Die Abtreibungsdebatte ist von Doppelmoral, sozialem Staatsversagen und kapitalistischer Ignoranz durchzogen

Bild: U.S. National Archives

Plötzlich ist sie wieder da, die moralische Empörung. Plötzlich spricht man von „Verfall“, von „Antichristentum“, von einem „Rückzug aus der Verantwortung fürs Leben“. Und wie so oft fällt der Blick dabei auf die CDU, die sich mit dem C im Namen zu brüsten weiß, als habe sie ein Monopol auf ethisches Bewusstsein. Aber Moment: Wo war diese vielbeschworene Christlichkeit eigentlich in den vergangenen Jahrzehnten? War sie dabei, als die CDU – zusammen mit SPD, FDP oder Grünen – Waffenlieferungen genehmigte, die im Jemen, in Gaza, in Syrien, in der Ukraine und anderswo nicht nur Männer, sondern auch Kinder zerrissen haben? War sie da, als Hartz IV Kindern Bildungswege verbaute? Als Sanktionen Menschen in Syrien und im Donbass den Zugang zu Arzneien, medizinischen Geräten, Insulin, Strom und sauberem Trinkwasser raubten? War sie anwesend, als Kinderheime in Deutschland unterfinanziert, Eltern alleinerziehend verheizt, ganze Wohnsiedlungen gentrifiziert wurden?

Christlich? Dieses Land wurde längst entkernt. Nicht vom Islam. Nicht von Linken. Sondern von jenen, die „Werte“ predigen, aber Interessen exekutieren. Ein Kind ist kein Kostenfaktor – es ist ein Prüfstein für den Staat.

Ich halte die Strafbarkeit der Abtreibung seit Jahrzehnten für ein Relikt aus der klerikalen Mottenkiste. Ein Mahnmal autoritärer Vergangenheit. Und es ist bezeichnend, dass ausgerechnet in einem Land, das sich als modern, aufgeklärt und rechtsstaatlich versteht, immer noch mit der Androhung von Paragraphen auf einen der intimsten Lebensbereiche Einfluss genommen wird: den Körper einer Frau. Natürlich darf und soll über den Zeitpunkt diskutiert werden. Das geltende Limit – meist bis zur 12. Schwangerschaftswoche – ist ein Rahmen, in dem medizinische, psychologische und ethische Aspekte berücksichtigt werden können. Aber diese Debatte muss ehrlich sein. Und sie darf nicht dazu führen, dass man ausgerechnet den betroffenen Frauen wieder die Entscheidungshoheit entreißt.

In den ehemaligen Ostblockländern – und auch in der DDR – war es über viele Jahre völlig selbstverständlich, dass die Frau entscheidet. Nicht leichtfertig. Nicht emotionalisiert. Sondern rational, manchmal traurig, aber frei. Frei im Denken, frei im Körper, frei in der Entscheidung. Warum? Weil sie als erwachsene Person anerkannt wurde. Weil sie – nicht der Staat, nicht ein Kirchenrat, nicht eine ethnonationale Moralpolizei – diejenige ist, die einschätzen kann: Bin ich bereit? Habe ich die Kraft? Habe ich die Mittel? Ist da ein Partner, eine Familie, ein Umfeld, das trägt?

Wer diese Freiheit beschneiden will, weil er sich in einer archaischen Vorstellung von „Lebensschutz“ gefällt, soll bitte zuerst erklären, warum so viele Kinder, die geboren werden, in Armut leben müssen. Warum ein so reiches Land wie Deutschland es nicht schafft, genügend Kita-Plätze, gebührenfreie Schulbildung, bezahlbaren Wohnraum oder verlässliche Betreuungszeiten bereitzustellen. Warum das dritte Kind in Familien oft als „Kostenfaktor“ betrachtet wird, für den es keine Entlastung gibt – weder durch Mietzuschuss noch durch Kreditnachlass.

