Die Gaza-Operation

Screenshot aus einem IDF-Video zur „Operation Shield and Arrow“.

Ein weiterer Waffengang zwischen Israel und dem Gazastreifen ist beendet. Fast schon ein Stück Normalität. Der nächste Waffengang ist nur noch eine Frage der Zeit.

 

In Israel/Palästina fand letzte Woche wieder einmal ein militärischer Waffengang statt. Man hat sich über die Jahre angewöhnt, zwischen einem richtigen Krieg und einer Militäroperation zu unterscheiden. Das ist praktisch, denn man kann nicht jedes Jahr einen Krieg gehabt haben (Kriege erfordern für gewöhnlich eine “eindeutige” Entscheidung im Schlachtfeld); also hat man sich für das jeweils Vorläufige den Begriff der Militäroperation angeeignet, wobei man von vornherein weiß, dass die Gewalteskalation keine längerfristige “Lösung” zeitigen werde, sondern nur eine Pause (“Waffenstillstand” genannt) bis zur nächsten Operation. Und die wird ganz gewiss kommen.

Unerheblich ist, wie sich herausstellt, “wer angefangen hat”. Was ehemals im internationalen Kriegsrecht noch unter der beschuldigenden Kategorie “Aggressor” verbucht wurde, hat im israelisch-palästinensischen Konflikt längst seine Relevanz verloren. Da die schiere Tatsache, dass eine israelische Besatzung des palästinensischen Kollektivs besteht, nicht mehr als akute Quelle des Unrechts und der Gewalt zur Kenntnis genommen wird, geht man bei der Klärung der Frage, wer diesmal “angefangen” hat, von der Okkupationsrealität als Normalität aus, so dass partielle Ursachen anstatt der wesentlichen Grundtatsache der von Israel gegen die Palästinenser ausgeübte Oppression anvisiert werden. Dabei spielt die Nomenklatur eine gewichtige Rolle.

Palästinensische Aktionen des Widerstands gelten den allermeisten Israelis (gefördert durch die Rhetorik der Medien und der sie manipulierenden Politiker) als “Terror”. Palästinenser werden entsprechend zumeist “liquidiert”; jüdische Israelis (zuweilen auch Soldaten) werden stets “ermordet”. Da auch Siedler vom palästinensischen Terror betroffen werden, ist die Erörterung ihres Todes zwangsläufig mit der Frage verschwistert, was diese Siedler in den besetzten Gebieten überhaupt verloren haben. Gilt doch die Errichtung einer jeden ihrer Siedlungen im internationalen Kriegsrecht als Kriegsverbrechen. Dies ist aber im langjährigen Prozess der affirmativen Normalisierung des gesetzeswidrigen Besatzungszustands längst aus dem Blickfeld geraten und als klärende Frage verblichen.

So auch bei den Ereignissen der letzten Woche: Wenn man davon ausgeht, dass der diesmalige Waffengang mit dem Tod des gefangenen Dschihad-Kämpfers Khader Adnan nach 86tägigem Hungerstreik, den die israelischen Militärbehörden tatenlos hinnahmen, begann, und der die Racheaktion des Islamischen Dschihads herausforderte, dann ist für die Israelis der Racheakt der Beginn der Gewalteskalation, für den Jihad aber die Behandlung des Gefangenen (man weiß in Israel recht genau, wie man die Beendigung eines Hungerstreiks in der kritischen Phase der Lebensgefahr aufzwingen kann). Aber das ist letztlich unerheblich. Denn zu fragen gilt es, in welchem Kontext sich dieser “Vorfall” ereignet hat. Warum gibt es überhaupt diese “Vorfälle”?

