
Manuel bekommt Besuch von seinen rechtsradikalen Nachbarn, den Natchez-Brüdern, die eine Verschwörung um das World Trade Center wittern, weil die Fernsehbilder von Osama Bin Laden nicht echt wirken. Harry H. Burton trifft sich mit den Eltern des Präsidenten, um zu besprechen, wo und wie sie Krieg führen sollen. Zum Ärger der Präsidentenmutter kommt auch Orinoko Oil dazu. Jason recherchiert eine Geschichte über die Verbindungen des Präsidenten zu arabischen Geschäftsleuten und sucht dazu den Kontakt zu einem Informanten im FBI. Aber er hat Pech… Die Verschwörung. Ein Roman von Danny Patrick Rose.
Manuel Goldstein erwachte, als kräftige Männerfäuste gegen die Tür seines Trailers trommelten. »Aufmachen!«, brüllte eine tiefe Stimme. »Wir wissen, dass du da bist!« Es war kurz vor halb zwei am Nachmittag und die Sonne schien durch eines der Fenster auf seine Hängematte. Die grau-schwarze Katze schlief, in seine Halsbeuge gerollt, die Füße gegen sein Schulterblatt gestemmt. Er öffnete die Augen. Gleichzeitig schrak die Katze auf. Wieder donnerte es an die Tür. Dieses Mal klang es nach einem metallenen Pistolenknauf, der auf Blech schlug. »Los, aufmachen!«
Manuel rollte sich von der Hängematte, zog ein T-Shirt über, das irgendwann einmal hellgrau gewesen sein musste, stieg in seine halb zerfetzten Jeans, schlurfte zur Tür und öffnete. Zwei Schränke von Männern standen davor. Tony und Tim aus Rachel, die Natchez-Brüder. »Wie lange schläfst du eigentlich?«, fragte Tony kopfschüttelnd. »Weißt du, wie viel Uhr es ist?« Er steckte seine Knarre wieder ein. Außen an der Tür war jetzt eine Delle.
Er ließ die beiden herein. Der Versuch, sie loszuwerden, wäre ohnehin aussichtslos gewesen. »Ich habe euch doch schon mindestens fünfmal gesagt, dass ich Astronom bin. Ich beobachte den Sternenhimmel. Ich arbeite nachts und schlafe tagsüber«, sagte er leicht gereizt. Er folgte den Brüdern in die Küche und setzte einen Kaffee auf. Den ersten des Tages.
»Ja, ja«, sagte Tim. »Hast du ein Bier? Oder besser gleich zwei?«
Angesichts der spärlichen Auswahl, die sich in und um Rachel bot, waren die Natchez-Brüder noch am ehesten das, was Manuel als Freunde bezeichnen würde. Tony behauptete, früher in der Area 51 beschäftigt gewesen zu sein, aber die Beweislage war dünn. Dass Tim jemals gearbeitet hatte, war noch unwahrscheinlicher. Die beiden betrieben einen Laden für Touristenbedarf am Extraterrestrial Highway. Bier, Cola, Chips, Zigaretten, Feuerzeuge, die aussahen wie UFOs, Kugelschreiber, geformt wie kleine grüne Männchen, Schokoriegel, Vitamintabletten, Nachtsicht-Ferngläser, Kompasse, Hakenkrallen, Nylonseile, Gasmasken, Zielfernrohre, Turnschuhe, Handschellen, Handtücher, Desinfektionspillen, garantiert echte Steine vom Mond, Wünschelruten, schwarze Sonnenbrillen, täuschend echte FBI-Ausweise, Landkarten, auf denen die Area 51 im Detail verzeichnet war und die nicht einmal das Pentagon kannte, Landkarten vom Mars, Landkarten von Froschstern Beta, Pillen gegen Schwerelosigkeit, Pillen, die einem ermöglichten, in einer Methan-Atmosphäre zu überleben, T-Shirts mit den Aufdrucken »I Survived An Abduction by Aliens« und »Kill The Feds«, Silberkettchen mit Sternendesign aus garantiert echtem Silber und garantiert echtem Sternenstaub, Schneekugeln mit kleinen grünen Männchen im Mondsteingestöber und raubkopierte Star-Trek-Folgen auf Video, DVD und Laserdisc. Nicht, dass die Natchez-Brüder an Aliens geglaubt hätten. Aber der Laden lief gut.
