Die fortschreitende Potenzierung der Produktivkräfte

KI-gesteuerte Roboter in einem Warenlager. Bild: Techwords/CC BY-SA-4.0

 

Dienen die neuen digitalen Technologien nur der fortwährenden Verbesserung der kapitalistischen Produktionsweise oder kommt es zum Bruch? Zu einer Buchveröffentlichung mit dem Thema „Digitalisierung und Technik“.

 

Die Entwicklung der Gesellschaften erscheint seit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert auch als eine enorme Ausdifferenzierung ihrer Produktivkräfte. Beim jungen Marx in „Das Elend der Philosophie“ von 1847 war die Wechselwirkung dieser Kräfte mit der sozialen Umwelt, in die sie eingebettet sind, noch klar auf den Punkt gebracht: „Die sozialen Verhältnisse sind eng verknüpft mit den Produktivkräften. Mit der Erwerbung neuer Produktivkräfte verändern die Menschen ihre Produktionsweise, und mit der Veränderung der Produktionsweise, der Art, ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, verändern sie alle ihre gesellschaftlichen Verhältnisse.“

Bei Marx lässt sich schon die Keimform einer soziotechnischen, einer sozioökonomischen Betrachtung der Problematik feststellen, ohne einseitig auf die Produktivkraftentwicklung oder die Ökonomie zu starren. Unseres Erachtens ist es in der Folge notwendig, ein ganzes soziotechnische System ins Bewusstsein zu rücken gegenüber einer bloß objektbezogenen Sichtweise, die sich auf einzelne Faktoren wie Maschinen konzentriert. Und nicht nur das: darüber hinaus steht eine Neukonstruktion der „Denkwerkzeuge“ an, die wiederum in Wechselwirkung mit den soziotechnischen Prozessen stehen.

Die zunehmende Komplexisierung der technischen Produktivkräfte selbst, ihre Miniaturisierung und ihre Integration in die sozial-funktionalen Infrastrukturen hat dafür gesorgt, dass sie „unsichtbar“, unübersichtlich und schwerer fassbar wurden. Zugleich weiteten sich ihre Anwendungen aus von der Produktion in Forschung, Logistik, Warenästhetik. Zudem wandeln sich ihre Formen im Zuge der Digitalisierung, grob angesetzt seit dem Zweiten Weltkrieg. Das aus marxistischer Sicht also klassische Thema der Produktivkraftentwicklung ist in den letzten Jahrzehnten in der Linken möglicherweise auch deshalb eher stiefmütterlich behandelt worden. Wurde das Gebiet zumeist einigen „Einzelkämpfern“ überlassen – unter anderem sind aus den 1980ern beispielsweise André Gorz oder Hans G. Helms zu nennen –, so sind in jüngster Zeit eine ganze Reihe von Büchern erschienen, die sich diesem Thema widmen. Fast hat man den Eindruck, als solle etwas nachgeholt werden. Als Neuerscheinungen aus den letzten Jahren wären neben anderen zu nennen: „Marx und die Roboter“, „Digitale Revolution & soziale Verhältnisse im 21. Jahrhundert“ oder „Online-Kapitalismus“.

Die soziale Bestimmung der Technik

Das von dem Ökonomen Heinz-Josef Bontrup und dem Soziologen Jürgen Daub herausgegebene und in diese Auflistung passende Buch hat den Untertitel „Fortschritt oder Fluch?“. Aus unserer Sicht lässt sich diese Frage schnell beantworten. Das Ensemble der neuen Technologien, das in den letzten Jahren in die Gesellschaft eingeführt worden ist, bietet ohne Wenn und Aber große Fortschrittschancen. Bei der Beantwortung dieser Frage muss man die Formbestimmtheit der Techniken, ihre Prägung durch die Bedingungen, in denen sie eingesetzt werden, berücksichtigen. Oder wie Rainer Fischbach in seinem Beitrag schreibt: Es „liegt nahe, dass die Form, die technologische Innovation im kapitalistischen Verwertungsprozess annimmt, durch dessen Ziele mitbestimmt wird“. Für uns ist aber entscheidend, dass die Techniken nie in einer Gesellschaft aufgehen, sie stellen ein Potenzial dar, dass unterschiedlich entfaltet und mit Prozessen sozialen Fortschritts gekoppelt werden kann.

