Bulgarien gekapert von Oligarchie und Mafia

Der kommissarische Generalstaatsanwalt Bobi Sarafov (im hellen Hemd) als Gast im Restaurant 8 Zwerge von Pepi Evroto (im blauen T-Shirt).

Der Mord an dem Justiz-Lobbyisten Notarius erweist Bulgarien als Staat, in dem das Recht käuflich ist.

Am vergangenen Donnerstag zog Bulgariens Ex-Ministerpräsident Boiko Borissov vor den Kongressdelegierten der Europäischen Volkspartei (EVP) in Bukarest eine positive außenpolitische Bilanz der neunmonatigen Regierung seiner rechtsgerichteten Partei „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) mit dem liberal-konservativen Parteienbündnis aus „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) und „Demokratisches Bulgarien“ (DB). Bulgarien habe in dieser Zeit der Ukraine „viel mehr gegeben und geholfen als die großen und reichen Länder in Europa; mit Munition, Transportern, Panzern, Artillerie und allem, was das bulgarische Parlament beschlossen hat“. Zudem habe sich das Balkanland abgewandt von russischem Gas, Öl und Kernbrennstoff.

Ursula von der Leyen sicherte der GERB-Führer alle Stimmen seiner Delegierten für ihre EVP-Kandidatur für den Vorsitz der Europäischen Kommission zu, da es „in dieser Situation der Welt – mit den Kriegen, die geführt werden“ einer „eisernen Lady“ bedürfe, wie sie eine sei.

Borissovs mit der ihm eigenen Lakonie vorgetragenen Rede dürfte dem EVP-Auditorium nicht den Hauch einer Ahnung vermittelt haben, wie angespannt die politische Situation in Bulgarien ist. Lediglich gegenüber bulgarischen Journalisten fand Borissov für sie markige Worte: „Höchstwahrscheinlich wird es vorgezogene Wahlen geben“, kommentierte er grimmig den kurz zuvor erfolgten Rücktritt von Ministerpräsident Nikolai Denkov.

Dabei war Denkovs Demission keine Überraschung. Noch vor Beginn ihrer Amtszeit Anfang Juni 2023 hatten PP/DB und GERB eine Rotation der Regierungsführung nach neun Monaten vereinbart. Borissov aber war verstimmt, weil der von PP gestellte Regierungschef mit seinem Rücktritt seine Wiederkehr aus Bukarest nicht abgewartet hatte. „Im Moment spielen sie ihr Spiel, um GERB als schuldig dastehen zu lassen“, argwöhnte er und drohte PP/DB, bei eventuell gleichzeitigen Wahlen zum Europäischen und zum Nationalen Parlament „werden sie zusammenbrechen”. Es handle sich bei ihnen um „arrogante Leute, die in ihrem Wunsch zu zeigen, wie großartig sie sind, uns in eine Krise gestürzt haben”.

Im Juni 2023 war es vor allem der unbedingte Wille, sechste Parlamentswahlen in zweieinhalb Jahren zu verhindern, der die politischen Gegner PP/DB und GERB in ein Regierungsbündnis zwang. Auf eine Koalitionsvereinbarung konnten sie sich nicht verständigen, so dass politische Beobachter ihr Kabinett gerne als (Nicht)-Koalition oder Sglobkata (das Gebilde) bezeichneten.

Von Anfang an gerierte  sich GERB als so etwas wie die Opposition in der Regierung. Mehr als einmal wies Borissov darauf hin, seine Partei habe mit der früheren EU-Kommissarin Marija Gabriel lediglich das Außenamt inne und verfüge sonst über keine Minister. So liege die politische Verantwortung für das Regierungshandeln bei PP/DB. Nun aber will Borissov den Spieß umdrehen; Marija Gabriel soll nicht nur Regierungschefin werden, sondern in Personalunion auch Außenministerin. Der Wissenschaftler Denkov soll sich mit dem Bildungsministerium begnügen.

Die konfrontative Strategie hat sich Meinungsumfragen zufolge für GERB ausgezahlt, sie hat sich als stärkste politische Kraft behauptet. PP/DB hätten vorgezogene Neuwahlen dagegen zu fürchten. Die sich programmatisch als Anti-Korruptionsformationen verstehenden Parteien haben durch die Zusammenarbeit mit Borissov vor allem bei ihren eigenen Anhängern an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Während ihrer kurzen Regierungszeit im Jahr 2021 hatten sie den GERB-Führer noch unter dem Vorwurf der Korruption für vierundzwanzig Stunden festgenommen,  nun wollen sie ausgerechnet mit ihm eine Justizreform umsetzen, die als überfällige Voraussetzung gilt für die Bekämpfung von Korruption und Organisiertem Verbrechen.

