Gespräch mit Sergijenko über die vom Geheimdienst und Sicherheitsrat betriebene Säuberung der Kultur.
Die Ukraine ist im identitären Kulturkampf gegen alles vermeintlich Anti-Ukrainisches. Der ukrainische Präsident Selenskij hat am 15. Januar eine neue Sanktionsliste des Nationalen Sicherheitsrats unterzeichnet, mit der neben russischen Journalisten, Fernsehmoderatoren, Wissenschaftlern und Künstlern auch ukrainische Staatsbürger mit Sanktionen belegt wurden. Schon am 7. Januar war eine andere Sanktionsliste in Kraft getreten. Unter die ukrainische Cancel Culture, die alles angeblich Anti-Ukrainische aus dem Land verbannen will, fiel nun auch der Schriftsteller und Publizist Wladimir Sergijenko, der aus Lwiw oder Lemberg stammt.
Wie geht es denn dir damit, auf die ukrainische Sanktionsliste geraten zu sein?
Wladimir Sergeijenko: Ich habe gestern ohne Ironie herzliche Glückwünsche erhalten. Weißt du schon, dass du auf der Sanktionsliste stehst? Auf der Liste des Sicherheitsrats, die Selenskij in Kraft gesetzt hat, stehen auch acht Ukrainer. Welche Empfindungen ich gegenüber dem Land habe, in dem ich aufgewachsen bin, wenn es gegen mich Sanktionen verhängt? Die heutige Ukraine hat nichts mit dem Land mehr zu tun, in dem ich aufgewachsen bin. Mein erster Pass war von der UdSSR. Ich bin in der Sowjetunion in der Sozialistischen Republik Ukraine geboren. Mein Geburtsname war Wladimir, er ist auch in der Geburtsurkunde so eingetragen. Nach 1991, als ich mit dem Studium fertig war, kam die große Umstellung durch die Unabhängigkeit. Es gab einen neuen Pass, in dem ich nicht als Wladimir, sondern als Wolodymyr eingetragen war. Das ist eine Kleinigkeit, nichts Schlimmes. Damals sagte man, wenn man Wladimir heißt, ist man in der Ukraine wie ein Russe. Wenn du Alexander heißt, bist du ein Russe, wenn du Oleksandr heißt, bist du ein Ukrainer. Ich habe darum gekämpft, wieder Wladimir als Vorname zu erhalten. Eigentlich ist das eine Kleinigkeit, aber es ging um die nationale Identität und Staatsangehörigkeit. Man konnte damals nicht einschätzen, wohin das führt.
Ich empfinde keine Nostalgie für die Sowjetunion, vielleicht für meine Kindheit. Ich bin noch zur Zeit der Sowjetunion ausgereist, als sie noch nicht auseinander gebrochen war. Ich habe meine Heimat in Deutschland gefunden. Meine Wurzeln sind natürlich geografisch in der Westukraine, aber zu einem selbstbewussten Menschen bin ich in Deutschland geworden. Meine erste Reaktion auf die Sanktionierung war, dass ich sie lächerlich blöd finde, sie aber auch als ganz ernste Sache sehe. Irgendwo dazwischen ist mein Gefühl, was das bedeutet.
Weißt du denn schon, welche Folgen das haben wird? Vermutlich solltest du nicht mehr in die Ukraine reisen.
Wladimir Sergeijenko: Ich habe eigentlich auch keine Lust, in die Ukraine zu reisen, weil ich dann mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ausreisen kann. Ich möchte nicht zu einer Tauschoption gegen gefangene Ukrainer in Russland für das Selenskij-Team werden. Jetzt gibt es natürlich das Gesetz, dass man als ukrainischer Staatsangehöriger in einem bestimmten Alter nicht aus dem Land darf.
Aber du bist ein ukrainischer Staatsbürger?
Wladimir Sergeijenko: Das sagt die Regierung, ich möchte mich dazu nicht äußern. Möglicherweise will man mir die ukrainische Staatsangehörigkeit entziehen. Ich habe noch ganz legal einen ukrainischen Pass, aber ich habe keine Gemeinsamkeiten mit dem Staat. Mit den Menschen natürlich schon, die dort leben. Ich unterscheide seit dem Maidan oder kurz davor genau zwischen der ukrainischen Regierung und der ukrainischen Bevölkerung.
