Der Versuch des von rechten Richtern dominierten Obersten Gerichtshofs in Spanien, Carles Puigdemont wegen „Terrorismus“ anzuklagen, ist letztlich ein gefährlicher Angriff auf alle Protestbewegungen. Die spanische Justiz ziehe „in den Krieg“, um die sozialdemokratische Regierung zu sprengen, ist die Meinung hochrangiger spanischer Juristen
Man fragt sich, welche Vorwürfe die politisierte spanische Justiz noch auffahren will, um die katalanische Unabhängigkeitsbewegung zu diskreditieren oder um zu versuchen, den Exilpräsidenten Carles Puigdemont doch noch aburteilen zu können. Zuletzt hatte Overton von den an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen berichtet, Russland habe die Vorgänge um das Unabhängigkeitsreferendum 2017 angeblich mit 500 Milliarden US-Dollar und 10.000 Soldaten unterstützen wollen. Darüber soll ein neuer Vorwurf des Hochverrats konstruiert werden.
Seit geraumer Zeit hantieren die Rechten und Rechtsradikalen immer öfter und stärker mit dem Terrorismusvorwurf. Sie spielen sich mit absurden Vorwürfen dabei mit den Richtern die Bälle zu, die ihnen nahestehen. Es ist der Ermittlungsrichter Manuel García-Castellón, der plötzlich einen Terrorismus-Vorwurf aufstellte, obwohl bekanntlich in Katalonien weder ein Schuss gefallen noch eine Bombe explodiert ist.
Dieser Richter steht der rechten Volkspartei (PP) sehr nahe. Sie hat ihn groß gemacht, wie auch Professor Dr. Eckart Leiser im „Freitag“ schon herausgearbeitet hatte. „Durch juristische Kompetenz fiel er nicht auf“, analysiert Leiser. Der Kenner der spanischen Politik stellt heraus, dass García-Castellón die Ermittlungen gegen korrupte PP-Mitglieder behindert oder ausgebremst hat. „In kurzer Zeit entschied er, die Ermittlungen gegen Cospedal (die ehemalige PP-Generalsekretärin) und dutzende weitere Verdächtige im PP‑Umfeld einzustellen.“
Wie weit er zu gehen bereit ist, um seine Vorhaben durchzudrücken, hat er kürzlich sogar offen eingeräumt. So gab García-Castellón auf einer Konferenz im Oktober 2023 zu, die französischen Behörden belogen zu haben, um sie zur Kooperation zu bringen. Als er auf einem Treffen mit französischen Richtern feststellte, dass er die Informationen nicht bekommen würde, die er wollte, „kam mir nach acht Stunden in einem Sitzungssaal der Gedanke, eine Lüge zu erzählen“, gab er bereitwillig zu.
Wie in Korruptionsfällen spielen sich die PP und ihre Richter auch im Vorgehen gegen die Katalanen den Ball eifrig zu. So war es keine Überraschung, dass auf Antrag dieses Richters die Strafkammer des von rechten Richtern dominierten Obersten Gerichtshofs nun entschieden hat, gegen den im belgischen Exil lebenden Puigdemont „wegen terroristischer Straftaten“ offiziell Ermittlungen einzuleiten. Damit stellte sich die Kammer gegen die Einschätzung des Generalstaatsanwalts, der ein solches Vorgehen abgelehnt hatte, da auch er keinen Terrorismus erkennen konnte.
Blockade des Flughafens in Barcelona 2017 soll den Terrorismus-Vorwurf stützen
Statt auf die Vorgänge um das Unabhängigkeitsreferendum 2017 bezieht sich die spanische Justiz nun auf die Vorgänge im Herbst 2019. Dabei wurde unter dem Stichwort „Tsunami Democràtic“ (Demokratischer Tsunami) gegen die harten Urteile wegen eines angeblichen Aufstands gegen katalanische Politiker und Aktivisten protestiert, die zu Haftstrafen von bis zu 13 Jahren wegen der friedlichen Durchführung eines Referendums verurteilt worden waren. Sie sind zwischenzeitlich begnadigt worden, da das auch der Europarat gefordert und unterstrichen hatte, dass die Unabhängigkeitsbewegung „nicht zur Gewalt aufgerufen“ hatte. Im Gegenteil sei stets gefordert worden, „jeglicher Gewalt“ zu entsagen. Verlangt wurde deshalb nicht nur eine Reform des Strafrechts von Spanien, sondern auch die „Einstellung von Auslieferungsverfahren“ gegen die Exilanten wie den Europaparlamentarier Puigdemont.
