
Wie lange will sich die Gesellschaft noch den Milliarden verschwendenden Status quo leisten? Selbst Vertreter aus Polizei und Justiz zweifeln am Sinn der Verbote.
Im letzten Teil fassten wir den aktuellen Stand zum Cannabisgesetz zusammen. Insbesondere entlarvten wir übertriebene Warnungen vor Psychosen und anderen angeblichen Gesundheitsfolgen als heiße Luft. Außerdem kiffen heute schon Jahr für Jahr Millionen Deutsche, doch unter illegalen und völlig unkontrollierten Bedingungen.
Das legt den Verdacht nahe, dass Innenpolitiker und Teile der Ärzteschaft nicht an Einfluss verlieren wollen: Denn je mehr Regeln es gibt, desto mehr Macht haben Behörden und Institutionen. Den folgenden Artikel stellte ich am 12. März fertig. Zurzeit steigt die Spannung, ob der Bundesrat das Cannabisgesetz am 22. März in den Vermittlungsausschuss schickt. Am 16. März kündigte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sogar an, das Gesetz mit Verfahrenstricks lahmzulegen:
Diese Vehemenz, mit der konservative Politiker am Verbot einer Pflanze festhalten wollen, sollte nicht nur Cannabiskonsumenten wundern. Wohlgemerkt, die Verfechter der Prohibition haben selbst keine Lösung zur Verbesserung des Status quo anzubieten. Wie absurd, teuer und gefährliche die heutige Lage ist, zeigt im Folgenden ein Blick auf die große Schattenseite der Verbotspolitik. Am Ende komme ich auf einen Ausweg aus der Misere zu sprechen.
Schäden der Verbotspolitik
Wer trotz aller inneren Widersprüche an der heutigen Verbotspolitik festhält, sollte ehrlicherweise einräumen: Die Kritiker des Cannabisgesetzes reden zwar Mantra-artig vom Jugend- und Gesundheitsschutz sowie dem Kampf gegen die Kriminalität. Doch diese Argumente richten sich vor allem gegen die heutige Gesetzeslage:
Erstens fehlt wegen des Verbots jegliche Qualitätskontrolle. Durch den Einsatz von potenziellen Giftstoffen (z.B. Pflanzenschutz- oder Streckmittel) wird der Substanzkonsum gerade gefährlicher. Ähnliches gilt, zweitens, durch Beimischungen anderer Drogen und die schwankende Potenz der Mittel. Wenn die Betroffenen nicht genau wissen, wie viel sie wovon zu sich nehmen, lassen sich die Folgen viel schwerer abschätzen. Gerade das macht die Opioid-Epidemie in den USA so tödlich.
Drittens kommen Konsumierende allen Pseudo-Warnungen vor “der Einstiegsdroge” zum Trotz gerade durch den Gang zu Dealern in Kontakt mit anderen Substanzen. In manchen Chatkanälen bekommt man sogar wöchentlich Angebote vieler Drogen, an die man selbst gar nicht gedacht hatte.
Viertens garantieren die Verbote den Kriminellen ihre Geschäfte, bei denen sie sich, fünftens, auch nicht um den Umweltschutz scheren müssen; Drogenabfall wird einfach in die Natur gekippt. Mit den Milliarden – Europol schätzte den Verkaufswert der Substanzen auf dem EU-Markt für 2021 erst kürzlich auf 31 Milliarden Euro – gehen aber nicht nur Risiken für Individuen und die Natur einher, sondern, sechstens, durch Korruption auch für die Unterwanderung des Staats.

Individuelle und gesellschaftliche Kosten
Dazu kommen, siebtens, die schwer zu beziffernden öffentlichen Kosten für die Durchsetzung der Verbote. Für ein mittelgroßes Land wie Deutschland könnten diese – man denke nicht nur an Polizei und Justiz, sondern auch an Hilfsdienste etwa beim Räumen von Drogenlaboren oder das Gesundheitssystem – Jahr für Jahr einen zweistelligen Milliardenbetrag verschlingen. Dazu kommen, achtens und neuntens, indirekte Folgen für Gesundheit und Biografien von Bürger*innen: Durch die Verbote ist schließlich der Gang zum (Not-) Arzt schwieriger, wenn doch einmal etwas schief geht, und Verurteilungen für Besitzdelikte können bürgerliche Existenzen zerstören.