Wir sind infolgedessen nicht der Meinung, dass die Technik „final“ (Bontrup / Daub) immer nur den Kapitaleigentümern nutzt. Technik wird durch Herrschaft bestimmt, sicher, aber nicht zur Gänze. Sonst gäbe es keine Räume für neue Entwicklungen. Die Digitalisierung verstärkt aktuelle Herrschaftsformen und sie bietet zugleich Möglichkeiten jenseits des Kapitalismus.

Die beiden Herausgeber Bontrup und Daub gehen in ihrem Vorwort kurz auf die Mängel der vergangenen realsozialistischen Ökonomien ein; diese stellten andere soziale Bedingungen dar, in denen Technik verwendet wurde. Man kann diese auch unter dem Aspekt einer sich verfestigenden Partei- oder Staatsherrschaft fassen, aber es war eine andere Form der Herrschaft. Insofern wäre ein Beitrag über die Formbestimmtheit der Computertechnik im ehemaligen Ostblock interessant gewesen.

Die technische und die kapitalistische Entwicklung sind historisch Hand in Hand gegangen, das Marx-Zitat zeugt davon. An dieser Stelle ist nicht aufzählbar, was seit Marx‘ Zeiten an neuen Technologien entstanden ist. Für den Inhalt des Buches ist besonders relevant der Computer, die erste Meta-Maschine, die seit den 1940ern in immer neuen Formen realisiert wird und mit der verschiedene Medien digital simuliert werden können. Für uns sind nun folgende Fragen interessant: Dienen die neuen digitalen Technologien nur der fortwährenden Verbesserung der kapitalistischen Produktionsweise oder kommt es zum Bruch? Entwickelt die Digitalisierung also eine Sprengkraft für das kapitalistische System so wie die kapitalistische Produktionsweise in Kombination mit neuen mechanischen Technologien letztlich den Feudalismus gesprengt hat?

Was ist Digitalisierung?

Für die Beantwortung ist zuvorderst zu klären, was Digitalisierung eigentlich heißt. Die Digitalisierung stellt aufgrund ihrer technischen Basisprinzipien eine Meta-Produktivkraft dar. Für uns ist dabei wichtig, dass mit ihr nicht nur Maschinen gemeint sind, äußerliche Beziehungen, sondern dass die digitale Technik aufgrund ihrer Zusammensetzung in die Gesellschaft eindringt, zum „Modus“ von sozialen Beziehungen wird: wir verweisen als Beispiel auf die sozialen Medien. Die Technik substituiert dabei Gesellschaft; ein Medium wie Facebook übernimmt Vergesellschaftungsleistungen, die vor dreißig Jahren einen anderen sozialen Aufwand erforderten. Bei solchen Ersetzungsvorgängen handelt es sich um eine neue Qualität (auch wenn sie neue Probleme mit sich bringen können), die von dem ein oder anderer Autor dieses Buches unterschätzt wird.

Die Digitalisierung zwingt also selbst zu einer übergreifenden Betrachtung, zu einer theoretischen Meta-Perspektive. Sie greift nicht nur ein in Produktionsprozesse. Sie ist nicht mehr sektor-gebunden; ihre Essenz ist, dass sie vernetzt stattfindet. Fischbach stellt zurecht fest: „Die Vernetzung der Artefakte konfligiert mit den Grenzen, die das Privateigentum setzt.“ Die digitalen Technologien können dabei sowohl die Bedingungen ihrer Durchführung leichter durchschaubar als auch undurchsichtig machen: je nach Art und Weise ihres Einsatzes. Die im engeren Sinne technische Produktivkraftentwicklung ist nicht mehr allein dem ökonomischen Kapital und / oder dem Staat vorbehalten (das gilt noch im Zusammenhang mit Großprojekten). Die Frage nun ist aus unserer Perspektive, was an zukünftigen Potenzialen in den neuen Technologien und ihren Anwendungen liegt. Was ist der utopische Überschuss?