Mord an Martin Boschanov aka Notarius

Dass Bulgarien ein gekaperter Staat ist, in dem die Oligarchie mit der politischen Klasse und den Organen der Rechtspflege gemeinsame Sache macht, ist mehr als nur ein Klischee. Publik gewordene Erkenntnisse nach dem Mord an Martin Boschanov aka Notarius bestätigen es.

Am Abend des 31. Januar 2024 wurde der in der Öffentlichkeit bis dahin kaum bekannte Notarius erschossen vor seinem Haus im Sofioter Vorort Gorna Banja aufgefunden. Ein Notar war er nicht, verdankte seinen Alias-Namen betrügerischen Immobiliengeschäften, für die er nie zur Rechenschaft gezogen wurde. In den vergangenen Jahren gab er sich als Konsultant aus, wirkte offenbar aber als ein Makler des Rechts, von dem für Geld Einfluss auf laufende Justizverfahren zu erwerben war.

Als Justiz-Makler war er keine singuläre Gestalt, sondern stand in einer gewissen Tradition. Bereits im Jahr 2009 erregte der Fall des erst siebenundzwanzigjährigen Krassimir Georgiev Aufsehen. In seinem Notizbuch standen die Kontaktdaten von zig Richtern und Staatsanwälten.  Der Schwarze Krassi mit den Goldkettchen, wie er fortan nur genannt wurde, lebte auf großem Fuß und verdankte seinen Wohlstand offenbar dem Handel mit Stimmen zur Wahl in den Obersten Richterrat, der für die Besetzung von Stellen für Richter und Staatsanwälte zuständig ist.

Zuletzt skandalisierte der frühere Chef des Sofioter Ermittlungsdienstes Petjo Petrov, genannt Pepi Evroto (Pepi, der Euro), die bulgarische Öffentlichkeit. Er betrieb in seinem als Büro genutzten Restaurant „Die 8 Zwerge“ einen schwunghaften Handel mit juristischem Einfluss. Dafür soll er sich ein Archiv aus Kompromaten in Bild und Ton zur gelegentlichen Nötigung angelegt haben, darunter auch Pornoclips, von denen einige bereits in einschlägigen Portalen kursieren.

Erst als sich mit dem Sturz von Generalstaatsanwalt Ivan Geschev im Mai 2023 die Kräfteverhältnisse in Politik und Justiz verschoben, wurde Pepi Evroto sein Aufenthalt in Bulgarien zu heiß. Mit seinem siebenjährigen Sohn an der Hand entzog er sich seiner Festnahme durch Flucht nach Dubai. Wenige Wochen später kam von dort die Kunde seines Tods durch Herzinfarkt. Zuletzt aber hieß es, er hielte sich möglicherweise in Belgrad auf.

Wichtige Rolle von investigativen Journalisten

Dass sich die zuständigen bulgarischen Behörden unfähig oder unwillig zeigen, zweifelsfrei zu ermitteln bzw. der Öffentlichkeit mitzuteilen, ob Pepi Evroto nun tot ist oder flüchtig, ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich ihr Interesse an der Aufklärung krimineller Sachverhalte zuweilen in engen Grenzen hält. Wenn in einem von Oligarchie und Mafia gekaperten Staat die Repressionsorgane offensichtlich nicht nach Recht und Gesetz für Ordnung sorgen, dann kommt dem investigativen Journalismus eine Wachhundfunktion zu. In Bulgarien nimmt diese seit Jahren vor allem der Anti-Korruptionsfonds (AKF) wahr.

Bereits im Juni 2020 enthüllte der AKF in seiner vierteiligen Video-Serie „Die 8 Zwerge“, wie der frühere Polizist Pepi Evroto seine Kontakte zu Richtern und Staatsanwälten dafür nutzte, dem Unternehmer Ilija Zlatanov unrechtmäßig seine Aufzugsfabrik wegzunehmen. Nur ein Jahr später publizierte der AKF Abhöraufnahmen und Interviews, die den illegalen Rechts-Lobbyismus von Martin Boschanov – Notarius aufzeigten.

In Bild und Ton zeigte die AKF-Recherche, wie Notarius der früheren Miss Bulgaria Ivaila Bakalova anbot, sich für die Freilassung ihres seit acht Monaten in Untersuchungshaft sitzenden Lebensgefährten zu verwenden. Dabei kooperierte Notarius mit dem Anwalt Emil Piskov. Der nannte Bakalova im heimlich gefilmten Gespräch eine Summe von mindestens 100.000 €, die seine Bemühungen kosten würden. Einzelheiten über den genauen Ablauf wollte er nicht verraten. „Wir reden mit dem Herrn, zünden eine Kerze in der Kirche an und beten. Mehr hat dich nicht zu interessieren, das ist unsere Arbeit. Du möchtest ein Resultat“, so Piskov.

