Dokumentation zum „Großen Buch der Presse-Schandtaten“

Kurt Eisner. Bild: gemeinfrei

„Ihr [Zeitungsmacher] seid eine größere Plage für die Menschheit geworden als Krieg und Pestilenz zusammengenommen.“ Overton-Dokumentation erschließt die zentralen Texte des Journalisten, Dichters und Politikers zur pazifistischen Medienkritik.

Zu Peter Bürgers Artikel über  Kurt Eisners „Großes Buch über die Schandtaten der Presse“.

 

  1. Satire über sozialdemokratische Soldschreiber (Vorwärts, 1.10.1899)
  2. „Volk der Dichter und Denker“ (Sittenbilder des Kapitalismus, 1900)
  3. „Satiriker und Kulturpolitiker haben schlimme Zeiten“ (1904)
  4. Rede Eisners auf dem SPD-Parteitag am 17.9.1907 [Internationalismus statt gutes Presse-Echo]
  5. „Der Kaiser als Chefredakteur“ (August 1910)
  6. Meinungsbetrieb (Zur Marokko-Krise, August 1911)
  7. Vom unheiligen Wortgeist (Mai 1912)
  8. Anekdoten aus Utopien: Die Verleumdung (März 1914)
  9. Presse-Probleme (April 1914)
  10. Treibende Kräfte (23. April 1915)
  11. Die Presse im Kriege (Mai 1915)
  12. Kriegsgedanken eines überflüssigen Zeitungsschreibers (1915)
  13. Das Abreiß-Gehirn (Sylvester 1916)
  14. Antwort auf einen Zensurakt des Militärs (14. Februar 1917)
  15. Die Austrocknung des heiligen Geistes (Pfingsten 1917)
  16. Aus dem Gefängnistagebuch (Februar 1918)
  17. Die Kriegssprache (Taghefte 1914-1918)
  18. Laute Gedanken (Taghefte 1914-1918)
  19. Die Schwierigkeiten des Komparativs (Taghefte 1914-1918)
  20. Märzstürme 1918 (Taghefte)
  21. Die völkerrechtswidrige leichte Verwundung (Kleine Kriegsmärchen 1918)
  22. Der Fernschreiber (Dramatischer Einakter 1918)
  23. Aus dem Regierungsprogramm: An das bayerische Volk (15.11.1918)
  24. Zur Kenntnisnahme: „Die Presse soll soviel Dummes produzieren, wie es ihrem geistigen Vermögen entspricht …“ (Erklärung – München 26.11.1918)
  25. „Dass man dieses Pressegetriebe nur gewissenlos, verbrecherisch nennen kann“ (Vor dem Münchner Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat, 28.11.1918)
  26. „Dieser Presse-Alkoholismus benebelt die Leute“ (Vor den bayerischen Soldatenräten, 30.11.1918)
  27. „Man liebt mich nicht in der Welt der Druckerpresse“ (Vor den Unabhängigen Sozialdemokraten, 12.12.1918)

 

 

1 ǀ Satire über sozialdemokratische Soldschreiber (Vorwärts, 1.10.1899)

 

„Der größte Krebsschaden unserer Verhältnisse ist die unbehinderte Zügellosigkeit der sozialdemokratischen Presse. Man braucht sich nur zu überlegen, was die Elemente sind, die diese Presse beherrschen und aus welchen Motiven sie ihr Gewerbe treiben, um einzusehen, dass unbedingt gegen diesen gemeingefährlichen Unfug eingeschritten werden muss. Eine anonyme Gesellschaft ohne Talent und Meinung, dafür mit zweifelhafter Vergangenheit, ehemalige Arbeiter, die zu anständigen und gebildeten Gesellschaften kein Unterkommen finden konnten – das sind die Leute, die gegen glänzende Bezahlung Tag für Tag aus den sozialdemokratischen Redaktionen ihr Gift unter die betörten Massen spritzen, die blind genug sind, mit ihren sauer verdienten Groschen jenen nichtsnutzigen Abhub der Menschheit zu mästen.“

Textzitat nach: Frank Jacob: Kurt Eisner. Ein unvollendetes Leben. Leipzig 2021, S. 23-24 (es versteht sich von selbst: hier wird die antisozialistische Klage der Herrschenden karikiert; seine eigene Kritik an der sozialdemokratischen Presse hat Eisner später jenseits der Satire vorgelegt).

 

 

2 ǀ „Volk der Dichter und Denker“ (Sittenbilder des Kapitalismus, 1900)

 

„Man kann unserer Zeit und unserem Deutschland jeden Vorwurf anheften, nur den einen nicht, dass man sich übermäßiger Gefühlsweichheit hingebe. Im Gegenteil: Die Anklage, wir seien ein Volk von Dichtern und Denkern, wird als die schwerste Beleidigung empfunden. Energie ist alles, und die Gewalt der stärkeren Muskeln – seien sie von Fleisch, Stahl oder Gold – regiert, den humanitätsduseligen Schlappiers zum Trotz. Wir achten nicht das Selbstbestimmungsrecht fremder Völker, sondern wir kultivieren sie mit Schnaps, Blei, Strick und Bibel. Wir vernichten unzähliges Leben, zertreten es in Not und Siechtum. Wir legen den freien Geist an die würgenden Ketten wirtschaftlicher Abhängigkeit. Wir beten zum Kleinkalibrigen und Panzerschiff und erstreben nur ein Ziel: so stark zu sein, um völlig rücksichtslos sein zu dürfen. Das tun wir alles und schämen uns nicht. Lachend schreiten wir über die Leiber und Seelen derer, die man im veralteten Deutsch der Heiligen Schrift Nächste nennt, während sie für die realpolitische Betrachtung Konkurrenten, Feinde sind.

Die Verletzung der Person, die Beeinträchtigung, Schädigung und Zerstörung fremden Daseins erscheint inmitten unseres Kulturlebens in mannigfachen Arten. Dabei ist das Maß der Schädlichkeit durchaus nicht das Maß der Beurteilung. Der im Krieg organisierte Massentotschlag erscheint wie ein furchtbares, unentrinnbares, in seiner erbarmungslosen Gewalttätigkeit zugleich heroisches Schicksal; und wenn die Kraft und Blüte eines Volks sinnlos geopfert wird – was gilts, die Geschichtsfabulisten weisen uns die historische Notwendigkeit des glorreichen Ereignisses nach […]“

Text nach: Eisner 2025a, S. 66.

 

 

3 ǀ „Satiriker und Kulturpolitiker haben schlimme Zeiten“ (1904)

 

„Satiriker und Kulturpolitiker haben schlimme Zeiten. Der Satiriker ist nicht mehr gewachsen der Fülle satirischer Tatsachen, die jeder Tag anspült. Da hilft kein künstliches Worteschärfen, kein phantastisch-greller Einfall mehr, auch der brennendste Teufelswitz verdünnt und schwächt nur den schreienden Hohn des Geschehens selbst. Nicht einmal übertreiben lassen sich mehr die Geschehnisse, durch karikierende Beziehungen werden ihre Formen nicht grotesker. Der Scharfsinn des Spötters ist entbehrlich geworden. Sogar die bloße gestempelte Bildunterschrift ‚Kommentar überflüssig‘ ist ein verbogenes Ausrufungszeichen, das den Ausruf der Tatsachen knebelt.

Muss der Satiriker den Witz im Stall behalten, so hat auch der Kulturkritiker nicht mehr die Möglichkeit, durch das Pathos der Anklage, durch die Dialektik der Empörung die natürliche Wucht der Ereignisse zu steigern und dem Bewusstsein der Menschen aufpeitschend einzuprägen. Die Superlative des Wortes reichen nicht mehr heran an die Superlative der Dinge. Die ‚Besprechung‘ der Angelegenheiten tötet nur ihre innere Wirkung. Die Nachricht allein wird zum Nachrichter, jede kritische Zutat erstickt die Grausamkeit des immanenten Urteils. Zudem vermag keine Geißel mehr die abgestumpften Nerven zu reizen. Wir haben uns an alles gewöhnt, an das Tollste und Ruchloseste. Die Dinge erreichen schnell die Grenze, wo sie für die Empfindung nicht mehr überboten werden können. Vorgänge, die vordem ein Jahrzehnt hindurch die Menschen erregten, haben heute nur noch den Wert von Neuigkeiten, die man unter tausend anderen flüchtig in der Zeitung liest und vergisst. Vergebens ist das Bemühen der Sehnsüchtigen der Kultur, die Gewissen zu schüren, die Schlafenden wachzuschreien. Und wirft man die Fackelbrände aufreizender Wahrheit unter sie, so wickeln sie die Fackeln in ihre gutgepolsterten Schlafröcke und zeigen, wie leicht und ungefährlich ihre Flammen erstickt werden können; kaum ein Wollhärchen wird bei der Prozedur versehrt.“

Text nach: Eisner 2025c, S. 38.

 

 

4 ǀ Aus einer Rede Kurt Eisners auf dem Parteitag der SPD in Essen, 17.9.1907

[Internationalismus ist wichtiger als ein gutes Presseecho]

 

„Die internationalen Verhältnisse waren damals [in der Marokko-Krise 1905/1906, Anm.] gar nicht so ungefährlich […] Die Situation war aufs äußerste gespannt. Und wenn in jenem Augenblicke, da man versuchte, den nationalen Furor zu entfesseln, Noske [SPD] die patriotischen Gefühle in den Vordergrund gestellt hat, so milderte das nicht die internationale Spannung, sondern es verschärfte sie. Wenn ich mich nicht sehr irre, hat der Kriegsminister damals großen Wert darauf gelegt, dass gerade auch aus unserem [sozialdemokratischen] Lager eine Stimmung zum Ausdruck gebracht wurde, wie es geschehen ist. Wenn die Bourgeoisie dem Auslande gegenüber sagen kann: Auch das Proletariat ist auf unserer Seite, so liegt darin eine Kriegsgefahr. Es ist ganz gleichgültig, was das ‚Berliner Tageblatt‘ oder die ‚Post‘ sagt, ob man uns lobt oder tadelt. Aber nicht gleichgültig ist die Stimmung im Auslande. Ich bedauere, dass unserer Bruderpartei in Frankreich ihre Stellung aufs äußerste erschwert worden ist. Diese Stimmung ist auf dem Stuttgarter Kongress zutage getreten. Wer die bürgerliche Presse Frankreichs verfolgt, weiß, dass auf den Kampf unserer französischen Genossen mehr Rücksicht genommen werden muss. Wir hätten in jenem Augenblick schärfer als sonst sagen müssen, was uns in der Militärfrage von den bürgerlichen Klassen trennt.“

Text nach. Eisner 2025a, S. 79-80.

 

 

5 ǀ „Der Kaiser als Chefredakteur“ (August 1910)

 

„… In jenen Tagen des November beschlich Wilhelm II. ein Gefühl, als ob er vielleicht doch seinen Beruf verfehlt habe, und dieses Gefühl bestätigte ihm seine journalistische Begabung; denn ein Journalist ist ja ein berufsmäßiger Berufsverfehler. Dazu kamen die materiellen Sorgen, die durch die Teuerung aller Lebensmittel und die große Familie hervorgerufen waren, und die ihm den Gedanken an die Laufbahn eines Hungerkandidaten besonders nahelegten. Endlich hatte der Kaiser so viele Jahre hindurch mit Zeitungsausschnitten zu tun gehabt, dass ihm auch die notwendige technische Vorbildung nicht ermangelte, zumal er auf dem Casseler Gymnasium mit der Schulbildung gründlich zerfallen, mithin für den journalistischen Beruf geradezu berufen war. Und da Freund Egon das Geld hergeben wollte, stand der Ausführung des Unternehmens nichts mehr im Weg. […]

Die zu erwartende Konkurrenz bedroht auch unser Blatt. Wir haben deshalb erhöhte Aufwendungen gemacht und es ist uns gelungen, dank unseren vorzüglichen Verbindungen schon heute mitteilen zu können, was das Kaiserblatt künftig bringen wird, … und geben zur Probe aus unserem geschwollenen Schatz vorläufig nur ein paar Häppchen wieder […]:

Krieg in Sicht … Neuseeland hat, wie uns soeben gekabelt wird, den Fünfstundentag eingeführt. Da wir nicht gesonnen sind zu dulden, dass irgendwo in der Welt sich der Zukunftsstaat einnistet, haben wir Neuseeland ein Ultimatum gestellt. Auch unser Verhältnis zu Belgien nimmt eine bedrohliche Wendung an, da die belgische Regierung sich hartnäckig weigert, die Karl-Marx-Straße in Brüssel in einer den zivilisierten Anforderungen entsprechenden Weise umzubenennen; die Berufung auf die völkerrechtlich gewährleistete Neutralität können wir bei solchen Verletzungen des Völkerrechts nicht anerkennen. Leider sind auch unsere Beziehungen zu unserem österreichischen Bruderstaat getrübt, da Kaiser Franz Josef sich geweigert hat, vorgeblich aus Gesundheitsrücksichten, anlässlich seines hundertsten Geburtstages unsern Chefredakteur an der Spitze sämtlicher deutscher Bundesfürsten zu empfangen und ihm ein Interview zu gewähren. So ballen sich Wolken ringsum zusammen, und um so wichtiger ist es, unser Blatt zu abonnieren, das allein in der Lage sein wird, sämtliche Kriegspläne vorher zu veröffentlichen.“

Text nach: Eisner 2025a, S. 89-93 (Titel „Chefredakteur Wilhelm“).

 

 

6 ǀ Meinungsbetrieb (Zur Marokko-Krise, August 1911)

 

„Glücklich der Mann, der noch imstande ist, gegen seine Überzeugung zu schreiben! Er würde beweisen, dass er im tiefsten Innern eine eigene Überzeugung verborgen hält, während er vor der Welt seiner Auftraggeber erzählt, was sie zu hören wünschen. Er hat eine Moral, wenn er sie auch nicht ausübt. Er wahrt die Distance zwischen seinem Selbst und den Bedürfnissen seiner Existenz.

Ein tapferer Gentleman, der sich für seine Artikel von den Gebrüdern Mannesmann in bar bezahlen lässt! Es ist ein glattes und verantwortliches Geschäft; denn kommt es heraus, so ist er geliefert; er wird der öffentlichen, höchst öffentlichen Sittlichkeit geopfert.

Ein Kerl, der gegen seine Überzeugung schreibt, ist ein Lump. Also ist jedermann von dem überzeugt, was er schreibt.

Ein Kerl, der gegen Bezahlung schreibt, ist abermals ein Lump, also schreibt er gratis, was man von ihm wünscht, aus nationalem oder sonstigem Idealismus, sogar mit Herzblut und Überzeugung. In Deutschland hat nur der Verleger das Recht, reich zu werden, nicht der Journalist. Im Falle des Journalisten wäre solch wirtschaftlicher Aufschwung unanständig, sogar ehrlos.