In der Ukraine gab es immer schlechte Beziehungen zwischen der Bevölkerung und der Regierung. Korruption, Versuche, Medien auf die eigene Seite zu ziehen, und sie dann, wenn das nicht geht, zu kaufen oder zu sperren. Selenskij ist nicht besser als Poroschenko und nicht besser als Janukowitsch. 1991 konnte man noch auf ein sich frei entwickelndes Land hoffen, es gab noch eine richtige Demokratie, auch wenn man mit bestimmten Methoden Reichtum ergattern konnte, aber es gab nicht die Gnadenlosigkeit gegenüber denen, die man als Feind betrachtete.
Mit dem Geheimdienst SBU wird, kaschiert als “Staatsgeheimnis”, eine politische Einschätzung der Kulturschaffenden betrieben. Nun steht beispielsweise der Theater- und Filmregisseur Andrei Konchalovsky neben Wladimir Sergeijenko auf der Liste. Da finden sich auch Pop-Musiker, die nichts mit Politik zu tun haben, aber sie haben beispielsweise für russische Soldaten ein Konzert gegeben.
Oder waren auf der Krim?
Wladimir Sergeijenko: Ja. Ich denke, die Ukraine hat gerade ihre Machtlosigkeit gezeigt. In Wirklichkeit können sie den Leuten nichts antun.
Werden Gründe genannt? Warum wurdest du auf die Liste gesetzt?
Wladimir Sergeijenko: Nein, ich habe keine Ahnung. Bei einem Ausländer darf dieser beispielsweise nicht in die Ukraine einreisen, wenn er auf der Sanktionsliste steht. In meinem Umkreis gibt es Journalisten und Politiker aus dem linken oder rechten Spektrum oder unabhängige, ganz egal, die ein Einreiseverbot erhalten haben, auch zu bestimmten Gelegenheiten wie zum Jahrestag des Brandanschlags in Odessa. Wenn gegen eigene Bürger vorgegangen wird, ist es eine Verletzung der Verfassung. Wenn ich eine Straftat begangen habe, dann wird die Staatsanwaltschaft eingeschaltet und gibt es ein Gerichtsverfahren. Aber wenn man auf die Liste kommt, werden deine Rechte verletzt. Man kann keine Aktien mehr kaufen oder verkaufen, kein Vermögen verwalten oder in eine Bibliothek gehen. Die Rechte der Juden wurden im Dritten Reich beschränkt. Man denkt, es ist ja nichts Schlimmes, wenn man nicht in Bücherei mehr kann, aber wenn die Rechte eines Ukrainers so beschränkt werden, ist das wie im Dritten Krieg.
Du sagst, wenn du in der Ukraine wärest, dürftest du bestimmte Sachen nicht mehr machen?
Wladimir Sergeijenko: Es gibt in der Verfügung bestimmte Punkte, was man nicht mehr machen darf. Wenn jemand den Holocaust verleugnet, Kriegstreiberei begeht oder zur Vernichtung von ethnischen Gruppen aufruft, dann hat er eine Straftat begangen. Dann wird man bestraft und darf beispielsweise keine politische Tätigkeit mehr ausüben. Aber wenn man ohne Gerichtsverfahren vom Sicherheitsrat und dem Geheimdienst SBU sanktioniert wird, dann kann man zwar vor Gericht gehen und muss sich einen Anwalt nehmen. Zwar kann die Sanktionierung, wie ich erfahren habe, von einem Gericht zurückgezogen werden, aber nach einem Monat kommt man wieder auf die Sanktionsliste, weil das der Geheimdienst sagt und angeblich die Sicherheit gefährdet ist.