Auf dem Weg zu einer Weltgeschichte

Nehmen wir uns einige konkrete Beispiele vor, die in dem Buch diskutiert werden:

– Durch Crowdworking sind – unter kapitalistische Bedingungen – einerseits neue Formen der Ausbeutung und Atomisierung der Arbeitskräfte zu beobachten, andererseits bietet die globale Vernetzung neue Chancen des Austauschs und der Kooperation, die auf andere soziale Zusammenhänge weisen.

– Die Plattform-Ökonomie umfasst nicht nur „parasitäres Kapital“ (Fischbach), da ihre Technologien zur Vermittlung sozialer Beziehungen auch in einer anderen Gesellschaft eingesetzt werden können (Rudi Schmiede deutet das in seinem Beitrag als historischen Vorschein einer anderen Ökonomie).

– Das sogenannte „Produktivitätsparadoxon“, d.h., dass der betriebene Aufwand für den Einsatz der Informationstechnologien seit den Achtzigern nicht zu den erhofften Produktivitätsgewinnen in den Unternehmen und Institutionen geführt habe, wird von zwei Autoren (Rainer Fischbach und Peter Brödner) ausführlich behandelt. Dabei verbleiben sie aber in einem systemimmanenten, zu sehr auf die Gegenwart bezogenen Paradigma. Das Paradox der Produktivkraftentwicklung erscheint uns eher, wieso es möglich war, die  Entwicklung dieser Kräfte so lange und so umfangreich zu bremsen angesichts der immensen Potenziale für Reorganisation und Neugestaltung der sozialen Verhältnisse, die mit ihnen erzeugt werden.

Aus unserer Sicht können die Produktivkräfte beitragen zu einem allgemeinen Verständnis der Geschichte der Menschheit in ihrer „Gesamtheit“. Joachim Paul schreibt in seinem Beitrag:

„Eine gemeinsame Geschichte einer größeren Menschengruppe beginnt in der Regel damit, dass die beteiligten Individuen und Gruppen eine Art Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie Teil einer Schicksalsgemeinschaft sind.“

Der traditionelle marxistische Topos, dass die Geschichte der Menschheit erst im Kommunismus begänne (wie immer man diesen genau definiert), lässt sich ergänzen, dass damit das Bewusstsein einer mehrschichtigen planetarischen Vergesellschaftung einhergehen wird. Bisher gibt es gar keine Menschheitsgeschichte, sondern allein die von Partialgesellschaften auf verschiedenen Kontinenten. Jetzt erst beginnt die Integration zu einer Weltgesellschaft, eingeleitet durch technische Prozesse wie die Einführung des Internets. Wir können infolgedessen perspektivisch die „prähistorische“ Phase verlassen.

Durch Vernetzung zielen die beschriebenen Prozesse auf eine globale vorsätzliche Ökonomie hin. Zugleich würden die planetaren Problemlagen um Ressourcen und Umwelt dann als gesamtgesellschaftliche behandelbar, ohne auf nationale oder privatkapitalistische Interessen Rücksicht nehmen zu müssen. In unserem Verständnis sprengen die digitalen Technologien also nicht nur die kapitalistische Produktionsweise. Sie sprengen in einer weitergehenden Interpretation auch die allgemeinen Bewusstseinsformen von Wissenschaft und Technik.

