Bulgarien: „Regierung des Möglichen“ oder „Kabinett Frankenstein

 

Das Parlament wählte Rossen Scheljaskov (Rosen Zhelyazkov) zum neuen Ministerpräsident. Bild: Bulgarisches Parlament

Vor zweieinhalb Monaten haben die Bulgaren und Bulgarinnen ihr siebtes Parlament in dreieinhalb Jahren gewählt. Und sofort nach der Wahl schien alles darauf hinauszulaufen, dass sie in diesem Frühjahr ihr viertes wählen müssten. Elf Sitzungstage im Verlaufe von drei Wochen benötigte die 51. Bulgarische Volksversammlung, um sich überhaupt zu konstituieren, weil sich die acht Parlamentsfraktionen nicht auf die Wahl eines Parlamentsvorsitzes verständigen konnten. Es war dies ein schlechtes Omen für die Regierungsbildung, das sich zu bestätigen schien, als Weihachten und der Jahreswechsel ins Land gingen, ohne dass irgendetwas von Koalitionsverhandlungen zu vernehmen war.

Doch dann ging alles ganz schnell. Nach nur zehn Tagen Konsultationen verkündete die aus der Parlamentswahl am 27. Oktober 2024 als klare Gewinnerin hervorgegangene rechtsgerichtete Partei „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) von Ex-Ministerpräsident Boiko Borissov am Montag, dem 15. Januar 2025 die Bildung einer Dreierkoalition mit ihrem politischen Erzfeind der postkommunistischen „Bulgarischen Sozialistischen Partei“ (BSP) und der Kleinstpartei „So ein Volk gibt es“ (ITN).

Als Bulgariens Ministerpräsident in spe Rossen Scheljaskov aus den Händen von Staatspräsident Rumen Radev den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung entgegennahm, ließ der frühere Transportminister und Parlamentspräsident keinen Zweifel an seiner Statthalterfunktion. „Der große politische Kompromiss, den wir gemacht haben“, so sprach er, „besteht darin, dass ich in dieser Position bin und nicht unser Führer Boiko Borissov.“ Tatsächlich wollte eigentlich Borissov zum vierten Mal seit dem Sommer 2009 das Amt des Regierungschefs übernehmen, doch war dies seinen potenziellen Koalitionspartnern nicht vermittelbar.

Am darauffolgenden Tag wählte die Bulgarische Volksversammlung Rossen Scheljaskov mehrheitlich zum neuen Regierungschef. Da sein Regierungsbündnis aber über keine Mehrheit im Parlament verfügt, war es für seine Wahl auf die Stimmen der „Allianz für Rechte und Freiheiten“ (APS) angewiesen. Bei ihr handelt es sich um die von Ahmed Dogan angeführte Splitterfraktion der im Juli 2024 gespaltenen Türkenpartei „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS).

Das Regierungsprogramm des Kabinetts Scheljaskov ist noch nebulös, erst in einem Monat will die neue Koalition ihr Regierungsprogramm präsentieren. Bisher beließ es der neue Premier mit Versprechungen, seine Regierung werde „die drängenden Probleme des Landes angehen“, zu denen „die Verwendung von EU-Finanzmitteln, die besseren Verwaltung im Namen des Rechts und ein effektiveres Funktionieren der staatlichen Institutionen“ gehörten.

GERBs prädestinierter Koalitionspartner, das liberal-konservative Parteienbündnis aus „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) und „Demokratisches Bulgarien“ (DB), findet sich erstmals seit seiner Entstehung in der Opposition wieder, zusammen mit den russlandfreundlichen Nationalisten der Partei „Vazrazhdane“ (Wiedergeburt), der von Deljan Peevski angeführten Fraktion der Türkenpartei „DPS – Neuanfang“ und dem Parlamentsrookie „Metsch“ (Schwert).

„Toleranzperiode von minus zwei Wochen“

Noch immer steht die Zusammensetzung des Parlaments aber unter einem gewissen Vorbehalt, da das bulgarische Verfassungsgericht fünf Klagen wegen des Verdachts auf Wahlmanipulation durch Stimmenkauf und kontrollierte Stimmabgabe zu prüfen hat. So ist nicht ausgeschlossen, dass die mit gerademal einundzwanzig Stimmen an der 4%-Hürde gescheiterte patriotische Partei „Velitschie“ (Großartigkeit) nach einer Neuauszählung der Stimmen doch noch ins Parlament einzieht und sich dessen Mandatsverteilung dadurch verändert.