»Was sagst du zu dem Video, Manuel?«, fragte Tony und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Manuel schielte an ihm vorbei in den Kühlschrank. Drei Biere waren noch darin und es war jetzt Viertel vor zwei. Das hieß, um halb drei brauchte er neues Bier.
»Video?«, fragte er und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. So schwarz wie die Seele von Lucius Prince, was er aber natürlich nicht wusste. Noch nicht.
»Das Video von diesem arabischen Terroristen«, half Tim nach und schnappte sich selbst ebenfalls ein Bier. »Das läuft gerade im Fernsehen in Endlosschleife.«
Manuel schlurfte zur anderen Seite des Trailers, wobei er fast über die Katze stolperte, die, ein Roadrunner-Küken im Maul, unter den Schreibtisch kroch. Wo hatte sie das her? Er schaltete CNN ein. Auf dem Bildschirm erschien ein bärtiger, grauhaariger Mann mit eindrucksvollen dunklen Augen und einem schmutzig-weißen Kaftan. Der Mann saß im Schneidersitz inmitten einer kargen grauen Höhlenlandschaft. Im Hintergrund waren sehr hohe Berge mit weißen Gletschern zu sehen. Eine Ziege meckerte. Der Mann sprach Arabisch. Dazu liefen Untertitel auf Englisch. Denen zufolge thematisierte der Mann die Attacke auf das World Trade Center, die er grundsätzlich richtig zu finden schien, denn er beklagte die andauernde Aggression des »Großen Satans« USA gegen die islamische Welt. Manuel staunte.
»Das ist Osama Bin Laden«, erläuterte Tony. »Der soll hinter dem Anschlag stecken.«
Manuel verstand kein Arabisch, hatte aber das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Die Augen dieses Mannes und die martialischen Untertitel passten einfach nicht zusammen. Und die Höhlenlandschaft sah aus wie aus Pappmaché.
»Irgendwie ist das verrückt, oder?«, sagte Tim.
Tony grunzte. »Ich wette, dass in Wirklichkeit die Juden in Washington dahinterstecken.« Er öffnete das nächste Bier.
»Genau«, sagte Tim. »Die kontrollieren doch sowieso die Regierung. Und die Medien.«
Es war nur eine Frage der Zeit, bis einer der beiden herausfinden würde, dass er Goldstein hieß, dachte Manuel. Allerdings war das der wohl einzige Nervenkitzel, den er in Rachel, Nevada, erwarten konnte. Jedenfalls bis vor kurzem. »Glaubt ihr etwa nicht, dass es Araber waren?«, fragte er. »Wisst ihr mehr darüber?«
Tony zuckte mit den Schultern. »Wir wissen gar nichts, Mann. Wir haben doch noch nicht mal die Highschool zu Ende gemacht. Du bist doch hier der Professor.«
Als die beiden gegangen waren, warf er seinen Computer an. Mehr als dreißig neue Mails waren seit gestern Nacht eingetrudelt, darunter eine von JEdgarH, eine von WarriorKahless und sieben von Roswell666. Dieser Niitaka hatte sich leider nicht mehr gemeldet. Manuel war es allerdings gelungen, herauszufinden, wo dessen IP-Server sich befand: In der Antarktis, was bedeutete, dass Niitaka Anonymität sehr, sehr wichtig war.
Roswell666 wusste auch nicht wesentlich mehr als Manuel, was ihn nicht davon abhielt, eine vermeintlich schlüssige Theorie zu entwerfen. Er wies Manuel darauf hin, dass die Quersumme aus den Flugnummern der Maschinen eine Jahreszahl ergab, für die ein französischer Wahrsager namens Nosferatu – oder war es Van Nostrum? – um 1650 den Weltuntergang vorausgesagt hatte.