Die Notwendigkeit einer neuen Rationalität

Es ist die Leistung der Autoren, sich an diesem Komplex von Digitalisierung und Technik aus unterschiedlichen Blickwinkeln abzuarbeiten – manche mehr ökonomisch, andere mehr kulturell-politisch orientiert. Der Beitrag des Physikers Joachim Paul geht darüber hinaus auf Strukturen der vorherrschenden Rationalität ein. Sein Text bietet ein andere erkenntnistheoretische Folie für die Diskussion an.

Die Frage ist, ob wir angesichts der vielfältigen Problemlagen an eine Erkenntnisgrenze stoßen mit den Mitteln, die wir haben. Es bahnen sich zudem neue Produktivkraftentwicklungen an, die man in einem erweiterten Bezugsrahmen wird verstehen müssen. Paul versucht, mit anderen Kategorien als seine Autorenkollegen die „Relationsfelder“ von verschiedenen Problemkontexten wie Ökonomie, Umwelt, Technik zu fassen. Er fordert eine andere Denkhaltung, die sich an den Beziehungen dieser Kontexte zueinander, an ihren Relationsfeldern orientiert, z.B. die von Umwelt <-> Ökonomie, Umwelt <-> Technik und Technik <-> Ökonomie. Seine Kernaussage ist, dass die in der positivistischen Denktradition verharrenden Wissenschaften die Komplexität von solchen Relationenfeldern nicht abbilden können.

Diese Denktradition sei in einem monokontexturalen Denkmodus erstarrt, der letztlich nicht reformierbar ist, sondern nur durch einen anderen, einen polykontexturalen Denkmodus abgelöst werden kann. Paul referiert hier auf eine anspruchsvolle theoretische Diskussion, die vor allem mit dem Namen Gotthard Günther verbunden werden kann (siehe dazu auch: Ein Versuch über Techno-Logik und Identität). Die Technik ist nicht länger in einer Verdinglichung fassbar, sie ist nicht länger ein außer uns existierendes Objekt. Die Menschheit hat Artefakte geschaffen mittlerweile, die man nicht mit der Subjekt / Objekt-Beziehung abbilden kann. Was im Relationsfeld Menschen – Maschinen – Umwelten passieren kann, ist offen.

Ist zum Beispiel ein Zustand denkbar, in dem sich der Gegenstand, die Maschine, aus dem von Paul beschriebenen Beziehungsfeld lösen kann, das Verhältnis aufgebrochen wird? Bei Quantencomputern weiß man nicht, in welchem Zustand die Atome sind. Das Problem ist, dass wir keinen logischen Apparat zur Spiegelung dieser Beziehungen haben. Eine Ausnahme ist das Werk des Philosophen Gotthard Günther, in dem dieser versucht hat, eine Erweiterung der Logik, eine Relationenlogik zu finden. Der Einsatz dieser Überlegungen ist die Entwicklung einer „transklassischen Rationalität“ (Günther).

An dieser Stelle können wir nicht weiter darauf eingehen, ob Günther Erfolg bei seinen Bestrebungen hatte. Es ist aber denkbar, dass sich zusätzlich bei der menschlichen „Hardware“ des Gehins eine Veränderung vollziehen muss, um mit neuen Vernunftmodellen operieren zu können. Auch wenn ein anderer Autor, Georg Bergmann, in diesem Zusammenhang vor „Naturvergessenheit“ und „technologischer Hybris“ warnt, so scheint uns Paul einen Ausweg evolvierender Rationalität zu zeigen, der schwierig zu realisieren sein wird, aber eine sinnvolle Perspektive darstellt:

„Unsere Verstandesmechanik reicht nicht aus, die komplexen Wirkzusammenhänge von und zwischen Natursystemen und sozioökonomischen Systemen zu erfassen und zu nutzen, um die längerfristige Existenz unserer Spezies als technische Gesellschaften zu sichern. Allerdings haben wir unsere Technik, die nicht nur Mittel ist, sondern auch Identität stiftet und zu den Bedingungen der Möglichkeit unserer Existenz gehört, und wir können versuchen, mithilfe der Technik in Gestalt der Digitalisierung und möglicher auch post-digitaler technischer Weiterentwicklungen uns nicht nur mit Kraft- sondern auch mit Denk-Prothetiken auszustatten.“