Trotz allem herrscht über die Grenzen politischer Präferenzen hinweg Erleichterung in Bulgariens Öffentlichkeit, dass erneute vorgezogene Neuwahlen vorerst vermieden werden konnten. Allerdings fragen sich Bürger und politische Beobachter, was für eine Politik von einer Koalition zu erwarten ist, die sich zusammensetzt aus der rechten, erklärtermaßen transatlantischen orientierten GERB, der linken, traditionell Russland verbundenen BSP und der ideologisch schwer verortbaren ITN? Wie stabil sie sein wird, ist angesichts der ihr theoretisch innewohnenden zentrifugalen Kräfte kaum absehbar.

Dies sei die erste Regierung seit 1990, die eine „Toleranzperiode von minus zwei Wochen“ genieße, kommentierte etwa Rumen Petkov, früherer Innenminister einer BSP-Regierung gegenüber Nova TV. Die Entscheidung zur Regierungsbeteiligung sei für die Sozialisten schwierig gewesen, doch habe die Situation im Lande sie zu ihr gezwungen.

Kornelia Ninova, die Anfang September 2024 aufgrund mangelnder Wahlerfolge und Vorwürfen autoritärer Führung aus ihrer Partei ausgeschlossene langjährige BSP-Parteivorsitzende, geißelt nun den Eintritt der Sozialisten in eine Koalition mit GERB als „Verrat an den Ideen der Wähler“ und „Ausverkauf ihrer Werte“. Nach „zehn Jahren des Kampfes gegen das Modell GERB“ umarme die BSP GERB nun.

Ninova zufolge hat eine „Frankenstein-Regierung“ Gestalt angenommen, bei der es sich um die „Borissov-Regierung mit den Krücken BSP und ITN“ handle, die „abhängig von Dogans Goldenem Finger“ sei. Sie vereinige „alles Böse der Transformationsperiode“ (von der kommunistischen Volksrepublik zum heutigen Bulgarien / Anm. d. A.), Klüngeleien, schmutzige Geschäfte, Postenschacherei“. Gewiss sei eine reguläre Regierung notwendig für das Land, so Ninova, doch hätte es ihrer Überzeugung nach „einer überparteilichen Regierung mit spezifischen Prioritäten“ bedurft.

Borissov: ein Anführer vom Trump-Typus?

Außer dem innenpolitischen Für und Wider der neuen Regierung beschäftigt politische Analysten des Balkanlands vor allem auch ihre geopolitische Dimension. Und dabei geht es ihnen insbesondere um Frage, ob und wenn ja inwieweit der Sieg Donald Trumps bei den Präsidentschaftswahlen in den USA zu ihrem Entstehen beigetragen hat? Der PP/DB nahestehende Diplomat und frühere Ständige Vertreter Bulgariens bei den Vereinten Nationen (UN) Stefan Tavrov geht nicht davon aus. Er hofft, es gebe „keinen seriösen bulgarischen Politiker, der sein Verhalten von ihnen abhängig macht“.

Die prominente Publizistin Diana Damjanova beschwor dagegen bereits am Wahlabend des 27. Oktober 2024 den „starken  Einfluss der US-Wahl auf die Möglichkeit einer Regierung in Bulgarien“. Anlässlich der Bildung des Kabinetts Scheljaskov griff sie das Thema wieder auf und führte aus, Trumps Sieg habe „zu einer politischen Neubewertung in der ganzen Welt geführt“, so sei es nur „logisch, dass auch in Bulgarien eine solche Neubewertung vorgenommen wurde“.

Zwar werde Trumps Wahl „nicht alles möglich machen“, sie führe aber zu einer „weiteren Schwächung der liberalen bürgerlichen Energie“ und des liberal-demokratischen Sektors, der sich in Bulgarien als „die guten Kräfte“ bezeichne. Trumps Präsidentschaft habe nun „die Möglichkeit eröffnet, mutigere politische Konstruktionen zu machen“, so Damianova, „die die ´guten Kräfte` nicht oder nicht vollständig einschließen“.