Ein besonderes moralisches Problem entsteht, zehntens, dadurch, dass Menschen mit traumatischen Erfahrungen und psychosozialen Problemen ein viel höheres Risiko für problematischen Substanzkonsum haben. Im Falle einer Strafverfolgung werden sie für ihr ohnehin schwereres Schicksal nochmals ausgegrenzt. Diese Tatsache sollte gerade die Angehörigen von Parteien mit “christlich” und “sozial” im Namen nachdenklich stimmen.
Schließlich muss, elftens, in einem liberalen Rechtsstaat nicht die Erlaubnis von etwas gut begründet werden, sondern im Gegenteil das Verbot. Das Freiheitsargument wurde bei all der Panik über Gesundheit beinahe vergessen. Zwölftens schadet es auch die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats, wenn er widersprüchliche und schlecht begründete Verbote durchsetzt – und damit dann auch noch scheitert.
Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ich lade die Leser*innen herzlich zur Ergänzung ein. Und noch einmal: Welche Alternative hätten die Gegner der Entkriminalisierung in den zahlreichen Diskussionen zum Thema denn vorgebracht?
Symptome, Ursachen und Wirkungen
Früher einmal waren allerlei Verbote in Mode, über die wir uns heute nur wundern: Man denke an Kuppelei (Unverheirateten eine Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr zu verschaffen), Sex von Männern mit Männern, sogar Masturbation. Auch Letztere begründete man mit abstrusen Theorien über Gehirn- und Rückenmarkschwund. Man nehme dazu die Vorstellung vom lieben Gott, der alle Sünden sieht – et voilà, man hatte ein hervorragendes Instrument zur Kontrolle mit Bestrafung und Sühne von Menschen.
Nebenbei: Gerade im Februar publizierten schwedische Forscher in Science die Entdeckung, dass bestimmte Zellen im Penis, sogenannte Fibroblasten, für die männliche Erektion wichtig sind. Und ähnlich wie bei Muskeln führten häufige Erektionen zum Wachstum weiterer solcher Zellen. Das gilt zwar erst einmal nur bei Mäusen, lässt sich laut Fachleuten aber wahrscheinlich auf den Menschen übertragen.
Während Autoritäten also Propaganda von der Schädlichkeit von Masturbation verbreiteten (und in religiösen Kontexten mitunter immer noch verbreiten), könnte diese Aktivität – jedenfalls für Männer ohne Sexpartner – gerade ein Mittel zur Erhaltung der (sexuellen) Gesundheit sein!
Der Vergleich der Verbote von Cannabis und Masturbation ist noch in einem anderen Sinne interessant: Denn aufgrund der Tatsache, dass manche Menschen mit psychischen Problemen häufiger masturbierten, schlossen Psychiater und andere Ärzte früher auf einen Kausalzusammenhang: Onanie mache auch psychisch krank.
Die Macht des “klinischen Blicks”
Ähnlich geht es heute mit dem “klinischen Blick” für Cannabis und psychische Störungen, wie wir in einem früheren Teil der Artikelserie feststellten. Ärzt*innen sehen Menschen mit psychischen Problemen, die Drogen konsumieren – und sehen Letztere dann als Ursache für Erstere an.
So wetterte sogar noch in der wichtigen Bundestagsdebatte vom 23. Februar ein Vertreter der CSU gegen das Cannabisgesetz. Die Schädlichkeit der Substanz habe er ganz klar in seinem Medizinpraktikum gesehen. Ja, wozu brauchen wir die komplexe Wissenschaft, wenn schon Medizinstudenten direkt die Wahrheit sehen? (Derselbe CSU-Abgeordnete machte übrigens Wahlkampf mit Alkohol, den führende Suchtexperten für gefährlicher halten als Cannabis. Na dann prost!)
Wer nun den Substanzkonsum (oder die Masturbation) therapiert, der für die Betroffenen vielleicht nur ein Mittel zur Leidenslinderung ist, behandelt dann tatsächlich nur ein Symptom oder eine Bewältigungsstrategie, keine Krankheitsursache. Doch damit erkläre ich die Mittel nicht für gefahrlos.
Problematisch ist aber vor allem der extreme Konsum, so wie auch Extremsport mit mehr Gefahren einhergeht. Dabei ist starker Bewegungsdrang sogar ein offizielles Symptom von Depressionen. Auch damit können Menschen sich von ihren Problemen ablenken oder einen berauschenden “Kick” erfahren.