Es gibt eine Arbeitsgruppe in der Ukraine, die alles verfolgt, was in den russischen Medien geäußert wird. Es gab eine Diskussion, an der ich beteiligt war, über den russischen Vergeltungsschlag nach dem Angriff auf die Krim-Brücke. Die Russen haben die Infrastruktur in der ganzen Ukraine angegriffen. In der Talkshow sagte ich meine Meinung, dass Selenskij wegen der Bombardierung der Infrastruktur, einen Grund bekommt, beispielsweise mit Bundeskanzler Scholz zu sprechen. Der hatte nach meiner Ansicht zuvor gesagt, dass Deutschland es nicht anerkennen werde, wenn die Ukraine ein Friedensabkommen mit Russland trifft und dabei territoriale Zugeständnisse macht. Nach der Bombardierung der Infrastruktur werden im Winter wegen der mangelnden Versorgung mehr Menschen sterben. Selenskij könnte die humanitäre Frage als Grund für ein Friedensabkommen verwenden, also wegen des Leids der Bevölkerung, um den Vorwürfen des Westens zu begegnen, dass er Verrat begangen habe. Meine Äußerungen dazu wurden weggeschnitten, wie auch die von anderen beschnitten wurden, um zu behaupten, ich hätte zur Bombardierung von Kiew aufgerufen. Das macht diese Arbeitsgruppe und der ukrainische Außenminister übernimmt diese verfälschte Äußerung.
Man nimmt eine Äußerung, schneidet etwas heraus und sofort ist man anti-ukrainisch. Und ich habe keine Möglichkeit, mich zu erklären. Wer für Waffenlieferungen ist, den bezeichne ich als anti-friedlich. Dreiviertel der europäischen Politiker sind das. Wenn ich über Nord Stream 2 nach meiner Überzeugung spreche, dann finde ich, die Pipeline sollte wieder in Betrieb gehen. Mir ist egal ob mit Wasserstoff oder Gas, aber es ist für die Wirtschaft beider Länder gut. Das sollte diskussionsfähig sein, ohne gleich als pro-russisch in die Ecke gestellt zu werden. Ich bin kein Oligarch. Ich habe keine Sorgen um meine Aluminiumproduktion.
Findet ähnliches nicht auch in Russland statt? Gibt es dort auch Sanktionen?
Wladimir Sergeijenko: In Russland spricht man auch über Sanktionen gegen russische Künstler oder auch gegen ukrainische Künstler, die in Russland ein Vermögen verdient haben. Zur Zeit gibt es noch kein Gesetz, aber man hört ständig Forderungen von Politikern, dass etwas gegen die Russen im Ausland unternehmen müsse, die gegen die russische Regierung oder die Sonderoperation seien. Das geht bis dahin, den Leuten die russische Staatsangehörigkeit zu entziehen. Das ist wie in sowjetischen Zeiten.
Aber eine Sache ist deine Meinung. Ich kann sagen, dass die Reise von Annalena Baerbock in die Ukraine eine Zirkusnummer war, die nichts bewirkt hat. Aber sobald ich dazu aufrufe, dass man verhindern sollte, dass Baerbock in die Ukraine reist, oder dass russische Raketen ein bestimmtes Ziel treffen sollen, ist das keine Meinung mehr, sondern eine Aufforderung. Wenn nun der Sicherheitsrat mir vorwirft, anti-ukrainisch zu sein, aber mir keine Möglichkeit einräumt, dazu Stellung zu beziehen, dann geht das nicht. Der ukrainische Außenminister hat das einfach von der Arbeitsgruppe übernommen, der er vertraut, und glaubt, dass dies geprüft sei. Aber es wurden die paar Sekunden weggeschnitten, in denen ich sagte, dass es ein Grund für Friedensgespräche für Selenskij sei. Dann trifft man Leute, die ich schon 20 Jahre kenne und die mich fragen, ob ich gesagt habe, man solle Kiew bombardieren. Natürlich nicht. Ich meinte nur, wenn es in Russland schlimme Sabotageakte geben wird, dann muss man mit schlimmen Folgen rechnen. Dann könnte auch meine Heimatstadt oder die Hauptstadt bombardiert werden.
Es ist heute ganz einfach, einen Menschen in den Schmutz zu ziehen, aber er hat kaum Möglichkeiten, sich sauber zu waschen. Es wird schnell eine oberflächliche Meinung konstruiert. Du gehörst zu Russland, deswegen bist du ein Feind. Wenn man meine Rechte verletzt, wie das der Sicherheitsrat der Ukraine jetzt gemacht hat, dann frage ich, wie wird das weitergehen? Es riecht nach 1933, weil es dieselbe Denkweise ist. Man ist schuld, weil man zu einer bestimmten Gruppe oder Denkweise gehört. Das ist das Problem.
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Ich denke, einfach weitermachen, das soll ja abgestellt werden durch die Sanktionen. So wird das Weitermachen zeigen, dass ihre Versuche keine Wirkung erzeugen.