Wo sind denn die „christlichen“ Strukturen, die Leben ermöglichen? Ein Blick in die Wirklichkeit genügt:

Eine alleinerziehende Mutter, die in einer Zweiraumwohnung lebt, weil sie sich trotz Vollzeitjob keine größere leisten kann. Ein junges Paar, das sich gegen ein Kind entscheidet, weil die Angst vor sozialem Abstieg realer ist als jede moralische Predigt. Kinder, die mit leerem Magen zur Schule gehen, weil das Geld hinten und vorne nicht reicht. Schwimmbäder, die schließen, weil Kommunen sparen. Theater, die unbezahlbar geworden sind. Und Schulbücher, für die man privat blechen muss. Und gleichzeitig ruft man aus Kirchen und Parteibüros: „Würdigt das Leben!“ – Ja, bitte. Aber dann vollständig. Nicht selektiv. Und nicht scheinheilig.

Der deutsche Staat versagt nicht nur in der Familienpolitik. Er versagt ebenso in der Prophylaxe, in der Gesundheitsvorsorge, in der Altenpflege, im Umgang mit Schwerstkranken, in der palliativen Begleitung und am Lebensende. Wer hält dieses System noch zusammen? Es sind nicht die Ministerien. Nicht die Parteien. Nicht die „christlichen“ oder was weiß ich von Leitfiguren mit Dienstwagen und steuerfinanzierten PR-Abteilungen. Es sind die Vereine, die Stiftungen, die Ehrenamtlichen – die Frauen am Krankenbett, die Männer in den Hospizen, die Jugendlichen im Freiwilligendienst, die Nachbarn, die eine Katze retten oder ein Kind versorgen, wenn der Staat längst die Augen geschlossen hat.

Diese Gesellschaft funktioniert dort, wo der Staat längst abgedankt hat. Und während Milliarden in Mordwerkzeuge investiert werden, weil Sponsoren ihre Rüstungsrenditen brauchen, weil Vorstandschefs Hubschrauberflüge bezahlt bekommen – werden Hebammenstellen gestrichen, Kliniken privatisiert, Altenpflegerinnen unter Mindestlohn gedrückt.

Ich erinnere mich gut an die Coronazeit, in der plötzlich ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit diskutiert wurde – unter umgekehrten Vorzeichen. Damals hieß es, die Solidarität mit dem Leben gebiete es, dass der Staat Regeln setze, Eingriffe anordne, Menschen sanktioniere, wenn sie sich nicht beugen. Heute wird das Argument gedreht. Plötzlich soll dieselbe Gesellschaft, die Menschen Impfpflichten aufzwingen wollte, der Frau das Recht absprechen, über eine Schwangerschaft zu entscheiden. Plötzlich heißt es: „Das ist Mord!“ – Was für ein Zynismus. Und was für ein Misstrauen gegenüber Frauen. Die Entscheidung für oder gegen ein Kind ist keine Nebensächlichkeit. Sie ist eine existentielle Zäsur. Und sie wird – das sei all den Moralisten gesagt – niemals leichtfertig getroffen. Aber sie muss möglich sein. Ohne Anklage. Ohne Stigma. Ohne Drohung.

Ich mag weder Friedrich Merz noch diese Richterin in spe, die gerade im Fokus steht – aber was ich noch weniger ertrage, ist die Doppelmoral, die mittlerweile auch in konservativen, alternativ-patriotischen und libertären Kreisen grassiert. Da wird das Spiel „Was war zuerst da – das Huhn oder das Ei?“ so ins Absurde verdreht, dass am Ende nur noch Schuldzuweisungen übrigbleiben – statt Lösungen. Mal ist der Staat zu übergriffig, mal nicht streng genug. Mal wird der freie Wille beschworen, dann wieder verteufelt. Mal ist es ein Skandal, wenn der Staat Leben antastet – und dann wieder ein Skandal, wenn er es der Frau überlässt. Diese Schizophrenie ist keine Ethik. Sie ist ideologisches Gewurstel ohne Verantwortung.

