte Krieg gegen die Russische Föderation ist noch nicht zu seinem für den wertegeleiteten Westen befriedigenden Abschluss gekommen, da liegt noch Einiges im Argen, wie auch das ZDF stellvertretend für seine Kollegen im In- und Europäischen Ausland vermerkt:

ZDF: Aber gibt es dafür denn überhaupt noch genügend Munition? Also man hört ja, dass die offenbar schon auf Sparflamme schießen, die ukrainischen Soldaten […]

Pistorius: Also, der Eindruck ist heute hier nicht erweckt worden, dass auf Sparflamme geschossen wird. Ganz im Gegenteil […]

ZDF: Munitionsknappheit gab und gibt es aber auch.

Pistorius: Da sind wir mit der Rüstungsindustrie sehr weit. In Kürze wird eine neue Produktionsstraße für diese Munition eröffnet. Wir haben außerdem noch Verhandlungen laufen mit zwei, drei Ländern, von denen wir möglicherweise Munition bekommen können. (ZDF-Interview mit Pistorius in Kiew weilend, 7.2.2023)

In die deutsch-europäische Zukunft gedacht, ist dem konstruktiven Zusammenspiel von politischer Leitung, Militär und Militärisch-industriellen Komplex (MIK) wohl eine glänzende Zukunft beschieden, denn:

„Es muss mehr von Europa kommen, sehr viel mehr. Unser Ziel ist eine moderne Allround Armee, die ein starker militärischer Kooperations- und Anlehnungspartner ist. Das ist eine starke Antwort auf die Zeitenwende – und ein Versprechen für die Zukunft: Deutschland leistet einen substanziellen Beitrag zur militärischen Stärke Europas. Übrigens gilt das nicht nur für die Landes- und Bündnisverteidigung, sondern auch für das internationale Krisenmanagement. Und nicht nur für die Ostflanke, sondern ebenso mit Blick auf weitere Regionen, in denen Sicherheit und Ordnung unter Druck stehen – allen voran den Indopazifik.“ (Pistorius-Rede auf der MSC 2023, 23.2.2023)

Keine Frage, der Neue im Amt ist ein wahrer Kriegsminister!

Um aber das geplante Kommende ordnungsgemäß in Angriff zu nehmen, ist allerdings noch eine Frage hinsichtlich des Völkerrechts zu klären. Die deutsche Außenministerin erteilt die dazu notwendige Auskunft.

 

  1. Ausblick: Klärung der Frage völkerrechtskonformer Kriege

 

„Man muss immer im konkreten Fall prüfen, ob ein Einsatz zu mehr oder zu weniger Leid führen wird und ob er auf dem Boden des Völkerrechts steht.“ (Baerbock, Mit Dialog und Härte, April 26, 2021)

Das will wohlüberlegt sein für die kommenden Einsätze, andererseits: „Ist das gewissenhaft geprüft, dann steht auch einer notfalls nuklearen Auseinandersetzung mit dem Aggressiven und Bösen nichts mehr im Wege.“ (J. Schillo: Ein nationaler Aufreger – Zur Kritik der Erinnerungskultur, Ulm, 2022: 97.)

Der allgemeine Geisteszustand der Zeitenwende ist darauf längst ausgerichtet und eingestellt: „Eskalationsphobie – eine deutsche Krankheit“ der Eine, so die Diagnose des Politikprofessors und Direktors des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel; hinsichtlich eines möglichen Atomkriegs: „Ich habe keine Angst“, ein Anderer. Die Sorgen der Hohen Damen und Herren sind zurecht unbegründet, ist die gesicherte „Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen […] sowie einer zugehörigen Infrastruktur für Ausweichsitze relevanter Behörden“ (Pistorius, März 2022) doch gewährleistet.