Die Mail von WarriorKahless war etwas substanzieller. »LeiaOrgia«, schrieb er. »Zwischen dem 26. August und dem 11. September hat eine kleine Gruppe von Investoren an verschiedenen Börsen einige Millionen Aktien von 38 Firmen abgestoßen, und zwar allesamt solche, die nach dem Anschlag immens an Wert verloren haben – Fluggesellschaften, Reiseunternehmen oder Banken, die im World Trade Center ihren Sitz hatten. Die müssen Zillionen von Dollars verdient haben. Das FBI ermittelt zwar, aber die wissen offenbar nicht, wer dahintersteckt. Ist Top Secret.«
In den Wochen seit dem 11. September war Manuel von Verschwörungstheorien aller Art überschwemmt worden. Diesen Theorien zufolge steckte hinter dem Anschlag wahlweise die CIA, das Pentagon, der Mossad, Außerirdische oder aber es war eine weltumspannende Verschwörung, die sowohl die CIA, das Pentagon, den Mossad, das FBI, das NYPD, NORAD, das State Department, Männer mit schwarzen Hubschraubern und ultrageheimen Auftraggebern, die Exilkubaner, die Freimaurer und den Bruder des Präsidenten umfasste, der angeblich selbst ein Außerirdischer war.
Dass der Bruder des Präsidenten in Wirklichkeit ein Außerirdischer war, schien ihm noch die wahrscheinlichste der Theorien zu sein. Doch obwohl Manuel das alles recht abstrus fand, spürte er, wie ihn das Rätsel um den 11. September auf eine unheimliche Weise anzog. Außerdem war es das Aufregendste, das passiert war, seit er sich in der Wüste von Nevada niedergelassen hatte.
Natürlich war der Anschlag auf das World Trade Center zunächst ein Schock für ihn gewesen. Aber je mehr er darüber las – und er las alles, was er in die Finger bekommen konnte –, desto mehr Details fielen ihm auf, die ihn misstrauisch machten. Wie etwa die Air Force One. Er war sich hundertprozentig sicher, dass die Präsidentenmaschine am Tag des Anschlags in der Area 51 gelandet war. Er hatte das Foto, das seine Digitalkamera gemacht hatte, gleich an WarriorKahless geschickt, der seine Theorie bestätigt hatte. WarriorKahless hatte ihm sogar noch ein paar Details über die neuartigen Höhenleitwerke der Air Force One geliefert. Die seien modifiziert worden, um die Maschine im Notfall per Fernsteuerung auf den Boden holen zu können. Er hatte die Maschine allerdings zu einem Zeitpunkt gesehen, als der Präsident, CNN zufolge, irgendwo zwischen Florida und Nebraska unterwegs gewesen war. Allerdings gab es CNN zufolge auch keine Area 51. Oder NORAD – wie konnte das oberste Kommando für Luftabwehr nach dem ersten Einschlag in das World Trade Center mehr als eine Stunde lang nichts tun? Und verfügte das Pentagon wirklich über keinerlei Flugabwehrraketen? Und warum wussten die so schnell, wer hinter dem Anschlag steckte, und hatten sogar schon die Namen der Hintermänner? Und am Tag zuvor wussten die noch nichts? Ganz und gar nichts?