Ich ziehe den Mann vor, der gegen seine Überzeugung schreibt und schätze den Ritter vom Geist, dessen Geist direkt und lohnend bestechlich ist. Die Uneigennützigen, die alles kostenlos tun – gegen ein ärmliches Verlegerfixum – schänden den Stand. Darum spielt der deutsche Journalist eine so untergeordnete Rolle, weil er kostenlos leistet, was man von ihm verlangt. Würde er auf feste, aber hohe Preise halten, käme er in der bürgerlichen Gesellschaft schnell zu Ansehen, wie alles, was hoch bezahlt wird. Es wäre eine dankbare Aufgabe einer betriebsamen Standesorganisation, das Bestechungshonorar zur Pflicht zu machen.

*

Die deutsche Presse ist gegenwärtig in einem ‚Reichsverband‘ beruflich vereinigt. Er tagte neulich in Eisenach, und in einer Begrüßungsrede fand der Vorsitzende die feierlichen Töne eines intellektuellen Kriegervereins: ‚Der Reichsverband tritt in erster Linie ein und muss immer eintreten für die Ehre und Würde des Standes. Diese Arbeit ist die erste. Wir haben dafür zu sorgen, dass der blanke Ehrenschild der deutschen Presse rein gehalten und hoch gehalten wird … Die Hauptsache für uns ist die sittliche Grundlage der deutschen Presse … Dieses, die Reinheit, Ehrlichkeit und Lauterkeit der deutschen Presse festzuhalten, wird und muss die erste Aufgabe der deutschen Presse sein.‘

Das war der ethische Heldentrotz der Leute, die sich gegen die Bestrebungen empören, die niemand ihnen zumutet; die unkäuflich sind, weil keine Käufer da sind. Es ist allgemein bekannt, dass der deutsche Journalist nichts nimmt, dass er entschlossen ist, ausschließlich von seinem Verleger zu leben. (Kleine Vorfälle im Handelsteil und im Polizeibereich ausgenommen!) Die Kapitalisten und ihre regierenden Agenten treiben einen abscheulichen Missbrauch mit dieser Billigkeit im öffentlichen Meinungsbetrieb. Man sollte anfangen, sich höher einzuschätzen und seine wertvollen Überzeugungen nur an den Höchstbietenden loszuschlagen.

Was man jetzt den blanken Ehrenschild nennt, ist nicht nur eine wirtschaftliche Schädigung der Journalisten, sondern auch eine schwere Kulturgefahr. Durch solche sträfliche Verbilligung der öffentlichen Meinung sind alle Hemmungen ausgeschaltet. Jeder nationale Sturm ist sofort lieferbar! Ich würde keinen Artikel für Herrn Kiderlen https://www.dhm.de/lemo/biografie/alfred-von-kiderlen-waechter unter tausend Mark, und keinen für die Herren Mannesmann unter 5000 Mark schreiben. Und ich würde ausdrücklich mir dabei den Vorbehalt ausbedingen, dass die Artikel gegen meine Überzeugung verfertigt sind.

*

Friedlich spann die deutsche Presse Ferienträume, keine Sorge bedrängte das Herz des Patrioten. […] Der Reichstag war mit seinen Schlussprämien nach Hause gegangen, ohne am internationalen Horizont das bescheidenste Wölkchen geahnt zu haben.

Kaum aber war die Kunde von Agadir in den Redaktionen, und schon explodierten gewaltig die all die Jahre mühsam aber erfolgreich gebändigten Überzeugungen. Die blanken Ehrenschilde stürmten in klirrendem Wettlauf zur Wilhelmstraße, und nachdem sie ein Weilchen im Vorzimmer den alten Sauhatzgobelin begafft, drang einer nach dem andern zu dem Geheimrat der deutschen öffentlichen Meinung vor und nötigte ihm die Überzeugung der unbestechlichen Presse auf; kostenlos.

Weil die Deutschen im Sustal von möglichen Gefahren bedroht waren, haben wir den Panther nach Agadir geschickt, – die Auskunft genügte. Was sind das für Deutsche, wie heißen sie? Was treiben sie? Was besitzen sie? Seit wann besteht die deutsche Herrlichkeit im Sustal? Und was sind das für Gefahren?

Die neue Überzeugung von der Notwendigkeit, Agadir zu besetzen, hinderte nicht die Beibehaltung der altbewährten Unwissenheit über dieses ersehnte Bewährungsgebiet deutscher Expansionskraft. Niemand kennt das verschlossene Gebiet. Man spricht von märchenhaften Kupfer- und Eisenschätzen. Kein Geologe hat sie jemals erforscht. Der letzte deutsche Reisende, der in Südmarokko gewesen, hat vor mehr als 25 Jahren seine höchst eilfertigen Beobachtungen drucken lassen. […]

Die lautere Presse ließ es bei der einzigen erschöpfenden Information bewenden, dass das deutsche Volk seine nationalen Interessen gegen Frankreich und England zu verteidigen wissen werde, und wäre es durch einen Krieg […] Mit weiteren informatorischen Einzelheiten wurde das beneidenswerte deutsche Volk verschont. Die Verhandlungen verlaufen glücklich, sie stocken, sie sind abgebrochen, die Lage ist ernst, drohend, gewitterschwül, hoffnungsvoll, glänzend. Das deutsche Volk ist entschlossen, seine Würde und sein Recht zu wahren. Was es will, wird ihm schon im gegebenen Augenblick gesagt werden, Kiderlen ist stumm und Wilhelm II. hält keine Reden mehr. […]

*

An allen Dingen der Welt lässt sich verdienen, außer an Lyrik, Philosophie und Streichquartetten. Auch in Marokko gibt es zu verdienen, recht viel sogar, und ein Krieg vollends ist für die, welche verkaufen statt Krieg zu führen, ein ganz außerordentliches Geschäft. Wenn die Gebrüder Mannesmann mit Aufbietung der deutschen Weltmacht, es durchsetzen würden, dass ihnen in Marokko Eisenerzgruben erschlossen werden, für sie ist das ganz gewiss ein unermesslicher Gewinn, sie können dann billig produzieren. Aber welches Interesse hat der deutsche Journalist an den Bezugsinteressen einer Firma? Für die deutsche Gesamtwirtschaft ist die ganze Kolonialpolitik günstigenfalls kein Gewinn. Wir haben seit 1901 für unsere Kolonien über eine halbe Milliarde mehr ausgegeben, als aus ihnen eingenommen. Diese halbe Milliarde ist die aus der Besteuerung der deutschen Lebensführung geschürfte Subvention für die kolonialkapitalistischen Interessen einzelner Firmen. Im Welthandel bildet der Kolonialhandel ein verschwindendes Nichts. Auch wenn wir den Kongo und Marokko erwürben, würde sich das Verhältnis nicht ändern. Aber verdient wird auch am kolonialen Bankerott. Wenn wir im Jahre 1910 für 21.200 Mark Bier in Fässern und für 644 Mark Bier in Flaschen nach Südwestafrika ausführten, so haben einige Personen beträchtlichen Gewinn aus diesem Handel gezogen, aber bezahlt wurde er aus den deutschen Lohnpfennigen.

*

Im Marokkohandel hat sich die Presse als eine Weltgefahr erwiesen. Die Heilung kann nur kommen, wenn man aufhört, die kapitalistischen Begierden durch journalistische Selbstlosigkeit zu verwöhnen. Ich sehe kein rascheres und wirksameres Mittel, als dass die Presse endlich aufhört, ihre Überzeugung zu verschenken, und dass sie sich recht schnell organisiert, sich so hoch wie möglich zu verkaufen. Wenn dann noch in die deutsche Verfassung der Artikel aufgenommen wird, dass mit dem Augenblick der Mobilmachung eine ausreichende Kriegssteuer auf Einkommen, Vermögen und Erbe des Besitzenden in Kraft tritt, so sind die Weltfriedenskongresse überflüssig geworden, und den Haager Schiedsgerichtshof darf man in eine Spielbank, ein Kino oder einen Eispalast umbauen.“

Text nach: Eisner 2025a, S. 100-105.

 

 

7 ǀ Vom unheiligen Wortgeist (Mai 1912)

 

„Auf einmal fingen die Worte an, sich zu den Dingen zurückzufinden, und wurden zu Waffen wider den Erbfeind des Menschengeschlechts. Man sprach aus, was ist. – Fortan aber wandelte sich das Spiel der Irrgeister. Alles Elend und jede Gemeinheit ertrugen sie gelassen; keine Wirklichkeit, und mochte sie noch so schimpflich sein, störte ihr Behagen. Nannte man aber das Ding beim Namen, so fielen sie rasend über die Worte her und über die Menschen, die sie aussprachen. Was sie im Leben sahen, nahmen sie still und feig hin, so es aber in den Abbildern des Wortes oder der Linie vor ihnen erschien, trieb es sie zur Wut. Solches Tun aber nannte man Entrüstung.“

Text nach: Eisner 2025a, S. 116-119 (kleiner Auszug).

 

 

8 ǀ Anekdoten aus Utopien: Die Verleumdung (März 1914)

 

Der Fremde, der nach Utopien kam, fand die Bevölkerung in einiger Erregung. Da die Utopier alle schwierigen Dinge so zu leiten verstehen, dass eine unwiderstehliche Komik herauskommt, äußerte sich Erregung immer in allgemeinem Volkslachen. Da hatte sich in der Tat ein dunkler Fall ereignet, wie er seit Jahrtausenden in den Geschichtsbüchern Utopiens nicht verzeichnet war.

Eine Zeitung hatte einen Utopier verleumdet.

„Was würdet ihr bei euch zu Hause in solchem Falle tun“, fragte man den Gast.

„Wir würden bei Gericht klagen“, antwortete der Fremde.

Die Utopier rissen sich heftig an den Ohrläppchen. Das taten sie immer, wenn sie etwas nicht verstanden, gleichsam, als wenn sie sich aus einem Traumzustand aufwecken müssten.

Aber da sie weder den Begriff des Gerichts noch den des Klagens irgendwie zu erfassen vermochten, so fand der Fremde keinerlei Verständnis.

„Neulich ist es auch vorgekommen, dass sich die Frau eines Verleumdeten rächte und den Schuldigen tötete“, fügte der Fremde hinzu.

„Du meinst, Fremdling: Sterben vor der Zeit als Strafe? Aber wie vermag eine Frau all die vielen Schuldigen zu töten?“

„Nur um einen Schuldigen handelte es sich doch!“

Da wurden die Utopier ein wenig ungehalten. Wollte der Fremde sie foppen?

„Ein Schuldiger – das ist unmöglich! Das ist ein Widerspruch in sich.“

Jetzt begriff der Gast nicht: „Warum unmöglich? Der eine Schuldige ist doch der Mann, der die Verleumdung in die Öffentlichkeit brachte.“

„Also ist doch die Öffentlichkeit schuld“, triumphierten die Utopier, „also viele Tausende! Denn wenn der Urheber der Verleumdung der einzige Schuldige gewesen wäre, dann hätte er ja auch der einzige sein müssen, der seine Zeitung gelesen. Dann wär’s wieder keine vollendete Verleumdung gewesen, sondern nur ein in der Geburt schon erstickter Versuch. Die Schuldigen einer wirkenden Verleumdung sind doch die Leute, die solche Erzeugnisse lesen und verbreiten. Willst du somit behaupten, o Fremdling, dass die Herbeiführung eines Sterbens vor der Zeit ein mögliches Heilmittel gegen Verleumdung sei, da doch ein Verleumdeter nicht die körperliche Kraft hat, an Hunderttausend mit der Waffe Rache zu nehmen?“

„Und was habt ihr getan, um den Verleumder unschädlich zu machen“, fragte der Fremde sehr betroffen.

„Es kam uns, trotz des unerhörten Vorfalls, sofort die richtige Eingebung. Sobald die Verleumdung im Blatt erschienen war, verbrannte jeder das niederträchtige Papier und kein Utopier las hinfort, was jener schrieb und drucken ließ.“

„Und wie traf’s den Schurken?“

„O die Strafe war grausam. Der Mann schrieb und schrieb und schrieb, druckte und druckte, aber niemand nahm sein Papier, ob er’s auch auf die Straße streute. Da es nun zwecklos ist, andere zu verleumden, wenn niemand die Verleumdung hört und liest, blieb ihm schließlich nichts Anderes übrig, als sein schändliches Gelüst an dem Publikum zu befriedigen, das er noch hatte: an sich selbst. So schrieb er wider sich selbst die wildesten Beschimpfungen. Und jetzt lasen wir das Blatt wieder und lachten, so wie du siehst, o Fremdling. Der Fall wird sich nicht wiederholen, in alle Ewigkeit nicht.“

Text nach: Eisner 2025c, S. 112-113.

 

 

9 ǀ „Presse-Probleme“ (April 1914)

 

„[…] [In der] selbständigen Entwicklung der bürgerlichen Presse, abseits des Parteiwesens und im Gegensatz zu ihm, verbirgt sich zugleich jene gemeingefährliche Abhängigkeit gerade ihrer verbreitetsten Organe – von anonymen Gewalten. Sie machen die Politik von offiziellen und privaten Pressebureaus. Die Wilhelmstraße in Berlin dirigiert die ganze auswärtige Politik der bürgerlichen deutschen Presse und teilt ihre Herrschaft nur gelegentlich mit dem Pressebureau Krupps und sonstiger Rüstungsindustrieller, die mit Hilfe gewisser Journalistenkonzerne in den Agadirzeiten – entgegen den Bemühungen der Regierung – das Feuer eines Weltkrieges schürten. Der ‚ideologische Überbau‘ dieser Presse heißt liberal oder national oder parteilos, die solide Basis ist die Börse, die Großreederei, das Getreidegeschäft, die Aktiengesellschaft, der Unternehmerverband, der Inserent, die Brauerei, der Schnapsbrenner. Am harmlosesten ist fast noch die Presse, die nur den Profitrücksichten des Verlegers dient; aber in der Regel wird auch sie die eine große Abhängigkeit mit zahlreichen kleineren Abhängigkeiten von allerlei wirtschaftlichen Interessenten teilen. Die bürgerliche Presse dient jeder Sache, nur nicht der, für die sie zu wirken vorgibt.

Die unwürdige Stellung des bürgerlichen Journalisten in Deutschland verschärft die innere Unwahrheit der bürgerlichen Presse. Niemand hat so wenig Einfluss auf die Zeitung, wie die Leute, die sie schreiben und redigieren. Diese Redakteure sind Privatangestellte geschäftlicher Unternehmungen, nichts anderes, wie Bankbeamte, Warenhausverkäufer oder Fabrikchemiker. Sie sind nicht Vorkämpfer einer Sache, der sie leidenschaftlich ergeben sind, sondern unlustige müde Techniker für die Erzeugung des geistigen Teils der Zeitungen, deren beste Vertreter höchstens ein gewisser literarischer Ehrgeiz beseelt. Sie dürfen keine Charaktere sein, das wäre störend; man fordert nur fachliche Routine von ihnen. Sie sind allenfalls geduldete, nun einmal notwendige Werkzeuge für die Ausstattung des Zeitungsgeschäfts. In Deutschland ist nicht die Vorbedingung der Laufbahn von Parlamentariern und Staatsmännern, wie in Frankreich, Italien, England, Amerika, dass sie als Publizisten sich zuvor bewährt haben. In den letzten Jahren haben wir wiederholt gesehen, wie große Zeitungsunternehmungen mitsamt allen Redakteuren und Mitarbeitern verkauft wurden, genau so wie in den Zeiten der Erbuntertänigkeit die Güter mit totem und lebendem Inventar verkauft wurden, wobei dann unter dem lebenden Inventar neben der Zahl des Viehes auch die der zugehörigen Bauern angegeben wurde.