[1] Einschließlich der militärischen Befähigung der Ukraine durch die USA, NATO, Deutschland, Großbritannien und EU, die Russische Föderation in einen seit Monaten währenden konventionellen Stellungs-, Graben- und Abnutzungskrieg hinein zu manövrieren. Mit dem für den Westen bislang angenehmen militärischen Zustand, einen Krieg gegen Russland führen zu können, ohne die eigene menschliche, soldatische Kriegsressource der praktischen, der unmittelbaren Todes- und Tötungssituation ausliefern zu müssen – bislang jedenfalls. Eine westliche Kriegsführung darüber hinaus, die kaum noch die Kriterien eines verdeckten Krieges und eines Stellvertreterkrieges erfüllt.

[2] So betrachtet: Andere, die eigenen Kriege und die laufenden Kriege gewisser, geschätzter Wertepartner, waren und sind allem Anschein nach keine völkerrechtswidrigen Kriege.

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17 Kommentare

  1. Schönes Foto, sehr gelungen. Man beachte die Positionierung der abgelichteten Persönlichkeiten. Linker Hand und rechter Hand. Da braucht es fast keinen Text mehr, um Verhältnisse zu beschreiben.
    Aber der Text ist trotzdem sehr gelungen – lenkte meinen Blick auf Hintergründigkeiten und Hintergründe, die meiner Aufmerksamkeit bisher völlig entgangen waren. Sehr schön. Fast könnte ich ein bisschen Mitleid mit Protagonisten der Scharade entwickeln. Ich weiß nur noch nicht, welche Sorte von Mitleid – für die mögliche Naivität oder die Umstände der Abwicklung von Lambrecht – oder ob sie es überhaupt verdient. 🤔

  2. Wenn politische ‚Grössen‘ von einer Zeitenwende reden, meinen diese ihren eigenen Status in Frage zu stellen?
    Stattdessen wird ein Land demographisch ausradiert und letztendlich gucken alle zu und befeuern ihren shareholder value mit noch mehr Waffen zu liefern.
    Die BW unter alter oder neuer Führung, zeichnet sich dadurch aus, dass mehr aktive austreten als eintreten.
    Das dürfte dann die LGBTX Generation wahrlich interessieren, denn 99% von ‚einiger Maßen gesunden Bürger‘, sollen der Minderheit helfen andere Mehrheiten zu unterdrücken. Ist das Krank?

  3. Der Autor beschreibt unzweideutig wohin die Reise geht: Die deutsche Staatsführung will den russischen Bremsklotz wegräumen und rüstet sich zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung sowohl in Europa als auch im nichteuropäischen Ausland vornehmlich indopazifischen Raum. Das hat zwar bisher der transatlantische Partner federführend erledigt aber seitdem der Nato-unterlegte Export westlicher Maßstäbe Richtung Osten durch den russischen Einmarsch in der Ukraine ins Stocken geraten ist herrscht hierzulande helle Aufregung. Politiker und Medien stellen auf allen Kanälen die nationale Frage: Ist Deutschland in der Lage und – vor allem – auch willens den entscheidenden Enthauptungsschlag gegen den Kreml zu führen. Glasklar: Das sind kriegsvorbereitende Überlegungen mit eindeutiger Rollenverteilung (die Bevölkerung hat sich einzuschränken und den nicht ganz leichten Waffengang mitzutragen, die Truppe muss versorgt werden mit modernstem Material und zupackender Führung, die Staatsführung samt Opposition einig im gemeinsamen Kriegswillen).
    Was in diesen Kontext aber auch reingehört ist mE die Frage, warum internationale Konfliktlagen immer die Form kriegerischer Auseinandersetzung annehmen. Was macht die Staaten zu konkurrierende Gewaltapparate, die beständig ihre Interessen jenseits der Grenze zur Geltung bringen wollen und die Machete rausholen, wenn die Gegenseite zickt.

    1. Was es ist? Eine fehlende Ordnungsmacht,
      die derartige moralische Fehlleistungen
      empfindlich sanktionieren könnte.

      Die gängigen sind machtlos
      und längst durch den Westen manipuliert. Der Westen will auslöschen, weil ihn niemand daran hindert.
      Weil es niemanden zu geben scheint.