Die Technologie versetzt uns also tendenziell in den Stand, andere Vernunftmodelle entwickeln zu können. Mit seinem Text reißt Paul enorme Entwicklungsperspektiven an. In einem nachträglichen Vorwort  zu seinem Text vom Juni 2022 bringt er diese Perspektiven kurz und knapp auf den Punkt: Es gehe um „eine dringendst erforderliche Befreiung von uns und unserer Technik aus den Zwängen der vorherrschenden ökonomischen Ordnung“. Das können wir nur unterschreiben.

 

Heinz-Josef Bontrup / Jürgen Daub (Hg.): Digitalisierung und Technik – Fortschritt oder Fluch? Perspektiven der Produktivkraftentwicklung im modernen Kapitalismus, PapyRossa Verlag, Köln 2021

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17 Kommentare

      1. Hallo Lux,

        viele Tafeln Jubeln weil die Menschen von ihnen Abhängig sind, um genau diesen Überfluss als Almosen zu verteilen. Das Tafelkonzept ist durch und durch Menschenfeindlich!

        1. Tafeln jubeln nicht wegen Abhängigkeiten.
          Tafeln folgen der Almosenlogik, sind aber keine Dauerlösung, welche dem eigentlichem Stsnd der Produktivkräfte entspricht und damit derem Potential.
          Ich kenne keinen Mitarbeiter von Tafeln, welcher auf die Kundschaft runterblickt.
          Insofern gibt es auch kein Jubeln.

  1. Die Roboter kaufen ihre Produkte nicht und zahlen nicht in die Sozialkassen ein.
    Die wachsende Produktivität fließt als Gewinn in die Taschen der parasitären Bonzen. Mit dem Geld sitzen sie an der Börse vor den einarmigen Banditen und zocken.

    Da hilft nur die Privatisierung der Sozialversicherungssysteme und die Rente mit 75 *Aua*

    Warum gehören uns die Roboter nicht ?

  2. „An dieser Stelle können wir nicht weiter darauf eingehen, ob Günther Erfolg bei seinen Bestrebungen hatte.“ Pars pro toto. Diese Aussage gilt für den ganzen Artikel, der eine Rezension und gleichzeitig eine Kritik eines Readers mit hochtheoretischen, anhand gewisser Beschreibung ist zu vermuten, mindestens zum Teil verstiegenen Texten zu einer sperrigen Thematik. Das kann nur schiefgehen.

    Nur zwei konkrete Anmerkungen. Nein, die digitalen Technologien sprengen die kapitalistische Produktionsweise ganz offensichtlich nicht, sondern werden vielmehr, wie jede andere, insoweit primär überhaupt ein emanzipatives Potential enthaltend, vom Kapital zu seinen Zwecken zugerichtet, pervertiert. Es ist zwar fürchterlich abgelutscht, aber es gilt weiterhin – es gibt kein richtiges Leben im falschen. Der Kapitalismus affiziert alles.

    Insofern ist das ‚Produktivitätsparadoxon‘ gar keines. Genau diese Zurichtung führt zum Entstehen unendlich vieler Bullshit jobs, wie das Graeber nannte. Jede Menge Leute, die völlig unproduktive, sterile, in vielen Fällen sogar schädliche Arbeit leisten, die die Produktivität jedenfalls nicht erhöhen, eher im Gegenteil.