Sie sieht den „neuen Wirbelwind in der Weltpolitik“ hinter „Borissovs Mut, eine solche Regierung zu bilden“. Borissov sei ein „Anführer vom Trump-Typus“. So werde ihn Trumps Sieg beflügeln wie „viele ähnliche Politiker in der Welt“. Das Kabinett Scheljaskov sei eine „Regierung des Möglichen“, von der niemand sagen könne, wie lange sie Bestand haben werde. „Ich weiß nur, dass vorübergehende Dinge manchmal dauerhafter sind als permanente.“

Dagegen sieht Deyan Kyuranov, Philosoph und Mit-Begründer des Sofioter Zentrums für Liberale Strategien, in seinem Kommentar für das Bulgarische Nationalen Radio (BNR) in der  neuen Rechts-Links-Koalition eine „Regierung der Spaltung der bulgarischen Gesellschaft in Pro- und Anti-Europäer“. Den Tag ihrer Wahl hält Kjuranov für „keinen guten Tag für die bulgarische Demokratie“.

Wie Damianova ist er der Meinung, zum Verständnis der neuen Regierung müsse man „das internationale Momentum einbeziehen“. Allerdings beurteilt er sie wesentlich kritischer. Eine Regierung, die Bulgarien vereine, „weil sie regulär ist, hätte es geben können, wenn Biden oder jemand, der Bidens Politik fortsetzt  in Amerika geblieben wäre“, schreibt er. Die USA mit Trump an der Spitze seien indes „eine ganz andere Situation“.

Sie werde „all jene begünstigen, die eine negative oder gleichgültige Haltung gegenüber den europäischen Werten haben“. Trump werde „die Welt so weit wie möglich gegen die europäischen Werte und gegen die Europäische Union führen“. Und die bulgarische Regierung werde sich „entsprechend der Neuausrichtung der USA von europäisch zu anti-europäisch positionieren“. Aufgrund „Trumps unvermeidlicher Annäherung an Putin“ verlaufe die „pro-russische Linie nicht länger direkt „Sofia – Moskau“, sondern „Sofia – Washington – Moskau“.

Welchen Kurs die Dreierkoalition von Rossen Zheljaskov innenpolitisch und außenpolitisch einschlagen wird und ob sie sich überhaupt als beständig erweisen wird, werden die kommenden Wochen und Monate zeigen. Unabhängig davon aber ob man mit ihr sympathisiert oder nicht, hat die Art ihrer Entstehung dem Publikum in Bulgariens politischem Zirkus einmal mehr eines zweifellos vorgeführt. Boiko Borissov ist der virtuose Dompteur in der bulgarischen Manege, der die politischen Kräfte mit Peitsche und Zuckerbrot wie domestizierte Tiere übers Stöckchen springen lässt und auf ihre Plätze weist.

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5 Kommentare

  1. ….immerhin, ‚Minderheitsregierung‘ scheint mir keine schlechte Lösung, eh dann mit fragwürdiger Mehrheitsbildung alles was der ‚Wahrheitsfindung‘ dient, ‚demokratisch ‚ durchgewunken wird, wie Hierzulande. Aber die Fotos, mamamia! Gabs nicht noch paar Masken aus der pandemischen Büchse der Pandora!? Gnade!

  2. Das ist neu:

    „aus der rechten, erklärtermaßen transatlantischen orientierten GERB, der linken, traditionell Russland verbundenen BSP“

    Bei uns sind die erklärten Transatlantiker und Russlandhasser (die nirgends die kriegstreibenden GBUSIL sehen sondern immer nur die Bösen China und Russland) bisher „links“ verortetet gewesen (unsere ganze Regierung und deren Anhängsel geben sich ja als irgendwie oder zumindest eher „links“ als „rechts“), und dagegen die „Rechten“ (also alles was offiziell beschimpft und ausgegrenzt wird) eher mit Russland verbunden.

    Eine weitere Auflösungserscheinung dieses debilen „links-rechts“-Schema-Denkens.

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