Argentinische Amtskirche bittet um Verzeihung für Unterstützung der Militärdiktatur
Bereits 2016 hatte Papst Franziskus die Offenlegung sämtlicher Dokumente aus der Zeit der Militärdiktatur (1976 bis 83) angekündigt, darunter die seines Sekretariats und der Nuntiatur. Damals hatten viele argentinische Bischöfe und vor allem die Militärvikare Hand in Hand mit den Generälen zusammen gearbeitet, ideologisch, politisch und einige sogar bei der Folter.
Jetzt hat eine Kommission in der Katholischen Universität von Buenos Aires (UCA) das Ergebnis ihrer Arbeit vorgestellt: die drei Priester Carlos María Galli, Juan Guillermo Durán und Luis Oscar Liberti sowie der Historiker Federico Tavelli. Titel der ersten beiden Werke (im September wird der letzte Band erscheinen) ist ein Zitat von Jesus Christus: Die Wahrheit wird Euch frei machen! Das Werk analysiert den Zeitraum 1966 bis 1983, stellt also den Zusammenhang mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil her.
Die Initiative war vom Papst und nicht von der argentinischen Amtskirche ausgegangen, die das Thema am Liebsten totgeschwiegen hätte. Das Verhältnis von Franziskus zur Bischofskonferenz vor Ort, der CEA, gilt als belastet. Der frühere Erzbischof von Buenos Aires bereist unermüdlich alle Länder der Welt, nur um sein Heimatland macht er einen Bogen.
Die Kommission hat eine Menge neues Material zusammengetragen und der Öffentlichkeit dargelegt. Bisher mussten Betroffene, die ihre Angehörigen und die eigene Identität suchten, ihr berechtigtes Interesse beweisen und bekamen dann bestenfalls eine Auskunft, durften aber nicht selbst im Archiv suchen. Die vier Forscher hatten Zugang zur CEA, den Papieren des Vatikans und der Nuntiatur. Die Akten der Militärbischöfe, darunter die Karteikarten von Emilio Graselli (damals im Militärvikariat für die politischen Gefangenen zuständig) liegen aber nicht vollständig vor. Der von Franziskus ernannte Militärbischof, Santiago Oliveiro, will, wie er mir gegenüber schon früher erklärt hatte, trotz intensiver Suche kaum etwas in seinem Archiv gefunden haben; allerdings händigte er mir eine Kopie des Taufregisters des Folterzentrums ESMA aus, die ich ins Internet stellte.
Während der letzten argentinischen Militärdiktatur (1976 bis 1983) verrichteten 406 Kapläne ihren Dienst in den Kasernen. Bis zu 30.000 Menschen waren ermordet worden, erschossen, irgendwo verscharrt oder aus dem Flugzeug ins Meer geworfen. Überlebende berichteten, dass die Kapläne in den Folterzentren ein und aus gingen; einer der Piloten der Todesflüge, der Hauptmann Adolfo Scilingo, gab später zu Protokoll:
„Als ich von meinem ersten Flug zurückkehrte, ging es mir gar nicht gut. Ich bat unseren Kaplan um ein Gespräch. Und der begründete diese Flüge mit dem Christentum: die Gefangenen seien einen christlichen Tod gestorben, man müsse diese Leute eliminieren. Krieg sei Krieg, auch die Bibel spricht davon, dass das Unkraut aus dem Kornfeld zu eliminieren sei. Das hat mir gut getan.“
Der Polizeikaplan Christian von Wernich war einer der Wenigen, der zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. „Von Wernich ging in dem Folterzentrum der Geheimpolizei ein und aus“, so der Richter Norberto Lorenzo. „Nachdem die Polizei den Gefangenen zu Ende gefoltert hatte, forderte er seine Familienangehörigen auf, Geld für ein Flugticket zu sammeln, um ihn ins Ausland zu bringen. Als er das Geld bekommen hatte, erschossen sie den Gefangenen vor seinen Augen. Das wurde alles im Prozess bewiesen“.
Das knappe Vorwort der jetzt veröffentlichten Bände wurde von der CEA verfasst. Sie bittet um Verzeihung, man habe damals „nicht gemäß der Umstände gehandelt“. Dass man, wie es die argentinische Öffentlichkeit annimmt, „Komplizen“ der Militärs gewesen sei, wurde aber bei der Buch-Vorstellung bestritten. Es gehe nicht um Verurteilung, sondern um die Herstellung der historischen Wahrheit, die man der Gesellschaft schulde.
Man habe ausdrücklich die „Theorie der beiden Dämonen“ abgelehnt und auf die soziale Gewalt der politischen Verhältnisse hingewiesen. Rechte Kreise verteidigen sich damit, dass die Gewalt der Guerilla die Gewalt der Militärs herausgefordert habe, unter dem Motto: selbst schuld. Das sei Unsinn, hieß es vom Podium herab. Warum sich die CEA nicht öffentlich für die Verschleppten und Ermordeten eingesetzt und den Menschenrechtsgruppen die Solidarität verweigert habe, bleibt aber weiterhin unklar. Man habe auf „Dialog“ gesetzt.
