Deutsche Israelsolidarität

 

Erste Kabinettssitzung der Regierung Netanjahu am 29.12.2022. Screenshot von PMO-YouTube-Video

In Israel sind rechtsradikale Parteien an die Regierungsherrschaft gelangt. Wie sieht man das in Deutschland?

Deutschlands unverbrüchliche Solidarität mit Israel ist historisch nachvollziehbar. Deutsche haben an Juden Monströses verbrochen; in Israel haben zionistische Juden ihren Nationalstaat errichtet; und so war es nur zu verständlich (und realpolitisch praktisch), dass Deutschland (bzw. die alte BRD) seine den Juden gegenüber erbrachte Sühne auf den Staat Israel übertrug und ab 1952 materialisierte.

Über die sogenannte “Wiedergutmachung” hinaus, und letztlich als integralen Bestandteil von ihr, verpflichtete sich das staatsoffizielle Deutschland, sein Solidarität mit Israel nie abreißen zu lassen – bis hin zum Bekenntnis der deutschen Kanzlerin im Jahre 2008, dass Israels Sicherheit Teil deutscher Staatsräson sei. Das Hauptargument für diese selbstauferlegte Radikalverpflichtung formuliert sich in der Parole, dass Israel den Juden nach der im Holocaust kulminierenden Verfolgungsgeschichte endlich eine Zufluchtsstätte biete – und diese gelte es zu erhalten, wofür Deutsche eine besondere historische Verantwortung trügen.

Angesichts der Erfahrung des Zivilisationsbruches war das nach 1945 zweifellos richtig und die so begründete Staatsgründung darf aus der damaligen Sicht gar als historische Notwendigkeit gewertet werden. Aber wie letzte Woche an dieser Stelle dargelegt, darf bezweifelt werden, dass dem heute noch so ist bzw. dass der Zionismus seinem Versprechen nachgekommen sei, den Juden in aller Welt ein Zufluchtsstätte zu errichten, wo sie in Frieden und Sicherheit leben können.

Was immer der komplexe Zusammenhang dafür sein mag, lässt sich heute mit Bestimmtheit sagen, dass der Jude qua Jude nirgends auf der Welt so bedroht ist wie gerade in seiner vermeintlichen Zufluchtsstätte, und zwar sowohl individuell als tendenziell auch kollektiv.

Aber das sei hier nur nebenbei bemerkt. Zu fragen gilt es gleichwohl, ob man in Deutschland wirklich weiß, mit was für einem Staat man sich solidarisiert, wenn man Israel gegenüber eine solch beharrliche Loyalität bezeugt. Oder lässt man sich etwa durch die Pathosformel der Zufluchtsstätte dermaßen blenden, dass man die Realität dieses Staates gleichsam in Klammern setzt bzw. ausblendet, um sich ungestört und bar jeglicher Wirklichkeitsrelevanz der längst schon zum verdinglichten Fetisch mutierten Sühnearbeit hingeben zu können? Weiß man in Deutschlands politischer Klasse wirklich nichts von der jahrzehntelangen Barbarei des israelischen Okkupationsregimes und seinen Auswirkungen auf Palästinenser und jüdische Israelis? Weiß man nicht, dass man sich mit einem Land solidarisiert, das Kriegsverbrechen begeht, das Völker- und Menschenrecht systematisch übertritt, das schon längst zu einem Apartheidstaat verkommen ist? Und wenn man das weiß, meint man nicht, die notwendige Verurteilung dieser barbarischen Praxis in irgendeiner Weise artikulieren zu sollen?

Diese Frage stellt sich nun mit umso größerer Dringlichkeit angesichts der in Israel diese Woche eingeschworenen neuen Regierung. Wenn diese Regierung die Regierung des zionistischen Staates ist, dann kann dem Postulat, der Zionismus sei Rassismus, jetzt endgültig nicht mehr widersprochen werden.