In einem mitgeschnittenen Telefonat ist Notarius zu hören, wie er zu Bakalova sagt, er wisse alles über das Verfahren ihres Lebensgefährten am Sofioter Spezialgericht. „Ich kenne die Aussagen der Zeugen, für mich ist alles klar. Aber es gibt Menschen, die zweieinhalb Jahre lang in Haft waren und ihre Unschuld beteuert haben. Die Idee ist zu sehen, ob wir helfen können.“

In unmittelbarer Nähe des auf Korruption und Organisierte Kriminalität fokussierten Spezialgerichts betrieb Martin Boschanov seinen Privatclub SS nur für Personen aus dem Rechtswesen wie Richter, Staatsanwälte und Ermittler. Häufig waren vor dem Club SS (nach den Anfangsbuchstaben für bulgarisch Spezialgericht A. d. A.) luxuriöse Limousinen zu sehen, zuweilen aber auch Polizeiautos, die die Sicherheit des Clubs zu überwachen schienen.

Öffentliche Auftragsmorde werden in Bulgarien in den seltensten Fällen zweifelsfrei aufgeklärt

Weder die AKF-Enthüllungen zu Pepi Evroto noch die zu Notarius veranlassten Staatsanwaltschaft und Ermittlungsbehörden, gegen die beiden Justiz-Lobbyisten aktiv zu werden. Ob es nicht Aufgabe seiner Staatsanwaltschaft sei, der AKF-Geschichte der „8 Zwerge“ nachzugehen, wurde Generalstaatsanwalt Ivan Geschev im Juli 2020 gefragt. „Doch natürlich, wir ermitteln ja auch zu den 10 kleinen Negerlein“, antwortete er.

Im Mai 2023 war der Sturz von Generalstaatsanwalt Geschev eine Voraussetzung für die Bildung der Regierung aus PP/DB und GERB. Sein bisheriger Stellvertreter im Amt Borislav Sarafov folgte ihm kommissarisch nach. Gemäß Fotos und Zeugenaussagen aber war Bobi Sarafov nicht nur Pepi Evrotos Gast im Restaraunt „Die 8 Zwerge“, sondern diesem auch freundschaftlich verbunden.

Nach Aussagen von Evrotos geschiedener Ehefrau Ljubena Pavlova soll Sarafov noch als stellvertretender Generalstaatsanwalt von ihrem Ex-Gatten Bestechungsgelder in Höhe von zigtausenden Lewa (BGN) erhalten haben. Diese ihre Aussage hat Pavlova nach Informationen des bulgarischen Wirtschaftsmagazins Kapital inzwischen aber revidiert. Sie sei von Ivan Geschev zu ihr gezwungen worden, behauptet sie nun.

Öffentliche Auftragsmorde werden in Bulgarien in den seltensten Fällen zweifelsfrei aufgeklärt. Dies öffnet Spekulationen Tür und Tor. Ob etwa Pepi Evroto aus dem Belgrader Exil seine Finger drin hat am gewaltsamen Tod seines Konkurrenten Notarius? Vielleicht ja, weil dieser sich in Sofia anschickte, gegen ihn auszusagen? Den aktuellen Kenntnisstand zur Affäre der „8 Zwerge“ fasst Kapital-Journalistin Polina Paunova so zusammen: Entweder habe sich der jetzige kommissarische Generalstaatsanwalt der Bestechlichkeit schuldig gemacht oder der vormalige Generalstaatsanwalt des Machtmissbrauchs durch Zeugenbeeinflussung. Letzten Endes aber könnten die widersprüchlichen Aussagen von Evrotos Ex-Frau Pavlova „alle Beteiligten reinwaschen“.

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12 Kommentare

  1. Die Neocons haben den Boden bereitet. Die Mafia bringt die Saat aus und die Politiker bringen langsam die Ernte ein.

    Schön zu sehen, wie Bulgarien ein vollwertiges EU-Mitglied geworden ist.

  2. Schwer, hier etwas zu sagen. Bulgarien macht im Gegesatz zu seinen Nachbarländern kaum Schlagzeilen und es ist kaum zu sagen, um was es da eigentlich geht. Korruption auf alle Fälle.

    Ich habe mich dann mal auf die Suche nach der Presefreiheit gemacht. Oh, da finde ich selbst beim Deutschlandfunk:

    Pressefreiheit in Bulgarien „Ich lebe hier gefährlicher als ein Soldat in Afghanistan“
    https://www.deutschlandfunk.de/pressefreiheit-in-bulgarien-ich-lebe-hier-gefaehrlicher-als-100.html

    Das Erwartbare. Der Feind der Korruption ist nun eben die freie Presse und da stand Bulgarien in ganz Europa lange Zeit auf dem letzten Platz. Einziges oppositionelles Organ ist dieser Bivol, der keine nennenswerte Reichweite hat und dessen Redakteur ständig Mordanschlägen ausgesetzt ist.