Und diese innerlich entwürdigte Presse beherrscht dennoch den Markt der öffentlichen Meinung, weil es – Zeitungen sind, vor denen die Lehre Karl Marx’ von der Überlegenheit des Großbetriebs am allerwenigsten halt macht.“

Text nach: Text nach: Eisner 2025a, S. 129-143 (Titel „Preßprobleme“, kleiner Auszug).

 

 

10 ǀ Treibende Kräfte (23. April 1915)

 

„Als im Sommer 1911 plötzlich der Panther [deutsches Kanonenboot] vor Agadir auftauchte, war die deutsche Öffentlichkeit gänzlich unvorbereitet. Wer sich aber die Mühe genommen hatte, die Propaganda und die Veröffentlichungen des Alldeutschen Verbandes zu verfolgen, der konnte schon Monate zuvor mit unbedingter Sicherheit voraussehen, dass eines Tages mit der fälligen Pünktlichkeit einer Nummer des Wochenblatts des Verbandes, der ‚Alldeutschen Blätter‘, eine Weltkrisis erscheinen würde. Für die Leser der ‚Alldeutschen Blätter‘ kam in der Tat der Panther genauso selbstverständlich, gleichsam im voraus auf ein halbes Jahr abonniert, wie ihr Leiborgan. Wir erinnern uns auch: Plötzlich ein ungeheurer Jubel in der ganzen bürgerlichen Presse, besonders in der Provinz über die ‚erlösende Tat‘ des Panthersprungs! Was bisher nur die ‚Alldeutschen Blätter‘ in ihrer verborgenen Existenz propagiert hatten, nahm jetzt die große Presse auf. Man suchte mit allen Mitteln die Angelegenheit zu den letzten Konsequenzen zu treiben. Vergebens bemühten sich damals die Offiziösen zu beruhigen. Monate hindurch waren die Pressagenten des Alldeutschen Verbandes die Stärkeren. Der Herausgeber der ‚Grenzboten‘, Cleinow, ein Vertrauensmann des Auswärtigen Amtes, sprach damals von der Betriebsamkeit eines Kruppschen Pressbureaus. Und als es der verantwortlichen Regierung noch einmal gelang, den Sturm zu beschwören, setzte sofort eine neue leidenschaftliche Agitation der Alldeutschen ein. Unter dem unmittelbaren Druck des unwillkommenen deutsch-französischen Ausgleichs schrieb General von Bernhardi sein verhängnisvolles Buch ‚Deutschland und der nächste Krieg‘.

Das Programm des Alldeutschen Verbandes ist einfach und klar. Die ‚völkischen‘, allgermanischen Phantasien sind nur eine nebensächliche Ideologie zum Vergnügen der dem Verband anhängenden Oberlehrer und Professoren. Das wirkliche Ziel ist die Erwerbung deutscher Siedlungskolonien, in denen deutsche Bauern ackern können; die uns Rohprodukte für die Industrie hergeben und im Austausch deutsche Fabrikate brauchen; das ist der ‚sichere Markt‘, der Traum der deutschen Exportindustrie. Erreicht werden kann, nach der Anschauung der Alldeutschen, dieses Kolonialreich nur durch Verstärkung der Machtstellung Deutschlands in Europa. Dazu bedarf es einmal der Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht bis zum letzten Mann und eines ungehemmten Ausbaues der Flotte, für deren Gebrauchstüchtigkeit wieder der Erwerb von Kohlenstationen und Flottenstützpunkten unerlässlich ist. Hinter diesem Programm des Alldeutschen Verbandes aber und seinen mannigfachen Verzweigungen und Tochtergesellschaften stehen der Bund der Landwirte, der Zentralverband der Industriellen und andere Unternehmerverbände, ein Teil des Finanzkapitals, vornehmlich das Reederkapital und zuletzt – und das ist die Besonderheit dieses Verbandes – als Exekutive ehemalige Generale und Admirale. Daneben verfügen sie über einen überall ausgebreiteten Stab von ‚Intellektuellen‘. Da diese zumeist durch Reisen im Ausland gewisse Kenntnisse und Erfahrungen gewonnen haben, sind sie der Presse als sachkundige Mitarbeiter jedesmal dann willkommen, wenn über irgendeine Frage der Weltpolitik ein Konflikt ausbricht; dann tauchen die alldeutschen Propagandisten als Mitarbeiter und Informatoren der Presse massenhaft auf wie Schnecken nach einem Gewitterregen; und die öffentliche Meinung ist nahezu wehrlos ihrer Agitation preiszugeben. Das Geheimnis und die Gefahr ihres Einflusses aber liegt gerade darin, dass, während die Öffentlichkeit von den Ereignissen allemal überrumpelt wird, die Alldeutschen sie in zäher Energie, durch Jahre hindurch, vorbereitet haben.“

Text nach: Eisner 2025a, S. 208-223 (kleiner Auszug).

 

 

11 ǀ Die Presse im Kriege (Mai 1915)

 

„[…] Dass die Presse die Schrecken des Weltkrieges vermehrt, dass sie die Katastrophe der Menschheit in ihrem Schrecken verschärft, erweist jeder Tag aufs neue. […]

Die Auszeichnung der deutschen bürgerlichen Presse gegen die ausländische ist durchaus nicht verdient. Wer es sich zur Aufgabe gesetzt hat, die Rohheiten, Lügen, Dummheiten der internationalen Kriegspresse systematisch zu sammeln, ist durchaus von der vaterlandslosen Ebenbürtigkeit und der Gleichheit aller kapitalistischen Preßmoral überzeugt. Ein weit verbreitetes deutsches Blatt schrieb, um nur ein Beispiel aus jüngster Zeit zu nennen, über die Torpedierung der Lusitania: ‚Nicht maßloses Entsetzen hat uns erfüllt, als wir die Kunde von Lusitania bekamen. So etwas ist altes Weibergeschwätz. Sondern laute Freude‘! Das las man in München. In Leipzig jubelte und höhnte man: „Die Freude an der Vernichtung der Lusitania wird noch durch allerlei Dinge gesteigert …, das letzte sentimentale Mitleid mit den ‚armen Opfern‘, die hübsch hätten ‚auf ihren Hadern‘ bleiben sollen, dürfte die (falsche!) Feststellung vernichten, dass die Lusitania mit Geschützen armiert, also ein Hilfskreuzer, ein Kriegsschiff war.“ Zwei Tage darauf bezeichnete es das selbe sehr einflussreiche Leipziger Organ als eine ‚der üblichen englischen Fälschungen‘, dass man in Deutschland eine unbändige Freude über den Untergang von 1400 Nichtkämpfenden empfunden habe. In Wien sekundierte man glänzend: ‚Wir freuen uns über diesen neuen Erfolg der deutschen Marine.‘ Endlich in Berlin dichtete ein deutscher Mensch: ‚Ein Schiff versenkt, Ladung und Passagier, / Hurra! – und tausend Feldgraue gerettet, / Für jeden uns’rer Braven hätten wir / Zehn Lusitanien gern zu Grund gebettet!‘ […]

Die Abhängigkeit der Journalisten von den kapitalistischen Verlegern: Der deutsche Journalist ist nur der Angestellte eines Zeitungsgeschäfts, der Hilfsarbeiter, das Werkzeug für Verlegerinteressen. Die Richtung des Verlegers ist durch dreierlei Rücksichten bestimmt: die Rücksicht auf den Abonnenten, den Inserenten und die Information. Diesem also gelenkten Verlegergeist ist jede Überzeugung der angestellten Schreiber unterzuordnen. Durch den Wettbewerb der Information ist die ganze deutsche bürgerliche Presse, zumal in Fragen der auswärtigen Politik, offiziös geworden; nur die von den bekannten Interessengruppen dirigierten Alldeutschen Organe [nationalistische Zeitungen, für extreme Kriegseroberungen; pb] haben sich auf dem Gebiet der auswärtigen Politik eine von der Regierung unabhängige Freiheit des Urteils bewahrt. Deswegen hat die kapitalistische Presse, deren Hersteller längst keine Freiheit zu verlieren hatten, jetzt auch die formelle Beseitigung der Meinungsfreiheit durch die Militärzensur schmerzlos ertragen. Ihre Beschwerden gegen die Zensur richteten sich nicht gegen die Unterdrückung der Kritik, sondern nur gegen einen gewissen schneidigen Verkehrston, gegen technische Betriebserschwerungen und gegen die ungleiche Behandlung der Konkurrenz […]

Wir haben nicht Stimmungen künstlich herzurichten, die doch vor der ersten Katastrophe panisch flüchten, wir haben vielmehr zur geistig kritischen Mitarbeit der gesamten Nation, zur Tapferkeit der freien Meinung und zur Gewissenhaftigkeit des begründeten und geschulten Urteils zu erziehen, die allein imstande sind, Katastrophen zu verhüten, oder wenn sie hereinbrechen, mannhaft-ruhig tätig zu überstehen. Wir müssen ohne Verzug die Freiheit der Meinung zurückgewinnen, um unser aller Schicksal zu sichern und zu bestimmen. […]“

(Das deutsche Militär reagierte ausführlich auf diesen Artikel, um u.a. weitere Nachdrucke zu unterbinden: „… Die vaterländisch gesinnte Presse wird gebeten, dem hier gekennzeichneten Aufsatz keine weitere Erwiderung zuteil werden zu lassen, da sie einer besonderen Rechtfertigung ihres unbestrittenen Ehr- und Pflichtgefühls einer derartigen sich selbst richtenden Kundgebung gegenüber nicht bedarf. – Stellv. Generalkommando 7. Armeekorps.“)

Text nach: Eisner 2025a, S. 237-244 (kleiner Auszug).

 

 

12 ǀ Kriegsgedanken eines überflüssigen Zeitungsschreibers (1915)

 

„In einer Zeit, da man millionenfältig unablässig dem Tode ins Gesicht sieht, wagt man weniger denn je der Wahrheit ins Antlitz zu schauen. Die Feigheit vor dem Leben!“

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„Die Lüge der Lüge ist die Entrüstung über die Verlogenheit der anderen.“

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„Eigenlob ist das höchste Kriegsmittel.“

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„Der Aberglaube, der den Kartenlegerinnen die Einsicht ins Schicksal anvertraut und honoriert, ist harmlos im Vergleich zu der Kraft des Wunders, sich aus Zeitungen aufzuklären, obwohl man doch weiß, dass sie aufhören würden zu erscheinen, wenn sie der Aufklärung dienen wollten.“

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„Kriegsethik: Handle so, wie du wünschest, nicht behandelt zu werden.“

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„Die Pflicht der Neutralen: Sie haben das Recht, dir Angenehmes zu sagen, dich zu unterstützen. Oder aber sie sind nicht neutral.“

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„Erfinde etwas ganz Dummes. Es ist die Meinung von niemandem und von nichts. Telegraphiere es nach Kopenhagen: es wird eine beachtenswerte Stimme. Übermittle es von Kopenhagen nach Buenos-Aires. Dann ist es die tiefsinnige Meinung eines in Hindostan sehr bekannten Gelehrten (den man bisher aber in Hindostan ebensowenig kannte wie sonstwo). Treibe die Zeilen von Buenos-Aires nach Moskau und sie werden zum Verzweiflungsausdruck eines Volkes. Gelingt es dir endlich, deine Eingebung von Moskau über Christiania, Haag, San Franzisko, Kapstadt, Paris, London nach – Genf oder Zürich zu hetzen, so darfst du stolz annehmen, dass sie nun die öffentliche Meinung der gesamten zivilisierten Welt vereinigt.“

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„Aussprechen, was nicht ist – die Strategie der öffentlichen Meinung.“

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„Der Krieg ist in der Tat die Schule des Altruismus: Niemals denkt man so ausschließlich nur an die anderen und hört nur von den anderen: von der Zahl ihrer Toten, Gefangenen, Verwundeten, von ihren Völkerrechtsverletzungen und ihren Greueln.“

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„Es gibt einen Weg zum Weltfrieden! Wenn es allen plötzlich einfiele: Sagen wir uns einmal gegenseitig die Wahrheit.“

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„Es war einmal ein Haarwasserfabrikant, der glaubte schließlich an seine eigenen Reklamen, und ein Kahlkopf, der sich nach der Lektüre der Gebrauchsanweisung einbildete, dass ihm Haare gewachsen seien. Die Macht des Gedruckten oder: Redakteur und Leser!“

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„Alle diplomatischen Veröffentlichungen über den Ursprung von Kriegen lassen sich in den einen halben Satz zusammenfassen: Unvorbereitet, wie ich mich habe …“

Text nach: Eisner 2025c, S. 128-129.

 

 

13 ǀ Das Abreiß-Gehirn (Sylvester 1916)

 

„Vor einiger Zeit verlebte ich ein paar Tage mit einem Menschen, den ich ehedem für einen im Kampf um gleiche Ziele mir ernst verbundenen Kameraden gehalten hatte. Das glaubte ich zwar längst nicht mehr, aber in Erinnerung an frühere Freundschaft nahm ich die Gelegenheit wahr, um ihm ins Gewissen zu reden.