Er öffnete die E-Mail von JEdgarH. »Hi, LeiaOrgia«, schrieb er. »Du hast doch das Bin-Laden-Video gesehen, oder? Hier ist ein interessantes Detail: Osama Bin Laden arbeitete in den achtziger Jahren für die CIA. Genau zu der Zeit, als der Vater unseres Präsidenten Direktor der CIA war. Gleichzeitig war Bin Laden Agent für den ISI, den pakistanischen Geheimdienst. Der Attentäter, der das erste Flugzeug ins World Trade Center gesteuert hat, wurde ebenfalls vom ISI bezahlt. Und es gibt eine Untergruppe des ISI – die Ummah Tameer-e-Nau –, die Al-Quaida gerne mit Atomwaffen versorgen würde. Die Spur führt also nach Pakistan.«
Die Spur führt also nach Pakistan? War JEdgarH nicht ganz dicht? Er konnte wohl kaum nach Pakistan reisen, um dort geheimdienstliche Ermittlungen aufzunehmen. Außerdem war er sich gar nicht sicher, ob die Spur tatsächlich nach Pakistan führte. »Ich glaube«, schrieb Manuel, »die Spur führt auf die Area 51. Ich weiß jedenfalls, dass die Air Force hier in den letzten Wochen Testmanöver mit Abfangjägern geflogen ist. Die gleichen Jäger, die sich am 11. September nicht haben blicken lassen.«
Die Villa in Kennebunkport sah überaus idyllisch aus. Eine Idylle, wie sie sich nur mit sehr altem Geld erschaffen ließ. Meeresblick, weiß verputzte neoviktorianische Türmchen, hohe dunkelgrüne Bäume. Davor ein sonnenbeschienener Sandstrand, an dem sich glitzernde Wellen brachen. Einzig die Stimmung in der Villa war kalt, was vor allem am abwesenden Präsidenten lag, über den gerade geredet wurde. »Du bist viel zu hart zu ihm, Wilbur«, sagte Eleanor, dessen Mutter. »Er gibt sich doch solche Mühe.«
Der Vater des Präsidenten verzog das schmale, hagere Gesicht. Seine Frau sah dem Jungen immer alles nach. Verzogen hatte sie ihn, von Anfang an. Und jetzt war es zu spät. »Mühe?«, sagte er, seinen Hohn mühsam verbergend. »Eleanor, der Dritte Weltkrieg hat angefangen. Der Junge müsste jetzt Stärke zeigen. Haltung.« Er schnaubte. »Stattdessen taucht er ab.«
»Er hat doch eine so wunderschöne Rede im Fernsehen gehalten«, insistierte Eleanor. »Auf dieser Airbase in … wo war das gleich noch mal?«
Harry H. Burton hüstelte. »Das war keine Airbase«, erklärte er. »Das war ein Bunker an einem geheimen Ort. Streng geheim!«
»Schöne Rede – wir kriegen die Leutchen, die das getan haben, garantiert?« Wilbur schüttelte den Kopf. »Warum war er nicht in Washington? Der Commander-In-Chief hat in seiner Burg zu sein, wenn der Feind angreift!«
»Das war nicht unbedingt seine Schuld«, warf Orinoko Oil ein. »Ich selbst habe ihm geraten, sich von Washington fernzuhalten und stattdessen an einen sicheren Ort zu fliegen. Es gab Drohungen …«
Eleanor schüttelte ihren weißen Lockenkopf, fest entschlossen, Orinoko zu ignorieren. Zu ihrer Zeit hätte es das nicht gegeben – Schwarze im Wohnzimmer! Eleanor war im Süden aufgewachsen. Sie wandte sich an ihren Gatten. »Das Wichtigste ist doch wohl, dass unser Junge in Sicherheit ist.«
»Sicherheit – pah«, schnaubte Wilbur. »Als ich im Zweiten Weltkrieg Einsätze geflogen bin, hatte ich noch nicht einmal einen Schleudersitz!«
»Dir wäre es doch sowieso am liebsten gewesen«, Eleanors Ton wurde schärfer, »wenn Jeremiah Präsident geworden wäre.«
»Du redest mal wieder Unsinn«, sagte Wilbur gereizt. »Gerade du solltest doch ganz genau wissen, warum Jeremiah nicht Präsident werden kann. Wenn du damals bei seiner Geburt nicht …«
Empört richtete Eleanor sich auf und warf Wilbur einen Blick zu, der jeden Hollywoodmogul getötet hätte. »Ich lasse mir diese Vorwürfe nicht länger bieten!«, rief sie und klang noch eine Spur schriller als sonst.