  4. Ein wenig zu lang, aber inhaltlich treffend, Wesentliches herausarbeitend. Der nächste Denkschritt – das Luftablassen, Deutschland ist de facto ein u.s.-amerikanischer Pudel, der bis über die Grenze des Masochismus hinaus diese Rolle ausfüllt. Die Reaktion auf die Nord Stream-Sabotage wird, wenn schliesslich alles schiefgegangen, noch zentnerschwer auf die heutige deutsche Politgarde zurückfallen, insbesondere den cum-ex-Beschwerten an der Spitze mit der partiellen Amnesie.

  5. Tja, jetzt fehlt uns nur noch ein Haus- und Hof-Militär-Philosoph wie Friedrich Nietzsche mit seinem absoluten „Willen zur Macht“ im 1. Weltkrieg – und ein neuer Hitler als sein später Fan…..der die Zitate Nietzsches klaut und für seine Zwecke ummodelt….

    Übrigens, „die Zeitenwende“ ist doch so neu nicht – wie schrieb Friedrich Nietzsche lange vor dem 1. Weltkrieg von der „Umwertung der Werte!“ – wir sind mitten drin – nur heute nennt man das neu-deutsch eben „Zeitenwende“….statt „Umwertung der Werte“

    …oder wie Nietzsche sagen würde (was die Nazis offensichtlich von ihm geklaut haben, und als ihren Spruch verkauft an die junge Generation der HJ) – „Gelobt sei was hart macht….“ bzw. wir müssen unsere „deutsche Sklavenmoral ablegen“ (auch Nietzsche lange vor dem 1. Weltkrieg)

    …wir passen dann auch bestens zu den angeblich nicht-rechtsextremen ASOW-Faschisten in der Ukraine….

    Sarkastische Grüße
    Bernie

  6. [„Langer Artikel ohne Sinn…wo gehör‘n die beiden hin???
    Nach Nuernberg vors mil.KRIEGSGERICHT, weil sie Verkäufer und Verräter des Landes sind.
    Als ILO und als PERSONAL vertreten sie eine NGO-STAATSSIMULATION-fiktional, illegal.
    Ein Land das unter KRIEGS-wie BESATZUNGSZUSTAND steht, welches sich hier als HANDELKIEG rum dreht, privater Kommerz, nöö, kein Scherz, darum sagen sie auch immer <<WIIIIIR<>ich<> ich <>The given History, someone agreed with<< is repeating right now, because their Mission is not accomplished, so our Mission to organize real justice for Peace and Freedom, too.. Peace out…”]

  7. Die Zeitenwende heisst: Kriege in aller Welt zu führen. WIR SIND WIEDER WER!

    Zitat:
    Dabei geht es General Kurczyk nicht darum, welche Waffensysteme die Bundeswehr hat. 
    „Es geht darum, ob wir Menschen haben, die bereit sind, für Deutschland in den Krieg zu ziehen, die bereit sind, für ihre Überzeugung, für unsere Werteordnung bis ans Ende der Welt zu gehen.
    Haben wir diese Menschen? 
    Das ist die Frage, die mich umtreibt

    https://www.n-tv.de/politik/Generalmajor-Markus-Kurczy-fordert-Umdenken-im-Umgang-mit-Rekruten-aus-der-Bundeswehr-article24040760.html

  8. Nach der behaupteten Corona-Pandemie haben wir jetzt also auch noch eine behauptete Zeitenwende. Die Zeitenwende war die Auflösung des Warschaueer Pakts, der Zusammenbruch (?) der Sowjetunion und das offenbar werden der Nato als Kriegsbündnis, was sie schon von Anfang an war. Das Ziel war immer die Filetierung Rußlands.
    Aber das Land hat sich vom Kommunismus bekehrt und ist normal geworden. Dafür gibt es eindrückliche Beweise.
    Welches Land hat im Wappen seines Verteidigungsministeriums St. Georg, den Drachentöter, oder eine Hauptkirche seiner Streitkräfte, oder einen Präsidenten, der Ikonen küßt? Zwischen Schau und tiefem Glauben sind alle Variationen denkbar!

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