‚Ihr Fehler ist‘, bemerkte ich, ‚dass an der Stelle, wo bei andern die Gesinnung als Zentrale des Denkens und Wollens wirkt, bei Ihnen ein durch mangelnde Benutzung rudimentär gewordenes totes Organ sich befindet. Darum treibt Ihre Intelligenz nicht von innen heraus, sondern sie muss sich irgendwo anlehnen. Sie sucht Schutz hinter und neben Mächten, die Sie mit Recht oder Unrecht für stark und zukunftsreich halten. Sie sind deshalb der geborene Offiziosus, Sie kämpfen immer im Schatten eines andern, wobei der Mann im Schatten bisweilen erst den Körper im Licht macht. Weil Sie selbst keine Überzeugung haben, betrachten Sie es als Aufgabe Ihres Witzes, fremden Überzeugungen oder richtiger fremden Interessen vernunftähnliche Argumente zu liefern, wobei es nicht sowohl darauf ankommt, dass Sie beharrlich richtig, einheitlich sind, als vielmehr, dass sie grell genug klingen, um von der allgemeinen geistigen Taubheit gehört zu werden. Sie werden gewiss jeden Tag ein Dutzend klingender Gescheitheiten erfinden, sagen und schreiben, nur vergessen Sie, dass alle diese kleinen Gescheitheiten – summiert – eine große und klägliche Dummheit werden. Denn mit Pfiffen und Pfiffigkeiten macht man schließlich nicht Geschichte, sondern mit dem – dummen Herzen.‘

Der Kamerad von ehedem lächelte bei dieser Ansprache. Sein bescheiden verlegenes Lächeln, das eine gewisse Genugtuung zu verraten schien, über den psychologischen Kraftaufwand, den ich an seine Person geopfert, und sich über das niederdrückende Gefühl, ungünstig beurteilt zu werden, weltmännisch mit der Eitelkeit hinwegsetzte, dass ihm immerhin das Zeugnis geistiger Überlegenheit zuteil geworden. Aber hinter dem gleichmütigen Lächeln lauerte irgendein böser Plan zukünftiger Vergeltung für die moralische Entlarvung und Züchtigung. Inzwischen gab er die Antwort:

‚Was Sie mangelnde Gesinnung nennen, ist in Wahrheit, dass ich alle Überzeugungen für gleichberechtigt halte; man kann alles beweisen und alles widerlegen.‘ […]

Man befreie sich also endlich von solchen unzeitgemäßen, hemmenden Gewissensbissen und wage ganz zu sein, was jeweils von Vorteil ist. Aber freilich, es fehlt auf diesem Gebiete noch die durchgearbeitete geistige Organisation. Der Aberglaube, dass eine Kontinuität des Denkens erforderlich sei, herrscht insgeheim noch immer. Es ist auch nicht ganz einfach, in jedem Augenblick die erforderlichen neuen Überzeugungen ausfindig zu machen und sie als letzte ewige Wahrheiten anständig zu begründen. Und doch lässt sich auf die bequemste Weise die tägliche Zufuhr von Meinungen sicherstellen: Durch den Abreißkalender. In seinem jetzigen Zustand ist diese wandschmuckgewordene Zeit- und Raumanschauung sinnlos. Was nützt es uns zu wissen, wann die Sonne auf- und der Mond untergeht, oder welchem Heiligen der Tag gewidmet sei! Haben wir einen Nutzen davon, zu erfahren, welcher große Sozialist vor hundert Jahren geboren oder, schlimmer noch, welcher die Absicht habe, lebendig fünfzig Jahre alt zu werden? Küchenrezepte vollends sind heute blutige Verhöhnungen, und Weisheitssprüche verschollener Denker und Dichter erinnern nur immer wieder peinlich daran, dass das Schwert zu sühnen habe, was die Feder gesündigt. Nein, der Abreißkalender muss unser Abreißgehirn werden! Wir müssen täglich sicher wissen, was wir zu denken haben und warum wir es zu denken haben; und wir müssen täglich uns unserer laufenden Überzeugung mit dem Blatte, das wir wegwerfen, endgültig entledigen können.“

Text nach: Eisner 2025a, S. 320-325 (kleiner Auszug).

 

 

14 ǀ Antwort auf einen Zensurakt des Militärs (14. Februar 1917)

 

An das Generalkommando I. Bayr. Armeekorps, München.

Durch die Bürgermeisterei Gr.-Hadern wird mir eine Anordnung zugestellt, dass mir jederlei Veröffentlichung eines von mir verfassten, bisher aber weder gedruckten noch sonst vervielfältigten oder verbreiteten Aufsatzes „Die Mobilmachung als Kriegsursache und anderes“ [verfasst 1916] untersagt wird, weil ich darin nachzuweisen versucht hätte, „dass die von deutsch- oder vaterlandsfeindlicher Seite vorgebrachten Behauptungen über die Entstehung des Krieges berechtigt seien. Die Ausführungen des Aufsatzes sind geeignet, die Interessen der Landesverteidigung zu gefährden.“

Ich bestätige die Mitteilung dieses Verbots, lehne es aber sachlich in seinem ganzen Umfang ab.

Ich lehne es ab, weil eine solche Anordnung im Widerspruch zu den verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheiten steht, weil sie unvereinbar mit der Ehre eines Schriftstellers ist, und weil endlich die weitere Durchführung dieser administrativen und präventiven Justiz geeignet ist, das Ansehen, die Sicherheit, ja die Existenz des deutschen Volkes zu bedrohen und zu vernichten.

Mir steht verfassungsrechtlich die Freiheit der Meinung und des Wortes zu. Niemand kann mir im voraus verbieten, politische und geschichtskritische Betrachtungen zu verfassen und zu veröffentlichen. Widersprechen meine Veröffentlichungen dem allgemeinen Strafgesetz, so habe ich die Verantwortung vor den ordentlichen Gerichten zu tragen.

Die Berufung auf das bayerische Kriegszustandsgesetz ist hinfällig. Es mag dahingestellt sein, ob auf Grund dieses Gesetzes etwa die administrative Erledigung von Malzverschiebungen und dergleichen ermöglicht wird, über die staatsbürgerliche Freiheit des politischen Urteils und der öffentlichen Aussprache darf nicht – kraft dieses Gesetzes – administrativ verfügt werden. Das Kriegszustandsgesetz ist im Oktober 1912 ausdrücklich zu dem Zweck geschaffen worden, um Rechtssicherheit auch in Kriegszeiten zu gewährleisten, die es im Bereich des preußischen Belagerungszustandsgesetzes nicht gibt. Es ist seinerzeit im bayerischen Landtag die feierliche Erklärung wiederholt abgegeben worden, dass durch das Gesetz die politische Meinungsfreiheit nicht beschränkt werden solle. Das Gesetz soll auf diesem Gebiete höchstens eine Handhabe gegen die unbefugte Veröffentlichung von militärischen Nachrichten geben – was ich durchaus billige – nicht aber darüber hinaus die unbedingt notwendige kritische und aufklärende Mitarbeit der öffentlichen Meinung irgendwie hindern. Die mir zugegangene Verfügung ist demnach – in Bayern – rechtswidrig.

Die Anordnung aber ist auch unvereinbar mit der Berufsehre eines Schriftstellers. Der Schriftsteller hat die Aufgabe, die Wahrheit gewissenhaft zu suchen und, wenn er sie gefunden hat, zum Nutzen der Allgemeinheit zu bekennen und zu verbreiten. Das ist die Zivildienstpflicht des Schriftstellers, die zu den allerwichtigsten Pflichten und unveräußerlichen Rechten der heutigen Gesellschaft gehört. Es wäre verächtliche Feigheit, zumal in Zeiten dieser Weltkatastrophe, die mühsam und mit peinlicher Vorsicht erarbeitete Überzeugung zu verschweigen. Die Wahrheit ist das höchste aller nationalen Güter. Ein Staat, ein Volk, ein System, in dem die Wahrheit unterdrückt wird, oder sich nicht hervorwagt, ist wert, so rasch und so endgültig wie möglich zugrunde zu gehen.

Ich nehme außerdem, unter den gegenwärtigen Umständen, selbstverständlich jede durch Gewissen und Pflicht gebotene Rücksicht. Ich schreibe nie eine Zeile in ausländische Organe, auch nicht in befreundete neutrale, und ich vermeide auch geflissentlich jede direkte oder indirekte Verbindung mit dem neutralen, geschweige dem feindlichen Ausland. […] Meine Arbeiten sind auch durchaus nicht derart, das Ausland ungünstig gegen das deutsche Volk zu beeinflussen, sie sind vielmehr im Gegenteil – wie jede ernste Tätigkeit im Dienste der Wahrheit – geeignet, den nicht zum wenigsten durch das heutige Treiben der „gutgesinnten“ und behördlich geschützten und beeinflussten Presse gesteigerten Welthass gegen Deutschland zu mildern, also eine im tiefsten Sinne nationale Wirkung zugunsten der Landes- und Volksverteidigung zu üben.

Indem ich jeden willkürlichen Angriff auf die Wahrheitspflicht des Schriftstellers ablehne, erkläre ich damit zugleich meine Bereitwilligkeit, jeder Aufklärung über Irrtümer und Unrichtigkeiten in meinen Arbeiten Gehör zu schenken. Wenn das Generalkommando demnach in der Lage sein sollte, mich auf derartige Irrtümer und Unrichtigkeiten in dem angefochtenen Aufsatz aufmerksam zu machen, so würde ich, wenn ihm der Nachweis gelingt, nicht nur selbstverständlich die notwendigen Änderungen vornehmen, sondern ich wäre auch dem Generalkommando für solche Aufklärung zu lebhaftem Dank verpflichtet.

Endlich wird zur Begründung der Maßnahme des Generalkommandos angeführt, dass ich die „von deutsch- oder vaterlandsfeindlicher Seite vorgebrachten Behauptungen über die Entstehung des Krieges“ als berechtigt übernommen hätte. Es dürfte dem Generalkommando so gut wie mir bekannt sein, dass es über die Entstehung dieses Krieges in der ganzen Welt, unter den Wissenden und Unterrichteten, keine zwei Meinungen mehr gibt, und dass es also schon deshalb gegenstandslos ist, zwischen deutschfeindlichen und deutschfreundlichen Anschauungen in diesem Falle zu scheiden. Das ist lediglich eine Angelegenheit wissenschaftlicher Erkenntnis und kritischen Urteils über offenkundige und unzweifelhafte Tatsachen. Unter vier Augen gestehen auch in Deutschland die hervorragendsten Staatsmänner und Diplomaten – ich wäre in der Lage, Namen und Zeugen zu nennen – den unleugbaren, klaren Sachverhalt. Mir scheint nun dieses doppelte Spiel: eines für die Vertrauten, eines für die Öffentlichkeit, im höchsten Grade unwürdig und verderblich. Kann es wirklich zum Heile des deutschen Volkes und Vaterlandes sein, dass nur innerhalb seiner Grenzen Verwirrung und Blindheit über seine Lebensfragen und Daseinsaufgaben herrscht, während jenseits der deutschen Grenzen Wahrheit und Klarheit Allgemeingut ist? Wo ein solches System doppelter Buchführung, ein solches Vertuschen, Verhehlen und Verdunkeln um sich greift, ist – das habe ich als Historiker immer wieder bestätigt gefunden – die nationale Katastrophe nahe. Wenn Deutschland für seine freie Entwicklung, um die Politik der „Einkreisung“ zu durchbrechen (und das ist doch die deutschamtliche These!), kein anderes Mittel mehr fand, so braucht es eben den Krieg, es musste ihn herbeiführen und es durfte dann auch nicht den Mut fehlen lassen, sich dazu zu bekennen. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn das gerade auch die Anschauung jeden deutschen Militärs ist, zumal ja, nach der in Deutschland ausnahmslos herrschenden militärischen Überzeugung, Kriege Stahlbad und Gesundbrunnen für die Völker sind. Ich vermag nicht einzusehen, warum, im Sinne dieser Überzeugung, die Behauptung, dass Deutschland den Krieg herbeigeführt hätte, weil es – nach der Meinung der Verantwortlichen – keinen anderen Ausweg mehr gab, irgend etwas für Deutschland Herabsetzendes haben könnte, sofern die Anschauungen der herrschenden Kreise über die Notwendigkeiten deutscher Politik und über das nationale Mittel des Krieges als richtig anerkannt und zugrunde gelegt werden. Es dünkt mich auch absurd, dass die Verantwortlichkeit für die Herbeiführung eines Krieges die Landesverteidigung beeinträchtigen soll, damit würde sich ja der Krieg und die Landesverteidigung selbst aufheben. Für diese Anschauung habe ich durchaus Verständnis, dass die für die deutsche Politik Verantwortlichen ihre als notwendig anerkannte Politik mit dem „anderen Mittel“ der Politik, eben dem Krieg (um mit Clausewitz zu reden) fortzusetzen sich genötigt sehen. Aber es scheint mir unmoralisch und feig, sich zu dem Kriege nicht offen zu bekennen, wenn man ihn aus Gründen politisch-nationaler Sicherheit und Entwicklung herbeiführen und führen zu müssen glaubt. Von der Aussichtslosigkeit der Irreführung zu schweigen.

Ich denke freilich über den Krieg im allgemeinen und die Notwendigkeit dieses Krieges im besonderen anders wie die zivilen und militärischen Vertreter der herrschenden Klassen in Deutschland. Ich lehne jede Belehrung über die Art, wie ich meinen Patriotismus zu betätigen suche, ab. Das habe ich allein zu verantworten und zu entscheiden. Die wenigen Verantwortlichen dieses Krieges sind nicht Deutschland, die paar Schuldigen des Weltverderbens nicht das Vaterland. Wenn ich also gegen die für den Krieg verantwortliche Regierung und deren Kriegspolitik, die nach meiner Überzeugung das deutsche Volk in den Abgrund führt, kämpfe, wenn ich darum die geschichtliche Wahrheit über den Krieg feststelle; wenn ich dahin strebe, dass andere Männer die Führung übernehmen, die fähig sind, einen für Deutschland, Europa und die Menschheit förderlichen Frieden zu schließen, weil sie für die Entfesselung des Krieges nicht verantwortlich sind; wenn ich schließlich meiner sozialdemokratischen Überzeugung treu geblieben bin, dass es die Aufgabe und die Fähigkeit des Proletariats sei (nach den Umständen dieses Krieges also in erster Linie des deutschen Proletariats), als der internationalen Klasse, jedem Vaterland und jedem Volk zum Heil des Weltfriedens zu wirken, – so tue ich damit nicht nur, was mein gutes Recht ist, sondern ich diene auf die allerernsteste Weise meinem Vaterlande, indem ich an der Hebung seiner moralischen Wehrtüchtigkeit mithelfe, für seine Geltung in der Gesellschaft der Völker arbeite und durch Aufklärung über seine Existenzbedingungen um seine Sicherung und Rettung ringe.

Das Generalkommando hat durch seine Verfügung seine Amtspflicht ausgeübt. Ich ehre das Amt und die Pflicht, verlange aber auch die gleiche Achtung, nicht um meiner gleichgültigen Person, sondern um meines Berufes willen, für das frei gewählte Amt des Schriftstellers, mit dessen Amtspflicht es unvereinbar ist, ein Verbot als rechtmäßig und erträglich anzuerkennen, von der Art des mir zugegangenen Schriftstücks.

Ich bitte, mir den Empfang dieser Rechtsverwahrung, der im gegebenen Falle die Beschreitung des Rechtsweges folgen wird, zu bestätigen; zur öffentlichen Bekanntgabe und Erörterung dieser Rechts­verwahrung sei das Generalkommando ausdrücklich ermächtigt. ǀ Kurt Eisner.

Text nach: Eisner 2025a, S. 299-304 (kleiner Auszug).

 

 

15 ǀ Die Austrocknung des heiligen Geistes (Pfingsten 1917)

 

In einem feindlichen Lande begab es sich. Nur in einem feindlichen Lande konnte es sich begeben, wie ich durch eine kürzlich mir zugegangene Verfügung belehrt worden bin. Man hat also so ziemlich den ganzen Erdkreis zur Auswahl vor sich, wenn jemand durchaus wissen will, unter welcher besonderen Flagge sich die Geschichte begeben. Es genügt zu versichern, dass ihr Schauplatz unter keinen Umständen der kleine Erdenfleck ist, innerhalb dessen ich Reichsrecht des Unterstützungswohnsitzes genieße. Begehrt man aber durchaus zu erfahren, in welchem Land, so kann ich das Land deutlich kennzeichnen, indem ich verrate, dass es früher einmal so und so viele Seelen gehabt hat, jetzt aber nur noch aus Regierung, Armee, Munitionsarbeitern und Presse besteht. Das ist, denke ich, klar genug.

