Ein neues Buch von Moshe Zimmermann und mir befasst sich eingehend mit der historischen Konstellation Deutschland-Israel-Palästina, u.a. mit der Frage, was für einem Israel sich Deutschland solidarisiert.
Eine Meldung in eigener Sache: In den kommenden Tagen erscheint im Westend-Verlag das Buch “Denk ich an Deutschland… Ein Dialog in Israel”. Das Buch ist das Ergebnis einer zwischen dem israelischen Historiker Moshe Zimmermann und mir während eines Dreivierteljahrs geführten E-Mail-Korrespondenz. Im Jahr 2022 erschien es zuerst in Israel auf Hebräisch. Nun liegt der Band in seiner deutschen Version vor.
Den Schwerpunkt des Dialogs bildet die Triade Deutschland-Israel-Palästina, die historisch, soziologisch, sozial-psychologisch und kulturell beleuchtet wird. Diesem Projekt liegt die Absicht zugrunde, über die reichlich verzweigten Zusammenhänge dieser Konstellation samt diverser, sich aus ihr ergebenden thematischen Ableitungen Rechenschaft abzulegen, die sie bestimmenden Sachverhalte zu klären, mithin aufzuklären. Dass dies notwendig ist, weiß jeder, der sich mit den historischen Strukturen dieser Konstellation, mit deren ideologischen Beladungen, kollektivpsychischen Befindlichkeiten und den gewichtigen politischen wie sozialen Auswirkungen befasst hat.
Die Koordinate Deutschland-Israel meint nicht nur die Beziehungen Deutschlands zum Staat Israel, sondern auch die damit einhergehenden Sedimentierungen des Verhältnisses zu Juden und zum Zionismus. Von selbst versteht sich dabei die beide Seiten betreffende kollektivpsychische Neuralgie angesichts des von Deutschen an Juden im 20. Jahrhundert Verbrochenen. Gleichwohl geht die Fragestellung in diesen Band übers Katastrophische hinaus und analysiert die philosophisch-ideologischen Impulse, die der Zionismus gerade aus der deutschen politischen Philosophie und den Ideologemen des deutschen Nationalismus im 19. Jahrhundert bezogen hat.
Erörtert wird dabei auch die Triftigkeit der Behauptung einer deutsch-jüdischen Symbiose, die Gershom Scholem seinerzeit apodiktisch in Abrede stellte. Vor allem wird aber auch der Einfluss der aus diesem Diskurs gewonnenen Einsichten auf die heutigen deutsch-israelischen Beziehungen, mithin die ideologische Handhabung des Umgangs mit dem Antisemitismus kritisch unter die Lupe genommen.
Der diesbezügliche Wirkzusammenhang ergibt sich aus den Strukturen der Koordinate Israel-Palästina. Denn während sich die politische Kultur Deutschlands infolge der Shoah mit Israel als der “nationalen Zufluchtsstätte der Juden” identifiziert, erhebt sich immer mehr die Frage, mit was für einem Israel sich Deutschland solidarisiert. Kann Deutschland es sich leisten, sich unabdingbar mit einem Land zu solidarisieren, das ein Jahrzehnte währendes, verbrecherisches Okkupationsregime betreibt, sich dabei zunehmend als Apartheidstaat entpuppt, und sich durch eine von Rassismus, Fremdenhass und faschistoiden Elementen durchwirkten politischen Kultur auszeichnet?
Gerade im Hinblick auf Politik und Praxis der gegenwärtigen Regierungskoalition Israels gewinnt diese Frage an Bedeutung und Dringlichkeit. Als Historiker behandeln wir diese Probleme nicht in polemischer Absicht, sondern im Bestreben, ihre sachliche Analyse zu fördern – etwa herauszufinden, wie der israelische Militarismus (über das Selbstverständliche der “Sicherheitsfrage” hinaus) mit langzeitlichen ideologischen Einflüssen aus dem 19. Jahrhundert zusammenhängt.
Hieraus ergibt sich auch die ideologische Grundstruktur der Koordinate Deutschland-Palästina. Denn da Deutschland sich als Israel (mithin den mitkodierten “Juden”) gegenüber verantwortlich sieht, und die Palästinenser Israels Feinde sind, beschränkt sich Deutschland inadäquaterweise in seiner Kritik an Israels Repressionspolitik. Die Palästinenser, die sich als “Opfer der Opfer” sehen – Israel gebraucht(e) in der Tat oft genug die Shoah-Erinnerung als Rechtfertigung seiner repressiven Maßnahmen gegen die Palästinenser –, haben dabei das Nachsehen.
Das hat auch politische Auswirkungen, wenn man bedenkt, welche dominante Rolle Deutschland in der EU spielt (ob es sie nun will oder nicht). Nicht zuletzt, um die Kritik daran abzuwehren, hat Deutschland die Antisemitismus-Definition für sich in Anspruch genommen, die den sogenannten “israelbezogenen Antisemitismus” mit einbezieht, mithin jede (von Palästinensern) an Israels Politik erhobene Kritik als “antisemitisch” stempelt. Das an den Palästinensern durch Juden verübte historische Unrecht wird so durch den Bezug auf die von Deutschen an Juden verübten Verbrechen zwangsläufig perpetuiert.
