
Bulgariens Rechts-Links-Koalition kommt an der Schwelle zur Eurozone ins Wanken. Die Mehrheit der Bulgaren lehnt den Euro ab.
Am späten Montagabend geschah im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt Sofia Unerhörtes. Unter den Augen untätiger Polizeikräfte zerstörte eine kleine Gruppe junger, zum Teil vermummter Männer in aller Seelenruhe eine Zentrale der Regierungspartei „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens“ GERB. Zuvor hatten sie bereits unter den Augen der Polizeikräfte Müllcontainer in Brand gesteckt, nun zertrümmerten sie mit Steinen und Knüppeln systematisch die Glasfassade des Parteibüros und verwüsteten es.
„Halt, das nicht!“, rief ein Passant, als einer der Männer einen brennenden Stuhl aus einer Mülltonne in das Büro im Parterre eines Wohnhauses warf, „hier leben Menschen.“ Er holte den brennenden Gegenstand heraus und verhinderte einen Brand des Gebäudes. Danach dauerte es geraume Zeit, bis die Polizeikräfte die Randalierer schließlich verdrängten.
Es war ein Krawall mit Ansage nach einer friedlich verlaufenen Protestkundgebung von rund 60 000 Menschen in Sofias sogenanntem Dreieck der Macht zwischen Ministerrat, Volksversammlung und Staatspräsidium. Die Menschen demonstrierten gegen den von der Rechts-Links-Koalition von Ministerpräsident Rossen Scheljaskov vorgelegten Haushaltsentwurf für das kommende Jahr. Er sollte Bulgariens erstes Staatsbudget in seiner neuen Währung Euro werden.
Den ganzen Tag über kursierten in publizistischen und sozialen Medien Gerüchte, die Polizei werde für die Demonstration Einlasskontrollen errichten, im ganzen Land hätten die Polizeibeamten Urlaubssperre, um genügend Sicherheitskräfte zu gewährleisten, Tränengas- und Wasserwerfer stünden einsatzbereit. Es roch nach Randale, die sich schließlich auch einstellte.
Massive Sachbeschädigungen, über siebzig Festnahmen, drei verletzte Polizisten lautete die Bilanz des Abends, der kämpferisch, aber friedlich mit einer der größten Protestkundgebungen in Bulgariens postkommunistischer Geschichte seit 1989 begonnen hatte.
Es war nicht das erste Mal in Bulgarien, dass eine regierungskritische Demonstration durch Agents Provocateurs in gewaltsame Randale verwandelt wurde. Doch wer könnte sie diesmal geschickt haben? GERB-Parteiführer und Ex-Ministerpräsident Boiko Borissov beantwortete die Frage eines Journalisten unwirsch. „Du willst sagen, dass ich welche schicke, die mir die Büros demolieren, damit ich am nächsten Tag hingehe und sie wieder in Ordnung bringe“, entgegnete er. Doch solche Rhetorik kann den plausiblen Verdacht, ein friedlicher Protest sollte durch inszenierte Gewalt diskreditiert werden, kaum ausräumen.
Nur selten führen politische Auseinandersetzungen um Haushaltsentwürfe zu Massendemonstrationen. Tatsächlich war die von Aktivisten des oppositionellen, politisch euro-atlantisch orientierten Parteienbündnises „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) und „Demokratisches Bulgarien“ (DB) organisierte Kundgebung zwar als Protest gegen das Euro-Staatsbudget für 2026 deklariert. Die Protestmasse auf dem heillos überfüllten Ploshtadt Vazrazhdane (Wiedergeburtsplatz) machte aber lautstark deutlich, dass sich ihr Protest über die Kritik am Haushaltsentwurf hinaus generell gegen die politische Führung des Landes richtet.