Bezeichnend war die Reaktion des den Fall begleitenden Richters, der lapidar erklärte, dass man nicht vor dem Hungerstreik kapitulieren dürfe: “Er [Khader Adnan] ist 45 Jahre alt und versteht sehr gut, was seine Taten und ihre Folgen für ihn sind. Er ist Herr seines Körpers, und die Gerichte schrecken vor Handlungen zurück, die die Körperautonomie eines Menschen verletzen können. Als solcher muss er die möglichen Konsequenzen aus seinen Taten tragen. Eine rechtlich funktionierende Gesellschaft kann es sich nicht leisten, die Geisel eines Menschen zu sein, der seine eigene Befreiung [aus der Haft] verlangt, und zwar im Widerspruch zu den normalen Regeln und nach genauer Untersuchung durch einen unabhängigen Richter, und dann droht, sich selbst zu verletzen, wenn seine Forderung nicht erfüllt wird. Wenn das Gericht der Forderung des Antragstellers willfahren würde, gäbe es keine Garantie, dass sich diese Einstellung nicht verbreiten und von anderen imitiert würde – und so würden die Sicherheitsbehörden die Kontrolle über den gegen verdächtigte Verbrecher laufenden Prozess verlieren, was zum sicherheitsmäßigen Chaos führen muss.”

Juristen reden so. Sie sind fähig, selbst bei freiheitsberaubten Gefangenen von Körperautonomie zu sprechen. Sie haben auch keine Problem, über eine “rechtlich funktionierende Gesellschaft” als “Geisel” von politischen Gefangenen zu räsonieren. Sie dürfen auch den “Widerspruch zu normalen Regeln” anführen, ohne sich auch nur einen Moment lang zu fragen, was diese “Normalität” (der Regeln) im Zustand einer ständigen Übertretung des Völkerrechts zu bedeuten hat. Der Job von Juristen dieser Art ist es, politisch affirmativ zu argumentieren, und wenn dies Affirmative die Erhaltung des bestehenden Kollektivverbrechens meint, müssen sie nur den juristisch-rhetorischen Kniff finden, um ein “sicherheitsmäßiges Chaos” zu verhindern – als beginne dieses Chaos mit der Agitation von politischen Gefangenen.

Jeder Israeli weiß doch, dass es den israelischen Behörden und den meisten israelischen Bürgern vollkommen egal wäre, wenn palästinensische Gefangene in den Gefängnissen krepieren würden; nur das “Ansehen” könnte schaden nehmen. Das Nun-mal-so-Bestehende darf nicht hinterfragt werden. Es ist ja normal. Normal ist dann auch die sich aus diesem juristisch legitimierten Ausgangsereignis entfaltende Ereigniskette, die in der Gewalteskalation der letzten Woche mündet. Denn so wie der hungerstreikende Palästinenser “die möglichen Konsequenzen aus seinen Taten tragen” muss, müssen auch die Bewohner des Gazastreifens die Konsequenzen ihrer Reaktion auf die von Israel verwaltete “Normalität” tragen. Dass dabei eine der stärksten Armeen der Region gegen den (großteils ineffektiven) Raketenabschuss von sporadisch agierenden Milizen eingesetzt wird, ist nur ein Seitenaspekt besagter “Normalität”. Am Ende brüstete man sich, die “gesetzten Ziele” erreicht zu haben – und allen ist klar, dass es sich lediglich um ein Intermezzo bis zur nächsten Gewalteskalation gehandelt hat.

Die Sinn- und Zwecklosigkeit dieser perpetuierten Waffengänge ist beiden Seiten klar. Der Grund dafür, dass sie dennoch fast jedes Jahr unter Opfer von Menschenleben und immensem Sachschaden nachgerade pünktlich “eingehalten” werden, ist darin zu sehen, dass man den einzigen Weg, diese Gewaltrealität zu überwinden, die politische Lösung, von vornherein ausschließt. Israel will den Frieden nicht, weil es den unabdingbaren Preis für ihn, die Aufhebung der Okkupation, nicht zahlen möchte. Die Palästinenser können keine politische Lösung akzeptieren, die diesen “Preis” ausschließt.

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7 Kommentare

  1. „[…]In Israel/Palästina fand letzte Woche wieder einmal ein militärischer Waffengang statt. Man hat sich über die Jahre angewöhnt, zwischen einem richtigen Krieg und einer Militäroperation zu unterscheiden. Das ist praktisch, denn man kann nicht jedes Jahr einen Krieg gehabt haben (Kriege erfordern für gewöhnlich eine “eindeutige” Entscheidung im Schlachtfeld); also hat man sich für das jeweils Vorläufige den Begriff der Militäroperation angeeignet, wobei man von vornherein weiß, dass die Gewalteskalation keine längerfristige “Lösung” zeitigen werde, sondern nur eine Pause (“Waffenstillstand” genannt) bis zur nächsten Operation. Und die wird ganz gewiss kommen[…]“

    Interessant der Begriff, wo ist die Weltgemeinschaft hier?