Nachdem Eleanor, türenschlagend, das Wohnzimmer verlassen hatte, wandte sich Wilbur wieder an Orinoko. Seine Stimme war nun so weich wie die Filz-Pantoffeln, die er trug. »Und wie geht es jetzt weiter? Was plant ihr in Washington?«
»Wolfstetter will, dass wir im Irak einmarschieren«, berichtete Orinoko. »Und ich glaube, Prince unterstützt ihn dabei. Obwohl, bei ihm weiß man nie.«
Wilbur schüttelte den Kopf. Er hatte Prince immer für eine falsche Schlange gehalten. Und Wolfstetter für schwer überschätzt. »Die haben doch beide keine Ahnung«, sagte er. »Saddam ist unser bester Mann. Bei dem sickert nie was durch. Nicht wie bei Pinochet oder diesem libanesischen Falangisten. Wie hieß der gleich wieder? Was sagt denn überhaupt Dewey dazu?«
»Drillson würde alles angreifen, was ihm vor die Flinte kommt«, spottete Burton. »Aber erst einmal hat er sich auf Afghanistan festgelegt. Ich glaube, als Nächstes ist die Innere Mongolei an der Reihe.«
»Aber Drillson glaubt«, fügte Orinoko hinzu, »Saddams Zeit sei vorbei. Er traut ihm nicht mehr über den Weg.«
Burton zuckte mit den Schultern. »Verlassen kann man sich auf keinen Araber«, sagte er. »Saddam ist wenigstens keiner dieser Vollverrückten wie Gaddafi. Oder diese hormongesteuerten saudischen Kronprinzen. Oder dieser jemenitische König …?«
»Wenn Dewey Saddam nicht traut, sollten wir das ernst nehmen«, unterbrach ihn Wilbur. »Dewey macht seinen Job gut. Er ist bloß zu direkt für diese Weicheier, die heute in Washington das Sagen haben. Er ist ein ehrlicher alter Knochen. Rauhe Schale, harter Kern. So einer ist mir viel lieber als all diese Schleimer.«
Als sich Wilbur zurücklehnte, zeichnete sich auf seinem herben Gesicht ein unerwartet verträumter Zug ab. »Wisst ihr noch damals, als ich noch CIA-Direktor war?«, fragte er Orinoko und Burton. »Wie wir in Bagdad waren – ihr beide, Dewey und ich?« Burton warf einen Blick auf seine Uhr. Orinoko nickte ergeben. Sie kannte alle seine Anekdoten.
»Wie Burton den Deal mit der Pipeline verhandelt hat und erst dachte, Saddam wolle das Gas durch die Pipeline leiten? Und dann sagte: ›Wieso brauchen Sie denn einen Sechs-Fuß-Querschnitt für die paar Kubikmeter Giftgas?‹?«
Orinoko kicherte pflichtschuldig. »Man sollte meinen, dass unser lieber Harry Gas von Öl unterscheiden kann«, sagte sie.
»Kann ich auch«, knurrte der. »Und im Gegensatz zu dir kenne ich auch den Unterschied zwischen einer Pipeline und einer Wäscheleine.«
»Na, Dewey hat den Deal dann ja klargezogen«, beschwichtigte Wilbur.
»Mit einem hat Drillson allerdings recht«, bugsierte Orinoko das Gespräch in die Gegenwart zurück. »Saddam wird alt. Und unzuverlässig. Ich glaube, er trinkt auch zu viel.«
Wilbur nickte und seufzte. »Das stimmt«, sagte er. »Der Alkohol war immer seine größte Schwäche. Ich werde mich doch noch einmal mit Dewey beraten müssen.«
Jason Gilligan starrte auf das ausgefranste Blatt Papier wie Kenneth Starr auf Monica Lewinskys Brüste. Das war er. Der Beweis. Schwarz auf weiß. Frisch ausgegraben im Handelsregister von Dallas, 1977. Dem gleichen Jahr übrigens, in dem die gleichnamige Fernsehserie anlief, aber das war wohl eher Zufall. Obwohl, um Öl ging es hier auch. Um Öl und um Grundbesitz. Ein freier Journalist aus Texas hatte es ihm zugefaxt. Der konnte wohl den Präsidenten nicht leiden.