Was zählt, ist die Wahrheit in Zahlen – und der politische Wille. Darum, bitte: Nennt sie nicht christlich. Nennt sie, wie sie ist. Eine Union ohne Empathie. Eine Politik ohne Fürsorge. Und ein Diskurs, der mit Gottesfurcht wedelt, aber mit kalter Hand über Körper und Leben entscheidet. Humanismus wäre ein Anfang – aber er bleibt zahnlos, wenn er nicht mit handfesten Mitteln unterfüttert wird. Es geht längst nicht mehr nur um Haltung. Es geht um Strukturen. Es geht um Geld. Und es geht um Gerechtigkeit. Wer Leben wirklich schützen will, muss massiv investieren: In Familienförderung. In soziale Absicherung. In kostenfreie Bildung. In wohnortnahe Versorgung. In Kunst, Musik, Sport. In gesunde Ernährung. In bezahlbare Wohnungen. In Zeit für Mütter. In Chancen für Kinder. Und in eine Gesellschaft, in der es nicht von der Steuerklasse abhängt, ob ein Kind willkommen ist oder nicht.

Ungarn wird im europäischen Westen gern als rückständig diffamiert – doch Viktor Orbán hat eines begriffen: Ein demografisches Problem löst man nicht mit moralischer Besserwisserei, sondern mit konkreten, tragfähigen Maßnahmen. Ein freier Tag für Mütter. Prämien für Geburten. Staatliche Kredite oder Steuern (lebenslang), die erlassen werden, wenn eine Familie wächst. Musikschulen, Sportvereine und Kultureinrichtungen, die nichts kosten. Und ein Staat, der nicht wegschaut, sondern mitträgt. Schaut gern auch einmal nach Russland – es lebt soziale Verantwortung, Förderung und Schutz von Kindern vor.

Ist das wirklich so schwer zu verstehen? Für kapitalistische Systeme offenbar ja. Für eine Politik, die alles dem Profit unterordnet, ist das Kind kein Lebenswert, sondern ein Kostenfaktor. Für jene, die sich an Renditen, Börsenwerten und Wachstumskurven orientieren, sind Familien nur dann „förderwürdig“, wenn sie Steuern zahlen oder konsumieren. Und das ist die eigentliche Unmoral unserer Zeit. Es ist dumm – und es ist dreist –, Frauen und Kindern jene Möglichkeiten zu verwehren, die für eine stabile, humane Gesellschaft nötig wären. Und es ist eine Lüge, seit Jahrzehnten gepflegt und zementiert: Dass sich alles regelt, wenn der Markt nur frei genug ist. Nein – das tut er nicht. Er produziert Ausschluss, Not und Konkurrenz. Und genau darum: Hört auf, Euch in die eigene Tasche zu lügen.

Wer von Lebensschutz redet, muss zuerst den Schutz des Lebens finanzieren. Wer von Christlichkeit spricht, soll Verantwortung übernehmen. Und wer wirklich Politik für Menschen machen will – der muss aufhören, über Moral zu reden, und endlich anfangen, Gerechtigkeit zu schaffen. Mit Taten. Mit Mitteln. Und mit einem neuen Verständnis von Staat, das nicht belohnt, wer verwertet – sondern schützt, wer lebt.

 

Erstveröffentlichung am 12.Juli 2025 in Apolut.

Sabiene Jahn

Sabiene Jahn studierte Kommunikation der Werbewirtschaft und arbeitet als Journalistin, Moderatorin, Sängerin und Synchronsprecherin. Sie beschäftigt sich mit gesellschaftspolitischen Themen sowie der Recherche extremistischer Strukturen. Sabiene Jahn organisiert die parteifreie Veranstaltungsreihe „Koblenz: Im Dialog“, um gesellschaftspolitischen Austausch zu fördern. Als Friedensaktivistin entwickelt sie Konzepte zur Deeskalation und Inklusion. Zudem leitet sie das internationale Musikensemble „Nobel Quartett“.
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29 Kommentare

  1. Kinder = Kosten = Armutsrisiko, ja ja. Die nichtdeutschen Anteile an der Bevölkerung sind jedenfalls zufrieden mit der Familienpolitik.