Blockadehaltung
Wie geht es nun mit dem Cannabisgesetz weiter und wie mit der Drogenpolitik insgesamt in Deutschland? Die Opposition im Bundesrat will die Initiative in einen Vermittlungsausschuss bringen und dort verzögern, aus Sicht der Hardliner am liebsten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Entscheidend wird für die Abstimmung am 22. März das Verhalten der Grünen auf Landesebene sein, besonders in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig Holstein, wo sie mit der CDU regieren. Doch auch in der SPD gibt es nach wie vor Zweifler.
Die Kritik, es gehe nun alles zu schnell, wirkt dabei wenig überzeugend. Schließlich war die Legalisierung schon ein Thema im Wahlkampf 2021 und dann ein gemeinsamer Punkt im Koalitionsvertrag. Wer wie der Innenpolitiker Sebastian Fiedler (SPD) die jetzige “Legalisierung light” ablehnt, weil man damit hinter dem gefassten Ziel zurückbleibt und es keine lizenzierten Fachgeschäfte geben werde, verkennt die rechtliche Realität. Weitergehenden Maßnahmen steht nämlich die EU-Gesetzgebung entgegen. Darum auf unbestimmte Zeit einfach nichts zu tun, ist auch keine Lösung.
Neben dem zu erwartenden Geplänkel, dass beispielsweise die freigestellten Mengen – bis zu 25g Cannabisprodukte mitführen, 50g zuhause bewahren – zu hoch seien, wirken insbesondere die Reaktionen aus Polizei und Justiz etwas janusköpfig: Einerseits seien die neuen Regeln kompliziert und darum schwer umsetzbar; dabei geht es bei der Entkriminalisierung gerade darum, dass die Polizei seltener wegen Cannabis einschreitet! Andererseits sei der Verwaltungsaufwand für die Justizbehörden nicht zu schaffen, da die Korrektur ergangener Urteile zu arbeitsintensiv sei.
Letzteres ist insofern eine ziemlich schräge Logik, als genau diese Justiz jährlich gegen eine sechsstellige Zahl von Bürger*innen ermittelt, nur weil sie psychoaktive die Blüten oder Extrakte der Cannabispflanze besitzen. Nach der Einsicht, dass hier keine Straftat vorliegt, ist eine Revision ergangener Urteile doch schon eine Frage des Anstands, von Rechtsstaatlichkeit ganz zu schweigen! Davon abgesehen gehen genug Rechtsexperten davon aus, dass sich hier eine pragmatische Lösung finden lässt.
Realismus
Es liegt auf der Hand, dass das Cannabisgesetz – ob es nun zum 1. April oder vielleicht doch erst mit einem halben Jahr Verspätung zum 1. Oktober 2024 in Kraft tritt – nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Das liegt allein schon daran, dass es keine praktische Lösung für Gelegenheitskonsumenten gibt. Denn wer einfach nur einmal spontan einen Joint rauchen oder ein Stück “Spacecake” essen will, wird nicht erst zuhause bis zu drei Pflanzen züchten oder sich bürokratisch in eine Cannabisvereinigung einschreiben.
Weitergehende Regelungen sind aber, wie gesagt, schwer mit dem EU-Recht zu vereinbaren. Beim Erstarken rechts-autoritärer Strömungen ist eine gemeinschaftliche Lösung der EU-Länder, insbesondere durch eine Anpassung des Schengenabkommens, eher unwahrscheinlich. Auch in den Niederlanden mit ihrer Coffeeshop-Kultur seit den 1970ern kündigt sich jetzt mit der größten Fraktion unter Geert Wilders neuer Widerstand an, während man mit dem “wietexperiment” nach zehn Jahren Vorbereitungszeit endlich eine vollständig legale Lösung finden wollte.
Substanzkonsum wird nicht einfach verschwinden. Er gehört zur Menschheitsgeschichte dazu. Sogar unter Tieren lässt er sich beobachten. Dazu kommt, dass es in der Geschichte kein gutes Beispiel für eine gelungene Prohibition gibt. Oberste Maxime sollte darum sein, die Bedürfnisse nach Rausch und psychoaktiver Einflussnahme in die sowohl individuell als auch gesellschaftlich am wenigsten schädliche Bahn zu lenken. In der Wissenschaft ist dieses Paradigma als “harm reduction” (Schadensminimierung) bekannt.
Eine realistische Einschätzung legt darum meiner Meinung nach die Zwischenlösung nahe, was wir heute als “soft drugs” bezeichnen zu entkriminalisieren – und Menschen sichere Wege zu bieten, diese Substanzen zu beziehen.