    Was fehlt ist eine Thematisierung und Problematisierung des Fortschrittsbegriffs, die die ökologischen Auswirkungen, der mit technischem Fortschritt verbundenen immer schnelleren Entfernung von natürlichen Zuständen, in den Blick nähme. Es wäre schon lange an der Zeit gewesen, den Blick zu Marx, durch Marx hindurch, über Marx hinaus zu wenden. Mit anderen Worten nicht bei dem hängen zu bleiben, was er richtig erkannt hat, sondern sich damit auseinanderzusetzen, inwiefern er blind war für die christlich-abendländische Grundierung seines eigenen Denkens.

    Man könnte ein Defizit vielleicht so ausdrücken – Leben kann nur im Natur-Nahraum existieren, in dem es entstanden ist. Und wenn es auch diesbezüglich grosse Differenzen gibt, kategorial gilt das auch für menschliches.

    1. „Leben kann nur im Natur-Nahraum existieren, in dem es entstanden ist.“

      Schade, dass du nach einer Analyse mit progressiven Sprenkeln reaktionär abgeschmiert bist.

      Bei vielen, sich selbst als Linke bezeichnenden Menschen kommt zum Schluss Familie, Schützenfest und Heimat als Lösung heraus.

      Das aber ist CSU und nicht links.

    2. Zustimmung! Bullshitjobs, das war auch mein erster Gedanke.

      Hier noch ein Filmtipp: Lutz Dambeck – Das Netz

      https://www.youtube.com/watch?v=Yn9BvNAUvcU

      Es geht vordergründig um den Mathematiker Theodore Kaczynski, der mutmaßlich als Student im Rahmen einer Teilnahme als Versuchsperson für eine Studie Opfer psychologischer Folter im Rahmen von MKULTRA wurde, und später als „Unabomber“ Terroranschläge verübte.

      Themen: Militärische Ursprünge des Internet, Norbert Wiener, Macy-Konferenzen, Kybernetik, Systemtheorie, Heinz von Foerster, Frankfurter Schule…

  3. „Entwickelt die Digitalisierung also eine Sprengkraft für das kapitalistische System so wie die kapitalistische Produktionsweise in Kombination mit neuen mechanischen Technologien letztlich den Feudalismus gesprengt hat?“

    Die Möglichkeiten der technischen Überwachung und Kontrolle machen den Kapitalismus als Herrschaftsform mittlerweile entbehrlich. Denn Ausbeutung lässt sich auch ohne Kapitalismus organisieren. Und an dem Punkt, dass die Herrschenden jetzt überlegen, wie sie dank neuer Technologien sicherere und effizientere Ausbeutungsmöglichkeiten als Kapitalismus (ohne demokratisches Deckmäntelchen) anwenden können, sind wir jetzt.

    Die tonangebenden Marxisten glauben allerdings immer noch, dass, wenn nur „der“ Kapitalismus „abgeschafft“ würde, sich alles zum Besseren wenden würde… deshalb scheinen auch nicht Wenige die aktuellen Entwicklungen (Corona-Maßnahmen, China, Zero-CO2, gewisse Äußerungen von WEF, Larry Fink, Bill Gates…) als fortschrittliche Prozesse misszuverstehen…

    1. @ Motte:
      Es geht ja darum, den Kapitalismus zu überwinden, und nicht darum, ihn einfacb restriktiv (nach Pol-Pot-Manier?) „abzuschaffen“. Einerseits geht es darum, die inneren Schranken aufzuzeigen, andererseits auch darum, wie diese umgangen oder gelockert werden können.
      Eine Änderung/Überwindung muss darauf basieren, was ohne Kapitalismus als Zentralglaube zu erreichen ist, während dies mit Kapitalismus als oberster Religion versagt bleibt, Lösungen aber nur temporär aufgeschoben werden können.
      Fähige Sozialtheoretiker sind dabei bereit, die Basiskategorien funktional auf der Höhe der Zeit zu verorten und damit auch Marx zumindest auf den jeweiligen Interpretationsebenen zu überschreiten. Und der Karl hätte posthum seine höchste Freude daran.
      Viele Skeptiker in zahlenmäßiger Übergröße schreckt die mit einem Regress einhergehende Unsicherheit, um sich auf dem üblichen Wege damit überhaupt auseinander zu setzen.