Der Präsident war damals noch kein peinlicher, erfolgloser Präsident gewesen, sondern ein peinlicher, erfolgloser Geschäftsmann. Bis zu jenem Tag im Jahr 1977, an dem ein Multimillionär aus Saudi-Arabien, der weitläufig mit dem Vater des Präsidenten bekannt war – und dessen Familie die größte Hoch- und Tiefbaufirma im Mittleren Osten gehörte –, ein paar Millionen Dollar springen ließ. Der saudische Multimillionär steckte seine Millionen in die bis dato vollkommen erfolglose Ölfirma des späteren Präsidenten, was nicht nur den Grundstein zu dessen sagenhaftem Reichtum, sondern auch der Beginn einer freundschaftlichen Geschäftsbeziehung war, die offenbar noch immer anhielt.
Dies allein wäre noch nicht weiter bemerkenswert gewesen. Was daraus eine Story machte, war der Name des Millionärs: Abdul Al-Bandar. Der Cousin von Mohammed Al-Bandar und der Onkel zweiten Grades von Osama Bin Laden, dem meistgesuchten Terroristen in der Geschichte der USA. Aus dieser Geschäftsbeziehung war ein Konzern erwachsen, der alles unter einem Dach vereinte. Er förderte Öl, spürte Gasvorkommen auf, verarbeitete Rohöl zu Benzin oder Kunststoff, produzierte Strom, baute Brücken, Flughäfen und Pipelines und entwickelte Waffen. Die neueste Entwicklung war eine plutoniumbetriebene, hypersonare Superdrohne, die die Fernsteuerungstechnologie der Predator IV mit den Tarnfähigkeiten des Golfbombers verband und die auf einem Radarschirm jedes beliebige Flugobjekt simulieren konnte. Sie konnte sogar selbsttätig Ziele anhand ihres genetischen Codes ermitteln und eliminieren. Allein die Entwicklung des Prototyps kostete bereits elf Milliarden Dollar. Der Konzern versuchte gerade, die neue Wunderwaffe an das Pentagon zu verkaufen. Jetzt, nach dem Anschlag auf das World Trade Center, könne die U. S. Army sie doch wirklich gut gebrauchen.
Und das war noch längst nicht alles. Der Präsident und Abdul Al-Bandar verbrachten ihre Sommer regelmäßig gemeinsam auf der Ranch des Präsidenten in der Nähe von Dallas. Beim Barbecue und Pferderennen. Das Pferd des Präsidenten hieß Atta. Meistens ließen sie es gewinnen.
Es war eine wunderbare Geschichte, aber Gilligan fürchtete, dass der Chefredakteur sie abblocken und ihm eine belanglose Story aufs Auge drücken würde.
Jason seufzte. Dann packte er seine Unterlagen zusammen und brach auf. Er war schon fast an der Tür, als Elisabeth den Kopf aus der Küche steckte.
»Du gehst aber heute spät in die Redaktion, Schatz«, sagte sie. »Gerade jetzt solltest du dich wirklich mehr bemühen. Du weißt doch, dass die Büroleiterstelle in Los Angeles nächstes Jahr frei wird. Und du willst doch einen guten Eindruck machen, oder?«
Als Jason im Büro ankam, lag auf seinem Schreibtisch die aktuelle Ausgabe des Wall Street Journal, auf deren Titelseite ein Artikel gelb angestrichen war. Kein gutes Zeichen. Außerdem hatte der Chefredakteur angerufen, wie das rot blinkende Lämpchen an seiner Telefonanlage verriet. Ein geradezu böses Omen. Er griff nach dem Journal und las die angestrichene Geschichte:
»Mohammed Al-Bandar, Bin Laden und die Familie des Präsidenten in gemeinsamer Öl- und Baufirma / Superdrohne für Kabul soll elf Milliarden kosten.«
Der Tag war gelaufen. Da konnte er sich auch gleich beim Chefredakteur melden. Der war in keiner guten Stimmung. »Jason, Jason«, sagte er, und Gilligan konnte sein Kopfschütteln durch das Telefon förmlich hören. »Jason, warum haben wir die Geschichte mit den Bin Ladens und der Superdrohne nicht? Ich dachte, Sie seien Spezialist für Landesverteidigung? Warum muss ich die bei der Konkurrenz lesen?«