Die Presse – das war einmal der obligatorisch eingeführte heilige Geist, und außerdem der Kitt, der den Zusammenhalt der übrigen genannten Bestandteile möglich machte. Die Regierung ließ es sich, man muss das bei aller grundsätzlichen Abneigung gegen Regierungen einräumen, viel Mühe kosten, diesen Kitt in immer gleicher Normalgüte und klebriger Zähigkeit zu liefern. Von dem kriegsmäßig erweiterten Zentralpresseamt in der Hauptstadt rann unablässig der schwärzliche Stoff über das ganze Land, bis ins letzte Dorf, und verstopfte alle Poren eigenwilligen Widerstandes und selbständigen Trotzes. Darum war auch durch allgemeines Gesetz der Lesezwang eingeführt; wer nicht fließend lesen konnte, wurde hart bestraft. Welch Segen strömte aber auch aus solcher Bildung! Niemand bedurfte mehr der Mühe, zu denken oder zu fühlen. Man erfuhr jederzeit durch die Presse, was man denken oder zu fühlen vorgeben müsse. Was litt man früher unter der menschlichen Einrichtung, die man Gedächtnis nennt! Das war eine ewige Quälerei. Man erinnerte sich nicht nur an alte böse Erfahrungen, sondern schlimmer noch an frühere Überzeugungen. Immer hatte man das schlechte Gewissen, ob man sich nicht in Widerspruch mit sich selbst setzte. Jetzt war der Fluch des Gedächtnisses gänzlich von der Menschheit genommen. Niemand erinnerte sich mehr, was er gestern gesagt, versprochen, gewollt hatte. Nur die Zeugen vor Gericht wussten, unter dem befruchtenden Einfluss des Eides, immer noch genau, was sie vor 10 Jahren am 24. Februar 6.20 Minuten nachmittags vor dem Hause Langestraße 132 bei 15 1/2 Grad Kälte beobachtet hatten! Sonst erinnerte sich niemand an nichts. Das war der Erfolg der Presse. In der Zentrale wurden nur Leute zugelassen, denen das Gedächtnis auf operativem Wege entfernt worden war. Ihr geistiger Einfluss teilte sich dann durch alle Vermittler der Presse den Zeitungslesern mit.

Zugleich war mit der Überwindung des Gedächtnisses auch die alte lästige Frage der sogenannten Wahrheit zu aller Befriedigung aufs glücklichste gelöst. Was jeweils in der Presse stand, war die Wahrheit. Da jede Zeitung unmittelbar nach Gebrauch an das Kriegspapieramt zurückgeliefert werden musste, konnte man auch nicht etwa durch müßiges Aufbewahren und Zurückblättern den Gedächtnisverlust umgehen und an der Wahrheit von heute dadurch irre werden, dass man im gestrigen Blatt eine andere, eine entgegengesetzte Wahrheit las.

So war man, obwohl es schlimme Zeiten waren, im ganzen Lande einig und zufrieden. Man hatte die gleichen Gedanken, Wünsche, Arbeiten, Gefühle und Stimmungen. Besonders die Stimmungen waren prächtig organisiert. Die Presse verkündete: Begeisterung – man war begeistert. Die Presse forderte: Entrüstung – man war entrüstet. Die Presse mahnte zur Geduld – man war geduldig. Die Presse reizte zum Sturm auf – man war stürmisch. Die Presse verlangte, dass man irgend etwas restlos sein müsse – man war restlos.

In jenem Sommer herrschte eine schreckliche Trockenheit. Sie wurde durch die Presse restlos überwunden. Das kam so zustande: Zuerst marschierten sämtliche Professoren auf und berichteten von einer neuen wissenschaftlichen Entdeckung. Es sei ein Irrtum gewesen, lehrten sie, dass die Pflanzen zu ihrem Wachstum Feuchtigkeit bedürften. Im Gegenteil, das viele Wasser hätte die Nährstoffe nur verdünnt und zur Fäulnis empfänglich gemacht. Aber die Dürre – die lasse eine Ernte reifen, wie sie so großartig und bekömmlich seit Menschengedenken nicht erlebt worden wäre. Das lasen sie alle und freuten sich über die Fortschritte des menschlichen Geistes.

Als dann aber kaum noch ein lebender Halm auf den Feldern zu sehen war, traten die Militärs auf und brachten Trost: In vier Wochen, so teilten sie auf Grund ihrer fachmännischen geheimen Einsichten und streng vertraulichen Voraussichten mit, wird es regnen und alles wieder gut werden. Jeden Tag wiederholten sie: in vier Wochen. Darüber gingen drei Monate hin. Aber die Leute merkten es nicht. Und wenn sie am Morgen aufstanden und das Elend der lechzenden Saaten ihnen Furcht einflößen wollte, dann lasen sie im Blatt die autoritative Ankündigung: In vier Wochen regnet es. Die paar Wochen konnte man ja wohl noch warten!

Schließlich regnete es wirklich, nämlich gerade als das spärliche Korn geschnitten war. Und nun hörte es nicht auf. Die Frucht begann auf den Feldern zu faulen. Wiederum kamen die Professoren und unterwiesen das Volk: Wasser sei die Hauptsache. Der alte gefährliche Aberglaube, dass das Getreide trocknen müsse, sei längst in seinem Unsinn erkannt. Das Getreide müsse und solle faulen, das sei eine Vorbereitung und Erleichterung für die Verdauung und entlaste den früher grausam gequälten Magen. Wie aber der Regen nicht aufhören wollte und das Getreide schimmelte, da trat der Generalissimus auf den Plan und in einer Unterredung mit den Berichterstattern sämtlicher Blätter forderte er das Vertrauen des Volkes zur höchsten Leitung: Er werde sorgen, dass in acht Tagen der Regen aufhören werde, dafür verbürge er sich. Es regnete zwei Monate lang. Weil aber jeden Tag der Generalissimus seine Prophezeiung: ‚In acht Tagen!‘ wiederholte, kam man auch über diese Schwierigkeiten voller Hoffnung hinaus.

In ähnlicher Weise wurde man aller Schwierigkeiten Herr. Als es im kalten Winter keine Kohlen gab, feierte man den Nutzen des Frierens, das die Fäulniskeime im menschlichen Körper abtöte und so das Leben verlängere. Als Milchmangel eintrat, bewies man, dass Milch gesundheitsschädlich sei. Wenn trotzdem die kleinen Kinder massenhaft starben, so lag das eben daran, dass sie noch nicht lesen konnten, folglich nicht wussten, dass Milch ungesund und Milchmangel gesund sei …

Ich habe vergessen mitzuteilen, dass es eine höchst liberale und aufgeklärte Regierung war, die auf diese sinnreiche Weise die Menschen erzog. Selbstverständlich konnte nur eine liberale und aufgeklärte Regierung dermaßen mit rein geistiger Beeinflussung arbeiten. Aber (ich darf es nicht verschweigen) sie erlitt Schiffbruch mit dieser humanen Methode. Das Unheil kam von der Milch. Man hatte zu lange wiederholt, dass die Milch gesundheitsschädlich sei. Als die Kühe wieder genügend Milch hatten, kaufte sie niemand. Die Milchbauern wurden wild und stürzten die Regierung. Und die andern, die jetzt gezwungen werden sollten, nichts als Milch zu trinken, drohten mit Streik und Aufruhr.

Nun kam die Reaktion ans Ruder. Die erkannte, dass alles Unheil von der Presse gekommen sei. Die Überfütterung des sogenannten Geistes führe nur zu Unzufriedenheit, Nörgelei, Opposition, Revolution. Da außerdem die Männer der neuen Regierung unter dem vorigen Regime des Gedächtnis so sehr eingebüßt hatten, dass sie auch die Buchstaben vergessen und nicht mehr lesen konnten, unterdrückten sie mit einem Schlage die ganze Presse. Nun würde man in alle Ewigkeit Ruhe haben und über ein stilles, bescheidenes, arbeitswilliges und jedem Befehl untertäniges Volk regieren können.

Die Welt war über Nacht – restlos! – gewandelt. Es gab keine Zeitungen mehr. Man erfuhr nichts mehr, außer die regierenden Befehle, die nach alter Weise vom Boten ausgeklingelt wurden. Man wusste nicht mehr, was man denken, glauben, empfinden solle. Der Geist war ausgerottet. Es war eine Lust zu regieren. Die Austrocknung des heiligen Geistes, nannte den Zustand der Kriegsminister, ein witziger und energischer Mann.

Ja – niemand war sich bewusst, wie es kam – allmählich ging eine Änderung in den Seelen vor sich. Es regte sich etwas Neues, rührte sich, wuchs, quoll. Und auf einmal war es da – neu, stark, gewaltig: Das Gedächtnis, das längst verlorene Gedächtnis. Und anderes blühte auf: Die Menschen fingen plötzlich an zu denken, ganz gerade und einfach zu denken, vernünftig zu denken. Aus dem Innern rauschte etwas Unbekanntes, Herrliches empor: ein tiefes, glühendes, menschliches Fühlen. Es war als ob man sich selber wiedergefunden hätte, seitdem man nicht von außen mehr – durch den Preßgeist – dressiert worden war. Man war nicht mehr so einig untereinander, aber wundersam einig mit sich selbst. Aus dieser jungen Klarheit und Kraft wuchs dann eine andere große Einheit hervor, die Einheit der Erkenntnis, wie jämmerlich sie um ihr Leben betrogen waren – durch den geschändeten Geist.

Als die reaktionäre Regierung sah, was sie angerichtet, setzte sie hastig den alten Preßapparat der liberalen und aufgeklärten Regierung in Bewegung. Aber es war zu spät – das Leben ließ sich nicht mehr in Papier begraben …

Text nach: Eisner 2025a, S. 329-333 (Auszug).

 

 

16 ǀ Aus dem Gefängnistagebuch (Februar 1918)

 

„Die Menschen, die durch dreieinhalb Jahre [im Krieg] von einer verbrecherischen Presse schamlos angelogen worden sind, hören in meinen Reden zum erstenmal die Wahrheit; es ist ihnen alles neu, was ich ihnen sage und wie ich es ihnen sage. Ich mahnte die Versammelten [beim Antikriegs-Streik der Rüstungsarbeiter im Januar 1918], sich durch niemanden zu Taten verführen zu lassen, die sie selbst nicht wollten.“ […]

„Dies deutsche Pressegesindel weiß nicht einmal, wie verworfen und stupid es ist. Sie respektieren nur eines: den Verleger, der sie kündigen kann. Ich wäre verzweifelt, wenn die armselige Horde mich loben würde. Ich werde die Freiheit erleben!“

Text nach: Eisner 2025c, S. 163 und 165.

 

 

17 ǀ Die Kriegssprache (Taghefte 1914-1918)

 

Die Blutlyriker umhüllen noch immer den Krieg mit mystischem Glanz; sie schwelgen in ungeheuren Empfindungen und ersinnen große und rauschende Worte. Dagegen ist die technische Kriegssprache von einer harten Sachlichkeit, in der das wirkliche Wesen des Kriegs um so wahrhaftiger zum Ausdruck kommt, als dieser Stil ganz absichtslos entstanden ist, ohne dass man sich seines grauenhaften fletschenden Hohns auch nur bewusst wird.

Wir hören, dass die Stadt X „ausgiebig mit Bomben belegt“ sei. Jedes Wort ist hier wie vom Genius der Unmenschlichkeit selbst geformt. Ausgiebig … belegt! Man könnte gar keine anderen Wendungen finden, die so diesen entsetzlichen grinsenden Humor befriedigter Zerstörung bezeichnen.

Oder die Versenkung etlicher Schiffe wird durch den Satz mitgeteilt, dass die Unterseeboote „saubere Arbeit verrichtet hätten“. Die ganze Welt schaffender Arbeit versinkt in dieser parodistischen Anwendung des Begriffs ‚Arbeit‘ zur Kennzeichnung des Gegenteils aller menschlichen Arbeit.

„Franzosennester wurden vom Feinde gesäubert.“ Welche versteinernde Wahrhaftigkeit! Für den Krieg sind in der Tat Menschen nur eingenistetes Ungeziefer, von denen man die Erde säubert. – Die höchste Steigerung der Kriegssprache aber konnte man neulich in der triumphierenden Feststellung erleben: dass Serbien vom Feind gesäubert sei. Wer ist der Feind, von dem Serbien gesäubert worden? Die eigenen Bewohner, die eigenen Soldaten des Landes! Die Menschen werden in dem Augenblick, wo sie ihr Vaterland verteidigen, zum Feinde ihrer eigenen Erde. Und das ist die rechte Sprache des Krieges, der in der Tat nichts kennt, wie Gewalt, Hass, Vernichtung; und für den auch der Patriot vor der überlegenen Macht zum Ungeziefer des eigenen Grund und Bodens wird, den man säubert von den Menschen, die gestern noch auf ihm ackerten, ernteten und sich freuten …

Text nach: Eisner 2025a, S. 337-354 (Auszug).

 

 

18 ǀ Laute Gedanken (Taghefte 1914-1918)

 

Man hat in diesem Kriege alle Waffen angewendet, die der Dämon der Zerstörung ersinnen kann. Man hat jede völkerrechtliche Vereinbarung, jeden Vertrag, der die Kriegsführung irgendwie hinderte, verletzt. Nur eine Waffe hat bisher niemand anzuwenden gewagt: die Wahrheit. Vielleicht ist das gerade die einzige Waffe, die den Frieden erkämpft.

*

In einer zukünftigen Menschheit wird man es nicht mehr verstehen, dass Millionen Menschen sich gegenseitig morden, weil entschieden werden soll, wie die staatlichen Grenzen über die Erde laufen. Dann wird es für ebenso gleichgültig gehalten werden, zu welchem staatlichen Verband dies oder jenes Volk gehöre, um so wichtiger aber wird es sein, dass das Volk sich innerhalb seiner Grenzen eine wahre Heimat schaffe.

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Nachdem man in den Krieg geraten, sucht man begierig eine Ideologie des Kriegs, die das Furchtbare erträglich machen soll. Also fordert man Sicherung gegen zukünftige Kriege und die Freiheit der Meere. Sollte man nicht zuvor erst Sicherung gegen den gegenwärtigen Krieg und die Freiheit der Länder verlangen?