Das sollte durch Sozialarbeit und, wo nötig, Suchtmedizin begleitet werden. Dieser Ansatz hat sich für den Umgang mit Heroinabhängigkeit schon bewährt; dabei muss man wissen, dass selbst bei vielen “hard drugs” die allermeisten Konsumierenden keine Abhängigkeit im klinischen Sinn entwickeln.
Kontraproduktiv
Einfach nur nichts zu tun und laut “Prävention und Polizei!” zu rufen, wird die Situation aller Wahrscheinlichkeit nach nicht verbessern. Dabei sollte man bedenken, dass aufgrund der demografischen Verschiebung auch die Stellenknappheit bei in Polizei und Justiz weiter zunehmen wird.
Das macht sich schon heute bemerkbar und wird in den nächsten Jahren schnell zunehmen. Wie lange sollen es sich die Staaten noch leisten, eine Drogenpolitik zu verfolgen, die in allen wesentlichen Punkten gescheitert ist?
Auch Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter erleben in ihrer Arbeit diese Sinnlosigkeit der Drogengesetzgebung. Die innere Logik der Strafverfolgung läuft letztlich darauf hinaus: Die Substanzen sind verboten, weil sie verboten sind. Um die Gesellschaft auf solche Missstände aufmerksam zu machen, haben einige – aktive wie ehemalige – Behördenvertreter die Law Enforcement Action Partnership (LEAP) gegründet. Auch in Deutschland setzen sich Angehörige von Polizei und Justiz für eine humanere Drogenpolitik ein.
Der frühere Undercover-Ermittler und LEAP-Mitglied Neil Woods erklärte kürzlich in einem Vortrag bei der Polizei im niederländischen Utrecht (englisch), wie sinnlos der wiederholte Einsatz seines Lebens war: Selbst gelungene Einsätze gegen gefährliche Drogenbanden hätten den Drogenmarkt höchstens für wenige Stunden gestört.
Schlimmer noch: Indem man einzelne Banden aus dem Verkehr ziehe, mache man deren Konkurrenten stärker. Schließlich könnten diese dann die frei gewordenen Marktanteile übernehmen. Auf lange Sicht erzeuge man damit Superkartelle wie in Südamerika.
Sein Leben mehrfach für kontraproduktive Ergebnisse aufs Spiel gesetzt zu haben, ist eine bittere Pille. Neil Woods schied schließlich mit posttraumatischem Stress aus dem Dienst aus und hat seine Erfahrungen als Polizeibeamter in der Unterwelt in lesenswerten Büchern aufgeschrieben.
Das Wesentliche wurde in dieser Artikelserie nun gesagt, teils mehrfach. Es liegt jetzt auch an uns Bürgerinnen und Bürgern, diese absurde drogenpolitische Situation zu verändern.
Der Artikel wurde zuerst auf dem Blog „Menschen-Bilder“ des Autors veröffentlicht.
Das neue Buch des Autors zum Thema Substanzkonsum ist hier als Gratis-Download verfügbar: Mental Health and Enhancement: Substance Use and Its Social Implications
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Vor allem sollte man sich langsam mal einig werden was man eigendlich will, und was man bezweckt.
Auf der einen Seite will man den Konsum der traditionellen und billigen Volksdrogen Nikotin und Alkohol einschränken, auf der Anderen die Droge Canabis legalisieren…
Seit über fünfzig Jahren https://de.m.wikipedia.org/wiki/War_on_Drugs vielleicht ist der Ewigekrieg, ein zu großes Geschäft und Systemrelevant um einfach aufgeben zu werden. Beispielsweise die Gefängnisindustrie in den USA die immer neuen Nachschub an Häftlingen braucht.
Immerhin Neil Woods ist ein neuer Sisyphos mit späten Erkenntnis Gewinn.
Gut gemeint ist nicht gut GEMACHT : ein Beispiel
https://de.m.wikipedia.org/wiki/%C2%A7_249_StGB_der_DDR
und der Hintergrund für erstes hier :
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Recht_auf_Arbeit
Wahrscheinlich ist konsequentes Drogenscreening für Beamte und Politiker am Zielführendsten und in der Sache auch am Ehrlichsten.
Wie bereits früher erwähnt ein Artikel oder eine Diskussion über dmt wäre schön und sinnvoll.
Nun, ob es kein Beispiel für gelungene Prohibition gibt, ist nicht so leicht zu beantworten. Funktioniert das religiös begründete Verbot von Alkohol in islamischen Ländern nicht doch? Oder besorgen sich da auch Millionen den für sie verbotenen Stoff?
