Bulgarien nach dem Sturz von Generalstaatsanwalt Ivan Geschev

Während einer Pressekonferenz zerriss Ivan Geschev noch am 15. Mai ein Rücktrittsschreiben. Screenshot von YouTube-Video

Wird der „gekaperte Staat“ Bulgarien nun endlich zum Rechtsstaat?

Sechs Wochen vergingen zwischen dem Bombenattentat auf die Limousine Ivan Geschevs am Mittag des 1. Mai 2023 und seiner Abberufung aus dem Amt des bulgarischen Generalstaatsanwalts durch Staatspräsident Rumen Radev. Es waren turbulente Wochen, die einen revolutionären Umsturz in Politik und Rechtswesen des Balkanlandes brachten. Verbündete wurden erbitterte Feinde und politische Gegner Koalitionspartner einer „Regierung der nationalen Rettung“. So wurden die sechsten Parlamentswahlen in gut zwei Jahren vermieden.

Ob das konservativ-liberale Regierungsbündnis von Ministerpräsident Nikolai Denkov lange halten wird, bleibt fraglich. Knapp drei Wochen nach seinem Amtsantritt streiten das konservativ-liberale Parteienbündnis aus „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) und „Demokratisches Bulgarien“ (DB) einerseits und die rechtsgerichteten Partei „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) unversöhnlich um die Besetzung wichtiger Funktionen in der staatlichen Verwaltung. GERB-Führer und Ex-Regierungschef Boiko Borissov und DB-Vorsitzender Hristo Ivanov beschuldigen sich gegenseitig, die Stabilität der Regierung zu gefährden.

Es wird Zeit, dass man den politischen Abschaum aus dem Parlament fegt“, hatte Generalstaatsanwalt Ivan Geschev auf seiner Pressekonferenz Mitte Mai 2023 gesagt, als er feststellen musste, dass Boiko Borissov das jahrelange Zweckbündnis mit ihm als Faustpfand für die Bildung einer Koalitionsregierung mit PP/DB eingetauscht hatte. Dabei hatte ihn das PP/DB-Innenministerium am 18. März 2022 noch unter dem Vorwurf der Korruption für vierundzwanzig Stunden inhaftiert.

Er habe mit seiner Verbalattacke gegen die Parlamentarier das Prestige des bulgarischen Rechtswesens unterminiert, lautete die offizielle Begründung für Geschevs Absetzung. In den vergangenen Jahren hat Ivan Geschev aber schwerwiegendere Gründe geliefert, die seine Entfernung aus dem Amt des Obersten Anklägers hätten rechtfertigen können. Insbesondere seine Resultatslosigkeit in der Bekämpfung organisierter Kriminalität und der „Korruption der höheren Etagen der Macht“, hat Geschevs Amtsführung im Urteil seiner Kritiker seit langem diskreditiert.

Mit den politischen Winkelzügen zur Beseitigung Geschevs aufsehenerregende Kriminalfälle einher

Am 25. Mai 2023 wurde der Bulgare Krasimir Kamenov aka Kyro in seiner Villa im südafrikanischen Kapstadt zusammen mit seiner Frau und zwei Bediensteten von einem Killerkommando liquidiert. Erst Mitte März 2023 hatte die Staatsanwaltschaft Abhöraufnahmen veröffentlicht, die den mutmaßlichen Drogenboss als Teilnehmer einer Verschwörung gegen Generalstaatsanwalt Geschev überführen sollten.

Eine gute Woche nach dem Mord an Kyro skandalisierte ein zweiter mit Südafrika verbundener Fall die bulgarische Öffentlichkeit. Wie eine makabere Gestalt aus Bulgariens jüngster Vergangenheit tauchte am 3. Juni 2023 der seit elf Jahren flüchtige Angel Hristov plötzlich in seinem Heimatdorf Resilovo bei Dupnitsa auf, allerdings tot.