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Von einem Parteigenossen las ich jüngst einen Artikel, in dem nicht ohne Selbstbewusstsein festgestellt wurde, dass „wir Sozialisten“ gelernt haben, nicht politischen Spekulationen, Betrachtungen und Wünschen zu vertrauen, sondern der Macht der wirtschaftlichen Tatsachen und Entwicklungen. Danach scheinen „wir Sozialisten“ uns von den Kapitalisten zur Zeit nur noch dadurch zu unterscheiden, dass wir materialistischen Sozialisten die Macht der wirtschaftlichen Tatsachen erkennen, während die ideologischen Kapitalisten es vorziehen, die Macht der wirtschaftlichen Tatsachen nicht zu erkennen, aber sie anzuwenden, auszuüben, auszubeuten!

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Jedesmal, wenn die Gefahr bestand, dass ein weiterer Staat sich dem Krieg gegen Deutschland anschließen würde, las ich in deutschen sozialdemokratischen Blättern stürmische, fast revolutionäre Betrachtungen, in denen das italienische, rumänische, griechische Volk belehrt wurde, welches Verbrechen, welchen Selbstmord sie begehen würden, wenn sie sich in den Krieg hetzen würden. Es fiel mir auf, dass diese Friedens-Beschwörungen im Falle der Türkei und Bulgarien unterblieben!

*

Wir hören heute oft, dass die Sonderlinge, die dem Kriegswahn trotzen, verrückt seien. Abgesehen davon, dass es mir recht barbarisch erscheint, Menschen, die geisteskrank sind, ihr Leiden ins Gesicht zu schreien und sie obendrein noch wegen ihrer Erkrankung zu beschimpfen, in welchem fürchterlichen Wahnsinn ist zu dieser Zeit die gesunde Menschheit befangen, dass man toll sein muss, um zu wagen, auszusprechen, was man denkt; dass nur der sich einbildet, durch die Macht der Vernunft wirken zu können, der unheilbar verrückt ist.

Text nach: Eisner 2025a, S. 337-354 (Auszug).

 

 

19 ǀ Die Schwierigkeiten des Komparativs (Taghefte 1914-1918)

 

Der Zeitungsleser will täglich eine Entwicklung, eine Steigerung der Ereignisse, im günstigen oder ungünstigen Sinne. Die Erfüllung dieses Verlangens ist schon deshalb schwierig, wenn nicht unmöglich, weil die Zeitungsleser aller am Kriege beteiligten Völker die gleiche Steigerung ersehnen, zugunsten der eignen, zuungunsten der feindlichen Macht. Zudem ist es die Art des modernen Krieges, dass er nicht die dramatisch raschen Steigerungen kennt, die von der ungeduldigen Phantasie begehrt werden. Da die Ereignisse selbst solcher Neigung sich sträuben, begibt sich die Presse in die üppig fruchtbaren Gelände der – „Stimmungen“, auf denen man täglich aufs neue mähen und säen kann. Aber auch die Steigerung der Stimmungen erweist sich als äußerst heikel, und nur durchführbar, wenn man voraussetzt, dass das Gedächtnis des Zeitungslesers keinesfalls die Grenze von sechs Stunden überschreitet, dass man bei der Lektüre des Abendblatts bereits alles vergessen hat, was man im Morgenblatt gelesen.

Der Anfang nämlich ist allemal der dröhnende Superlativ, das Höchstmaß erreichbarer Kraftentfaltung. Will man da auf den im ersten Sturm genommenen Gipfel immer neue Erhöhungen türmen, den Superlativ des Anfangs durch nachfolgende Komparative steigern?

Als der Krieg ausbrach, konnte man in Petersburg, Berlin, London und Paris gleichermaßen lesen, das – feindliche – Volk zöge so widerwillig und verzweifelt in den Krieg, dass es gegen die Regierung revolutioniere. Vierzehn Tage später erfuhr man, wiederum gleichermaßen in Petersburg, Berlin, London und Paris, dass die anfänglich so begeisterte Stimmung (beim Feinde!) nachzulassen beginne; um nach ferneren zwei Wochen abermals zu erfahren, dass die noch vor vierzehn Tagen überschwengliche Jubelstimmung Anzeichen des Niedergangs verrate. Seitdem lässt nun in demselben Grade die Stimmung immer mehr oder auch immer weniger nach. Um dieser fortgesetzten Minderung der Begeisterung fähig zu sein, muss also die Stimmung zu Beginn nicht hoffnungslos verzweifelt gewesen sein, sondern über alle Maßen berauscht.

Ähnlich wird die Stimmung im Verlaufe einer der mehrwöchigen Riesenschlachten positiv oder negativ gesteigert. Beim Beginn der Schlacht wird die Stimmung des Gegners dahin gekennzeichnet, dass er ohne jede Erwartung, wie ein im Voraus zum Tode Verurteilter, müde und widerwillig hineingetrieben werde. Acht Tage später hören wir von einem Nachlassen der anfänglichen Siegeszuversicht, und nach vierzehn wird gemeldet, dass man nach dem prahlerischen Siegesgeschrei anfange, etwas kleinlaut zu werden.

Diesen Komparativen, die nicht mehr wissen, was ihr Positiv ist und dem vergessenen Superlativ folgen, verdanken gewisse kleinere Völker den Vorteil, dass sie immer wieder geschlagen werden können, obwohl sie längst durch Feind, Seuche und Demoralisation bis auf den letzten Mann ausgerottet sind. Wir lassen etwa folgende Entwicklungsreihe auf uns wirken:

Erstens: Die feindliche Armee ist mit Hinterlassung von vielen Tausenden von Toten, Verwundeten und Gefangenen in wilder Flucht aufgelöst; sie ist nicht mehr kampffähig; sie hat drei Viertel ihres Bestandes verloren, der Rest hat die Waffen weggeworfen. Zweitens (drei Wochen später): Die feindliche Armee rückte mit starken Kräften vor; sie wurde mit schweren Verlusten – die fast die Hälfte der ursprünglichen Armee ausmachen – zurückgeworfen. Drittens (zwei Monate später): Die feindliche Armee ist über die Grenze vorgedrungen, wir gingen, um eine günstigere Stellung zu gewinnen, unbemerkt und ungestört vom Feinde langsam und in voller Ordnung zurück; im feindlichen Heere wütet die Cholera. – So wird im Laufe des Krieges solch ein merkwürdig zähes Volk allmählich zu gut fünfzehn oder zwanzig Vierteln ausgetilgt und – marschiert trotzdem immer noch vorwärts …

Sollte der Zeitungsleser nicht schließlich doch anfangen, weniger Stimmungen und mehr Tatsachen, weniger Superlative und Komparative und dafür lieber ganz bescheidene schlichte Positivformen des Geschehens zu verlangen? (Antwort 1918 auf die Frage von 1915: Der Komparativ wütet unermüdlich!)

Text nach: Eisner 2025a, S. 337-354 (Auszug).

 

 

20 ǀ Märzstürme 1918 (Taghefte)

 

Die erhabene Begeisterungssprache vom August 1914 ist wieder erstanden. Wie damals Wilhelm II. der Welt verkündete: „Nun wollen wir sie dreschen!“ und sein ältester Sohn ermunternd wiederholte: „Immer feste druff,“ so äußert sich jetzt in der gleichen Sprache Hindenburg: „Die Geschichte da drüben ist ins Rutschen geraten,“ worauf der Kriegsberichterstatter des Berliner Lokalanzeigers ins Rutschen geriet und stammelte: „Und Hindenburg sagte, als ich mich in der Abendstunde von ihm verabschieden durfte, indem er mir die Hand reichte, in seiner wunderbaren, überwältigenden Schlichtheit der Rede: ‚Die Geschichte da drüben‘“ usw. In dieser selben wunderbaren, überwältigenden Schlichtheit der Rede erzählte mir im Dezember 1917 (im Eisenbahnwagen) ein Soldat, wie sie die englischen Gefangenen truppweise abführten (besonders die Kanadier, die so unverschämt seien, sich noch zu wehren, wenn man schon bei ihnen wäre) und dann Handgranaten unter sie würfen: „So kriegen wir das Zeug’s weg.“ (Derselbe Soldat hatte auch das weiche deutsche Gemüt; denn vorher hatte er tränenden Auges berichtet, wie er in Gotha die Sachen eines gefallenen Offiziers dessen Mutter übergeben und dabei so erschüttert gewesen sei, dass er sofort wieder weggelaufen sei, weil er den Schmerz der Frau nicht aushalten konnte.)

Auch die Kanonenhymnen leben wieder auf: teils mit Verzückung, teils mit neckischem Humor, wie bei den 42 cm-Geschützen, die die Jungfer Lüttich seiner Zeit entjungferten (wie die Dichter damals kriegserotisch anschaulich sangen). Heute weidet man sich an der witzigen Überraschung, dass aus märchenhafter Ferne plötzlich ungezählte Granaten auf Paris hageln, spottet über die phantastischen Erklärungen der Pariser Zeitungen und jauchzt über den Triumph deutscher Wissenschaft und Technik. Auffällig aber und undankbar ist, dass man das wesentliche Mittel der deutschen Offensiverfolge nicht als die letzte höchste Eingebung germanischen Erfindergeistes und deutscher Kultur feiert: das Giftgas! Das Giftgas entscheidet die Weltgeschichte! Da man gleichzeitig mit gesteigerter Inbrunst und Häufigkeit sich in den offiziellen Kundgebungen auf den besonderen gnädigen Beistand Gottes beruft, ist nunmehr das Wesen dieses Gottes der deutschen Fürsten und Generäle endgültig festgestellt: Sie sagen Gott und vergiften die Luft. Gott ist ein Giftgas! … Gibt es nicht außerhalb dieser Erde irgendwo ein Zuchthaus, in das man mich von dieser großen Zeit abschließen kann

Die „Deutsche Tageszeitung“ schrieb am 25. März: „Und hätte man vor wenigen Wochen behauptet, wir Deutsche hätten Geschütze, die 120 Kilometer Schussweite besitzen, so dass wir von unserer bisherigen Front bis nach Paris hinein langen können, man wäre zum mindesten als Phantast angesehen worden. – Wieder ist die ganze Welt durch die nun zur Tatsache gewordenen Beschießung der Festung Paris vor ein Wunderwerk deutschen Erfindergeistes, deutscher Technik und Schaffenskraft gestellt worden; und muss sich staunend fragen: Was kann und muss ein solches Volk, das solche Taten und solche Wunderwerke aus eigener Kraft hervorbringt, im Frieden einst leisten?“

Was mag man dann wohl aus 120 km Entfernung beschießen? Was mag einer, der die kühnsten, technisch glänzendsten Einbrüche verübt (aus eigener Kraft!), erst leisten, wenn er – nicht einbricht! Es ist die gleiche Frage. Übrigens hat der Dreißigjährige Krieg die Antwort gegeben.

Text nach: Eisner 2025a, S. 337-354 (Auszug).

 

 

21 ǀ Die völkerrechtswidrige leichte Verwundung (Kleine Kriegsmärchen 1918)

 

Der Generalstabsarzt, eine wissenschaftliche Autorität, begutachtete: Alle unsere Verwundungen sind sehr leicht, wir werden 99 % heilen.

Da verbreitete sich das Gerücht, wie human der Feind sei, dass er so unschädliche Geschosse verwende.

Das Gerücht kam dem Hauptquartier zu Ohren. Alsbald begutachtete der Generalstabsarzt, dass der Feind Geschosse benutze, die scheußliche Zerreißungen im Körper hervorrufen, die aller Heilkunst spotteten. Und im Namen des Völkerrechts wurde gegen das niederträchtige Verfahren des vertierten Feindes vor Gott und den Menschen Verwahrung eingelegt.

Als dieser Protest bekannt wurde, stiegen im Volke Dankgebete für den Feind auf und alle segneten ihn.

Im Hauptquartier war man ratlos. Man rief einen Feldwebel, der den besonderen Auftrag hatte, die Stimmung in den Massen zu beobachten. Ob er sich das Rätsel erklären könne. Selbstredend, sagte der Feldwebel; vor nichts haben die Leute so sehr Angst, als vor der leichten Heilung, weil sie dann gleich wieder hinausgeschickt werden.

Bei der nächsten Gelegenheit las man im Tagesbericht: Die Verwundungen, die der barbarische Feind völkerrechtswidrig den Unseren zufügte, waren ausnahmslos so leicht, dass 99 Prozent unter Verlust der Kriegsverwendungsfähigkeit rasch geheilt werden.

Text nach: Eisner 2025a, S. 358-371 (Kleine Märchen: Auszug).

 

 

22 ǀ Der Fernschreiber (Dramatischer Einakter 1918)

 

[Schauplatz des Bühnenstücks ist ein Zeitungshaus in der Hauptstadt;

Zeit: Vor dem nahen Kriegsende.]

Medienkritische Voten des Depeschen-Redakteurs Hans Bertram:

„Gott sei Dank! […] ich bin nur bei der Presse, nicht in der Presse. Ich bin nur für das Technische des Betriebs da. Ein anständiger Mensch kann bei der Presse überhaupt nur einen Posten bekleiden, bei dem er keine Meinung zu äußern braucht: Stenographie, Buchführung, Schreibmaschine, Telefon …“

„Ihr [Zeitungsmacher] seid eine größere Plage für die Menschheit geworden als Krieg und Pestilenz zusammengenommen. Ich wiederhole: Nur in den Ländern können die Menschen noch richtig denken und fühlen und handeln, wo es mindestens 90 Prozent Analphabeten gibt.“

„Ich achte nur Leute, die offen und ehrlich gegen ihre Überzeugung schreiben. Aber denen bin ich noch nicht begegnet. Alle sind immer davon überzeugt, was sie jeweils schreiben – müssen. Sie sind also doppelte Lügner. Sie lügen die andern und sich selber an!“

„Wollen Sie wirklich behaupten, dass es einem Journalisten mit der Überzeugung, die er drucken lässt, ernst ist: Parteien, Richtungen, Grundsätze, Programme – und wonach sich sonst die Presse scheidet – alle Journalisten in Deutschland sind im Grunde einig, sie wollen alle dasselbe – sie haben alle das nationale Interesse – ihre Stellung zu behaupten und zu verbessern. Alle haben sie nur eine nationale Sorge: ihre Posten zu verlieren. Je älter sie werden, desto größer wird ihre Angst. Das Grauenhafteste, was ich mir vorstellen kann, ein alter Journalist zu werden.“

„… Sie haben es heut morgen in der Pressekonferenz durch den Vertreter des Auswärtigen Amts gehört, wovon Sie – überzeugt sind, wenn Sie es ins Blatt schreiben.“