„Mafia!, Mafia!“, skandierten die Demonstranten und forderten mit „Ostavka!, Ostavka!“ den Rücktritt des Kabinetts Scheljaskov. PP/DB und ihre Sympathisanten sind von ihrer politischen Ausrichtung her keineswegs gegen den Beitritt ihres Landes zur Eurozone. Unter den Teilnehmern der Kundgebung waren aber sicherlich viele, die die zum Jahresbeginn 2026 bevorstehende Währungsumstellung vom Lev (BGN) zum Euro (€) ablehnen. Stets hat sich in Meinungsumfragen eine Mehrheit der Bulgaren und Bulgarinnen gegen den Beitritt ihres Landes zur Eurozone ausgesprochen. Die von Staatspräsident Rumen Radev geforderte Volksbefragung zum Euro wurde von den euro-atlantischen Parteien GERB, PP/DB etc. aber abgeblockt.
Den Rücktritt ihrer Regierung lehnten Ministerpräsident Scheljaskov und GERB-Führer Borissov nach dem mächtigen Protest nicht nur in Sofia, sondern in zahlreichen weiteren Städten wie Plovdiv, Varna, Burgas u. a. zwar ab. Sie zeigten sich von ihm aber so beeindruckt, dass sie den ersten Euro-Staathaushalt 2026 aus dem parlamentarischen Verabschiedungsprozess wieder zurückzogen. Bis zum Ende des Jahres wollen sie nun einen neuen vorlegen und im Parlament verabschieden lassen. Dass ihnen das noch gelingen wird, ist unwahrscheinlich. Bulgarien dürfte seinen Beitritt zur Eurozone im Neuen Jahr mit dem verlängerten Staatshaushalt 2025 in Leva vollziehen müssen.
Mit der ihm eigenen List schob Boiko Borissov die Schuld daran „absurden Forderungen“ von GERBS Koalitionären zu. Er drohte am Dienstag der postkommunistischen „Bulgarischen Sozialistischen Partei“ (BSP) und der Kleinstpartei „So ein Volk gibt es“ (ITN), er werde sich „nicht länger fügen und stillschweigend alle absurden Forderungen an den zweifellos schlecht strukturierten Haushalt hinnehmen. Entweder beschließen die Koalitionäre gemeinsam mit GERB einen neuen Haushalt oder es kommt zu Neuwahlen.“
Am Mittwoch prophezeite er: „Wenn die Regierung jetzt stürzt, bedeutet das in den nächsten drei bis vier Monaten extremes Chaos, denn Sie wissen ja, wie Übergangsregierungen funktionieren. Dann steigen die Preise in den Geschäften und in allen Branchen in den Himmel. Der Euro wird ab dem 1. Januar geschwächt sein, so dass wir das erste Land werden können, das den Euro verlassen will.“
So wie die regierende Koalition in den vergangenen Wochen jegliche Kritik von Gewerkschaften, Arbeitnehmerverbänden und der Opposition an ihrem von GERB-Finanzministerin Temuschka Petkova verantworteten Haushaltsentwurf negierte, so ignorierte sie zuvor hartnäckig Zweifel bulgarischer und internationaler Volkswirtschaftler an der Sinnhaftigkeit von Bulgariens Beitritt zur Eurozone.
Die Umstellung werde „die Einkommensschwachen am härtesten treffen“
Die prominenteste Gegenstimme gegen Bulgariens Annahme des Euros ist der US-Ökonom Steve Hanke. Er gilt als „Vater des bulgarischen Währungsboards“, das nach dem Bankencrash im Winter 1996/97 zur Bekämpfung der Hyperinflation eingerichtet wurde und den Lev an die D-Mark (später €) koppelte.
Das bestehende System bot nach Hankes Ansicht „Stabilität und die Vorteile des Euro ohne die damit verbundenen Risiken“. Es habe Bulgarien „finanzielle Disziplin und die zweitniedrigste Staatsverschuldung in Europa gebracht“. Sie beläuft sich auf 24% des Bruttoinlandsprodukts.
