„Den Schmerz der anderen begreifen“: Holocaust, Nakba und Sonstiges

Die Ewige Flamme in Yad Vashem. Bild: Mrbrefast/CC BY-SA-3.0

Das Tel Aviver Goethe-Institut hat eine geplante Veranstaltung mit der Rosa Luxemburg Stiftung annulliert. Was war geschehen?

 

Es ist wieder so weit. Der Holocaust ist in den Kontext der israelischen Geschichte gestellt worden, und Israel hat entsprechend reagiert. Das Goethe-Institut hatte eine von der Rosa Luxemburg Stiftung initiierte Podiumsdiskussion über das Thema “Holocaust, Nakba und deutsche Erinnerungskultur” geplant, und zwar für den 9. November. Sogleich erscholl aus offizieller israelischer Stelle (dem Außenministerium, nicht weniger!) vehemente Kritik an diesem Vorhaben; man äußerte “Erschütterung und Abscheu angesichts der dreisten Trivialisierung des Holocaust und der zynischen und manipulativen Absicht, eine Verbindung herzustellen, deren ganzes Ziel die Diffamierung Israels ist”.

Die Veranstaltung wurde zunächst verschoben, weil ja der 9. November ein neuralgisches Datum darstellt. Bald darauf wurde sie aber ganz annulliert; es ging also letztlich nicht um den 9. November. Die RLS und das Goethe-Institut knickten ein. Die Ruhe war wieder hergestellt.

Man wundert sich: Wieso Trivialisierung? Wusste man im Außenministerium von vornherein, was auf der Veranstaltung über den Holocaust gesagt werden würde? Nein, aber dessen bedurfte es auch nicht. Es ging um die “Verbindung”. Die Einzigartigkeit des Holocaust darf durch keinerlei vergleichende Assoziation relativiert werden, schon gar nicht durch die Assoziation mit der Nakba.

Man wundert sich aber immer mehr: Eine von “Erschütterung” und “Abscheu” durchwirkte Erklärung gerade aus dem Munde des israelischen Außenministeriums? Weiß es denn nicht, dass die schlimmste Trivialisierung des Holocaust schon seit Jahrzehnten durch Israel selbst, durch seine Politik und seinen permanent erhobenen Anspruch auf das Monopol des Gedenkens verbrochen wird? Seit langem ist die staatsoffizielle Gedenkstätte Yad Vashem zum aktiven Zweig der israelischen Propaganda verkommen, eine Institution, die zwar Forschung betreibt, nicht minder aber als ideologische Sachwalterin der israelischen Shoah-Politik fungiert. Wie sonst ist zu erklären, dass der Antisemit und Horty-Anhänger Viktor Orbán, der faschistische Populist Jair Bolsonaro und der für seine blutige Amtszeit bekannte Rodrigo Duterte (sowie viele andere ihresgleichen) als Teil einer staatsoffiziellen Zeremonie einen Kranz zum Andenken an die Shoah-Opfer in Yad Vashem niederlegen durften?

Die heteronome Vereinnahmung des Shoah-Gedenkens ist nirgends dreister und perfider vollzogen worden, als gerade in Israel. Das hindert freilich die Staatsoffiziellen nie daran, sich zu empören und erschüttert zu geben, wenn der Holocaust in einen historischen Kontext (etwa in den – und sei es auch nur begrifflichen – Vergleich mit anderen Völkermorden in der Geschichte) gestellt wird. Als würde etwas am Entsetzen über die Mega-Katastrophe der Juden gemindert werden, wenn man seine Aufmerksamkeit der Leiderfahrung anderer Kollektive widmet.

Ideologisches Minenfeld

Worum es aber den angewidert Erschütterten wirklich ging, war die konstellative Verbindung von Holocaust und Nakba. Das ist nun in der Tat ein neuralgischer Punkt für die Platzhalter des Shoah-Gedenkens in Israel. Denn die Verbindung besteht ja historisch in der Tat: Wenn die Gründung des Staates Israel sich in nicht geringem Maße der den Juden widerfahrenen Katastrophe des Holocaust “verdankte” (wie es Israel selbst ideologisch immer wieder betont hat), die Errichtung des Staates aber zwangsläufig mit der kollektiven Katastrophe der Palästinenser einherging, dann ist eine reale geschichtliche Verbindung vorhanden, ob man sie nun artikuliert oder nicht.