In Chile hingegen hatte die katholische Kirche das „Vikariat der Solidarität“ ins Leben gerufen, und es wurde zur ersten Anlaufstelle für die Opfer, Rechtsanwälte und Journalisten aus aller Welt. In Argentinien setzte man sich in der „Comisión de Enlace“ zusammen, einer Verbindungs-Kommission, die sich 22 mal in netter Atmosphäre mit den Generälen traf und sich anhörte, dass man leider keine Informationen zu den behaupteten Verschleppungen gefunden habe. In der Öffentlichkeit schwieg man zu den systematischen Morden und las für die Generäle die Messe.
Selbst der Vatikan reagierte auf den zunehmenden Druck der Mütter und Großmütter vom Maiplatz, die regelmäßig dort um Hilfe baten. Die Gründerin der Großmütter vom Maiplatz, Chicha Mariani, hatte 14 Mal in Rom vorgesprochen und Material übergeben. Der Militärkaplan Graselli hatte ihr gesagt, dass ihr Enkelkind in einer christlichen Umgebung aufwachse und ihm die Hände gebunden seien. Ihre Enkeltochter Anahí war als Neugeborene bei der Festnahme ihrer Schwiegertochter von der Polizei mitgenommen worden. Mariani hat auf ihre Eingaben nie eine Antwort erhalten; sie starb vor fünf Jahren, ohne Anahí gefunden zu haben. Immerhin hatte sich der Papst Juan Pablo II mit den Familienangehörigen getroffen und wollte die Menschenrechtsverletzungen öffentlich anklagen. Die argentinischen Bischöfe widersprachen ihm, das würde „nur die anti-argentinische Kampagne nähren“, meinten sie.
Die Kirchenhierarchie verfolgte damals zwei strategische Ziele: Zum Einen ging es gegen den Kommunismus, wie immer. Doch es ging auch um eine interne Auseinandersetzung. Der argentinische Klerus hatte sich nie mit dem Ergebnis des Zweiten Vatikanischen Konzils abfinden können, das ab 1962 in Rom begonnen hatte. Es hatte grundlegende Reformen beschlossen, wie die Parteinahme für die Armen. 1968, traf sich die lateinamerikanische Bischofskonferenz in Medellín, um die Grundsätze des Konzils zu vertiefen. Die Stunde der „Theologie der Befreiung“ hatte geschlagen.
Ermordung von Bischof Enrique Angelelli
Die Mehrheit der argentinischen Bischöfe hatte sich frontal gegen die „Theologie der Befreiung“ und gegen die Erneuerer gestellt. Ihre Dokumente wurden als „subversiv“ betrachtet und ebenso wenig wie die des Vatikanischen Konzils von den Militärkaplänen in den Kasernen verteilt. Einige machten sogar die Priester der Basisgemeinden für das Auftauchen der Guerilla in fast allen Ländern des Subkontinents verantwortlich.
Der Bischof Enrique Angelelli hatte in Rom an den Debatten mitgewirkt und wurde dann nach La Rioja berufen, eine feudale Gegend, wo der Clan der Familie Menem das Sagen hatte. Carlos Menem wurde nach der Diktatur zwei Mal zum Präsidenten gewählt und amnestierte die Folterer. Den Landeignern galt Angelelli als Drahtzieher der Kooperativen der Landarbeiter. Gouverneur Menem ließ die unabhängige Tageszeitung „El independiente“ schließen und warnte den Bischof; sein Leben sei in Gefahr, wenn er so weiter mache. Die Generäle verboten ab Juni 76 dem Bischof, die Messe in der Kathedrale zu lesen und vom Radio übertragen zu lassen. Diese Messe sei vom Kaplan in der Kapelle der Kaserne abzuhalten.
Angelelli reiste nach Buenos Aires und berichtete vor der versammelten Bischofskonferenz von der Verhaftung von Priestern und Nonnen. In den Haftzentren dürfe man nicht mehr predigen, man habe keinen Zugang zu den Gefangenen. Nur die Kapläne seien dort willkommen. Angelelli schrieb im Juli an die Konferenz: „Die Parteinahme für die Dritte Welt hat die argentinische Kirche gespalten. Die Militärs bemächtigen sich der Glaubensfragen, übernehmen die Aufgaben der Kirche und schreiben uns vor, für wen wir beten sollen und für wen nicht. Das alles habe ich schon in der Konferenz ausführlich dargelegt aber bisher keine Antwort erhalten.“
Am 4. August 1976 wurde Angelellis Auto auf der Landstraße gerammt. Er starb an Ort und Stelle. Die Militärs sprachen von einem „Unfall“. Nach der Diktatur wurde der Fall untersucht und festgestellt, dass er ermordet wurde. Papst Franziskus hatte Beweismaterial – Dokumente aus dem Vatikan – an das Gericht in La Rioja geschickt. Auch zu Angelelli bringt das neue Werk interessante Details.