Besonders bezieht sich der Oberste Gerichtshof bei den Terrorismus-Anschuldigungen auf die Blockade des Flughafens in Barcelona am Tag der Bekanntgabe der harten Urteile. So wurden der Flughafen und die Zugänge zum Teil belagert, es mussten etliche Flüge ausfallen. Es kam dabei zum Teil auch zu Tumulten, als Sicherheitskräfte gegen die Menschenmenge vorgingen. Die Mitglieder von Tsunami Democràtic hätten sich deshalb wegen „schweren Verbrechen gegen die Freiheit“ und der „körperlichen Unversehrtheit“ von Personen strafbar gemacht, weshalb es hier um Terrorismus gehe, wird vier Jahre später plötzlich behauptet.
Herangezogen wird der Tod eines Touristen durch einen Herzinfarkt. Allerdings hatten die Rettungskräfte vor Ort längst deutlich gemacht, dass der 62-jährige Franzose im Terminal 2 des Flughafens einen Herzstillstand erlitt, also weit entfernt von den Protesten. Zudem wurde er dort sofort medizinisch versorgt. Denn wegen der Proteste am Terminal 1 hatten sich vorsorglich medizinische Teams auch ins Terminal 2 begeben. Die Rettungskräfte hatten schnell einen Rettungshubschrauber angefordert und der Franzose wurde mit einem Krankenwagen vom Terminal 2 zum Hubschrauber gefahren und dann in ein Krankenhaus geflogen. Dort verstarb er.
Ist schon der Terrorismusvorwurf absurd, ist zudem auch ungeklärt, ob Puigdemont überhaupt etwas mit „Tsunami Democràtic“ zu tun hatte. Verschiedenste Leute wurden schon dafür verantwortlich gemacht, sogar der ehemalige Trainer des FC Barcelona Pep Guardiola. Den Terrorismus-Vorwurf machte der Richter auch Marta Rovira, der Generalsekretärin der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC). Sie lebt seit 2017 im Schweizer Exil. Die Schweizer Justiz hatte, wie die deutsche und belgische im Fall Puigdemont, ebenfalls dem Ansinnen der spanischen Justiz eine Absage erteilt, sie wegen der angeblichen Rebellion auszuliefern. Denn in keinem europäischen Land konnten unabhängige Richter für diese Vorwürfe Hinweise sehen. Belgien zweifelte sogar daran, dass die Katalanen in Spanien einen fairen Prozess erwarten könnte und lehnte auch deshalb die Auslieferungen von Exilanten definitiv ab.
Puigdemont-Anwalt: Es ist „ziemlich kompliziert“, sich gegen etwas zu wehren, das nie stattgefunden hat
Im Fall Rovira hatte sich der Ermittlungsrichter García-Castellón sogar schon mit einem Rechtshilfeersuchen wegen angeblichem „Terrorismus“ an die Schweiz gewendet. In Bern war man über die neue Volte, indem bei den absurden Vorwürfen nur noch weiter aufgesattelt wurde, allerdings alles andere als erfreut. Die Kooperation wurde abgelehnt. „Die Schweiz verweigert die Zusammenarbeit mit dem Tsunami-Richter und will Marta Rovira nicht ausfindig machen“, titeln spanische Medien.
So hat sich García-Castellón im Fall Rovira längst eine blutige Nase geholt. Die Schweiz ging nun ähnlich weit wie Belgien. Bern warnte vor einem möglichen „politischen Charakter“ bei dem Vorgehen. Verwiesen wurde auch darauf, dass man einst die Vorwürfe wegen Aufruhr und Rebellion „sorgfältig geprüft“ habe. Gefordert werden weitere Informationen, um zu prüfen, ob das neue Ersuchen „politischer Natur ist, was uns daran hindern würde, es nach Schweizer Recht umzusetzen“, heißt es in einem zweiseitigen Antwortschreiben.
Ist es nach dieser Watsche aus Bern nun Zufall, dass plötzlich Rovira aus dem Verfahren gefallen ist, gegen sie nun keine offiziellen Ermittlungen eingeleitet wurden? Stattdessen soll nun ihr der Parteikollege Rubén Wagensberg ein Terroristenanführer sein! Der ERC-Parlamentarier im katalanischen Parlament hat sich, da auch er kein faires Verfahren in Spanien erwartet, derweil in die Schweiz begeben.