Angel Hristov aka Gele und sein Komplize Plamen Galev waren als Bratja Galevi (Galev-Brüder) berühmt und berüchtigt dafür, die Bezirksstadt Dupnitsa über Jahre hinweg in Feudalherren-Art terrorisiert zu haben, ohne dafür von den zuständigen Repressionsbehörden in irgendeiner Weise behelligt zu werden.

Nachdem sie im Jahr 2012 schließlich doch rechtskräftig zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt wurden, gewährte ihnen das bulgarische Grenzregime vor Haftantritt noch die Möglichkeit zur Ausreise. Seitdem wurden die Bratja Galevi wahlweise in Dubai oder Südafrika vermutet, beides populäre Destinationen unter Bulgaren, die sich strafrechtlicher Verantwortung entziehen wollen.

Ob Gele im Ausland seinem Herzinfarkt erlegen ist und heimlich zur Bestattung über die Grenze geschafft wurde oder er sich vielleicht in all den Jahren seiner vermeintlichen Abwesenheit unbemerkt in Bulgarien aufgehalten hat? Diese Frage könnte zu einem der kriminologischen Mythen werden, die von den bulgarischen Ermittlungsbehörden in der Regel unaufgeklärt bleiben und Bulgariens Kriminalgeschichte so interessant und geheimnisvoll machen.

Als die Niederlande und Österreich im Dezember 2022 ihr Veto einlegten gegen Bulgariens Beitritt zum Schenger Rau, begründeten sie dies mit dem ungelösten Problem der Korruption in dem Balkanland und mangelndem Vertrauen in die Fähigkeit bulgarischer Grenzbehörden zum Schutz der EU-Außengrenzen. Geles Flucht und wundersame Rückkehr erhärtet die Plausibilität ihrer Skepsis ebenso wie die Flucht des ehemaligen Chefs der Sofioter Ermittlungsbehörde Petjo Petrov mit seinem kleinen Kind Anfang Juni 2023.

Im Jahr 2015 musste Petjo Petrov wegen seiner unrühmlichen Rolle in einer versuchten Anstiftung zur Gabe von Bestechungsgeldern aus dem Staatsdienst ausscheiden. Die Affäre brachte ihm den Spitznamen Pepi Evroto (dt. Pepi, der Euro), unter dem er den Bulgaren seitdem bekannt ist.

Seine Ex-Frau Ljubena Pavlova hat dem investigativen Anti-Korruptions-Fonds (AKF) berichtet, dass der seitdem als Advokat tätige Petjo Petrov ein Netzwerk zur Einflussnahme im bulgarischen Rechtswesen betrieb. „Polizisten, Staatsanwälte und Richter standen auf seiner Gehaltsliste, manche nahmen zweitausend Leva, andere zwanzigtausend“, sagt Pavlova. „Die Einen konnten bei ihm gegen Geld ihre Probleme mit der Justiz lösen, anderen dagegen wurden Probleme bereitet“.

Die 8 Zwerge

Bereits vor drei Jahren hat der Journalist und AKF-Gründer Nikolai Stajkov in einer Serie von Interview-Videos mit dem Titel „Die 8 Zwerge“ Pepi Evrotos Komplizenschaft mit willfährigen Beamten aus Polizei und Justiz enthüllt. In den Videos erzählt der Unternehmer Iliya Zlatanov, wie Petrov ihm sein Unternehmen zur Produktion von Aufzügen IZAMET auf perfide Weise gestohlen hat.

Auf Empfehlung eines Bekannten habe er Pepi Evroto in dessen Büro in dem Restaurant „Die 8 Zwerge“ aufgesucht, weil er sich von ihm Unterstützung erhoffte im eskalierten Streit mit seinem Sohn um das Familienunternehmen. Schließlich zwang ihn Pepi Evroto aber, sein Eigentum an IZAMET an einen Dritten zu übereignen. „Petrov sagte mir, ich müsse ihm das Unternehmen überschreiben, weil der DPS-Abgeordnete Deljan Peevski in das Aufzuggeschäft einsteigen wolle, da die EU für Bulgarien vier Milliarden Euro für die Ersetzung von Aufzügen vorgesehen habe“, so Zlatanov.

