Cryptoqueen und Bitcoin-Killerin Ruja Ignatova: Renaissance einer Ponzi-Legende

Ruja Ignatova. Bild: OneCoin Official

Wie sich OneCoin unbehelligt als One Ecosystem neu erfindet

Zwei Canapés im Abstand von fünf Jahren: Im Juli 2017 sitzt die selbsternannte Cryptoqueen und Bitcoin-Killerin Ruja Ignatova in ihrer OneCoin-Unternehmenszentrale am Slavejkov-Platz in Sofia auf einem exquisiten roten Diwan, an ihrer Seite ihr frisch ernannter OneCoin-CEO Pierre „Pitt“ Arens, ein luxemburgischer „C-Level-Banker“.

In diesem Moment dürfte es der siebenunddreißigjährigen Deutsch-Bulgarin, die ihre Schulzeit in Schramberg im Schwarzwald und ihr Jurastudium in Konstanz am Bodensee absolviert hat, bereits bewusst sein, dass sie sich im Visier europäischer Polizeibehörden und des US-amerikanischen Federal Bureaus of Investigation (FBI) befindet. Außer den bulgarischen Behörden ist kaum jemandem verborgen geblieben, dass die OneCoin-Pharaonin seit dem Jahr 2014 mit ihrem MLM-Pyramidensystem Millionen Menschen auf der ganzen Welt um schätzungsweise vier Milliarden Dollar erleichtert hat.

Dr. Ruja wirkt ruhig und gelassen und nimmt zusammen mit ihrem zum „Webinar“ online zugeschalteten Komplizen Sebastian Greenwood und CEO Arens Stellung zu Fragen ihrer „OneCoiner“. Diese haben zum Teil große Summen bezahlt für plagiierte Schulungsmaterialien zur digitalen Finanzwirtschaft. Es war ihnen versprochen worden, sie könnten die mitgelieferten Token auf wundersame Weise zu digitalen OneCoin-Münzen „schürfen“. Und wenn sie diese eines schönen Tages zu phantastischen Umtauschraten in Fiat-Geld wechselten, würden sie sagenhaften Reichtum erwerben. Inzwischen aber werden immer mehr OneCoiner ungeduldig und wollen von Ignatova, Greenwood und Arens vor allem eines wissen: Wann ist der OneCoin endlich „handelbar“?

Der Name der seit dem Oktober 2017 spurlos verschwundenen OneCoin-Gründerin und -Visionärin Dr. Ruja Ignatova fällt nicht, als Teodora Andreeva und Nikolai Manolov im November 2022 im Newsroom des völlig renovierten Cryptocenters der Unternehmenszentrale von One Ecosystem am Sofioter Slavejkov-Platz auf einem grauen IKEA-Style-Sofa sitzen und mit der liebenswürdigen Wortgewandtheit von ESC-Showmastern die Zukunftsperspektiven ihres One Ecosystems preisen.

Auch die Frage der Handelbarkeit der inzwischen von „OneCoin“ in schlicht „One“ umbenannten Pseudo-Kryptomünze sprechen sie nicht an. Stattdessen werben die Marketingexperten Andreeva und Manolov für die „Reform – Corporate European Tour”. Auf spektakulären Promotion-Events in den Metropolen der europäischen Länder Finnland, Ungarn, Norwegen, Schweden, Island, Spanien, Estland, Lettland, Kasachstan, Italien, Schweiz und Vereinigtes Königreich soll der neue One Ecosystems-CEO Ventsislav „Ventsi“ Zlatkov über die Entwicklung des One Ecosystems informieren und neue Teilhaber anwerben. Zu diesem Zweck wird Ventsi auch ein „Due Diligence präsentieren und beweisen, dass das Geschäftsmodell von One Ecosystem mit der europäischen Gesetzgebung vereinbar ist”.

Bild: OneCoin Official

Lebt die Cryptoqueen noch?

In Begleitung eines Leibwächters besteigt Ruja Ignatova am 25. Oktober 2017 am Airport Sofia nur mit Handgepäck den Billigflieger von Ryanair nach Athen. Dort nehmen sie laut Aussage ihres in den USA verhafteten Bruders Konstantin gegenüber dem FBI russisch sprechende Männer in Empfang. Seitdem ward sie nicht mehr gesehen.