      1. Nun, stell dir vor, der Kapitalismus wird abgeschafft, sogar von den Kapitalisten selbst. Die Antikapitalisten freuen sich zunächst. Aber dann stellen sie fest (leider zu spät), dass der Kapitalismus durch ein System ersetzt wurde, das noch viel schlimmer ist, als das vorherige, und wo die gleichen Leute wie vorher das Sagen haben, die ehemaligen Kapitalisten, die nun danke ihrer Kontrolle über technologiebasierte Überwachungs- und Sicherheitsapparate herrschen. Ist das für dich vorstellbar?

        1. Vorstellbar ist es schon, aber nur als destruktive Form der Abschaffung des Kapitalismus‘.
          Eine Überwindung hat ja per se konstruktiven Charakter und ist mit positiven Versprechen vetbunden und nicht mit Ängsten, welche ein unreflektiertes Weiterlaufen durchaus begründen würde.
          Und solange Kapitalismus auf die Eignerform reduziert wird, anstelle die Funktionsform zu analysieren, hat das ganze zu sehr manichäistische „Logik“ und huldigt damit eher einem eschatolischem Glaubenscharakter als materialistischer Logik. Aber das ist ja oft eine Zentralschäche derer, welche sich selbst als Materialisten bezeichnen.

      2. „Es geht ja darum, den Kapitalismus zu überwinden…“

        Der Kapitalismus übereindet sich selbst, wenn er nicht überwunden wird.

        Das Problem an der Sache ist, dass für ein Danach noch keine Bauzeichnung existiert. Marx hatte auch keine.

        Wenn man keine Bauzeichnung hat, kommen die Faschisten und tun so als hätten sie eine.

        1. So mancher Faschist war mal schon im Bau.
          Daher glaubt er, den Bau nachzeichnen zu können.
          Somit erweckt er den Eindruck, sich zumindest virtuell im Besitz der Bauzeichnung zu befinden.
          Das ist Faschisten-Logik.
          Ihre Birne begreift nicht, dass die Logik der Strahlung einer Birne beim Einschalten durchaus „alle gerade aus“ sein kann.
          Das bedeutet aber nicht, dass alle im Gleischritt die gleiche Richtung nehmen müssen, wie es das Selbstverständnis der Liktorenbündel ausdrückt.

  4. Wer automatisierte Bereiche als pars pro toto der in einer Gesellschaft vorhandenen Produktivkräfte sieht, versieht sich wohl zu stark.
    Dabei sind selbst diese Bereiche der Rationalisierung nicht so ausgelastet oder vorhanden, wie sie es wären, gäbe es keine Kaufkraft-induzierten Beschränkungen.
    Und es sind ja diese Beschränkungen, welche für die heutigen Volkswirtschaften viel charakteristischer sind als überbordende Produktivität.
    Es gibt viele Bereiche in einer Volkswirtschaft, welche nur gering oder gar nicht skalierungsfähig sind.
    Und in diesen Bereichen tummeln sich (relativ) immer mehr Beschäftigte und haben dabei immer größere Schwierigkeiten, ein Auskommem mit ihrem Einkommen zu erzielen.
    Hierbei ein Steuerungspotential mit kreativen Methoden zu entwickeln, wäre eine größere gesellschaftliche Innovation als die Verbesserung der Dampfmaschine, welche als Erfindung derselbigen in den Köpfen von vielen noch rumgeistert.
    Und hierbei könnten Technik und intelligente Analyse-Systeme helfen.

    Dazu muss man aber seinen Schäuble und seine schwäbische Hausfrau ablegen. Und auch die Fiat-money-Logik hilft hierbei in seinen Fehlinterpretationen nicht weiter. Ebenso das Verwechseln von Geld mit Aktiva-Werten.

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