Man banalisiert nichts am Holocaust und trivialisiert ihn mitnichten, wenn man diese tragische historische Konstellation konstatiert und erörtert wissen möchte. Aber so darf das in Israel nicht gesehen werden – nicht nur, weil man sich die Opferstellung nicht streitig machen lassen möchte, sondern weil man weiß, dass auch ohne qualitativen Vergleich die Verbindung objektiv vorhanden ist und als solche gesehen wird. Die Selbstviktimisierung Israels, die stets mit bemerkenswerter Verve zelebriert wird, kann nichts daran ändern, dass das Selbstverständnis der Palästinenser als “Opfer der Opfer” einen unwiderlegbaren Wahrheitskern enthält. Und weil das den Palästinensern widerfahrene historische Unrecht sich bis zum heutigen Tag im barbarischen israelischen Okkupationsregime perpetuiert, sorgt es immer wieder für derlei Erregungen.

Zumindest stellt sich dadurch wie von selbst die Frage “Wie konnten die ehemaligen Opfer zu Tätern werden?”, womit sich die “Verbindung” mutatis mutandis automatisch herstellt. Das genau alarmierte das israelische Außenministerium, welches sogleich die Behauptung parat hatte, “das ganze Ziel” der hergestellten Verbindung sei “die Diffamierung Israels” gewesen. Das Problem besteht nur darin, dass es sich nicht um eine Diffamierung handelt, sondern um eine handfeste historische Tatsache. Das zumindest latente Bewusstsein davon mag die Vehemenz der Reaktion (“Abscheu” und “Erschütterung”) erklären.

Ja, und das Verhalten der Rosa-Luxemburg-Stiftung und des Goethe-Instituts: Man mag sich fragen, warum sie sich in dieses ideologische Minenfeld überhaupt erst hineingewagt haben. So naiv können sie nicht gewesen sein. Sie mussten doch wissen, dass eine solche Veranstaltung in Israel (und im heutigen Israel allemal) einen Eklat auslösen würde. Aber wenn sie sich schon darauf eingelassen hatten, warum sind sie eingeknickt, als das Erwartbare in der Tat eingetreten ist?

Was immer die Antwort darauf sein mag, von großer Standfestigkeit und Souveränität zeugt diese Haltung nicht. Aber im heutigen Deutschland dürfte auch das nicht allzu sehr verwundern.

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15 Kommentare

  1. Man könnte auch fragen, warum es diese Opferkonkurrenz gibt, die einem allenthalben begegnet?
    Offenbar ist damit ein bestimmter Vorteil verbunden, leider nicht für die direkten und tatsächlichen Opfer, die allenthalben meist nur sehr schäbig behandelt wurden und werden. Aber die Interessenvertreter, tatsächlich oder selbst ernannt, wissen es durchaus in Macht und Einfluss umzusetzen, welche eben anderen Zwecken dienen. Und man muss es sagen, besonders geschickt und erfolgreich ist dabei Israel und seine Lobby-Organisationen.
    Weder haben Sinti und Roma einen derartigen Einfluss, noch die Nachkommen des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion, die eigentlich kaum als Opfer rassistischer Verfolgung anerkannt sind und derzeit ungehemmt und ungestraft mit den alten Diffamierungen bedacht werden, sofern sie nicht sich dem Nato-Kriegsbündnis andienen.

    1. Da Du von den russischen Opfern des 2. Weltkrieges sprichtst, die jetzt erneut verhöhnt werden: Warum sollten nur Opfer, die aus rassistischen Gründen gemordet wurden, zählen? Jeder Tote ist gleich viel wert bzw. ein gleich großer Verlust. Die menschenverachtenden, hanebüchenen Propagandisten sind keine ehrliche Diskussion wert, nur Abwehr, Entlarvung, Widerstand. Es gibt heute zu viele, ich möchte behaupten „charakterlose“ Menschen, die sich aller nur möglichen Opfer bedienen, um sich SELBST in Szene zu setzen. Das Schlimmste tun sie dabei den echten Opfern an.
      Ich glaube, das ist es auch, was Herr Zuckermann beklagt.