    1. Die „nichtdeutschen Anteile“ passen ihr Geburtsverhalten schneller an, als du denkst.
      Türkischstämmige Familien etwa haben längst dieselbe Geburtenrate wie „kerndeutsche“.

      1. Na Gott sei Dank holen wir deswegen immer neue Leute aus fruchtbaren Staaten, die dann sicher auch in der zweiten(?), dritten(?) oder vierten(?) Generation keine Kinder mehr bekommen oder erst mit Anfang 40 (die Schnelligkeit der Generationenfolge spielt nämlich auch eine große Rolle)…

  2. Ein fulminanter Artikel. Danke sehr.
    Für meinen Teil vermisse ich die Möglichkeit, dass das Abtreibungsthema vorgeschoben ist, um die Wahrscheinlichkeit eines AFD-Verbots, vermutlich wesentlich mitgetragen durch eben diese Richter-Kandidatin, nicht zu thematisieren. In ihrem Verlangen ihre Pfründen zu behalten, gar zu erweitern, werden die Einheitsblockparteien vermutlich ausserordentlich solidarisch sein. Dass sich …enFritz, gewohnt hektisch-dynamisch und hirnleer, dazu im Cäsarenwahn, verplappert hat, war das fehlende Wasser auf den Mühlen seiner Opponenten.

  3. Dieselben, die sich über Abtreibung als „Mord“ echauffieren, haben kein Problem, die Jugend der Nation in einen Krieg gegen den „Erbfeind“ aus dem Osten zu schicken. Die Werbetrommeln dafür laufen schon, u. a. in U-Bahn-Stationen. Damit wird der Sinn des Kinderkriegens in den Schützengraben (wenn es den geben sollte) getreten.

    Weiter: Wir gehen einer Stagflation entgegen mit Massenarbeitslosigkeit und Inflation, bedingt durch horrende Energiekosten, Schließung ehemals lukrativer Industrieunternehmen oder deren Verlagerung ins Ausland mit besseren Bedingungen. Die junge Generation, die die Kinder bekommen soll, wird Mühe haben, einen Broterwerb zu finden. Ganz zu schweigen von einem, der eine Familie bei steigenden Preisen für Nahrungsmittel ernähren soll. Und sollte auch in Deutschland/der EU KI zum Werkzeug der Wahl in Produktions- und Verwaltungsprozessen werden, dann wird es nochmals schlecht aussehen mit Arbeitsplätzen.

    Eigentlich müssten die Social Media – Kanäle mit Aufklärungsvideos über die mauen Zukunftsaussichten geflutet werden, damit die junge Generation nicht in die Falle von Erwerbslosigkeit mit Kindern läuft.

    1. Sie schützen das ungeborene Leben um mehr.geborenes zu drangsalieren, auszubeuten und zu töten, gern durch Hunger.

      Zitat aus dem Artikel:
      „ Wer von Lebensschutz redet, muss zuerst den Schutz des Lebens finanzieren. Wer von Christlichkeit spricht, soll Verantwortung übernehmen. Und wer wirklich Politik für Menschen machen will – der muss aufhören, über Moral zu reden, und endlich anfangen, Gerechtigkeit zu schaffen. Mit Taten. Mit Mitteln. Und mit einem neuen Verständnis von Staat, das nicht belohnt, wer verwertet – sondern schützt, wer lebt.“

      So ist es.

  4. Frau Jahn, ich danke Ihnen für diese Abrechnung mit dem Kapitalismus. Sie haben soviel Richtiges in diesem Artikel beschrieben, sie haben klar Position bezogen. Ich vermisse nur eines. Bitte sehen Sie es mir nach, aber ich vermisse das Wort, das als Alternative zur Ausbeutung des Kapitalismus steht: Sozialismus. Nur im Sozialismus lassen sich all` die Dinge umsetzen, die Sie völlig zu Recht angesprochen haben. Auch wenn die Ansätze in Ungarn, in Russland in diese Richtung ausschlagen, mit Sozialismus haben sie wenig zu tun. Aber was nicht ist, kann noch werden.
    Ihnen nochmals großen Dank. Ein großartiger Artikel.