In der israelischen Gesellschaft feiert der Rassismus schon seit vielen Jahren Urständ, seit geraumer Zeit auch im Parlament des radikal nach rechts gerückten Staates, und nun ist er zum integralen Bestandteil des mit Verve proklamierten Parteiprogramms der zentralen Koalitionspartner Netanjahus (seiner “natürlichen Verbündeten”) avanciert. Man hasst die Araber, man hasst Homosexuelle, man hasst Linke, man redet über Frauen, als sei man noch gar nicht im 20., geschweige den im 21. Jahrhundert angelangt. Und man ist dort letztlich auch noch nicht angelangt: Die klerikal-mystische Grundlage dieser Koalitionsparteien amalgamiert sich mit chauvinistisch-faschistischen Ideologemen; das erklärte Ziel einiger dieser Parteien, die in der neuen Regierung zentrale Ministerien besetzen werden, postulieren ganz offen, Israel in eine Theokratie verwandeln zu wollen.

Die Angriffe auf das (bereits jetzt merklich geschwächte) Justizsystem Israels korrespondieren mit der Tatsache, dass alle Führer der Koalitionsparteien vorbestraft sind; und das wiederum verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass Netanjahu selbst der Korruption, des Betrugs und der Veruntreuung angeklagt ist. Lüge, Korruption und offene Übertretung des Gesetzes ist zur Matrix des regierenden Teils der Knesset geronnen. Entsprechend werden Gesetze konstruiert und jetzt schon verabschiedet, die dieses illegale Unwesen legalisieren, mithin Netanjahu helfen sollen, seinem Prozess und einer möglichen Gefängnisstrafe zu entrinnen.

In den 1990er Jahren sagte mir einmal ein berühmter deutscher Philosoph, nachdem er vom Fachbereich der Philosophie an der Universität Tel Aviv gebeten wurde, eine Petition zu unterschreiben, die Israel für ein gerade begangenes, horrendes Verbrechen der IDF im Libanon verurteilte: “Das kann ich leider nicht machen. Kein Mensch meiner Generation in Deutschland würde je eine Verurteilung Israels unterschreiben.” Mutig war das nicht, aber nachvollziehbar. Seine Generation war ja noch (als Jugendliche) aktiv am Ende des Zweiten Krieges mit allem, was er implizierte, beteiligt. Für den Philosophen verlieh diese lebensgeschichtliche Erfahrung der Zufluchtsstätten-Doktrin Vorrang über die relevante moralische Ausrichtung gegenüber dem damaligen aktuellen Verbrechen. Juden und Israel waren ihm da ein Abstraktum – anders war ihm der Umgang mit der deutschen Geschichte (in seinem Fall, wie gesagt, nachvollziehbar) nicht möglich.

Am Donnerstag dieser Woche wurde die neue Regierung in der Knesset eingeschworen. Der israelische Publizist Yossi Klein schrieb am Morgen nämlichen Tages in der Tageszeitung Haaretz: “Die Bildung der Regierung heute ist ein historisches Ereignis. Einmalig. Bedeutend wie die Ermordung Rabins. Es ist das erste Mal, dass Juden eine Regierung bilden, deren Gesetze denen ähneln, in deren Namen ihr Volk ermordet wurde.”

Wäre interessant, eine offizielle deutsche Stimme dazu zu hören. Aber die gab es eigentlich schon: Am 2. November wurde Andrea Sasse, Sprecherin des Auswärtigen Amtes, auf einer Pressekonferenz um einen Kommentar zur sich bildenden “rechtsradikalen Koalition” in Israel gebeten. Die Sprecherin gab zu Antwort: “Zum einen weisen wir das zurück, was in Ihrer Frage mitschwingt.” Als der Fragende wissen wollte, was es sei, das da zurückgewiesen würde, es seien ja Faschisten in der neuen Koalition, antwortete die Sprecherin resolut: “Die Bewertung, die in Ihrer Frage liegt, machen wir uns nicht zu eigen.”

Das ist die ganze Story in nuce: Der israelische Publizist ist entsetzt über die rechtsradikale, faschistische Regierungskoalition, die in den kommenden Jahren sein Land beherrschen wird, und die Sprecherin der deutschen Regierung kann sich die Benennung dessen, was sein Entsetzen auslöst, nicht zu eigen machen. Dass sie das als Angehörige der Diplomatengilde nicht kann, ist einzusehen. Aber haben sie und ihresgleichen, hat man in Deutschland überhaupt begriffen, dass man mit derlei “israelsolidarischen” Reaktionen gerade den Untergang des Landes, das man realitätsfern noch immer als Zufluchtsstätte “der Juden” zu beschützen vorgibt, mutatis mutandis mitbewirkt und vorantreibt?