Von seiner Abschaffung durch den Euro erwartet Hanke „Populismus und fiskalische Verantwortungslosigkeit“. Die Währungsumstellung werde zudem zu „Preisanstiegen bei Dienstleistungen und Waren führen ähnlich wie in der Slowakei und Litauen“. Dies werde „die Einkommensschwachen am härtesten treffen und die soziale Polarisierung verstärken“. Bulgarien werde ohne „Mitspracherecht in der EZB an Rettungsfonds für andere Länder wie seinerzeit für Griechenland beteiligt werden und seine Währungshoheit zu verlieren“.
Die Entscheidung für den Euro hält Hanke „durch korrupte und inkompetente Politik unter Missachtung der öffentlichen Meinung erzwungen“, die Eurozone sieht er als ein „Projekt zur stärkeren Zentralisierung der Macht“. Ein Austritt aus ihr sei aber „aufgrund des Fehlens eines Ausstiegsmechanismuses nahezu unmöglich“.
Von solchen Einwänden war Anfang November 2025 beim Festakt „An der Schwelle zum Euro“ in Bulgariens Nationalem Historischem Museum in Bojana Anfang November 2025 nichts zu hören. Bei ihm gaben sich der EU-Kommissar für Wirtschaft und Produktivität Valdis Dombrovskis, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) Christine Lagarde und die aus Bulgarien stammende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) Kristallina Georgieva die Ehre. Was aber als Konferenz zur Euro-Einführung angekündigt wurde, erwies sich als eine Aneinanderreihung wohlfeiler Sonntagsreden
EU-Kommissar Dombrovskis lobte Bulgariens erklärte Absicht, mit seinem Staatshaushalt 2026, das Kriterium des Haushaltsdefizits von 3 % einzuhalten. Mit keinem Wort würdigte er Warnungen von Kritikern der Regierung, die Einhaltung dieses zum Beitritt zur Eurozone wesentlichen Kriteriums sei aufgrund überhöhter Ausgaben und zu optimistischer Einnahmenansätze unrealistisch.
Weiter gab Dombrovskis seiner Hoffnung Ausdruck, die „Beibehaltung des Reformkurses“ werde „die Vorteile des Euro-Beitritts Bulgariens steigern und das Geschäftsumfeld stärken“. Dabei warfen bulgarische Wirtschaftsexperten dem Haushaltsentwurf der Regierungskoalition gerade die völlige Absenz jeglicher Reformansätze vor.
EZB-Chefin Christine Lagarde versprach, Bulgarin werde ein „gleichberechtigtes Mitglied der Eurozone“ werden, dessen „Stimme das gleiche Gewicht hat wie die der anderen Mitgliedstaaten“. Kritiker wie Steve Hanke erachten die kleinen Länder in der Eurozone aber als Erfüllungsgehilfen der großen Länder Deutschland und Frankreich.
Die der bulgarischen Regierungspartei GERB nahestehende IWF-Direktorin Kristallina Georgieva versprach, Bulgarien werde mit dem Euro „sicherer und attraktiver für Investoren und den Tourismus“. Sie wollte Bulgariens Mitgliedschaft in der Eurozone als „Anerkennung der makroökonomischen Stabilität“ verstanden wissen und „der Haushaltsdisziplin, die das Land seit langem bewahrt“. Bulgarische Ökonomen sahen durch das vorgelegte, inzwischen wieder zurückgezogene Budget 2026 die Haushaltsdisziplin und die niedrige Staatsverschuldung aber massiv gefährdet.
Für die kommende Woche und die folgenden Monate stehen weitere Protestdemonstrationen zu erwarten. Sie dürften sich nicht an technischen Details in Haushaltsfragen aufhängen, sondern Bulgariens grundsätzliche Probleme in den Fokus nehmen. Ähnlich wie die vorhergegangenen großen Protestbewegungen in den Sommern der Jahre 2013 und 2020 wird es bei ihnen um die mangelnde Hoheit des Rechts in Bulgarien gehen, einem Staat, den viele als von Oligarchie und politischer Kaste gekapert erachten.
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Die Einführung des Euro war der größte Raubzug der herrschenden Klasse zur Jahrtausendwende.
Danach kam dann gleich 9/11!