    1. Sozialismus ist allerdings eine Utopie geblieben..
      Man könnte noch über Staatskapitalismus reden, der sich als solcher ausgab. 3Staaten führen ja dieses Modell noch weiter.

      1. @ Ikaros:
        Ich habe wirklich keinen Bock mit dir über Sozialismus zu reden. Wirklich keinen. Es ist so zum kotzen, dass ausgerechnet die Menschen, die sich für intelligent halten, sich so äußern. Lass mich in Ruhe. Ich habe die Schnauze gestrichen voll und will mich mit Typen wie dir nicht abgeben. Musst nicht antworten…. interessiert mich nicht.

      2. Kevin Kühnert äusserte mal in einem Gastbeitrag seine Kritik an einem Kapitalismus, „der viel zu weit in die sensibelsten Bereiche unseres Zusammenlebens vorgedrungen ist“. Die daraus resultierenden Entwicklungen seien zwar politisch begünstigt worden, könnten jedoch durch politische Entscheidungen auch wieder gestoppt werden. „Staatliche Dienstleistungen, öffentliche Daseinsvorsorge und insbesondere unsere natürlichen Lebensgrundlagen sind keine Waren, die profitorientiert zu Markte getragen gehören“. Das wäre ein rationaler Anfang und von einer Utopie weit entfernt.

        1. Also ein Sozialstaat, wie es ihn lückenhaft in der angeblichen „sozialen Marktwirttschaft“ mal gab. das ist immerhin ein erster Zwischenschritt gewesen*. Doch zu eiinem Sozialismus gehört mehr. Chancengleichheit bei Bildung und. Beruf usw. gab es noch nie wirklich. In. diesen Dingen war allerdings der Staatskapitaliismus der „realexistierenden“ sozialistischen Staaten tatsächlich weiter.

          *Das ist schon lange wieder weg

    2. KOBA, für Dich ein Witz aus DDR-Zeiten: Im Kapitalismus gibt es die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen – im Sozialismus ist es genau anders herum.

      Man muß ein totaler Versager sein, und außerdem noch dumm, um sich das herbeizuwünschen, was wir in der Zone hatten. Niemand, der geistig gesund ist, wünscht sich sowas, mit Schießbefehl an der Grenze als Sahnehäubchen. Daran erkennt man vollkommen wohlstandsverwahrloste Spinner. KOBA, wo sähest Du denn Deinen Platz im Sozialismus? Doch nicht etwa an der Arbeitsfront in einem schmutzigen Betrieb im 3-Schicht-System, mit 20 Tagen Urlaub im Jahr? Sag doch mal.

      1. du hast nicht lange in der DDR gelebt? Eine Freundin, die in Burg Hoheneck ca. 1980 einige Monate gesessen hat, saß mir neulich am Küchentisch gegenüber: „Ich will meine DDR zurück“.

        Die Realität nach 35 Jahre Wiedervereinigung lassen viele erst richtig spüren, was sie durch die Einheit verloren haben. Allerdings nur, wenn man nicht in den oben geäußerten oberflächlichen Sprechblasen gefangen ist.

  5. Der Artikel ist in Resultat zu der bislang nicht gewählten Verfassungsschützerin entstanden, ohne auf deren Einstellung hinzuweisen, dass für diese Dame das Leben erst nach der Geburt beginnt. Daher sind diese Aussagen oben genauso zu betrachten wie die nichtchristlichen Aktivitäten der Regierungen. Selbstverständlich hat jede Frau das Recht, über ihren Körper zu entscheiden, aber dies kann sie in den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft tun. Und das sollte auch so bleiben. Was richtig ist, ist der Sachverhalt, dass jedem neuen Leben auch ein Leben in Menschenwürde zustehen sollte. Und da hapert es gewaltig. Nicht nur fehlende Betrreuungsmöglichkeiten und fehlender Wohnraum verhindern das häufig, sondern auch fehlende Zukunftsperspektiven für Kind und Eltern. Wie soll sich die Geburtenrate normalisieren, wenn wir ab 2029 Krieg gegen Russland führen wollen, mit der Gefahr, dass der Russe wirklich zurückschlägt, weil wir ihn bis über die rote Linie reizen. An dem rohstoffarmen und immer mehr technologisch zurückfallenden, überalternden Deutschland kann Russland gar kein Interesse haben, das würde zum Milliardengrab. Also ist das ganze Spektakel nur wieder ein Ablenkungsmannöver. Was geht nur in den Köpfen vor? Wird jetzt allgenein Heroin und Kokain bereits zum Frühstück eingenommen? Es vergeht kein Tag ohne konkrete Hinweise darauf, dass sich Deutschland und Europa immer mehr selbst abschaffen.