Im Buch wird auch die den israelischen Diskurs besonders in den letzten Jahren umtreibende Frage erörtert, ob man “vergleichen darf”, d.h. ob man die strukturellen Entwicklungen in Israel mit Entwicklungen, die zum deutschen Nazismus führten, dem Vergleich aussetzen darf. Wo die Grenzen eines solchen Vergleichs liegen, dürfte auf der Hand liegen. Warum man aber um den Vergleich gar nicht herumkommen kann, ist in diesem Band zu lesen.
> ob man “vergleichen darf”
Da würde sich auch die Frage stellen, ob man aus Geschichte lernen darf.
Vergleichen heißt auf Unterschiede UND Ähnlichkeiten zu untersuchen. Der Begriff wird fälschlicherweise immer als “Gleichsetzen” und vollständige Übereinstimmung verwendet um nähere Untersuchung zu verunmöglichen, also als Waffe gegen Kritik.
Dabei wird schon gar nicht berücksichtigt, dass man die Geschichte erstens nicht nur von ihrem Endpunkt her beurteilen kann und zweitens dass unter veränderten Bedingungen (z.B. Massenmedien, technische Entwicklung, digitale Massenüberwachung) autoritäre und faschistische Systeme andere, scheinbar freundlichere Mittel mit allerdings sehr ähnlicher zerstörerischer Wirkung anwenden können, wie sie der Brutalfaschismus gebrauchte und erzielte. Wenn es allerdings hart auf hart kommt, kommen auch die gute alte Folter, der Knüppel, die Waffe zum Einsatz.
Noch eine Ergänzung zum “aus der Geschichte lernen”
Inzwischen komme ich mehr und mehr zu der Überzeugung, dass das absolut kein Ziel der Herrschenden ist im Sinne einer Ermächtigung der Bürger.
Wir haben ja in der Corona-Zeit und nun im Ukrainekrieg gesehen, wie schnell dieser Anspruch über Bord geworfen wurde.Allerdings lernen die Herrschenden sehr wohl aus der Geschichte, in ihrem Sinne.
Das sieht man ganz unmittelbar an der In-Anspruchahme der Medien im erwünschten Kriegsfall. Die schrecklichen Bilder des Vietnamkrieges brachten die Jugend weltweit auf die Straße. Seitdem wird der “Journalismus” embedded und der Krieg der eigenen Seite schön sauber dargestellt.
Triade oder Wotansknoten?
Israelkritik ist ja nun zu einer der Lieblingsbeschäftigungen in Deutschland geworden, eine Art Breitensport inzwischen. Stets verbunden mit der Klage, dass diese Kritik verboten sei. Der Kritiker wird in diesem Büchlein viele Beweise für diese Art von Unterdrückung finden und er wird sich erfolgreich als Dissident und Widerstandskämpfer präsentieren können.
Ein absolutes Muss für Israelkritiker und die, die es werden wollen.
Den Worten nach zu schließen, hat Artur_C die Buchvortellung geistig nicht erfasst!
Der Inhalt dreht sich nicht um Kritik!, sondern um den Widerspruch zu den ausgeführten taten Israels.
Es fehlt u.a. der Mediterranean Dialogue, das Individual Cooperation Programme der NATO an denen Israel beteiligt ist. Unterschiedliche historische Ereignisse aus unterschiedlichen Perioden werden, je nach Betrachter, die Erkenntnis fördern, dass wir aus Geschichte nichts lernen. Ich widerspreche dem oft, unsere Methoden zur Konfliktbewältigung (Konkurrenz oder Kooperation) sich seit Clausewitz nicht verändert haben, nur hybrider geworden sind. Das Argument, die Strafbarkeit von antisemitischen Äußerungen den Diskurs behindern, verbieten oder verhindern beschreibt der Autor seit geraumer Zeit. Deshalb ist die Frage was in einem Diskurs erlaubt ist sinnfrei, das Thema Israel ist überladen.
Lesende mit Verständnis für die Unterschiede in den politischen Systemen Deutschland und Israel werden die Frage damit beantworten können, ob der Diskurs erlaubt Äpfel mit Birnen zu vergleichen oder:
»Faschismus als übergeordneter Gattungsbegriff eignet sich mithin allenfalls für die Bewegungsphasen der drei genuin entstandenen, gemeinhin so genannten Faschismen in Deutschland, Italien und Japan. Als umfassender Begriff für die Regimephasen trägt der Ausdruck hingegen nicht und kann der völlig unterschiedlichen Herrschaftsabsicherung nicht gerecht werden. Es würde daher der historischen Wirklichkeit wie auch dem historischen Selbstverständnis der damaligen Regime in Berlin, Rom und Tokio besser entsprechen, den abgegriffenen Faschismusbegriff aufzugeben« aus Bernd Martin: Zur Tauglichkeit eines übergreifenden Faschismus-Begriffs.
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