Ob die Cryptoqueen noch lebt oder bereits zwei Meter unter der Erde residiert, ob sie vielleicht ihre Gesichtszüge verändert hat oder gar ihr Geschlecht gewechselt, sind Rätsel, die die Weltmedien beschäftigen. Für die BBC hat Jamie Bartlett einen Podcast gemacht und Johan von Mirbach für die ARD eine TV-Dokumentation. Widersprüchliche Informationen kursieren über Pläne für einen Hollywood-Film mit dem Titel „Fake!“, in dem Kate Winslet eine Hauptrolle spielen soll.

Am frühsten und intensivsten hat sich der bulgarische Journalist Nikolai Stojanov mit Ruja Ignatovas OneCoin befasst. Bereits im September 2015 veröffentlicht er in dem in Sofia erscheinenden Wirtschaftsmagazin Kapital seinen Artikel „Dr. Ruja und das Machen von Geld aus Nichts”. Parallel dazu erscheint sein Interview mit ihr, das überschrieben ist mit „Unsere Idee war, dass Onecoin zu so etwas wie Facebook wird“.

Es war dies die Zeit, als sich das OneCoin lawinenartig über den Globus ausbreitete und die zuvor kaum bekannte Dr. Ignatova plötzlich begann, für mehrere Millionen historische Gebäude im Zentrum Sofias zu erwerben und sich einem Leben in harter Arbeit und Luxus zu ergeben. Seinen persönlichen Eindruck von Dr. Ruja, wie sie ihre Anhänger mit Ehrfurcht nennen, hat Stojanov gegenüber TVMedia.bg beschrieben. „Sie war selbstsicher und forsch, aber ich habe in ihr nicht das Charisma gesehen, das später viele dafür verantwortlich machten, dass ihr alle alles abkauften. Sie begann unser Gespräch mit den Worten: ‚Also fangen wir an. Was wollen Sie wissen? Auf Fragen nach irgendwelchen Pyramiden habe ich aber keine Lust!´ Und zum Schluss sagte sie mir: ´Passen Sie auf, was Sie schreiben, wir haben sehr gute Rechtsanwälte.‘“

Im Juli 2022 hat das FBI Ruja Ignatova auf seine Top 10 Most Wanted-Liste gesetzt und für Hinweise, die zu ihrer Ergreifung führen, eine Belohnung in Höhe von 100.000 $ ausgelobt. Dies hat Stojanovs bisherige Vermutung über Ignatovas Schicksal erschüttert. „Hätten Sie mich noch vor einigen Wochen gefragt, was mit ihr geschehen ist, so hätte ich geantwortet, dass ich nicht glaube, dass sie noch unter den Lebenden weilt. Doch das FBI verfügt für gewöhnlich über gute Informationen, auch darüber, wenn es sich nicht mehr lohnt, eine Person zu suchen. Es hätte dann Ignatova wohl kaum auf seine Top 10 Most Wanted-Liste gesetzt“, denkt er nun.

Wie konnte Ignatovas ihr Ponzi-Schema Onecoin über Jahre hinweg unbehelligt realisieren?

Aufstieg und Fall Ruja Ignatovas sind spektakulär und bieten Stoff für pittoreske Reportagen. Die eigentlich interessante Frage ist eine vergleichsweise banale: Wie konnte sie ihr Ponzi-Schema Onecoin über Jahre hinweg unbehelligt von bulgarischer Polizei und Staatsanwaltschaft realisieren? „Sie wurde gedeckt und gewarnt von einflussreichen Persönlichkeiten in Bulgarien“, vermutet ihr ehemaliger Sicherheitsberater Frank Schneider. Mit einer elektronischen Fessel am Fuß wartet der frühere luxemburgische Geheimdienstagent in seinem Haus auf seine eventuelle Auslieferung an die USA. Rujas Bruder Konstantin hat im Verhör in den USA ausgesagt, es sei Schneider gewesen, der seine Schwester über laufende Ermittlungen gegen sie informiert habe. Der bestreitet dies.

Dem BBC-Journalisten Jamie Bartlett hat Schneider einen USB-Stick mit einer Fülle abgehörter Telefonate und zahlreichen Dokumenten übergeben, den er selber von Ruja Ignatova erhalten haben will. „Wenn die Bulgaren an bestimmten Europol-Sitzungen teilnahmen, dauerte es nur Stunden, bis Ruja einen vollständigen Überblick und die Sitzungsprotokolle erhalten hatte“, behauptet Schneider gegenüber Bartlett. Tatsächlich findet der auf dem USB-Stick auch das Protokoll des Europol-Treffens mit dem Code-Namen Operation Satellite vom März 2017 in Den Haag, an dem Ermittler u. a. aus Deutschland und Bulgarien, den USA und Dubai teilgenommen haben.