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12 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Zuckermann,
    vielen Dank für Ihren Artikel. Mir ist wichtig dabei, dass sie vom Glauben Jude sind und von Nationalität Israeli.
    Was immer Ihren Glaubensschwestern und Brüdern widerfahren ist, darf nicht dazu führen, dass, was wahr ist, gesagt werden darf. Ich bin nach dem Zweiten Weltkrieg geboren und mein Vater kommt aus dem Balkan, von daher habe ich eine andere Sicht auf Israel gehabt als es die offiziellen Deutschen vorgeben.
    Durch Ihren Artikel kann ich sagen Solidarität für Juden in Israel zu haben, es müssen ja nicht die Regierenden sein.
    Offiziell wird es in Deutschland wohl so gehen wie in der Ukraine, da kann es keine Faschisten geben, weil der Präsident Selenskyj Halbjude ist. Da ist ihm Netanjahu weit voraus.

  2. Rechtsradikalismus ist in Deutschland hoch angesehen, solange er, zumindest in Deutschland, auf die entsprechenden Symbole verzichtet. Wir haben das in der Vergangenheit mit diversen faschistischen Diktaturen in Südamerika gesehen, mit diversen rassistischen Individuen wie z.B. Nawalny in Russland (ein Rechtsradikaler) oder ganz aktuell mit der Unterstützung einer offen rechtsradikalen Ukraine.
    Deswegen bezweifle ich, dass Deutschland hier ein großes Problem sieht, im Gegenteil – die israelische Regierung lebt den arischen Traum für die Deutschen aus.
    Die meisten Deutschen interessiert es übrigens eh nicht, die Rechten haben sich längst den neuen Realitäten angeschlossen und die „Linken“ sehen im Neofaschismus eh kein Problem, solange die LGBT Fahne darüber gezogen werden kann.

    1. Genau das waren beim Lesen auch meine Gedanken; die Geschäfte mit den südamerikanischen Faschisten liefen blendend und die wunderbare Demokratie in der Ukraine bezeichnen wir ungeniert als die unsrige.

      Insofern ist das Statement zu Israel nur noch das Tüpfelchen auf dem i.

  3. Wie sieht man das in Deutschland?
    Vermutlich so:
    – Israelis sind Juden.
    – Juden können nicht rechtsradikal sein.
    – Somit gibts kein Problem.

    Also gleich, wie mit der Ukraine dank Selenski.

    1. ? Israeli: Selenski eine Schande

      ?? Der ehemalige Chef det israelischen Organisation „Nativ“ Yakov Kedmi sagte, Selenski sei eine Schande für das jüdische Volk.

      – mit englischen Untertiteln

      ☆ Russländer & Friends | ?????

  4. Da sich das Bürgertum aller Länder nach dem zweiten Weltkrieg aus Gründen der eigenen Gesichtswahrung schrittweise darauf geeinigt hatte, dass das Wesen des historischen Faschismus vor allem in Antisemitismus bestand und nicht etwa in rabiatem Antikommunismus – der übrigens vom Bürgerlichen Thomas Mann justament 1943 als „die Grundtorheit unserer Epoche“ bezeichnet wurde und eben _erschien_ bzw _erscheint_ (Wesen nicht gleich Erscheinung!) in der Form von extremem Nationalismus bzw. Rassismus – kann es in einem Judenstaat natürlich geradezu definitionsgemäß keine Faschisten geben.
    That’s it m.o.w.

    Der bürgerlichen Interpretation der jüngeren Geschichte schlossen sich später auch die sich verbürgerlichenden Teile der sog. Linken an, die auf diese Weise ihren „israel-solidarischen“ Konformismus als Spielart des „Antifaschismus“ ausgeben können.

    P.S.
    Interessanterweise wusste es auch der rechte Historiker Ernst Nolte noch besser, der im Rahmen seiner geschichtsrevisionistischen Interpretationen – eigentlich ja: offen die Praxis des rabiaten Antikommunismus verteidigenden Interpretationen – zumindest insofern bei der Wahrheit blieb, als er den Faschismus wahrheitsgemäß primär als rabiaten Antikommunismus interpretierte und dem daraufhin – nota bene – Holocaust-Relativierung vorgeworfen wurde.
    Nolte wäre natürlich auch nicht auf die Idee gekommen, die Nazis als angebliche „Sozialisten“ ins linke Lager zu rücken. Derlei antikommunistischen Geschichtsrevisionismus „zweiter Ordnung“ können wir dagegen heute vielfach beobachten.