Den AFK-Enthüllungen hat es der Unternehmer zu verdanken, dass er inzwischen wieder über sein Eigentum an IZAMET verfügen kann. Die zuständigen Polizeibehörden und die Staatsanwaltschaft unternahmen aber bis Anfang Juni 2023 keine erkennbaren Anstrengungen, Pepi Evroto und seine Handlanger in Polizei und Staatsanwaltschaft für ihr kriminelles Handeln in irgendeiner Weise strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen. So sind die „8 Zwerge“ nicht das einzige, aber ein besonders eindrückliches Beispiel für Bulgariens mangelhafte Rechtsstaatlichkeit.

Geschev: Bulgarien steht am „Scheideweg“

Die maßgebliche juristische Verantwortung dafür gebührt dem seit dem Jahr 2019 amtierenden Generalstaatsanwalt Ivan Geschev, die politische trägt das Innenministerium des bis zum Frühjahr 2021 regierenden Ministerpräsidenten Boiko Borissov. Wie kaum eine andere macht die Geschichte der „8 Zwerge“ verständlich, warum im Sommer 2020 tausende Demonstranten über Monate hinweg die sofortigen Rücktritte von Geschev und Borissov forderten, weil sie beide Stützen der mafiösen Oligarchie seien.

Als Retourkutsche dafür, dass Boiko Borissov ihm die Loyalität aufgekündigt und seinen Sturz betrieben hat, forderte Ivan Geschev in einer seiner letzten Amtshandlungen als Generalstaatsanwalt die Aufhebung von dessen parlamentarischer Immunität. Sie sei die Voraussetzung für Ermittlungen zu Geldwäschevorwürfen gegen Borissov im Zusammenhang mit dessen angeblicher Villa in Barcelona (Barecelonagate) und den ominösen 500-Euro-Scheinen und Goldklümpchen in seinem Nachttischen.

Dabei war es gerade Geschevs demonstrative Nichtbefassung mit diesen beiden Verdachtsfällen, in denen sich seine Kumpanei mit Borissov am offensichtlichsten manifestierte. Geschevs Kritikern müssen dessen unmittelbar nach seiner Entlassung an die „bulgarischen Brüdern und Schwestern“ gerichteten Worte wie Hohn in den Ohren klingen. „Unser konsequenter Kampf gegen kriminelle Oligarchen und diebische Parteiführer hat in den letzten Monaten zu einer noch nie dagewesenen Allianz von Spitzenpolitikern, Mafia und zwielichtigen Unternehmen geführt”, sprach er über YouTube.

Die „panische Angst“ seiner früheren Freunde und jetzigen Feinde sei „durch meine Entschlossenheit und die der Staatsanwaltschaft ausgelöst“ worden. Bulgarien stehe nun am „Scheideweg“, die „Zeit der Spaltung“ sei gekommen. „Entweder kämpfen wir für die Wahrheit und die Gerechtigkeit, oder wir verraten das Testament der Tausenden, die für die Freiheit des bulgarischen Nationalstaats gestorben sind“, deklamierte Geschev mit patriotischem Pathos.

Re-Start der bulgarischen Gesellschaft?

Markiert Ivan Geschevs Sturz nun den von vielen lange ersehnten Re-Start der bulgarischen Gesellschaft oder ist er lediglich ein Mittel zur Umgruppierung der herrschenden Kräfte für deren Machtverhalt? Die Nachfolge im Amt des Generalstaatsanwalts legt eine Restauration der Verhältnisse unter neuen Vorzeichen nahe. Schwerwiegende Verdachtsmomente der Korruption und Ungesetzlichkeit verknüpfen sich auch mit dem Namen des als geschäftsführenden Generalstaatsanwalt eingesetzten Borislav Sarafov.