„Sie knirschen mit einem falschen Gebiss. Ich werfe Ihnen auch nicht vor, was man Sie zwang zu unterdrücken, sondern was Ihr geschrieben habt – diese ganze Kriegsreklame, diesen Generalskultus. Ich würde, wenn ich die Macht dazu hätte, verfügen, dass in der Volksschule Strategie gelehrt wird. Kein Götzendienst […] ist so grotesk als der von Euch täglich verbreitete Glaube, dass ein oder zwei Menschen Hunderte von Kilometern hinter der Front ihr undurchdringlich geheimnisvolles Wesen einer gewaltigen Vorsehung treiben und dass den andern sterblichen Menschen nichts weiter übrig bleibt, wie zu sterben, zu hungern und diesen Göttlichen, diesen Wundertätern mit unbedingtem Vertrauen blind und ahnungslos zu glauben, dass sie alles zum Besten fügen. Niemand sagt den Gläubigen, dass das ganze Wunder darin besteht, dass man ihnen die Macht lässt, über Leben und Leib von Millionen zu verfügen, und dass sie deshalb täglich das ‚Material‘ haben, zu probieren, ob ihnen eines oder das andere der paar höchst einfachen strategischen Kunstgriffe glückt. Hat je das grausamste Pfaffentum finsterster Zeiten einen ähnlichen aberwitzigen Kultus der Dummheit und Unterwerfung getrieben als die Presse. Das verlangt nur, dass man langsam Kadaver gehorche. Die heutigen begnügen sich nicht mit dem Schein des Leichnams. Fünf Jahre verbreitet die Presse unausgesetzt diese künstlichen Nebel – niemals ein Wort der Wahrheit, ein Aufschrei der Vernunft, der Menschenwürde.“

„Natürlich … Ich vergaß … Der Fernschreiber … Wenn morgen die neue Sonne aus dem Meere aufsteigen wird, auf die wir Ausgeschlossenen, wir Unzüchtigen, all unser Leben geharrt, wenn wir uns feierlich und demütig dem Geburtsfest der gewandelten Menschheit nahen, dann werden wir euch Flinken, euch Immer-auf-dem-Laufenden, euch unentrinnbar Aktuellen begegnen, die ihr schon vor uns den jungen Morgen besitzt und druckfertig beschmiert habt. Und ihr werdet uns auch den neuesten Witz über das Begebnis entgegenbringen. […] Ihr seid immer vor uns da und wenn wir uns andächtig über die junge Blüte neigen, habt Ihr die Blätter schon überschleimt – Ihr Blattläuse.“

„Ich will etwas für meine Wut haben, die ich angesammelt habe. […] Dass die Flieger während all der [Kriegs-]Jahre niemals hierhergekommen sind und auf dieses [Zeitungs-]Haus zehn Tonnen Zyankali-Bomben geworfen haben. Das verzeihe ich unseren Feinden niemals. Sie sind wie ich, zu nichts Rechtem zu gebrauchen.“

Text nach: Eisner 2025a, S. 372-398 (hier nur kurze Auszüge).

 

 

23 ǀ Aus dem Regierungsprogramm: An das bayerische Volk (15.11.1918)

 

„Die revolutionäre Regierung des Volksstaates Bayern buhlt nicht um die Gunst des Volkes. Sie unterstellt sich der freiesten Kritik.

Sie will nur nach ihren Handlungen beurteilt sein. Schon beginnt nach der ersten Überraschung ein Teil der Presse, die mehr Schuld an der Katastrophe Deutschlands hat als irgendeine andere Institution, zu beweisen, dass sie von dem Geiste der jungen Zeit noch unberührt ist. Wir werden auch diesem Treiben, diesem läppischen Unsinn, die uneingeschränkte Freiheit gewähren, in dem ruhigen und festen, verachtenden Gefühl von Männern, die sich klar darüber sind, dass sie vor der Geschichte ihre Handlungen zu verantworten haben und verantworten können. Wir beabsichtigen nicht, die Presse unmittelbar oder mittelbar geheim zu beeinflussen. Wir werden kein Regierungsblatt haben. Was wir der Öffentlichkeit mitzuteilen haben, wird mit deutlicher Kennzeichnung der Herkunft veröffentlicht werden. Aber auch auf diesem Gebiete haben wir die Zuversicht, dass sich eine innere Reinigung und Erneuerung des Pressewesens vollziehen wird und damit die Presse ihrem heiligen Berufe wiedergegeben wird, dem sie sich so schmählich entfremdet hat. Dann erst wird sie das Vertrauen des Volkes gewinnen und ein Werkzeug schöpferischer Arbeit werden.“ (Kurt Eisner)

Text nach: Eisner 2025b, S. 252-253.

 

 

24 ǀ Zur Kenntnisnahme: „Die Presse soll soviel Dummes produzieren, wie es ihrem geistigen Vermögen entspricht …“

(Erklärung – München 26.11.1918)

 

„Man bemüht sich von allen Seiten mich aufmerksam zu machen auf die albernen Artikel, die eine gewisse Presse gegen meine Person richtet. Ich erfahre daraus allerlei interessante Bereicherungen meiner Biographie. Man erweist mir darin auch die Ehre, mich mit einem Familien- und Erwerbssinn zu begaben, der mir nur in geringstem Maße bisher beschieden war. Schon habe ich meinen gesamten Familienanhang in gut bezahlten Stellungen untergebracht. – Besorgte Leute verlangen von mir, dass ich gegen solche Äußerungen, die doch nur eine Fäulniserscheinung des zusammengebrochenen Systems sind, einschreite. Ich wiederhole, dass die Presse in voller Freiheit so viel Dummes und Kluges, soviel Anständiges und Schmutziges produzieren soll, wie es ihrem geistigen und moralischen Vermögen entspricht. Ich habe in den viereinhalb Kriegsjahren so viel Verachtung gegen diese Presse aufgehäuft, dass sie genügt, um mich für den Rest meines Lebens gegen jede Neigung zu festigen, auch nur polemisch mich mit ihr zu befassen.

Ministerpräsident des Volksstaates Bayern: Kurt Eisner.

Text nach: Eisner 2025b, S. 264.

 

 

25 ǀ „… dass man dieses Pressegetriebe nur gewissenlos, verbrecherisch nennen kann“

(Vor dem Münchner Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat, 28.11.1918)

 

„[…] Ich werde von besorgten Leuten von allen Seiten bedrängt, dass ich mich doch irgendwie mit der Presse auseinandersetzen möchte. Ich lege keinen Wert darauf. […] Ob ich Salomon Kuschinski geheißen habe oder sonstwie, die Herren können ja meine Polizeiakten einfordern, wenn sie sich interessieren, oder ob ich im Salonwagen des Kaisers oder Königs mit meiner Tochter nach Berlin gefahren bin, soll ich darüber eine Polemik anfangen? […] Also, auf diese Art von Preßäußerungen gehe ich nicht ein. Etwas anderes sind die politischen Kundgebungen, die wir jetzt in der Presse erleben. Wer ein alter, hart gesottener Journalist ist wie ich, der kennt das Getriebe und der lacht darüber. Wenn drei gestürzte Abgeordnete durchaus wieder ein Mandat haben wollen, dann schreien sie wie 3000 und das ist der Schrei nach der Nationalversammlung. (Sehr gut!) Die Dinge liegen in Deutschland so ernst, ich möchte beinahe sagen, so verzweifelt, dass man dieses Preßgetriebe nur gewissenlos, verbrecherisch nennen kann. (Sehr richtig!) Denn es muss im Ausland aus diesen Preßmeinungen die Meinung entstehen, als ob wir hier uns auf eine blutrünstige Säbeldiktatur stützten und die großen Massen der Bevölkerung nur darauf warten, uns wieder zu stürzen. (Sehr richtig!) Und Sie können sich wohl vorstellen, welchen Eindruck das draußen bei der Entente machen muss, die Frieden mit uns schließen soll, wenn sie die Überzeugung gewinnt, dass bei uns alles noch in Unordnung und Unruhe ist, dass das gegenwärtige System fallen wird. Die Herren von der Presse, die viereinhalb Jahre lang das deutsche Volk angelogen haben (Sehr richtig!), haben nach einer kurzen Pause sich zu ihrem alten Berufe wieder gefunden und lügen weiter. (Beifall und Händeklatschen!) […]

Man hat ja gegenwärtig vor allem Angst, man fürchtet sich, nachdem man viereinhalb Jahre so ungeheuren Mut aufgebracht hat und wir von einem Monat zum andern Monat, von einem Jahre zum andern Jahre vertröstet wurden mit der kühnen Heldenformel „wir schaffen’s“ – obwohl die Welt gegen uns stand, „wir schaffen’s“ – und jetzt auf einmal wird das Gegenteil gepredigt, jetzt sollen wir es nicht mehr schaffen können; jetzt, wo die neue Zeit anhebt und das Volk in Freiheit zu arbeiten beginnt, jetzt kommen die Furchtmeier, die Angstbläser und machen aus dem deutschen Volk eine Horde von Feiglingen, die sich vor links fürchtet, vor rechts fürchtet, vor oben fürchtet und vor unten fürchtet. Meine Herren! Fürchten wir uns vor gar nichts außer vor unserer eigenen Angst! […]

Nun, Sie haben in den letzten Tagen allerlei Kundgebungen, die mit meinem Namen gezeichnet sind, gelesen. Ich kann heute mit einer gewissen Genugtuung die Tatsache verzeichnen, dass ich mich gegenwärtig der allergrößten Unbeliebtheit in der öffentlichen Meinung erfreue. Ein paar Tage lang war ich sehr beunruhigt, wir hatten eine so ausgezeichnete Presse für uns (Heiterkeit!); auf einmal geht es von allen Seiten wieder los, und nun bin ich ganz sicher, dass wir auf dem richtigen Wege sind (Beifall und Händeklatschen!). […]

Meine Herren! Was bedeutet das alles! Die Ratten sind wieder aus ihren Löchern gekrochen (Sehr richtig!), und nachdem sie kurze Zeit versucht haben, sich anzupassen, und sich durch sanfte und süße Redensarten mit den neuen Verhältnissen abzufinden, so fangen sie jetzt, nachdem sie erkannt haben, dass wir nicht so unglaublich dumm sind, um dieses Spiel nicht zu durchschauen, wieder an zu schimpfen, von allen Seiten, und zu höhnen. Wodurch ist diese Umwandlung veranlasst? […]“ [Kontext: Eisners Friedenspolitik gegenüber dem Ausland und seine Beiträge zur Aufklärung über die deutsche Kriegsschuld; pb]

„Was im Auswärtigen Amte sitzt, ob es nun alldeutsch ist oder ob es seit mehr oder minder kurzer oder langer Zeit für den Verständigungsfrieden gewirkt hat, das ist ganz gleich, diese Herren sind Vertreter des alten Systems (Sehr richtig!), und in ihren Händen ist noch der gesamte Apparat der öffentlichen Meinung, der Presse des In- und Auslandes. Der funktioniert noch genau so wie während des Krieges. (Sehr richtig!) Überall sitzen die Agenten, in Bern, im Haag, in Kopenhagen, in allen Zeitungen Deutschlands und des neutralen Auslandes und versuchen ihre Unentbehrlichkeit zu beweisen, alles durcheinander zu bringen, vor allem, um sich selber zu retten. Sie finden jetzt die Presse angefüllt von Mitteilungen über die Absichten der Entente. Bald marschiert die Entente in Berlin ein, bald in München, bald verwüsten schwarze Horden die Pfalz […] Und weil sie von ihrem Platze nicht weg wollen. (Aha!) Vielleicht nicht weg können (Hört! Hört!), weil sie das fürchten, was kommt, wenn sie nicht mehr auf dem Presseapparat spielen und man hinter ihre Geheimnisse kommt. Darum wird jetzt die deutsche Öffentlichkeit in diese Unruhe gestürzt. (Sehr richtig!) Darum werden auch die Völker der Entente gegen uns jeden Tag aufgehetzt. (Sehr richtig!) Das Spiel, das gegenwärtig im November 1918 getrieben wird, ist nicht minder ruchlos, als das Spiel, das im Juli und August 1914 getrieben wurde. (Sehr richtig! Bravo! Lebhafter Beifall!)“.

Text nach: Eisner 2025b, S. 265, 267, 269 und 271.

 

 

26 ǀ „Dieser Presse-Alkoholismus benebelt die Leute“

(Vor den bayerischen Soldatenräten, 30.11.1918)

 

„Wenn das deutsche Volk eine Demokratie gewesen wäre […], dann wäre der Krieg nicht über den September 1914 hinaus verlängert worden. Aber, meine Herren, man kann nicht über Nacht den politischen Sinn des Volkes aus dem Nichts hervorrufen, und so sehen wir denn heute, dass die bürgerliche verbrecherische Presse die Schuld hat an dem Kriege und der Verlängerung des Krieges, und dass auch heute noch in demselben Geiste der Verhetzung und des Verderbens gearbeitet wird. (Sehr richtig!) Meine Herren! Hinter dieser Schandpresse steht nichts als der Wahnsinn der Gestürzten und das schlechte Gewissen der Schuldigen. (Sehr gut!) […]

Ich bewundere den Mut der Presse, den Mut ihrer Nichtsnutzigkeit. Meine Herren! Sie hätten keinen Journalisten als Ministerpräsidenten hereinsetzen sollen, der kennt den Schwindel (Bravo!) und weiß, wer dahinter steht und was bezweckt wird. (Zuruf!) Nein, das schlechte Gewissen der Schuldigen steckt dahinter. (Sehr richtig!) Diejenigen, die in der Revolutionsnacht und am Revolutionsabend mit uns Arm in Arm marschiert sind, die fürchten sich jetzt vor mir, weil ich dieses Verbrechernest in Berlin ausräuchern will, und von diesem Verbrecherneste gehen diese ganzen Treibereien aus. (Hört!) Ich bewundere den Mut der Presse, dass sie es heute noch wagt, jenes elende Geschäft fortzusetzen, das sie viereinhalb Jahre getrieben hat, aber ich bewundere noch mehr die Massen, das Publikum, das nun doch bis in das letzte Dorf hinein weiß, dass es viereinhalb Jahre von derselben Presse angeführt wurde und heute wieder gläubig auf dieselbe Schandwirtschaft hineinfällt, die sie bisher viereinhalb Jahre getragen hat. (Sehr richtig!) Ich weiß wohl, was ich zu erwarten habe, wenn ich gegen diese Pest von Presse losgehe. Ich habe keinen Pardon zu erwarten, denn dieses Gesindel wehrt sich seiner eigenen Haut. Ich bin schon im September 1914 in Berlin gewesen, ich habe an den Pressekonferenzen teilgenommen und weiß, wie die öffentliche Meinung gemacht wird. Dort sitzen die Herrschaften zusammen und irgend ein Vertreter des Auswärtigen Amtes – so war es im Kriege – oder des Generalstabes sagt den Herren Journalisten, meine Herren, ich denke, wir werden morgen oder heute folgendes schreiben, und dann wird in der gesamten deutschen Presse dasselbe geschrieben. (Hört! Hört!) Das ist die öffentliche Meinung. So wird öffentliche Meinung gemacht, und so lange ich hier stehe, bekämpfe ich diese Gesellschaften. (Lebhafter Beifall!) Die Presse kann in einer gewissen Hinsicht froh sein, dass ich durch die gegenwärtig aufreibende Tätigkeit verhindert bin, das große Buch fertig zu stellen über die Schandtaten der Presse, das ich im Gefängnis zur Vollendung bringen wollte, aber nicht konnte, weil man mich vorzeitig entlassen hat. (Heiterkeit!) Heute habe ich keine Zeit dazu. Heute halte ich meinen Kopf hin gegen die Presse. Trotzdem bin ich ein Mensch, der nach Grundsätzen handelt. Ich will die Freiheit der Presse nicht antasten. Mögen sie auf mich schimpfen, soviel sie wollen, das rührt mich nicht. Mein ganzes Leben liegt offen vor aller Welt. (Sehr richtig!) Ich habe nichts zu verbergen und nichts zu verheimlichen und ich rühme mich nicht einmal der Wunden, die ich im Kampfe um die Freiheit und die Erlösung der Massen davongetragen habe. […] Wir wurden [am 1. Februar 1918] in den Kerker eingesperrt, damals standen uns 6, 8, 10 Jahre Zuchthaus bevor, das heißt der geistige Tod. Als wir dann aus dem Gefängnis herauskamen, wir alle, die wir eingesperrt waren, was haben wir getan? Wir haben am selben Tage den Kampf dort aufgenommen, wo wir ihn verlassen mussten, weil wir von einer Gesellschaft gewaltsam gehindert wurden, von Leuten, von denen man heute nicht weiß, in welchem Schlupfwinkel sie sich geflüchtet haben. (Zuruf: Sehr richtig!) Meine Herren! Ich werde nachher Ihnen die politische Lage darstellen, wie sie sich in Wahrheit darbietet. Ich bitte Sie nur um Eins, glauben Sie der Presse kein einziges Wort! (Zurufe: Bravo!) Nicht ein einziges! […]