In der Frage des Verbotes selbst, halte ich mich eher zurück. Ich bin erst mal kein Betroffener. Aber einen Punkt, den der Autor angesprochen hat, finde ich so abgedreht, dass ich beim ersten Mal, als ich etwas las, an einen Fehler glaubte. Dass ist der Einwand gegen eine Amnestie für bestrafte Täter und die Einstellung von Verfahren gegen ermittelte Beschuldigte, weil es sonst so viel Arbeit macht, das durchzuführen Man wünscht also, ich nehme jetzt mal den schlimmsten Fall, dass Menschen in Haft für etwas bleiben, für das Andere, die sich später genau so verhielten, nicht behelligt werden? Und warum das, was erkennbar ungerecht ist? Weil es sonst soviel Arbeit macht?
Ich gebe zu, dass ich gelegentlich doch noch zu verblüffen bin. Eine Justiz, die gegen die Gerechtigkeit ist, scheint mir arg daneben Die könnten dazu übergehen, Strafprozesse durch Gottesurteile, statt durch aufwendige Ermittlungen zur Entscheidung zu bringen. Klar, das führt nicht zur Gerechtigkeit, macht aber viel weniger Arbeit.
Der Umgang mit Alkohol in islamischen Ländern variiert (sprich: ob es Ausnahmen vom Verbot gibt oder inwiefern dieses auch wirklich durchgesetzt wird). Aber einen Punkt haben Sie da schon.
Man hätte vielleicht präzisieren können, dass es kein Beispiel für eine gelungene Prohibition gibt, WENN eine Substanz erst einmal weitflächig akzeptiert ist. Das war Alkohol in islamischen Ländern nie, wegen bestimmter Passagen im Koran.
Es wäre interessant, sich den Umgang mit Opium – oder eben Haschisch – anzuschauen in Ländern, in denen sie traditionell verbreitet waren.
Sollte sie wirklich? Es ist doch ein ziemlich normaler Prozess in einer Gesellschaft, deren Mehrheitsströmungen – und insbesondere die in ihrem Parlament repräsentierten Gruppen – eine ausgesprochene Abneigung gegen Selbstbestimmung, Meinungsfreiheit und körperliche Autonomie haben. Deutschland ist schlicht ein strukturell autoritäres Land mit vielen Blockwarten unterschiedlichster Couleur. Das fing nicht erst mit den Pandemiemaßnahmen an, da haben das allenfalls etwas größere Kreise gemerkt. Zuvor gab es bereits u.a. den Ukas zur Erlaubnis männlicher Genitalverstümmelung (vulgo: Beschneidung), die Hatz auf AIDS-Kranke in den 1980ern inklusive Zwangstestung et cetera pp.
Im Grunde ist das Ganze ein Ausdruck von Unsicherheit und Algophobie. Zum einen haben wir hier systemische Prozesse vorliegen, wie die mit den kapitalistischen Landnahmen und der Kapitalmaximierung der letzten Jahrzehnte einhergehende tiefgreifende gesellschaftliche Entsicherung. Wirtschaftliche Instabilität, Sozialstaatsabbau, gezielte Schaffung politischer Unsicherheit et cetera lassen etliche Menschen nach klaren moralischen Richtlinien Werten, nach Orientierung und Schutz streben. Alles bricht zusammen, erodiert, kein Halt ist mehr vorhanden? Da kann das Verfolgen und Predigen einer reinen und guten Lebensweise als gute Möglichkeit zum persönlichen Gewinn von Sicherheit (gerne auf Kosten der Freiheit anderer) erscheinen. Für die einen hat es in der „guten alten Zeit“ schlicht keine Drogenkonsumenten, Nutten, Ungeimpften und sonstige Asoziale gegeben und wenn dann wurden sie flugs mit der grünen Minna in Dachau abgeliefert. Wenn sich jetzt bloß alle „am Riemen rissen“ oder – zu ihrem Besten – „an die Kandare genommen“ würden, ginge es „uns“ allen besser. Für die anderen wird die Gesellschaft besser und sicherer, wenn wir nur alle Nutten „retten“, alle Fleischgriller zwingen ihren Konsum auf den Sonntagsbraten zu beschränken (und sie somit auch „retten“) und alle bösen Meinungen und Kinderbücher unwürdiger Autoren (Stichwort: Preußler) entfernen (und so viele Kinderseelen „retten“). Letztlich kennzeichnet das Verhalten beider Gruppen die Züge eines Religionssurrogats. Nach dem Absterben der klassischen Religion nicht weiter überraschend.
Zum anderen ist die Angst vor Schmerzen – wie schon Nietzsche und andere wussten – eine Signatur der Moderne. Die Opiodkrise ist auf ihre Weise nur ein Symptom des zugrundeliegenden Prozesses. Und im Gegensatz zu einer verbreiteten Annahme, schwindet die reale Fähigkeit zum Ertragen anderer Meinungen und Lebensweisen ganz gehörig. Menschen, die Angst vor Schmerz haben und nicht lernten, damit umzugehen, neigen nämlich dazu sich von allem fernzuhalten, was Unbehagen verursachen könnte – sei es körperlicher Schmerz oder emotionaler (bspw. Stress). Und was kann alles Letzteren auslösen? Na beispielsweise Meinungen und Handlungen anderer, die von den eigenen abweichen. Menschen, die nicht gelernt haben, mit Schmerz umzugehen, neigen oft auch dazu, sich in ihrem eigenen Weltbild zu versteifen und andere Meinungen als bedrohlich und eben schmerzhaft zu empfinden (Grüße an die „Generation Woke“ gehen raus). Dies führt oft zu einem starken Bedürfnis nach Kontrolle und Konformität: Schmerz ist unerträglich. Andere Meinungen sind schmerzhaft, also auch unerträglich. Ergo sind sie zu vermeiden und müssen weggeblendet oder – noch besser – gleich ihre Quelle lahmgelegt werden. Das heißt: die Fleischgriller, Querdenker, Ungeimpften, RT-Beiträge und Nutten müssen weg. Insbesondere wenn es sich um Fleisch grillende, ungeimpfte Querdenker-Nutten handelt, die RT-Beiträge teilen.
(Neo-)Puritanismus bietet schlicht klare Regeln und Strukturen, um Schmerz und Unbehagen zu vermeiden. Halte dich von Verlockungen und Sünden fern, übe dich in Selbstdisziplin und Tugend! Und wenn alle diesem Pfad folgen, wird die Gesellschaft rein und harmonisch sein!
Definiere „liberal“, definiere „Rechtsstaat“. Jaja, andere Diskussion. Aber auch das sollte immer wieder erwähnt werden.
Ja, aber auch das ist ja nichts Neues in diesem Land. Für wen gilt denn hierzulande die „Freiheit“? Und was ist das für eine Freiheit? Freiheit zum Konsum? Freiheit zum Reisen? Freiheit zum Ausbeuten? Ist ja wunderbar, wenn man Geld fürs Konsumieren und Reisen hat oder es zum Ausbeuter gebracht hat. Freiheit zum Meinungen äußern, Freiheit über seinen Körper selbst zu bestimmen oder Freiheit von Not sind ja am Erodieren oder gleich gar nicht vorgesehen. Demgemäß ist die „Freiheit“, unter der Legalisierungen hierzulande verhandelt werden, auch nur die systemkonforme.
Tja, Onanie ist auch nur ein Mittel des Stressabbaus oder eben der Leidenslinderung wie Herr Schleim schreibt. Sie macht sicherlich weniger krank als ihr Verbot oder die so willkürliche wie oktroyierte Entfernung der Vorhaut („Beschneidung“) im (Klein)Kindalter, die die Betroffenen in der Onanieausübung erheblich einschränken kann. Aber bei Beschneidung wie Cannabis geht es eben, das wurde hier ja bereits in der Vergangenheit diskutiert, auch sehr stark um Medikalisierung und Profit. Vorhäute sind gern gesehen in der Zellkulturforschung und „Therapie“ von Suchtkonsum verschafft auch vielen Leuten Einkünfte und Arbeit…
Man muss nicht allem zustimmen und wird es trotzdem nicht für Zeitverschwendung halten, diesen langen Kommentar zu lesen. Ich weiss nicht, ob das mit der Legalisierung klappt oder nicht, es ist mir auch nach seit 60 Jahren immer völlig egal. Es ist extrem selten, dass ich mich nach staatlichen Entscheidungen richte.
Das Zeug war immer verfügbar, und Verstaatlichung mit Versteuerung wird mit Sicherheit die Falschen reich machen, und zu einem Schwarzmarkt führen, auf dem die Kinder gezwungen sein werden das Zeug dann zu kaufen.
Das eigentliche Problem ist praktisch bei JEDEM THEMA dasselbe: die Mehrheit bildet in jeder Gesellschaft IMMER die Masse der Manipulierten und Verblödeten. Wer darauf wartet, dass sich in einem Land mit demokratisch getroffenen Entscheidungen etwas zum Bessern entwickeln, der muss sehr, sehr alt werden um Fortschritt zu sehen.
@ bruce pascal
Kommt m.E. auf die Verstaatlichungsform und das System an, in dem verstaatlicht wird.
Ansonsten richte ich mich auch sehr wenig nach „staatlichen Entscheidungen“. Gilt aber für andere Institutionen (Markt, Kirche, Moschee, (Hoch)Schule etc.) genauso.
PS: Zustimmen muss man mir nie. 😉 Ist hier ein Debattenforum und ich stelle hin und wieder mein Geschreibsel rein. Wenn Sie etwas damit anfagen können – schön. Wenn nicht – dann auch. Denn das Nichtgefallen hat ebenfalls seine Vorteile, regt beispielsweise zum Nachdenken an und verschafft Reibung. Und ohne Reibung hätten wir nur die immerselbe Konsenssoße.
„Menschen, die Angst vor Schmerz haben und nicht lernten, damit umzugehen, neigen nämlich dazu sich von allem fernzuhalten, was Unbehagen verursachen könnte – sei es körperlicher Schmerz oder emotionaler (bspw. Stress).“
Die „schlechte“ Angst vor Schmerzen klingt für mich nach einer auf den Kopf gestellten Theorie.
1) Schmerzen schützen Lebewesen vor Verstümmelung.
2) Lernfähige Wesen meiden Schmerz.
Schwarze Pädagogik arbeitet mit Angst vor Schmerzen und ist vermutlich Verursacher von zahlreichen Phobien.
@ Müsli zum Fest
Ich denke, dass es sehr darauf ankommt, über welchen Schmerz man spricht, da der Algos-Kosmos ein sehr komplexes kulturelles wie individuelles Gebilde darstellt. Meiner Meinung ist es nicht so, dass lernfähige Wesen per se Schmerz zu vermeiden suchen. Manche suchen ihn vielmehr sogar aktiv – beispielsweise den Schmerz, den man nach sportlicher Betätigung („Muckibude“) erfahren kann. Andere nehmen ihn in Kauf, da das damit verbundene Ereignis positiv erfahren wird (heilende OP, Geburt eines Kindes, sexuelle Lust durch Auspeitschen). Ich denke, es ist sinnvoll zwischen Schmerztypen, wie ihn manche Woken (politisch) erfahren / vorantreiben, sowie den von Ihnen skizzierten Schmerztypen bzw. -erfahrungsformen zu unterscheiden.
Ansonsten nochmals ein paar ggf. weitergehende Gedanken, die ich anderswo schrieb (nicht nur für Sie – auch für alle interessierten Mitleser):
Gerade in der (Vor-)moderne war Schmerz in der Tat ein Disziplinierungsmittel. Mit dem Übergang zur Postmoderne erfolgt dann das Aufkommen des Phänomens der Schmerzangst, begleitet von umfangreichen Prozessen der Schmerzvermeidung und -sublimation. Diese Entwicklung lief parallel auf verschiedenen Ebenen ab; unter anderem individuell, gesellschaftlich und politisch. Auf der individuellen Ebene fällt die Palliativ- mit der Leistungsgesellschaft zusammen und manifestiert sich beispielsweise in der zwanghaften Vermeidung jedes schmerzhaften Zustandes – Cancel Culture wie Opioidkrise stehen da pars pro toto. Schmerz ist für das zum Leistungssubjekt degradierte Individuum schlicht ein Zeichen der Schwäche, das wegoptimiert werden muss, um in der Konkurrenz mit anderen bestehen zu können. Politisch ist das Signum des Algophobischen der wachsende Konsensdruck, der dazu führt, dass im Angesicht kontroverser Themen potentiell schmerzhafte Debatten entweder nicht geführt und somit vermieden oder sofort sublimiert würden. Politische Entscheidungen werden stattdessen zunehmend als Quasi-Naturgesetzlichkeiten präsentiert. TINA als eine Art politisches Analgetikum, wird gerne herangezogen, um Debatten abzuwürgen. An die Stelle des politischen Ideenwettstreits rückt so die entleerte, geglättete Postdemokratie mit inhaltlich wie personell kaum mehr voneinander unterscheidbaren Parteien. Letztlich werden Politiker durch Experten und Verwalter ersetzt. Gesellschaftlich wiederum drückt sich die Algophobie aus im Siegeszug „der Positivität, die sich jeder Form von Negativität zu entledigen sucht“ (Han 2020) und sich nur noch „mit Wohlbefinden, Glück und Optimismus“ (ebd.) sowie dem Erringen von „Likes“ beschäftigt. Schmerz als die „große Negativität“ ist hier genauso fehl am Platz wie Kritik und Nichtgefallen. Schmerzhafte Widersprüche werden darum wahlweise sublimiert oder präventiv umgangen, was sich vor allem im Aufstieg von Triggerwarnungen, Safe Spaces, oder der sogenannten Cancel Culture ausdrückt, die zunehmend verschiedenste Gesellschaftsbereiche von der Kultur, über (soziale) Medien und die Wissenschaft bis hin zur Wirtschaft durchdringt und potentielle Reibungsflächen proaktiv ausräumt: Kritische Stimmen werden ausgeschlossen, stattdessen wird – in Hans Worten – „alles geglättet, bis es Wohlgefallen auslöst“ (ebd.)
Ich möchte mich in aller Entschiedenheit gegen das Wichsen aussprechen.
Haltet eure Hände schön über der Bettdecke,
Die Lustbefriedigung zum reinen Selbstzweck führt zur Verweichlichung der Gesellschaft. Dann könnte man ja gleich alles tun was Spaß macht. Wartet bis der Russe kommt, aber dann wird es zu spät sein. Ihr werdet schon sehen.
Und weil man das in der Praxis nicht erzwingen kann, müssen die Taurus geliefert werden und mit US Atombomben bestückt sein!
Wie wäre es mit Taraus-Raketen auf Onanisten? Die Dinger sind doch so schlau, dass man sie bestimmt mit einem entsprechenden Sensor ausstatten könnte.
Wer seinen Samen verschwendet, soll Gottes (oder wenigstens Stieres) Zorn spüren!
Empfehle das Buch „Die Wiederentdeckung der Nutzplanze Hanf“ von Bröckers und Herer
…
Ansonsten …. den Artikel bitte nochmal korrekt durchgendern.
Die Interessen einer aus sich ihrer selbst bewussten und wahrlich freien Individuen bestehenden Gesellschaft und des bürgerlichen Staats sind unvereinbar. Sie stehen sich diametral und konfliktbeladen gegenüber; wobei der Staat mit seinem Machtmonopol mal mehr, mal weniger totalitär/faschistoid/faschistisch herrscht.
Viel Spaß dabei, eine Politik als Löser jener Probleme zu beauftragen, die Politik aus ihrem staatswohligen Wesen heraus selber schafft.
Mehr als moralische Symptombekämpfung in Form einer Verbotspolitik war es nie und wird es nie werden…..
„Früher einmal waren allerlei Verbote in Mode, über die wir uns heute nur wundern: Man denke an Kuppelei (Unverheirateten eine Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr zu verschaffen), Sex von Männern mit Männern, sogar Masturbation. Auch Letztere begründete man mit abstrusen Theorien über Gehirn- und Rückenmarkschwund. Man nehme dazu die Vorstellung vom lieben Gott, der alle Sünden sieht – et voilà, man hatte ein hervorragendes Instrument zur Kontrolle mit Bestrafung und Sühne von Menschen….“
Heute lachen wir darüber und wähnen uns Fortschrittlich. Aber von wegen „in Mode“: Was wir Deutschen mit offenbar triebgesteuerten und nach dem Lustprinzip lebenden Menschen – nonkonform, arbeitsscheu und moralisch verlottert – anstellen, dürfte hinreichend bekannt sein.
Das Lustverständnis im dritten Reich wäre mal ein Thema für sich….
Kann ich so nicht bestätigen.
Ich fühle seit vielen Jahren, das die Menschen ihr Menschsein abkommen gegangen ist.
Warum, weil die ‚politische Klasse‘ ein permanentes Roulette spielt um des Bürgersvieh Meinung, aber niemals verstanden hat, was des Bürgers Meinung ist!
Ihr wollt rauchen, trinken, drogen oder sonstwas? Dann braucht ihr keine Politiker und tut das was ihr wollt!
Nur Idioten rennen Idioten hinterher, um wohin zu gelangen?
Jeder normale Bürger mit oder ohne ‚Drogen‘ kennt sich und weiss sich einzuschätzen. Und wenn einer in einer Kneipe, zumindest damals, über die Stränge zog, wurde dieser freundlich von der Mehrheit gebeten nach Hause zu gehen…, ja damals war das so…