Iliya Zlatanov ist Sarafov bei seinen Unterredungen mit Pepi Evroto im Restaurant „Die 8 Zwerge“ begegnet. Und dessen Ex-Frau Ljubena nennt Sarafov einen „Freund der Familie“, der den Advokaten öfters zu beruflichen Gesprächen im Restaurant getroffen habe und ihm stets hilfreich gewesen sei.

Zweifel an Sarafovs Integrität wecken auch sein sich dynamisch entwickelndes Immobilienvermögen mit Häusern und Apartments in Bulgarien und Dubai. Solange die zuständigen Behörden dazu aber keine nachweisbaren Erkenntnisse liefern, lässt sich über die Rechtmäßigkeit des Vermögens von Bulgariens neuem Generalstaatssekretär Sarafov nur spekulieren.

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3 Kommentare

  1. Der Artikel ist eine gute Beschreibung wie Demokratien funktionieren,
    rieche nach dem Kapital und alles so gut werden…
    Black Rocks angeblicher Mitarbeiter posaunte heraus, wie das Geschäft funktioniert..
    Ist es nicht spannend, zusehends vor den eigenen Augen zu sehen, wie eine ‘schaffende Gemeinschaft’
    ausgenommen wird?
    Bei solchen demokratischen Staaten ist es doch wichtig zu wissen, woher diese stammten!
    Kein Appel fällt weit vom Stamm!
    Aber eins ist wichtig, das Credo man sei eine Gemeinschaft.
    Herrlich zu lesen, wie man Meinungen verbreitet, ohne eine Idee zu besitzen was von statten geht.

  2. Erfuellte Bulgarien am 1.1.2007 die Voraussetzungen fuer eine Mitgliedschaft in der EU?
    Aufnahme nach den Kopenhagener Kriterien:
    eine stabile Demokratie
    eine rechtsstaatliche Ordnung
    eine funktionierende Marktwirtschaft.
    Bulgarien hat die o.g. Kriterien mitnichten erfuellt, der EU-Beitritt war eine politische Entscheidung da das Land 2004 schon NATO-Mitglied wurde; die EU-Osterweiterung sollte dementsprechend zuegig voranschreiten.
    Bulgarien erfuellt, wie im Artikel beschrieben, immer noch nicht die Voraussetzungen fuer eine EU-Mitgliedschaft
    und ist auch heute noch keine “Musterdemokratie mit rechtsstaatlicher Ordnung und einer funktionierenden
    Marktwirtschaft”. Hauptsache Bulgarien ist NATO-affin und Russophob das reicht heutzutage!

    1. Ich glaube, der Begriff “Demokratie” muss neu definiert werden. Wo in Europa findet man die Demokratie, die uns in den vergangenen Jahren verkauft wurde? Massenproteste werden ignoriert, inwieweit Wahlen nicht manipuliert werden, darf angezweifelt werden, Mainstreammedien im G7-Bereich berichten, was die US-Denkfabriken vorgeben, der Rest wird verschwiegen oder manipulativ umgedeutet. Die Menschen wenden sich ab, wählen radikal. Es hätte so schön werden können mit Europa und der Demokratie, aber wenn solche korrupten Leute wie auch vdL uns sagen wollen, was wir zu tun haben, funktioniert das nicht. Es gibt für die Zukunft Europas 3 Möglichkeiten: 1. Man besinnt sich auf den Sinn der Demokratie und fördert sie (was derzeit überhaupt nicht geschieht), 2. Europa wird von Nationalisten jedes Landes regiert (diese Entwicklung gibt es derzeit) oder 3. Europa ändert nichts und wird mittelfristig das Armenhaus der Welt, die Flüchtlingsströme wechseln die Richtung, die Abwanderung von Fachkräften derzeit deutet darauf hin. Mir scheint, es träumen noch zu viele, vielleicht weil sie sich ähnlich wie Selenskyj ernähren.

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