Weil du Depp lieber ein Lobhudel-Portrait über Benito Giovanni drucken wolltest, dachte Jason, schluckte es aber lieber herunter. »Wir hatten … äh, ich hatte … gleich nach dem 11. September … ich hatte doch vorgeschlagen, und Sie hatten, äh, Sie hatten gesagt, wegen Patriotismus und so …«
»Jason, das ist genau das, was ich meine«, sagte der Chefredakteur. »Wir müssen ganz vorne dabei sein mit unseren Geschichten. Immer die Ersten. Kritisch und unerschrocken. Sonst lesen uns die jungen Leute nicht. Sie sind doch noch am Puls der Zeit, oder?«
»Ja äh, ja … natürlich.« Innerlich fluchte Jason. Dieser Vollidiot. »Wissen Sie, ich bin an der Geschichte schon ganz nah dran. Heute Nachmittag habe ich einen Termin mit einem Informanten aus dem Sicherheitsapparat, der uns garantiert mehr sagen kann, als das Wall Street Journal weiß.«
Er legte auf. Das war knapp. Aber er hatte noch ein Ass im Ärmel. Vor ein paar Jahren hatte er schon einmal versucht, eine Story über Waffengeschäfte zu schreiben. Zu der Zeit, als Bin Laden verdächtigt wurde, hinter mehreren Anschlägen auf US-Botschaften zu stecken. Daher kannte er einen FBI-Mann, der in Saudi-Arabien ermittelt hatte und mehr wusste als jeder andere. Der hatte ihm schon damals angeboten, ihn mit Material zu versorgen. Er hätte das Angebot auch angenommen, wenn er nicht zu beschäftigt gewesen wäre mit Monica Lewinskys Zigarre.
O’Hara hieß der Mann. Und er war nicht mehr beim FBI. Da hatte es kürzlich, nach irgendwelchen Ermittlungen in Saudi-Arabien, Ärger gegeben, was wiederum für Ärger in Washington gesorgt hatte. Aber Gilligan hatte noch O’Haras Privatnummer. Genauer gesagt die Nummer von einer seiner Freundinnen in New York.
Er ließ es sechs Mal klingeln. Als er schon hatte auflegen wollen, hob jemand ab. »Hallo«, sagte eine weibliche Stimme.
»Jason Gilligan«, sagte er. »Kann ich bitte Ihren … kann ich bitte Mister O’Hara sprechen?«
»Wie bitte?«, flüsterte die Stimme. Sie klang nach zu viel Whiskey und Zigaretten. Und zu vielen Tränen. »Das ist ein schlechter Scherz.«
Gilligan begann zu schwitzen. »Es tut mir wirklich sehr leid, dass ich Sie störe«, antwortete er. »Es ist beruflich. Wenn er nicht mehr bei Ihnen wohnt, könnten Sie mir vielleicht seine neue Nummer geben?«
Einige Sekunden herrschte Schweigen. Dann ein Räuspern. »Er ist tot«, sagte die weibliche Stimme. »Er ist im World Trade Center umgekommen. Wussten Sie das nicht?«
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Gibt es zu dieser Predator IV-Drohne einen realen Hintergrund?
Ja Predator eins und zwei, diese Version ist halt ein bisschen an den Roman angepasst.
Predator ist ein Leutekiller..
https://de.wikipedia.org/wiki/General_Atomics_MQ-1
Btw: ich hätte nicht gedacht das ein Overton-Forent die berüchtigte Predatordrohne nicht kennt. Laut Umfrage liegt der Altersdurchschnitt hier bei 60😉
Orinoko kicherte pflichtschuldig. »Man sollte meinen, dass unser lieber Harry Gas von Öl unterscheiden kann«, sagte sie.
»Kann ich auch«, knurrte der. »Und im Gegensatz zu dir kenne ich auch den Unterschied zwischen einer Pipeline und einer Wäscheleine.«
Irgendwie erinnert mich das an was, ach ja: deutsche Aussen-Politik nach Innen.😉