    Der Artikel ist von 2019, also vor dem Krieg. Damals wie heute gewinnen pro-europäische Parteien die Wahl. Was ein ganz klein wenig erstaunt, denn vor dem Krieg hatten 60 Prozent Sympathien für Wladimir Putin, was dann auf 30 Prozent abfiel. Bulgarien war zur Sowjetzeit der folgsamste Staat im ganzen Ostblock, der stets verlässlich der Kremllinie folgte. Das wirkt nach.

    Es ist auch umgekehrt: dort, wo Korruption herrscht, wird auch die freie Presse unterdrückt. Sodass das eine von der EU geduldete Korruption sein könnte, die das Entstehen einer pro-russischen Partei verhindern soll.

    Was ich nicht behaupten will. Aber es würde passen.

    1. Es ist keine von der EU geduldete Korruption, es ist eine von der EU angefachte und am laufen gehaltene Korruption. Kann man mit Fug und Recht behaupten, leider nicht beweisen.
      Direkte Geldübergabe über Brüssel, indirekte Zahlungen “Infrastrukturbeihilfen “der wichtigsten Geberländer der EU. Allein der Verdienst am gelieferten Waffenschrott an die Ukraine und die Ausfallzahlungen wegen des Energieverzichtes würde langen, um jeden Parlamentarier in Sofia zum kleinen € Millionär zu machen. Die Höhe der Zuwendungen sind natürlich nach Nützlichkeit der Personen und der Institute gestaffelt. 🙂

    2. Das ist sicher alles richtig, aber…
      Der Grundfehler des Artikel ist, dass der Autor so tut, als sei Bulgarien, das einzige oder schlimmste Land in dieser Beziehung. das ist doch lächerlich! Seit Shifkov mag sich einiges geändert haben, aber ist es natürlich nach wie vor dasselbe Land.

      Eines sollte man bedenken: Mit ganz oben auf der Liste der Länder in die Deutsche mittlerweile emmigrieren ist…. Bulgarien. Eine wunderbare Schwarzmeer Küste, freundliche Menschen, und Preise mit denen ein Rentner ein Leben führen kann, von dem er in Habeck Land nur träumen kann..

  3. Wahrscheinlich stellen sie sich in Bulgarien nur dümmer an als z.B. in Deutschland oder Frankreich oder so und damit fällt es nach außen mehr auf.
    Außerdem ja wie ein Kommentator meinte, das Bewertungskriterium für die Güte einer Regierung innerhalb der EU ist nicht der Grad der Korruption sondern die Einstellung gegen Russland ( Feindschaft ist ok, fanatischer Hass aber besser)

    1. sieht man an der Ukraine… hier Demos gegen Rechts- da Unterstützung der Nazis und über die Korruption wird erst gar nicht berichtet

  4. Im Jahr 2014 war ich in Portugal in der Algarve im Urlaub. Als ich das Hotel Richtung Strand verließ stand vor dem Hotel ein Schmutziger neuer Porsche Cabrio mit bulgarischen Kennzeichen. In der Lobby stellte sich der Sicherheitschef vor dem bulgarischen Fahrer im Anzug (Typ Chef) der offenbar nicht willkommen war. Als ich nachmittags zum Hotel zurück kam war der Porsche weg und ringsherum um das Hotel viel Polizei ohne ersichtlichen Grund…
    Um 2010 waren wir in Bulgarien an der Küste. Der Reiseleiter meinte „Sie haben sicher öfters auf der Strandstrasse die großen deutschen Limousinen mit den jungen 18-jährigen Fahrern gesehen….“ und er wies auf die seit 1990 kontinuierliche starke Abnahme der Bevölkerung hin…

    1. Und dann fällt mir noch die Aktion im bulgarischen Russe 2019 ein. Als wir von Donauschiff runter zum geführten Stadtrundgang gingen „fand“ sich auf halben Weg eine Drohne über unseren Köpfen ein. Sie folgte uns unauffällig…Dann plötzlich vor der Oper wollte der bulg. Stadtführer plötzlich dass wir uns aufstellen und auf Kommsndo jeder einen Luftballon steigen lassen sollten. Ich und wenige andere machten nicht mit. Die Drohne filmte…offensichtlich eine PR Aktion mit Touristen als ungefragte Komparsen… Auf dem Schiff zurück erzählten wir das unserem Reisechef. Der fand die Sache auch nicht lustig…

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