  6. Das Eine ist ohne das Andere nicht denkbar. Danke Sabiene Jahn, für diese lesenswerte Einordnung in die herrschenden Verhältnisse.

  7. „Ich halte die Strafbarkeit der Abtreibung seit Jahrzehnten für ein Relikt aus der klerikalen Mottenkiste.“

    Auch wenn sie kurz vor dem Geburtstermin stattfindet? Gut, diese Ansicht darf die Autorin ja haben, aber der aktuell zur Diskussion stehende Gesetzentwurf lässt sich hier nachlesen:

    https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw49-de-schwangerschaftsabbruch-1032654

    Da geht es darum, dass ein Abbruch in den ersten 12 Schwangerschaftswochen grundsätzlich nicht verboten sein soll, danach aber schon. Da er bisher zwar verboten, aber per Gesetz straffrei gestellt ist, ändert sich für die betroffenen Frauen dadurch praktisch nichts, das ethische Dilemma ist ja sowieso immer das Gleiche, egal was im Gesetz steht. Das Werbeverbot für Ärzte ist auch schon seit drei Jahren aufgehoben.

    Ich finde es auch wenig hilfreich, wenn eine offenbar Nicht-Christin über Moralvorstellungen von Christen richten will. Der Text ist für mich eher ein Beispiel für Kulturkampf von links, der auch immer nur weiter spaltet.

    Alles, was hier zu Familienpolitik gesagt wird, dürfte nämlich auch bei Unions-Familienpolitikern Konsens sein. Und dass diese Gesetzesinitiative auf Grüne und SPD zurückgeht, ist ja angesichts deren Kriegstreiberei nicht minder skandalös. Also warum wird hier nur auf die Union eingeprügelt?

    Gut, vielleicht ist es an der Zeit, diese rechtlichen Kompromisse mit den Moralvorstellungen religiöser Menschen aufzukündigen, weil es eh kaum noch welche gibt.

    Umso bemerkenswerter finde ich dann aber, dass es sich bei der zur Rede stehenden politischen Initiative um reine Symbolpolitik ohne praktische Konsequenzen handelt, weil es nur um Semantik geht: aus einem bis jetzt gesetzlich erlaubten Verbrechen wird gar kein Verbrechen.

    Alles was sich ändern würde, ist also der beschlossene gesellschaftliche Konsens über die Bewertung einer sowieso schon erlaubten Handlung.

    1. „Ich finde es auch wenig hilfreich, wenn eine offenbar Nicht-Christin über Moralvorstellungen von Christen richten will.“

      Tut sie das? Ich hatte ihren Text so verstanden, dass die Moralvorstellungen, die Christen äußern, sehr widersprüchlich und interessengeleitet vorgeschoben werden. So kann es aber nicht gehen.

      Schon Kurt von Tucholsky hat seinerzeit die Sorge des christlichen Moralisten um das ungeborene Leben als Heuchelei beschrieben. Die ende nämlich regelmäßig im Kreissaal. Danach fühlen christliche Moralisten keine Sorgen mehr über den weiteren Lebenslauf des Kindes. So ist das im Kapitalismus.