      1. Wo habe ich das gesagt oder indirekt ausgedrückt, dass nur Opfer rassistischer Gewalt der Rede wert seien.
        Ich setze bei hiesigen Lesern und Kommentatoren voraus, dass sie wissen, welche Opfer es zu beklagen gibt, vor allem was die Opfer der Nazis angeht. Man muss nicht immer alle bis zum letzten aufzählen um etwas zu begründen.
        Und die hanebüchenen Propagandisten sind insofern der Rede wert als sie eine verheerende Wirkung erzielen, z.B. bei der Documenta und all den anderen verbotenen Veranstaltungen, bei der Verunglimpfung sehr vieler Personen mit direkten persönlichen Folgen, die nicht den Kotau vor ihrer Ideologie machen.
        Und wenn ich sehe, mit welchen Kriegs- und Besatzungsverbrechen Israel durchkommt, weil es seine Propagandaabteilung zuverlässig in Marsch setzt, wenn irgendwo sich auch nur leise Kritik regt, dann finde ich das durchaus der Rede wert.

    1. Das war auch mein Gedanke. Ich konnte in Orbans Aussagen nichts dergleichen finden. Außerdem sind die Beziehungen zwischen Ungarn und Israel mindestens gut. Vielleicht kritisiert Herr Orban das gleiche wie Herr Zuckermann? Dann ist man natürlich schnell den „Nazis, Nazis!“ zugehörig.

      1. In Ungarn feiert gerade unter Orbán der Antisemitismus fröhliche Urständ.
        Dass bei Recht(sradikal)en Antisemitismus und Israelsympathie zusammen gehen, ist schon lange zu beobachten. Israel wird dort vor allem bewudert wegen seines kriegerischen Auftretens und der als antiislamisch gelesenen Palästinenser“politik“.
        In Punkto Israel wird der Antisemitismus gegen den Antiislamismus ersetzt.
        Mir scheint, sie machen den Denkfehler, den gerade Zuckermann immer wieder aufzeigt, nämlich dass Kritik an Israel, genauer an israelischer Politik, grundsätzlich antisemitisch sein, weswegen also jemand, der Israel bewundert wegen der schon erwähnten Sachverhalte, grundsätzlich nicht antisemitisch sein könne.

        1. Da die Definition Antisemitismus extrem entwertet wird, kann ich schon verstehen, dass man da mal nachfragt. Auf den ersten Blick macht es keinen Sinn, wenn Israel einen Antisemiten zum Gedenken an Shoah-Opfer zu sich einlädt und für den Antisemiten ebenso wenig, dort wirklich etwas niederzulegen. Auf den zweiten Blick übrigens auch.

          Aber ich verstehe auch das Argument von A.F.. Dennoch hat auch bei mir allein der Anlass aufhorchen lassen. Was man nicht alles für „diplomatische Gepflogenheiten“(?) hinnimmt…

          Komische Zeiten. Als würde sich der Teufel bei einer seltsamen Interpretation der Ökumene, den Leib Christi abholen und während seines Marschs zum Pfarrer nicht einmal für Aufsehen sorgen.

    2. Was Sie da von sich geben, ist von A bis Z dummes, überhebliches Zeug. Es beweist, dass Sie Beiträge anderer nicht oder nur sehr oberflächlich verarbeiten und sich argumentativ auf ein Niveau begeben, das exakt dem gleicht, das Sie anderen pauschal vorwerfen. Was verstehen Sie unter „Opferkonkurrenz“? Derartig konstruierte Wörter verwässern nur. Vielleicht sollten Sie erst denken und dann schreiben und auch nicht gleich pampig werden!

      1. Was meinen Sie, ist der Inhalt dieser Aussagen Zuckermanns auf den Punkt gebracht anderes als „Opferkonkurrenz“?
        ———————
        „Die heteronome Vereinnahmung des Shoah-Gedenkens ist nirgends dreister und perfider vollzogen worden, als gerade in Israel. Das hindert freilich die Staatsoffiziellen nie daran, sich zu empören und erschüttert zu geben, wenn der Holocaust in einen historischen Kontext (etwa in den – und sei es auch nur begrifflichen – Vergleich mit anderen Völkermorden in der Geschichte) gestellt wird. Als würde etwas am Entsetzen über die Mega-Katastrophe der Juden gemindert werden, wenn man seine Aufmerksamkeit der Leiderfahrung anderer Kollektive widmet. (..)Aber so darf das in Israel nicht gesehen werden – nicht nur, weil man sich die Opferstellung nicht streitig machen lassen möchte,“
        ———————
        Also was pampig an Argumenten ist, das müssen Sie mir mal erklären,—— oder vielleicht besser nicht.
        Ihnen noch einen schönen Tag.

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