Die gesammelten Vorwürfe, auch die des angeblichen Hochverrats, hält der Puigdemont-Verteidiger für „Hirngespinste“. Gonzalo Boye taucht in den Ermittlungen selbst bisweilen auf, da seine Kommunikation mit seinem Mandanten abgehört wurde, wie Overton schon berichtet hatte. „Das sind für Europa unglaubliche Vorgänge, die Ausnahme ist Spanien im Rahmen von Puigdemont und den Katalanen“, erklärt er gegenüber Overton. Es sei „ziemlich kompliziert“, sich gegen etwas zu wehren, das nie stattgefunden hat. „Solche Leute sollten keine Richter sein“, meint er mit Blick auf die absurden Anschuldigungen.
Justiz ist in einen “Krieg” gegen die Regierung eingetreten
Mit dieser Ansicht steht der Madrider Anwalt nicht alleine da. Der in dieser Frage neutrale Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo meint sogar, dass nun die „Justiz in einen Krieg eingetreten ist, um die Legislatur zu sprengen“. Wie Overton berichtet hatte, versuchen rechte und rechtsradikale Kräfte den Sturz der Regierung, seit es dem Regierungschef Pedro Sánchez gelang, eine Regierung zu bilden, wofür er deutliche Zugeständnisse an katalanische Parteien machen musste. So wurden zum Teil eine lange Zeit Parteizentralen der regierenden Sozialdemokraten (PSOE) belagert und Ultras riefen sogar offen zum Aufstand gegen die Regierung auf. Bei deren Protesten kam es immer wieder auch zu massiver Gewalt aus den Reihen der Demonstranten, doch hier will kein spanischer Richter einen Aufstand, eine Rebellion oder Terrorismus sehen.
Der andalusische Professor Royo ist davon überzeugt, dass das Ziel mit der absurden Terrorismusanschuldigung ist, die PSOE aus dem „Obersten Gerichtshof einem unerträglichen Druck auszusetzen“. Seiner Meinung nach ist das „nichts anderes, als ein Torpedo gegen die Verabschiedung des Amnestiegesetzes“. Der Zusammenhang drängt sich auf. Vor der ersten Behandlung des Amnestiegesetzes kam García-Castellón plötzlich mit dem Terrorismus-Vorwurf und sein Kollege Joaquín Aguirre sekundierte mit der Russland-Verschwörung. Die Puigdemont-Partei „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCat) stimmte deshalb gegen das erste Amnestie-Gesetz, weil der angebliche Terrorismus ausgeklammert war. Damit hätten Richter wie García-Castellón einen Hebel in die Hand bekommen, um die Anwendung der Amnestie für bestimmte Personen auszuhebeln. Eine umfassende Amnestie war aber für die Regierungsbildung und zur Unterstützung von Sánchez durch JxCat versprochen worden.
Nun steht in dieser Woche der zweite Akt bevor und zuvor hat García-Castellón nachgelegt. Die Verhandlungen zwischen JxCat und PSOE laufen derweil auf Hochtouren, um eine Lösung vor dem 7. März zu finden. Dann läuft auch die schon verlängerte Frist definitiv ab. Klar ist, dass die Regierung ohne eine umfassende Amnestie die Unterstützung durch JxCat verliert und damit scheitert. Genau darauf wartet aber die PP und ihr ultrarechter Partner VOX. Deshalb sind letztlich beide Seiten gezwungen, eine vernünftige Lösung zu finden. Die muss es auch Puigdemont und anderen Exilanten ermöglichen, endlich aus dem Exil wieder in den spanischen Staat zurückzukehren und zudem sollen Aktivisten vor absurden Terrorismusanklagen geschützt werden.
Legitime Proteste könnten des Terrorismus bezichtigt und unterdrückt werden
Gegen die Versuche, legitime Proteste als Terrorismus zu brandmarken, gibt es breiten Widerstand. Zahlreiche Persönlichkeiten und 140 Organisationen, haben sich klar dagegen ausgesprochen, bei den Tsunami-Protesten von Terrorismus zu sprechen. Das halten auch Terrorismusopfer für falsch, wie Javier Martinez. Der hat bei den islamistischen Anschlägen im Sommer 2017 in Barcelona seinen dreijährigen Sohn verloren. Wie andere Angehörige von Opfern greift er die Banalisierung und die Instrumentalisierung des Begriffs an, der den „Terrorismusopfern schweren Schaden zufügt“. Jesús Fructuoso, Bruder eines Opfers der baskischen Untergrundorganisation ETA, fühlt sich „beleidigt“ durch das Vorgehen der Justiz. „Wer Terrorismus erlebt hat, weiß was Terrorismus ist”, sagt er.