    2. Tatsächlich haben Frauen, die eine unerwünschte Schwangerschaft beenden wollen, es immer schwerer, jemanden zu finden, der das auch macht. Vielfach wird das im Studium nicht gelehrt, der Druck und die Propaganda der „Lebensschützer“ schreckt viele Mediziner ab und besonders in Bayern und anderen ländlichen Gebieten haben es Frauen schwer in der Kürze der Zeit Beratung und einen Arzt zu finden.
      Und wenn ich den Begriff „AustragungsPFLICHT“ höre in Bezug auf eine schwangere Frau, dann sträuben sich mir sämtliche Haare ob dieser patriarchalen Übergriffigkeit. Keine Frau macht sich das leicht und ich weiß, wovon ich rede.
      Und das Ganze dann noch im Zusammenhang mit einer Kriegsdienstpflicht-Debatte zeigt die ganze Obszönität dieses Themas.

  8. Zur „klerikalen Mottenkiste“ gehört leider auch, Beratung und Aufklärung zum Thema als „Werbung“ zu bezeichnen und unter Strafe zu stellen. Sabiene Jahn hat nicht erwähnt, dass einiges von dem, was in Ungarn passiert, auch in ihrem und meinem Geburtsland üblich war und beim Anschluss leider unberücksichtigt blieb. Von jungen Familien nach 1990 durchaus bedauert. Die Konservativen konservieren eben. Jedes Abgeben, jedes Zugeständnis wäre Gesichtsverlust. Danke für diesen Artikel. Danke für diesen emanzipatorischen Gegenpunkt zum letzten Beitrag von Anne Burger an dieser Stelle.

  9. Ich freue mich, dass Overton die politischen Ereignisse der letzten Tage in Deutschland thematisiert und kann die angesprochene Doppelmoral in diesem Artikel gut nachvollziehen (auch wenn der Sozialstaat besser funktioniert, als dargestellt, aber das ist ein anderes Thema.) Weiter möchte ich die emotionale und existenzielle Diskussion der Debatte zunächst bewusst ausklammern – wohl auch aus Überforderung.

    Um was geht es im Moment? Es geht um das lapidare „Ja“ eines CDU-Bundeskanzlers – also einer Partei, die traditionell von vielen Katholiken gewählt wird – auf die Frage hin, ob er es vertreten könne, eine Frau in eine Richterposition zu wählen, die öffentlich mit dem Gedanken spielt, die oben genannte 12. Schwangerschaftswoche sehr weit nach hinten zu verlegen (ich paraphrasiere).

    Der 69jährige Katholik Merz weiß, wie zentral diese Debatte für die CDU ist. Warum hat er also ohne Not das getan und einfach „Ja“ gesagt? Er hätte jede Möglichkeit gehabt, anders zu reagieren. Es bleiben nur folgende Möglichkeiten: 1) Er war tatsächlich überfordert und kognitiv der Situation nicht gewachsen. 2) Er spekulierte auf die darauf einsetzende heftige Kritik von Seiten der Kirchen und der CDU-Basis, womit er in Zukunft die CDU als die moralisch gefestigtere Partei präsentieren würde. Ein solches 4D-Schach traue ich ihm jedoch nicht zu. 3) Er setzte auf das gut geölte Zusammenspiel mit den alten Medien, vornehmlich den Rentner-Programmen ARD und ZDF: Diese werden kaum von dem Vorfall berichten, so seine Überlegung, bzw. auf die AfD oder irgendwelche Doktorarbeiten verweisen, während die neuen Medien noch nicht wirkungsmächtig genug sind. Und genau hier hat er sich verschätzt.

    Ich denke, es gibt jedoch eine höhere Dimension, die über der politstrategischen anzusiedeln ist – hier geht es letztlich um Werte oder um zeitlich äußerst stabile Wertgerüste des Individuums, die außerhalb des politischen Raums oder einer Gruppe existieren. Insofern erinnert mich die aktuelle Debatte an die Tage rund um die C-Impfpflicht-Debatte im Bundestag. Damals wie heute sehnt man sich nach der Kühle und Stille eines Kirchenschiffes, während draußen auf dem Dorfplatz die Narren, Gaukler und Gauner mit lautem, irren Getöse ihr Unwesen treiben.

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