Ich lese seit 3 Wochen keine Blätter mehr. Sie werden mir ab und zu gezeigt. Ich habe keine Zeit dazu. Dieser Preßalkoholismus, der benebelt nur die Leute, die unglücklichen Menschen, die diese Presse lesen und ich bin in der glücklichen Lage, keine Zeitung zu halten; aber, wenn ich recht unterrichtet bin, soll dieser einstimmige Beschluss des Ministerrates in keinem Blatte mitgeteilt worden sein. […]

Im Auswärtigen Amte sitzen eben noch alle alten Herren des alten Regimes. (Zuruf: Und in München!) Sie haben die Verbindung mit der gesamten Presse in Deutschland und im neutralen Auslande. Die Pressekonferenzen, jene Herde der Korruption und der Verblödung Deutschlands, blühen noch munter weiter. (Hört! Hört!) Dort wird noch öffentliche Meinung gemacht. […]

Das Auswärtige Amt in Berlin unterhält noch die Beziehungen zu seinen Agenten im Haag, in der Schweiz, in Kopenhagen. Von dort aus werden noch die Fäden der deutschen Presse gesponnen. Sie, die keine Berufspolitiker sind, wissen, dass immer eine der grauenhaftesten Erscheinungen in der Bearbeitung der öffentlichen Meinung schon vor dem Kriege in Deutschland war, dass in der auswärtigen Politik überhaupt keine Selbständigkeit der Presse existierte, sondern dass die gesamte Presse das schrieb, was von Berlin aus diktiert wurde. Nur so wurde die Überraschung vom 1. und 4. August möglich. […]

Die Herren [im Auswärtigen Amt] haben sich die ganze Zeit den Diktaten des größenwahnsinnigen Militarismus gefügt. Auf diesen Herren lastet die Blutschuld der ganzen Jahre (Sehr richtig!), gleichgültig, ob es sich um Annexionisten handelt oder um sogenannte Verständigungspolitiker, denn sie saßen alle auf demselben Boden. […]

Wenn einmal das gesamte Aktenmaterial veröffentlicht wird, und die Publikationen im neutralen Ausland erschienen sind, dann glaube ich, überlebt diesen Tag keiner. Dann werden alle Journalisten, alle Professoren und alle Agenten von Krupp-Bohlen, der für diese Aussaat der Lüge Millionen ausgegeben hat, zur Verantwortung gezogen werden. (Lebhafter Beifall!) Ich nehme es keinem übel, der viereinhalb Jahre hindurch die Kölner Volkszeitung, die Münchner Neuesten Nachrichten, die Münchner Zeitung oder selbst das Berliner Tagblatt gelesen hat, wenn ihm wirr im Kopfe ist. (Sehr richtig!) Aber die Tatsache steht fest, dass unter der Zensur meine Schriften – sie werden demnächst im Buchhandel erscheinen –, die ich während des Krieges geschrieben habe, seit dem Herbst 1914 nicht erscheinen konnten. […]

Sie wissen nichts vom Presseleben! Wissen Sie, wie die öffentliche Meinung draußen zustande kommt? Das kann ich Ihnen sagen, auch vor dem Kriege. Wenn ein Reichskanzler im Reichstag eine Rede hält, so wird aus Berlin von dem Vertreter des Reichskanzleramts nach Wien mitgeteilt, was Wien denkt über diese Reichskanzlerrede, und dann wird aus Wien das wieder zurückgemeldet nach Berlin als Stimmung des Auslands. (Zurufe: Hört!) So war es schon vor dem Kriege, und Sie können sich denken, wie es während des Krieges war. […]

Und wenn nun die Presse … solche Schwindelnachrichten [über die Friedensbemühungen] verbreitet, solche Hetzereien gegen die Entente verbreitet, so geschieht das nur zu dem Zwecke, damit die öffentliche Meinung von den Schuldigen in Deutschland abgeleitet, scharf gemacht wird auf den Feind. […]

Der Militarismus, der seine kräftigste Wurzel in Preußen-Deutschland hatte, ist zusammengebrochen. Die Millionen, die er gekostet hat, an Toten, Krüppeln und Kranken, die sind der Abgrund, in den der Militarismus auf alle Zeiten versinkt. (Zuruf: Hoffentlich!) Hoffentlich? Nein, das weiß ich.“

Text nach: Eisner 2025b, S. 279-283, 293-295, 297-298 und 302.

 

 

27 ǀ „Man liebt mich nicht in der Welt der Druckerpresse

(Vor den Unabhängigen Sozialdemokraten, 12.12.1918)

 

„[…] Parteigenossen, wir wollen auf nichts stolz sein, aber der Titel eines ehrlosen Landesverräters vom Januar 1918 [wegen der federführenden Beteiligung am Antikriegs-Streik der Münchener Munitionsarbeiter] ist viel ruhmreicher als der Titel eines Ministerpräsidenten vom November 1918. (Beifall! Heiterkeit!) Parteigenossen, alle großen Bewegungen sind von kleinen Häuflein Menschen ausgegangen. Wir waren nur wenige im Januar und wir waren nicht viel mehr im November; denn inzwischen hatte man die Kämpfer vom Januar an die Front geschickt. Mancher war auch schwachmütig geworden, und von Mund zu Mund wurde das Gerücht verbreitet: Da sieht man’s wieder, was der Eisner und die anderen Leute anstellen, welche Phantasten sie sind, da sieht man’s, was er mit dem Streik angerichtet hat, da sieht man’s, alles verlorene und unnütze Opfer: man muss hübsch klug und gescheit sein, dann macht man solche Dummheiten nicht.

So ähnlich lese ich es auch heute in den Zeitungen, wenn sie mir einmal vorgelegt werden. Wir sind die Phantasten, die Ideologen, die Dichter, – und die anderen, das sind die klugen Rechner … Meine Herren, wir Ideologen, wir Phantasten, wir haben uns viereinhalb Jahre lang nicht geirrt und die anderen, die nüchtern die Tatsachen beurteilen, die bekennen heute, dass sie sich viereinhalb Jahre lang getäuscht haben. (Beifall!) Und nun frage ich Sie, Parteigenossen, wer ist Ihnen lieber, derjenige, der sich nicht geirrt hat, der im Januar den revolutionären Streik gemacht hat, oder diejenigen, die gesagt haben, das sind Dichter, das sind Phantasten, das sind Ideologen. Parteigenossen, ich glaube, es gibt nur eine Realpolitik in der Welt und das ist die Realpolitik des Idealismus! (Bravo! Beifall!) Nur diejenigen, die an die Macht der Wahrheit glauben, nur diejenigen, die den Idealen der Menschheit vertrauen, die siegen auf die Dauer. […]

Deutschland wurde von der ganzen Welt isoliert und gehasst, da die bisher herrschende Sippe nur zwei Mittel kannte: Kanonen zum Totschießen und Geld, um die Seelen zu kaufen und zu verderben! (Sehr richtig, Beifall!): O, unsere alte Regierung war auch sehr revolutionär gesinnt, sie hat ungezählte Millionen vergeudet, um Revolutionen anzustiften – im Ausland! […] Von den 150 Milliarden und mehr, die der Krieg gekostet hat, ist ein erheblicher Teil nicht für die Giftgase der Granaten und Bomben ausgegeben worden, sondern für die Giftgase der Erzberger-,,Revolutionen“ im Auslande. Von solcher verworfener Politik wollen wir nichts mehr wissen. […]

Ich bin wohl der erste Ministerpräsident, seit Adam und Eva aus dem Paradiese vertrieben sind, der seine Regierung im Kampf gegen die Presse begonnen hat. Ich wusste, was ich tat, als ich die Presse angriff. Seit der Zeit liebt man mich nicht in der Welt der Druckerpresse, aber es beruht auf Gegenseitigkeit (Heiterkeit!), ich liebe die Presse nicht nur nicht, ich verachte sie. Diese Behandlung ist vielleicht mein größter Fehler gewesen, aber ein Fehler, auf den ich stolz bin. Ich habe den Herren gesagt, viereinhalb Jahre habt Ihr die Zensur geduldet, habt Euch anlügen lassen und jetzt, wo Ihr die Freiheit habt, da unterstützt Ihr sie nicht, sondern missbraucht sie. Trotzdem, Parteigenossen, lassen wir sie ruhig abwirtschaften, lassen wir sie alle Torheiten und Gemeinheiten begehen, sie können ja nicht anders, denn sie sind durch die viereinhalb Jahre des Krieges so verwahrlost worden, dass sie sich nicht mehr bessern können. (Beifall!) Sie wissen gar nicht, wie wurst mir das ist, was die Presse schreibt. Sie mag mich als Idioten darstellen, das ist mir ebenso gleichgültig, als wenn ich Salomon Kuszinski oder Isidor Itzig heiße. Aber, Parteigenossen, Sie sollten aufhören, Zeitungen zu lesen. (Beifall!) Ich habe während des Krieges oft zu meinen engeren Parteigenossen gesagt: Vielleicht macht nur ein Volk Revolution, das nicht lesen und nicht schreiben, dafür aber denken und handeln kann. (Beifall!) Denn die Druckerpresse, die ist gefährlich und vergiftender als Alkohol. – Dennoch: Gegen die Macht der Lüge, die Macht der Wahrheit, gegen die Politik der Täuschung, der gegenseitigen Überlistung die Politik der Wahrheit und des gegenseitigen Vertrauens. Nur diese Politik führt zum Ziel […]

Alles gaben wir her für Vernichtung von Menschenleben und blühenden Landes. Wenn wir früher zu einem nützlichen Werk 25.000 Mark gefordert haben, dann hatten wir in Bayern kein Geld dafür; unmittelbar darauf gab es überhaupt den Begriff Geld nicht mehr. Da zählte man nicht nach Millionen, sondern nach Milliarden, und wenn der Krieg weiter gedauert hätte, würde man sicherlich mit Billionen gerechnet haben.

Das wird anders werden in der Welt der Zukunft: […] Alles was zum Aufbau der Gesellschaft jetzt notwendig ist, muss geleistet werden, es darf keine Wohnungsnot mehr geben, keine Arbeitslosigkeit, keine Obdachlosigkeit. Kein Mensch, der krank ist, darf ohne Pflege sein. Es darf kein Elend in den Schulen mehr geben. Jeder hat das Recht auf Gesundheit, Bildung, Nahrung, Wohnung, gute Wohnung. So kommen wir zur Sozialisierung der Gesellschaft. Wenn wir die 150 Milliarden, die wir für den Krieg vergeudet haben, für das Leben ausgegeben hätten, dann wäre Deutschland heute ein Paradies.“

Text nach: Eisner 2025b, S. 324 und 334-335, 339 und 342-343.

Dreiteilige Eisner-Reihe der Schalom-Bibliothek

 

Leider zeichnet sich das in der nachfolgenden Dokumentation Dargebotene durch „bleibende Aktualität“ aus. Allen technologischen Neuerungen zum Trotz gibt es heute auch noch immer viele Entsprechungen zu den Strukturen der Kriegsmedienkomplexe vor über hundert Jahren. („Niemand hat so wenig Einfluss auf die Zeitung, wie die Leute, die sie schreiben und redigieren“; Text 9.)

Bei der Zusammenstellung der Artikel, Dichtungen und Reden greife ich zurück auf eine dreiteilige „Eisner-Reihe“ für die Schalom-Bibliothek zu „Pazifisten und Antimilitaristinnen aus jüdischen Familien“, die seit einigen Tagen vollständig vorliegt. Sie besteht aus den Bänden „Texte wider die deutsche Kriegstüchtigkeit“ (= Eisner 2025a), Kurt Eisner als Revolutionär und Ankläger des deutschen Militarismus“ (= Eisner 2025b) und Revolte für den Frieden“ (= Eisner 2025c). Diese „Trilogie“ enthält auch eine biographische Darstellung aus der Feder des Weggefährten Felix Fechenbach sowie – dank freundlicher Unterstützung / Vermittlung des Donat-Verlages – Essays von Helmut Donat, Volker Ullrich und Lothar Wieland.

 

 

 

 

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2 Kommentare

  1. Leider kann ich das alles nicht durchlesen und die Beschreibungen mit der heutigen Zeit vergleichen, ohne dass sich mein Magen umdreht. Schon bei den ersten Artikel steigt mir die Wut und der Magensaft ob der verruchten Medien und dieser gewissenlosen Schmierfinken.
    Es passt leider zu den Spezialdemokraten, dass deren Vorsitzender z.Zt. Komplimente an Wissing vergibt und den „Eingemeinden“ möchte.
    In Berlin wurde während der Osterkundgebung eine junge Frau von drei hünenhaften Bütteln abgeführt. Die hatte ein rotes Dreieck gezeigt. Mein Großvater so wie mein Vater mussten in Buchenwald bzw. Osthofen auch ein rotes Dreieck tragen. Ich glaube ja, dass diese drei noch keine Faschisten sind, aber eben einseitig gebildete Büttel. Die Verantwortung für die Einschüchterung und Indoktrinierung tragen die von der „Lobby“ gekauften oder korrumpierten Politiker und deren „Vervielfältiger“, den ebenfalls von den Lobbyistenverbänden gesteuerten versifften Medien.
    Wenn der US Vize Vance meint, dass es mit unserem „Demokratieverständnis“ nicht mehr weit her ist, hat wahrlich zum Teil recht.

    1. Verbesserung
      muss Osterkundgebung heißen 😉
      Nachsatz
      Die SPD entwickelt sich in Eile zu einer „Pünktchen Partei“ ob drei (FDP) oder ein paar mehr wird gleich sein.
      Schade um die guten Leute, die es ja da auch noch gibt.

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