  5. Nachdem Merkel und auch nu Hollande offiziell bekannt gaben, das ihr hochoffizielle Geschwätz nur Geschwätz war, liegt die Verantwortung beim Menschen selbst etwas zu ändern! Da aber die Leute nichts tun, fährt diese Politik verbrecherisch korrupt fort.

  6. Zuckermann kann man nur beipflichten. Leider aber geht das Problem weit über Israel hinaus, der Drive nach rechts ist unaufhaltsam in sehr vielen Staaten. Wenn ihr Wirtschaftssystem auf einen Prellbock stösst, werden die Bürgerlichen rechtsoffen. Wenn schlechtes Wetter aufzieht, brauchts einen Schirm.

  7. Da in Deutschland Faschismus = Antisemitismus = Gaskammer ist, werden hier wie dort in Israel oder eben auch bei anderen „befreundeten“ Staaten die Anfänge immer geflissentlich übersehen, die zu solch einer vergleichbaren Entwicklung hinführen, obgleich jahrzehntelang lang immer genau das galt, „Wehret den Anfängen“.
    Was allerdings auch übersehen wird, ist, dass sich der heutige Faschismus wahrscheinlich in den meisten Fällen anders und möglicherweise „bekömmlicher“ darstellt, gut vereinbar mit und verborgen hinter zahllosen Bequemlichkeiten und so eine schöne Reise nach Israel, Clubs, Sehenswürdigkeiten, Strände …..

    Im Falle Israels gegenüber den seit Jahrzehnten terrorisierten Palästinensern tritt er allerdings bekannt plump auf, aber da hilft dann gegen die unangenehme kognitive Dissonanz:
    aus Wikipedia: „Kognitive Dissonanz erzeugt in den betroffenen Menschen eine Motivation, die entstandene Dissonanz zu reduzieren. Nach Leon Festinger gibt es drei verschiedene Arten, die kognitive Dissonanz aufzulösen:[6]
    Addition neuer konsonanter Kognitionen;
    Subtraktion dissonanter Kognitionen (Ignorieren, Verdrängen, Vergessen);
    Ersetzung von Kognitionen: Subtraktion dissonanter bei gleichzeitiger Addition konsonanter Kognitionen.“

    Und ansonsten schiere Unterwürfigkeit, wie sie unsere Regierungen auch gegenüber den USA pflegen.

  8. Andrea Sasse, Sprecherin des Auswärtigen Amtes, weiß ja was ihr seitens der woken Antisemitenjäger blüht, sobald sie die israelische Regierung und indirekt damit auch ihre Gesellschaft kritisiert. Also übt sie sich in der Disziplin, die alle Regierungssprecher beherrschen müssen: Antwort verweigern oder wortreich nichts sagen.

    Die Frage ist allerdings, ob die deutsche Solidarität mit Israel ein inhaltlich und wartebasiertes Fundament hat oder bloss formal völkisch begründet ist. Ich fürchte letzteres ist der Fall und damit stellt sich die Frage, ob man nicht zum falschen Freund wird, wenn man dem auf Abwegen befindlichen Freund nicht warnt und ihn damit womöglich in eine Gefahr laufen lässt.

    1. Für die Pseudolinken ist die Lehre aus dem Holocaust, dass es keine Lehre aus dem Holocaust geben kann. Denn der Holocaust ist einzigartig und in seiner Einzigartigkeit und Boshaftigkeit mit nichts anderem vergleichbar. Daher darf man nichts mit dem Holocaust oder was zum Holocaust geführt hat jemals vergleichen, denn es relativiert das Unrelativierbare. Die Lehre aus dem Holocaust muss sein, dass wir jeglichen Schritt der zu einer massenhaften Vernichtung menschlichen Lebens führt ignorieren, damit wir niemals, nie wieder, den Holocaust mit vergangenen und zukünftigen Gräueltaten auf eine Stufe stellen.

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