Martínez bekräftigt, dass die Mobilisierungen nach den Urteilen von 2019 „nichts“ mit Terrorismus zu tun hatten. Er geht aber weit darüber hinaus und fragt, was das in Zukunft für legitime Proteste bedeuten kann. Sollen auch die Menschen Terroristen sein, die derzeit weltweit auf die Straßen gehen, zum Beispiel, um ein Ende des Krieges zwischen Hamas und Israel zu fordern, fragt er. „Und wenn ich demonstriere, weil ich mit einer Steuererhöhung nicht einverstanden bin, bin ich dann auch ein Terrorist?“.
Der Mann mit Weitblick weist darauf hin, wie gefährlich es auch für Bauern- oder Klimaproteste wäre, wenn hier der Terrorismusbegriff derartig ausgedehnt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt würde, um ihn zur Diskreditierung oder zur Repression gegenüber legitimen Protesten zu verwenden.
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Francos Geist lebt in Spanien weiter…
man schaue mal moconomy auf you tube mit dem fall einer privatbank in andorra, die in die pleite gedraengt wurde, um katalanische politiker verfolgen zu koennen.
Katalonien und seine Unabhängigkeitsbewegung haben Eines leider bislang versäumt:
Man hätte – direkt nach den Plebisziten – eigene staatliche Strukturen aufbauen sollen:
– Eigene Armee/Polizei/Grenzschutz
– Eigene Gerichtsbarkeit
– Eigene Steuerbehörden
– Eigenes Staatsoberhaupt
etc.
Man hätte auf allen Ebenen Madrid deutlich machen müssen, dass man zu Restspanien entspannte Beziehungen aufbauen möchte – aber die entsprechenden Institutionen Spaniens ab sofort als ausländische, also fremde und nicht zuständige Akteure für katalanische Bürger auf katalanischem Staatsgebiet betrachtet.
Im Notfall hätte D ihnen sogar Waffen geliefert.
Ich wundere mich immer wieder, warum Spanien in den MSM nur am Rande auftaucht, aber der Artikel liefert doch einige Anhaltspunkte bezgl. der Gründe.
Absurdistan. Aber in der EU geht ja alles. Wir dind ja die Demokraten…
Was sehen wir? Die totale Gleichschaltung der Justiz durch Rechtsradikale, bis hin zur völlig offensichtlichen Verdrehung aller Tatsachen. Etwa nur in Spanien? Nein, exakt dasselbe bis vor Kurzem in Polen und jetzt noch in Ungarn. Überall der Versuch, die Justiz und dfamit die Polizei im Sinne der Regierung gleich zu schalten. Italien? Aber natürlich, die Giftschlange lässt sich da nicht lange bitten:
https://www.fr.de/politik/italien-giorgia-meloni-fratelli-ditalia-justiz-richter-justizreform-92398305.html
Die erste Runde hat sie nun offenbar verloren, denn ihre Spießgesellen wurden völlig zurecht angeklagt. Aber die gibnt nicht auf.
Aber unsere AfD würde sowas doch nie tun!
Aufwachen bitte.
Juristischer Terrorismus (schreibt der Verfassungsrechtler Joaquin Urias richtig aus Andalusein zu den Vorgängen)
“Die Richter des Obersten Gerichtshofs, die von einem politischen Gremium ernannt wurden, wollen Politik machen, ohne sich zur Wahl zu stellen. Und sie tun dies, indem sie so grundlegende Rechte wie das Recht auf Protest und die Unschuldsvermutung bedrohen”.
https://ctxt.es/es/20240301/Firmas/45757/editorial-Catalunya-terrorismo-Puigdemont-TS-tribunal-supremos-1O.htm
Auch toll. Die katalanische Polizei muss einer bei Tsunami-Protesten mit Gummigeschoss verletzen Frau nun 70.000 Euro zahlen. Von wem ging wieder einmal die Gewalt aus.
https://www.elnacional.cat/es/politica/comision-juridica-sostiene-mossos-hirieron-chica-cabeza-foam-pagar-6900_1171987_102.html