Ich habe die Berichte und Interview mit Florian Rötzer immer als Gewinn gesehen.
Wer das Narrativ in Frage stellt, wird geächtet und das ist die Fortsetzung von der Coronapolitik.
Demnach verstärkt sich der Eindruck, das das ganze Rechtssystem Kopf steht.
Diskussion, Dialog waren gestern, heute gibt’s nur noch den ‘Befehl’.
Der Staat ist nie der Freund des Bürgers, das gilt überall auf der Welt. Er saugt den Bürger aus und gibt einen Teil davon zurück, um wichtige Gruppen günstig zu stimmen. Die dürfen ihn dann mit Mehrheit wählen. Notfalls wird nachgeholfen. Bürger sollten immer, wenn der Staat seine Grenzen überschreitet, zusammenstehen. Leider lassen sie sich stattdessen oft gegeneinander ausspielen. Einen Keil zwischen die Teile der Gesellschaft zu bringen, ist eine der wichtigsten Anliegen eines schlechten Staates. Dazu nutzt er vor allem die Medien.
Wladimir, bleiben Sie standhaft und mutig!
Ekelhaft. So ein Bericht würde es nie und nimmer in ARD, ZDF bzw. die Printmedien schaffen. Ausser: Würde er beispielsweise in der taz veröffentlicht, könnte ich mir eine Zustimmung zu den beschriebenen Maßnahmen zu nahezu 100% vorstellen.
“Es riecht nach 1933, weil es dieselbe Denkweise ist. Man ist schuld, weil man zu einer bestimmten Gruppe oder Denkweise gehört. Das ist das Problem. ”
Es riecht nicht nur so, es stinkt zum Himmel! Aber wie immer will es am Ende keiner gerochen haben.
Das ukrainische Innenministerium hatte wegen der Sache mit der Krim-Brücke einen bedauerlichen Hubschrauberunfall.
Vielleicht ändert sich die Situation bald.
Bin mal gespannt, wie lange es dauert, bis die Ukronazis herausfinden, dass der Putin dahinter steckt.
Das war von mir sarkastisch gemeint. Aber inzwischen werden entsprechende Vermutungen bei den MSM geäussert, also sogar noch vor den notorischen Lügenmäulern in Kiew.
Das veranschaulicht wieder mal, welchen Demokratievorstellungen die ukrainische Regierung nachhängt und mit welchen Demokratievorstellungen ich nichts zu tun haben will. In diesen Themenkreis gehört auch der Umgang mit der ukrainischen Opposition und den Oppositionsparteien, mit Presse- und Medienfreiheit, aber auch der Umgang mit den Minderheiten. Diese waren schon vor dem Krieg haarsträubend, so dass sie keineswegs als Folgeerscheinungen des Krieges umgedeutet werden können. Daher in den Mainstreammedien Tabu.
und sowas kommt dann in die EU…
Sergeijenko sagt:
Das hat mich etwas aus der Bahn geworfen. Mir ist bekannt, dass Leute wie z. B. Boris Johnson so etwas den Ukrainern mitgeteilt haben (anlässlich der Waffenstillstandsverhandlungen in Istanbul und sicher auch danach noch), aber dass Scholz auch auf diesem schmalen Brett balanciert wundert mich jetzt. Weiß hier jemand mehr darüber?
Scholz hat Cumex/Warburg am Bein. Die Kuratoren in Langley haben mit Sicherheit genug Kompromat, um Willfährigkeit zu garantieren.
Auch ich gratuliere Wladimir Sergeijenko zum Erhalt des Gütesiegels erster Klasse!
Für das Elendsky-Regime kommen die Einschläge näher:
Präsidentenberater Olexij Arestowytsch (wie sein Machthaber Schauspieler) hatte sich verplappert.
Und nun hat es auch noch den Innenminister erwischt.
Was dieses Interview sehr deutlich macht, ist, das im ukrainischen Krieg ganz gewiss nicht die Demokratie verteidigt wird. Andere EU Länder wie Polen und Ungarn wurden von der EU mit Sanktionen belegt, als die Pressefreiheit eingeschränkt wurde. Aber Herr Selenskyj kann machen, was er will, und kein deutscher Journalist aus unseren Qualitätsmedien kritisiert das.