Nichts zu den illegalen Adoptionen
Zu einem Punkt allerdings kommt so gut wie gar nichts: Über die Zusammenarbeit der Kirche bei der Verteilung der Babys aus den Folterzentren. Warum? Auszug von Seite 524:
„Wir haben in den Archiven über die illegalen Adoptionen nichts finden können und auch keine Hinweise, um Kinder von Verschwundenen identifizieren zu können. Was dort lag, kam von den Menschenrechtsgruppen. Es gibt jedoch Zeugenaussagen und Berichte, die etwas Licht auf diese kriminelle Praktiken warfen. Einige Babys eigneten sich die Räuber, die die Mutter verschleppt hatten, an. In anderen Fällen tauchten Institutionen, die Verbindungen mit der Kirche hatten, auf, wie das Adoptionsteam San José der Christlichen Familien-Bewegung MFC. In einem Fall wurde ein Baby, dessen Herkunft undurchsichtig war, von einer Person übergeben, die das Kind aus persönlichen Gründen nicht behalten konnte. So wurde eine illegitime Aneignung ´legalisiert´.“
Damit machen es sich die Autoren sehr einfach. Man erfährt zwar noch, dass der Juntachef General Videla Mitglied dieser MFC war. Aber mehr nicht. Dabei hätte man auf die Akten der Ermittlungsakte 9201 zurückgreifen können. Ich hätte ihnen dabei gerne geholfen, denn ich war als Journalistin Nebenklägerin in diesem Verfahren gewesen. Die Protokolle der MFC waren beschlagnahmt worden und die Adoptionen, an denen die MFC beteiligt war, waren bekannt. Ich selbst bin einigen dieser Fälle nachgegangen: dem Fall der illegalen Aneignung eines wahrscheinlich in einem Folterzentrum geborenen Kindes durch einen Bayer-Manager, eine andere irreguläre Adoption durch den Militärattaché der US-Botschaft, illegale Adoptionen durch Personen mit deutschem Diplomatenpass und so weiter und so fort. Wir standen in dem Verfahren vor dem Vernehmung von MFC-Leuten und der Beschlagnahmung von Kirchen-Archiven. Tja, und dann kam es zu einer konzertierten Aktion der Justiz mit dem Geheimdienst, Erzbischof Bergoglio trat die Flucht nach Rom an und das Verfahren wurde fragmentiert, verlief im Sande.
Aber dieses Beweismaterial hätte in das Werk „Die Wahrheit wird Euch frei machen“ einfließen müssen. Und natürlich hätten auch die Historiker Rückschlüsse ziehen müssen, warum zu diesem Komplex kein Material vorgelegt wurde, weder von der argentinischen Amtskirche noch vom Vatikan. Aber hier wurden wohl Rücksichten genommen…
Dies hätte ich gerne bei der Buchvorstellung gefragt, aber Fragen konnten nicht gestellt werden, jedenfalls nicht von Journalisten. Am Ende der sehr langen Vorträge durften sich ein paar handverlesene Studenten der UCA vor das Podium setzen und einige artige Fragen formulieren.
Eigentlich ist es schade, dass man zum Schluss Angst vor dem eigenen Mut hatte und uns nicht frei machen wollte. Die beiden Bände sind gut durchdacht, gut gearbeitet und gut dokumentiert. Es wird ein Standardwerk werden und die Öffnung der Archive ist ein positiver Schritt, an dem sich andere ein Beispiel nehmen sollten. So wurden wir also nur ein bisschen frei.
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Wenn die Moral in Ordnung kommt iss alles wieder gut und Friede bricht aus.
Oder gehts noch weiter als nur, daß die Kirch Vergangenheit reut?
“Die Wahrheit wird Euch frei machen”
und am Ende “So wurden wir also nur ein bisschen frei”
In diesem Fall korrekt.
Jedoch kann die Wahrheit auch als Vernichter von Massen werden, weil die Wahrheit das selbst Bildnis zerstört.
Wenn’s gegen die “Roten” geht (oder was man dafür hält), war und ist der katholischen Mainstream-Kirche insgesamt jedes Mittel recht. Da wird dann auch kein Verbrechen ausgelassen. Pabst Johannes Paul der II sah sie als Verbündete der Diktatoren in diesem Kampf und erhob hin und wieder sanft mahnende Tadelsworte in Richtung der Diktatorenregime, weil sie ein kleines bisschen zu weit gegangen wären.
Ich nehme die von ihm bekämpfte “Theologie der Befreiung” aber ausdrücklich davon aus.
Ähnliche Verdachtsfälle in Spanien wurden ja auch nicht aufgeklärt.
Wer weiß was da so ans Licht käme, wenn man den Verbleib, oder Nichtverbleib, all der “geretteten” Kinderlein recherchierte.
Auch in Deutschland fand übrigens keine juristische Aufarbeitung der Verbrechen an Heimkindern statt. Genauso wenig wie in den Niederlanden, wo, an allen geltenden Gesetzen vorbei, um 1960 mehreren der Homosexualität verdächtigen Heimkindern in katholisch geführten psychiatrischen Krankenhäusern die Hoden abgeschnitten wurden.
Die Kinder, die von einflussreichen Leuten zwangsadoptiert wurden, haben es bei der Lotterie noch am besten getroffen, zynisch gesagt.
Juristisch haben die Vertreter des Vatikanstaates quasi Narrenfreiheit.