    Kein Wundert, dass manche Palästinenser von „unterträglicher Doppelmoral“ der USA, und des mit den USA verbündeten „Wertewestens“ reden:

    https://www.youtube.com/watch?v=5iFgCUJ23Ew

    Gruß
    Bernie

    1. Sind die Menschen dort blond? Nein. Sind sie blauäugig? Nein. Sind ihre Nationalfarben blau – gelb? Nein. Warum soll sich die (westliche) Weltgemeinschaft dann um sie kümmern?

      1. Ich ergänze noch dazu: Sind die Palästinenser Christen oder Juden? Nein. Warum sollte der „Wertewesten“ sich seine Finger krumm machen? Vielmehr soll das palästinensiche Volk für die Sünden anderer (westlicher Antisemitismus) büßen. Eher wird China den Genozid gegen die einheimischen Palästinenser beenden und zu einer Lösung herbeiführen als dass der Westen irgendeine Initiaitive für Konfliktlösung machen, denn der Westen lebt davon gut:
        https://german.cri.cn/2023/04/26/ARTIBQUL4CY8IarbYCtCxYos230426.shtml
        https://german.news.cn/20230526/616b44ced2874f3fb2cb7a191c03fa4a/c.html

  2. „Er [Khader Adnan] ist 45 Jahre alt und versteht sehr gut, was seine Taten und ihre Folgen für ihn sind. Er ist Herr seines Körpers, und die Gerichte schrecken vor Handlungen zurück, die die Körperautonomie eines Menschen verletzen können.“

    Das bezieht sich auf den Hungerstreik, nur, wie hätte dieser Richter geurteilt während der Spritzorgie mit den Impfstoffen?
    Wie Herr Zuckermann schon schrieb, alles eine Auslegungssache.

    Im Rahmen der sich andeutenden multipolaren Ordnung und die Annäherung im arabischen Raum, hat Israel eine verflixte Situation zu meistern.

  3. Wie immer bei solcherart Artikeln kam mir ( in meiner Eigenschaft als Biodeutscher ) während der Lektüre der Gedanke : Alles unsere Schuld,
    – denn ohne Shoa keine Nakba;
    – denn die Tätergeneration hat den Überlebenden der Shoa keine sichere Heimstätte auf deutschem Territorium angeboten, also mußten sich diese eine solche selbst erobern; also begann die „Epoche“ des Eroberungszionismus, dessen Opfer die Pälestineser sind .
    Soweit meine Meinung als Laie.
    Mich interessiert brennend, ob es zu diesen Thesen sowas wie einen Historiker-/Philosophen-/Völkerrechtlerstreit gibt, denn solange diese Fragen nicht geklärt sind, kann nicht ernsthaft darüber diskutiert werden, ob wir den vertriebenen Palästinesern eine Art Wiedergutmachung, bzw. eine umfassende humanitäre Hilfe schuldig sind.
    Wenn Letzteres der Fall sein sollte, wenn wir als „Rechtsnachfolger“ Nazideutschlands also auch den vertriebenen Palästinensern eine Art Reparation schulden, dann sind auch die Nachfolgegenerationen der Nazi-Täter schuldig, und zwar schuldig, diese Reparation bis Dato nicht geleistet zu haben.

    1. Weiß nicht, ob das so geht. Ich bin nur für das verantwortlich, was ich selbst gemacht habe. Und da ist vieles in meinem Leben, auf das ich nicht wirklich stolz sein kann. Aber ich habe keine Juden umgebracht und kann zuverlässig versprechen, dass ich das auch in Zukunft nicht tun werde. Eine in Israel lebende deutsche Freundin, dort mit einem Juden verheiratet, erklärte zu letzterem mit Blick auf ihren Gatten, dass sie das allerdings nicht versprechen könne.

      Letztendlich geht es bei dem ganzen Getue nur darum, die israelische Politik zu unterstützen. Wäre an deutscher Betroffenheit etwas dran, sollte sich etwas davon auch im Verhältnis zu Russland finden, gegen das und die anderen Völker der SU, mit den Rasse- und Vernichtungskrieg das größte Verbrechen der Geschichte begangen wurde.

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