Weder Bulgariens damaliger Ministerpräsident Boiko Borissov noch sein zuständiger Innenminister wollen sich Bartlett gegenüber zu Frank Schneiders Behauptung äußern, bulgarische Stellen hätten Ignatova vertrauliche Informationen über internationale Ermittlungen gegen sie zukommen lassen.

Das Verschwinden der „Cryptoqueen“ hat das Ponzi-System OneCoin zwar auf Sparflamme zurückgefahren, aber nie ersticken lassen. Dass ihre bulgarischen Nachfolger aber im Juli 2021 ungeachtet der Ermittlungen im europäischen Ausland und den USA in Bulgariens zweitgrößter Stadt Plovdiv mit Pomp und Circumstences seine Wiederauferstehung unter neuem Namen feiern können, hält der Investigativjournalist Assen Jordanov für einen Skandal. Hätte sich dies in Deutschland ereignet, wäre die Veranstaltung abgebrochen und alle Anwesenden wären verhaftet worden “, sagt der Chef von bivol.bg dem TV-Sender Evrokom.

In Bulgarien aber konnte sie stattfinden und das nicht irgendwo heimlich, sondern ganz öffentlich im Hotel Imperial. Es gehört Plovdivs langjährigem Bürgermeister Ivan Totev, einem Parteifreund von Ex-Regierungschef Borissov. Für Assen Jordanov ist dies ein weiteres Indiz dafür, dass „es in Bulgarien offensichtlich Kreise gibt, die noch immer hinter dem System von Ruja Ignatova stehen“.

Die aktuelle Tournee von One Ecosystem-CEO Ventsi Zlatkov durch Europas Metropolen sieht sich indes mit Schwierigkeiten konfrontiert. Die als Londoner Austragungsort vorgesehenen Crowne Plaza London Docklands haben ihre Vermietung des Veranstaltungsaals und die gebuchten Übernachtungen storniert, nachdem sie Informanten auf den Charakter des Events aufmerksam gemacht hatten.

Soweit wollte das Helsinki Congress Paasitorni, wo ein Event für den 10. Dezember 2022 geplant ist, nicht gehen. „Wir haben nicht das Recht, in Veranstaltungen unserer Kunden einzugreifen oder sie zu verhindern, es sei denn, eine finnische Behörde wendet sich direkt an uns. Würden wir anders handeln, machten wir uns einer gesetzlich verbotenen Diskriminierung schuldig“, beschied sein CEO Osku Pajamäki.

Der Europäische Rat hat über die Bulgariens, Rumäniens und Kroatiens Beitritte zum Schengener Abkommen entschieden. Kroatien kann teilnehmen, Bulgarien und Rumänien nicht, was vor allem an Österreichs Widerstand gelegen hat. Auch die Niederlande äußerte Bedenken nicht nur wegen der Verhältnisse an Bulgariens Grenze zur Türkei, sondern auch wegen mangelnder Rechtshoheit in dem Balkanland.

Dass ihnen sechzehn Jahre nach ihrem EU-Beitritt der Beitritt zum Schengener Abkommen noch immer verwehrt wird, empfinden viele Bulgaren und Bulgarinnen als diskriminierend. Die Geschichte von Ruja Ignatovas Milliardenbetrugs OneCoin und das unbehelligte Treiben ihrer Nachfolger von One Ecosystem ist jedoch wie ein Menetekel dafür, dass die Skepsis gegenüber der Hoheit des Rechts in Bulgarien plausibel sein könnte.

Ähnliche Beiträge:

2 Kommentare

  1. Ruja Ignatova und Jan Marsalek haben sich vermählt. Die Arbeiten in einen eigenen Steinbruch an der Neustrukturierung des Rai/Fai ein bewährtes, nachhaltiges und langlebiges Finanzprodukt!

    1. Du hast die wichtigste Parallele (nicht direkt Pointe) liegen lassen:

      Beide ohne Geheimdienste NICHT möglich, genauso wie viele Terrorakte oder extremistische Netzwerke und eben organisierte Kriminalität. Geheimdienste sind oft die Ursache für diese Arten von organisierter Kriminalität.

      Spannende Geschichte jedenfalls.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert