Bulgariens Politik ist geschwängert vom Geruch von russischem Öl und Gas

Der bulgarische Ministerpräsident Nikolay Denkov führt eine regierende Nicht-Koalition. Bild: Council of Ministers/CC BY-4.0

In Bulgarien gedeiht das Konzept der regierenden “Nicht-Koalition”. Streit um die Ausnahmeregelung zum Öl-Embargo, die eine Milliarde in Russlands Kriegskasse gespült haben soll.

„Auch wir haben der Welt etwas gegeben“, versichern sich die Bulgaren und Bulgarinnen zuweilen ihres nationalen Selbstwertgefühls. Als Exempel führen sie gerne den bulgarischstämmigen US-Amerikaner John Atanassoff an, den sie den Erfinder des Computers nennen. Zuletzt hat sich Bulgarien aber um eine Innovation auf dem Feld der Politik verdient gemacht. Diese ist nach Machiavellis Il Principe (Der Fürst) bekannterweise „die Summe der Mittel, die nötig sind, um zur Macht zu kommen und sich an der Macht zu halten und um von der Macht den nützlichsten Gebrauch zu machen“.

Ein seit langem vertrautes Mittel zur Ergreifung von Macht und ihren Erhalt ist „die Koalition“. Das politische Konzept der „Nicht-Koalition“ (bulg. „Ne-Koalitsia“) ist neu und darf als originär bulgarische Erfindung gelten.

Seit Anfang Juni 2023 regiert eine Nicht-Koalition das Balkanland. Sie ist dadurch entstanden, dass sich die erbitterten politischen Gegner vom liberal-konservativen Parteienbündnis aus „Wir setzen den Wandel fort” (PP) und „Demokratisches Bulgarien” (DB) einerseits und die rechtsgerichtete Partei „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens” (GERB) andererseits auf ein Regierungsbündnis verständigten, um eine sechste Parlamentswahl in zwei Jahren zu vermeiden.

Außer ihre bei jeder Gelegenheit betonte „euro-atlantische Orientierung“ verbindet die Nicht-Koalitionäre PP/DB und GERB politisch kaum gemeinsame Positionen, sondern eher persönliche Animositäten. Sie verständigten sich daher lediglich auf Eckpunkte wie schnellstmögliche Beitritte zum Schengener Raum und zur Eurozone sowie militärische Unterstützung der Ukraine. Eine Koalitionsvereinbarung als Programm ihrer gemeinsamen Regierungstätigkeit unterzeichneten sie nicht. Die politischen Berichterstatter fanden für sie daher die Bezeichnung „Nicht-Koalition“.

Die Nicht-Koalition aus PP/DB und GERB führte in den bulgarischen Parlamentarismus zudem das ihm bisher fremde Konzept der Rotation ein. Nach neun Monaten soll Ministerpräsident Nikolai Denkov (PP/DB) in seinem Amt von der früheren  EU-Kommissarin für Forschung, Innovation, Bildung, Kultur und Jugend Marija Gabriel (GERB) abgelöst werden.

Eine regierende Nicht-Koalition politischer Widersacher ist naturgemäß ein diffiziles fragiles Konstrukt. Ihre bulgarische Variante wird im öffentlichen Diskurs deshalb auch „Sglobkata” (dt. das Gebilde) genannt. Ob „das Gebilde“ aka Nicht-Koalition den Wahlkampf zu den Kommunalwahlen Ende Oktober 2023 überstehen würde, galt zum Zeitpunkt seiner Schöpfung im Juni 2023 als zweifelhaft. Tatsächlich ist heute wie damals ungewiss, ob es den avisierten Zeithorizont bis zur geplanten Rotation Gabriel / Denkov im März 2024 überdauern kann.

Die persönliche Unverträglichkeit der Nicht-Koalitionäre in ihrem politischen Verhältnis zueinander erweist sich dieser Tage bei den Bemühungen, einen Vorsitzenden für den Gemeinderat der bulgarischen Hauptstadt Sofia zu bestimmen. Nachdem der GERB-Kandidat bei der Wahl für das Amt von Sofias Bürgermeister dem PP/DB-Kontrahenten Vasil Tersiev unterlegen ist, verweigern die GERB-Stadtabgeordneten dem PP/DB-Vorschlag für den Vorsitz im Stadtparlament ihre Zustimmung. Damit ist die Arbeit des Kommunalorgans erfolgreich blockiert. „Sollte die Wahl eines Vorsitzenden in drei Monaten nicht gelingen”, warnte Bürgermeister Tersiev bereits, „ist die Neuwahl des Gemeinderats erforderlich”.

Wie auf kommunaler so auf nationaler Ebene triezen sich die Nicht-Koalitionäre nach allen Regeln der Kunst, ersinnen auch in der Bulgarischen Nationalversammlung immer neue Störmanöver und Sabotageakte. Vor allem GERB-Führer und Langzeit-Regierungschef Boiko Borissov nutzt die Vorteile, die das Konzept der Nicht-Koalition ihm als machiavellistischem Machtpolitiker bietet, gnadenlos aus. Obwohl seine Partei mit Außenministerin Gabriel in der Regierung vertreten ist, geriert sie sich Kraft der Opposition, macht dabei gemeinsame Sache mit der tatsächlich oppositionellen Partei der bulgarischen Türken „Bewegung für Rechte und Freiheiten” (DPS).

Schlupflöcher für den Export russischer Raffinerieprodukte in EU-Länder und die USA

Seit Monaten üben der frühere Wirtschafts- und Energieminister Deljan Dobrev (GERB) und der vom US-amerikanischen Finanzamt mit Magnitski-Sanktionen belegte DPS-Abgeordnete Deljan Peevski (DPS) Druck auf das Kabinett Denkov aus, es solle die Bulgarien von der Europäischen Union (EU) gewährte Ausnahmeregelung zum Öl-Embargo des 6. Sanktionspakets gegen Russland unverzüglich aufheben. Um der im Besitz der russischen Lukoil befindlichen Raffinerie Neftochim Burgas am bulgarischen Schwarzen Meer Zeit für die technologische Umstellung auf nicht-russisches Öl zu geben und starke Preissteigerungen an den bulgarischen Tankstellen zu vermeiden, erteilte die EU Bulgarien eine Ausnahmegenehmigung bis Dezember 2024.

Nun behauptet GERB-Abgeordneter Dobrev jedoch, Lukoil-Neftochim sei längst zur Verarbeitung nicht-russischen Öls bereit, wenn auch „mit einer reduzierten Betriebskapazität, die jedoch ausreichen würde, um das Land mit Treibstoff zu versorgen”. Und DPS-Fraktionsvorsitzender Peevski unterstellt Regierungschef Denkov gar „ein persönliches Interesse an Lukoil”. Gemeinsam mit den „Putinisten“ der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) und der radikalnationalistischen Vesraschdane (Wiedergeburt) arbeite die Regierung „gegen den Euro-Atlantismus“.

Zusätzliches Gewicht erhielten die politischen Attacken des Nicht-Koalitionärs GERB und der oppositionellen DPS gegen die Regierung durch einen Artikel in Politico. Unter Berufung auf Erkenntnisse des Sofioter „Center for the Study of Democracy“ (CSD) und des „Centre for Research on Energy and Clean Air“ (CREA), wird berichtet, Lukoil-Neftochim habe Russland in diesem Jahr eine Milliarde Euro für seine Kriegsanstrengungen eingebracht. Die Raffinerie habe Schlupflöcher der EU-Ausnahmegenehmigung genutzt, um Raffinerieprodukte auch in EU-Länder wie die Niederlande und sogar in die USA zu exportieren.

Die Reaktion der Mitglieder der Regierung auf die Enthüllungen war widersprüchlich. Ministerpräsident Denkov zeigte sich von der Ausfuhrpraxis „nicht überrascht, sondern lediglich von ihrem Ausmaß“. Er kündigte Gesetzesänderungen an, „um die Umgehung von Sanktionen zu kriminalisieren“. Dagegen antwortete sein Finanzminister Assen Vassilev Politico auf die Frage nach die Sanktionen umgehenden See-Exporte russischer Öl-Raffinerieprodukte in EU-Länder mit den Worten; „Das ist das erste Mal, dass ich davon höre.”

Später beschied Minister Vassilev, bei den im Raum stehenden Behauptungen zu sanktionsverletzenden Ausfuhrpraktiken handle es sich „eher um eine Intrige als etwas Reales“. Er berief sich auf seine nationale Zollbehörde, „die klar gesagt hat, dass es von der Europäischen Kommission genehmigte Kontingente gibt und diese streng überwacht werden. Jede Woche wird ein Bericht an die Kommission geschickt, was die bulgarischen Häfen verlassen hat und in welche Länder.“

„Viel Trara um viel Pro-Europäismus und Pro-Atlantizismus“

Am vergangenen Freitag verständigten sich die Nicht-Koalitionäre PP/DB und GERB mit der oppositionellen DPS schließlich darauf, dass nach dem 31. Dezember 2023 nicht mehr als 50% des importierten Rohöls aus Russland stammen soll und nach dem 31. Januar 2024 nurmehr 25 %. Zum 1. März 2024 soll der Import von Rohöl aus Russland dann vollständig beendet werden.

Lukoil-Neftochim reagierte darauf mit der Warnung, die Aufhebung der Quoten für den Export von Erdölprodukten, die nicht auf dem bulgarischen Markt verkauft werden könnten, werde zu einer „raschen Überfüllung der Lager und zur Zwangsstillegung der Produktion führen“. Dies erhöhe das technologische und logistische Risiko für die Raffinerie und könne „die Versorgung des bulgarischen Marktes mit Kraftstoffen gefährden“.

Streit gab es in den vergangenen Wochen aber nicht nur um die Aufhebung der Ausnahmeregelung für die Einfuhr russischen Rohöls und den Export daraus hergestellter Raffinerieprodukte. Für internationalen Irritationen sorgte der Plan des Kabinetts Denkov, den Transit russischen Gases von der türkischen Grenze über Bulgariens Balkan-Pipeline weiter nach Serbien mit einer zusätzlichen Abgabe in Höhe von 20 BGN (ca. 10 €) pro Megawattstunde (MWh) zu versehen.

Zwar wollte Denkov glauben machen, die Gebühr werde die Preise für die serbischen und ungarischen Gaskunden nicht erhöhen, sondern lediglich Gazproms Gewinne schmälern. Die Regierungen Ungarns und Serbiens zeigten sich davon aber nicht überzeugt. „Die bulgarische Abgabe gefährdet ernsthaft die Energiesicherheit Ungarns und der gesamten Region”, erklärte der ungarische Europaministers János Boka. Budapest werde den Fall „bis zum Ende des Jahres vor das höchste europäische Gericht bringen, falls die Europäische Kommission nicht reagiert und ein Strafverfahren gegen Bulgarien einleitet“.

Inzwischen hat die Nicht-Koalition erklärt, sie werde die veranschlagten Einnahmen durch die Gastransitgebühr in Höhe von 2,4 Milliarden BGN (ca. 1,2 Mrd €) aus dem Staatshaushalt 2024 streichen. Der mit Büchern zu Korruption und Organisiertem Verbrechen hervorgetretene investigative Journalist Grigor Lilov kommentierte die Lukoil- und Gazprom-Beschlüsse auf Facebook kritisch. Die Ankündigungen der bulgarischen Regierung haben sich seiner Ansicht nach „als Demagogie erwiesen, als ala-balah (dt. bla, bla), Tit-for-tat und reine Propaganda für jene Köpfe, die immer noch nicht begreifen können, dass es in unserem Land keine bulgarische Partei und keine führenden Politiker gibt, die wirklich pro-westlich sind und nicht die wirtschaftlichen Interessen des Kremls verteidigen, in der Regel begleitet von hohen Provisionen. Die Quintessenz ist viel Trara um viel Pro-Europäismus und Pro-Atlantizismus und am Ende – nichts!“

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13 Kommentare

  1. Die Bulgaren machen es richtig die lassen sich nicht von Selensky erpressen.Sie denken an ihr eigenes Volk.Bei uns geht’s immer mehr Berg ab aber Milliarden in unnütze Kriege verpulvern.Ein sattes Volk ist ein zufriedenes Volk,also erst mal wir die das Geld erarbeiten und dann die anderen.

    1. Ja. Der Schlusssatz “Die Quintessenz ist viel Trara um viel Pro-Europäismus und Pro-Atlantizismus und am Ende – nichts!” lässt einen an EU-Größen wie Leyen und Borrell denken und man fragt sich, wieso nicht viel mehr EU-Staaten zwar USA- und EU-Hallo inszenieren, dann aber doch lieber verträglichere Politik realisieren.

      Mit der Auflösung der UDSSR hätte die USA den Europäern für meinen Geschmack mehr Vasallen-Lockstoff bieten müssen, als die Aussicht an ihrer Seite, die Welt zu regieren. Denn wie erfolgreich die USA die Welt regiert, sieht man an Ländern wie Afghanistan, Irak und Libyen. Wer da unbedingt selbstschädigend mitmachen will, hat ein Maso-Großmannsucht-Problem.

    1. Naja, was bei uns hier abgeht, toppt doch Bulgarien um Längen. Die schalten wenigstens nicht ihre Kraftwerke ab, um dafür Windmühlen aufzustellen.

  2. Vor über einem Jahr hieß es auf MoA: “Europe must learn to cheat on ist own sanctions.”

    Ist ja auch egal, ob europäische Länder oder das angebliche Erdölexportland USA sanktionierte russische Ölprodukte aus bulgarischen Raffinerien kaufen. Machen sie doch eh in noch größerem Umfang bei den Indern.
    Billiger und ehrlicher wäre es allerdings, wenn man das russische Rohöl selbst verarbeiten würde.

    1. schon ne echte Erfolgsstory, die die Bulgaren da schreiben! :-; Allerdings was die ‘Geschäftspraxis’ anbelangt, ein wenig cleverer als der übrige ‘Wertewesten’, indem man sich den Zwischenhändler spart und weiter wie gehabt beim Erzeuger kauft. Glaubt ja wohl Keiner wirklich, dass unsere sauberen Energieträger ideologisch rückstandslos sind!

  3. Da heult der Atlantiker Stier, dass sich die Bulgaren um die EU-Sanktionsverbrechen rummogeln. Für Russland ist das ziemlich Nebensache, aber für Bulgarien überlebenswichtig. Und die bulgarischen Parteien sind nicht halbseidener als deutsche Grüne, FDPler und so weiter, nicht zu reden von der EU-Korrummission.

  4. “Die Quintessenz ist viel Trara um viel Pro-Europäismus und Pro-Atlantizismus und am Ende – nichts!“

    Genau, der Informationsgehalt des Artikels war für mich nahe Null. Ich bin aber auch kein Bulgare.
    Als ob diese parlamentarischen Scheingefechte irgendeine politische Relevanz hätten.

  5. schon ne echte Erfolgsstory, die die Bulgaren da schreiben! :-; Allerdings was die ‘Geschäftspraxis’ anbelangt, ein wenig cleverer als der übrige ‘Wertewesten’, indem man sich den Zwischenhändler spart und weiter wie gehabt beim Erzeuger kauft. Glaubt ja wohl Keiner wirklich, dass unsere sauberen Energieträger ideologisch rückstandslos sind!

  6. Die allgegenwärtige Politik und ihre ideologischen Subjekte als Interessensvertretung irgendwelcher Blöcke und die mediale Aufklärung dazu. Sind diese Meinungen wirklich repräsantiv über das was das jeweilige Volk denkt und fühlt?
    Warum existieren keine reale Plattformen, wo jeder Hinz und Kunz seine aktuelle Meinung zu einer desolaten Politik äussern kann, ohne Repressionen zu fürchten?
    Sind die Menschen unfähig nach ihrer kulturellen sprachlichen Historie zu äussern?
    Warum existiert nur ein dieses oder das? Gibt es keine Alternative Mittellösung mehr, um Kompromisse einzugehen?
    Diese Fragen, sind für Journalist/Autor oder Blogger gedacht, neue Wege zu gehen, um sich ein breiteres Spektrum an Meinungen zu eigen machen. Ich bin mir bewusst, das ist sehr aufwendig, aber mit einer guten Idee und Marketing könnte man sowas über ein ‘crowdfunding’ ermöglichen.

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