Bischofsbeistand für Hitlers Völkermord-Feldzug gen Russland

Die Paderborner Erzbischöfe Caspar Klein (links) und Lorenz Jaeger (rechts, hier noch vor seiner Bischofsweihe: in der Uniform des Militärkirchenwesens von Hitlers Wehrmacht). Quelle: Collage von Peter Bürger und Bernd Schaller.

Das Beispiel des Paderborner Kardinals Lorenz Jaeger: „Menschen, fast zu Tieren entartet“. Zum Gedenktag zum Beginn des NS-Völkermordes in Russland am 22. Juni 1941.

 

Kein Erfolg war der Paderborner Ratsfraktion „Die Linke“ im Mai dieses Jahres beschieden beim wiederholten Versuch, das kommunale Parlament dazu zu bewegen, einen der berüchtigtsten bischöflichen Kriegsprediger zugunsten des am 22. Juni 1941 begonnenen deutschen Völkermordes an über 20 Millionen Menschen in der Sowjetunion nicht mehr öffentlich zu ehren. Wir werden deshalb warten müssen bis zum Abschluss einer großen Regionalstudie zur sexuellen Kleriker-Gewalt Anfang 2026, nach deren Erscheinen der westfälische Kirchenfürst wohl endgültig nicht mehr als Identifikationsgestalt zu halten sein wird. Immerhin, Jaegers Kriegsassistenz für den Hitlerismus wird heute – nach einer sechs Jahrzehnte währenden Debatte – von den Medien und den bürgerlichen Parteien am Ort nicht mehr geleugnet. Das nachfolgende Dossier (Auszug) stammt aus einer Materialsammlung, die ich für die Paderborner Genossinnen zusammengestellt habe.

Das „deutsche Volk“ und der „Kampf um seine Existenz“

Der geistige Boden des Bistums Paderborn war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts „deutsch-national“, wie etwa das ein Jahr nach Beginn der deutschen Kriegsverbrechen im katholischen Polen verschickte Hirtenwort des Erzbischofs Dr. Caspar Klein (1865-1941) vom 29.9.1940 „an die zum Militärdienst einberufenen Priester, Kleriker und Theologiestudenten“ zeigt:

„Wir dürfen uns den Opfern, die das Vaterland [d.i. Hitlerdeutschland; pb] in Kriegszeiten von uns verlangt, nicht entziehen, wir müssen vielmehr in engster Verbundenheit, selbstlos, in fester Ausdauer und in heldenhaftem Todesmut dienen. Ihr aber, meine lieben einberufenen Priester, Kleriker und Theologiestudierenden, zeigt Euch im gegenwärtigen schweren Völkerringen durch Euren Opfer- und Heldenmut im deutschen Kriegsheer vorbildlich und macht den in vielen Köpfen deutscher Volksgenossen herrschenden Argwohn zuschanden, jenen durch nichts begründeten, aber unheilvoll wirkenden Argwohn, als ob das katholische Christentum die Vaterlandstreue und Wehrtüchtigkeit schwäche und in Frage stelle, ja als ob die Priester und Priesteramtskandidaten staatsabträglich wirkten oder die Entschlossenheit und Geschlossenheit unseres Volkes bei dem Kampf um seine Existenz beeinträchtigten. Nein, wir [!] beteuern bei dieser Gelegenheit aufs feierlichste: Wir [sic!] haben unsere Pflicht getan und werden sie tun!“

Erzbischof Klein starb bald darauf. Das Gelöbnis für den „Existenzkampf“ des deutschen Volkes sollte noch drastischer werden. Man wählte nämlich 1941 zu seinem Nachfolger einen Geistlichen, der im Ersten Weltkrieg – schon als Theologiestudent – seine entscheidende soldatische Prägung erhalten und sich später freiwillig als Wehrmachtsseelsorger für Hitlers Krieg gemeldet hatte: Lorenz Jaeger (1892-1975). Der neue Oberhirte lehnte selbstverständlich die ‚antichristliche Richtung‘ im NS-Weltanschauungsspektrum ab, doch er stand ein für eine ausgeprägte deutschnationale Gesinnung (berichtet wird für 1941 gar von einem Besuch beim abgesetzten Kaiser Wilhelm II.) und fühlte sich offenkundig vom militärischen Männerbund angezogen. (In einem Schreiben vom 15. Oktober 1943 an Wehrmachtsgeneralvikar Werthmann bekennt der Erzbischof von Paderborn später: „Wie oft denke ich, wenn hier die Akten sich häufen und der Ärger und Verdruss nicht nachlassen, noch an die schöne Zeit zurück, wo ich als Kriegspfarrer draußen sein durfte.“)

Nach L. Jaegers Erwählung zum Bischof hatte auch der NS-Staat gemäß Konkordat seine „Zustimmung“ zur Personalie zu erteilen. In einem vergeblichen Minderheitsvotum trug der oberste Chef des SD Bedenken vor, weil er – nicht ganz zu Unrecht – hinter der Wahl des ordensgeschmückten Militärpfarrers eine bestimmte Strategie der Kirche witterte und der Kandidat außerdem auf Erfahrungen einer sehr ‚leutseligen‘ Jugendarbeit in seiner Zeit als Studienrat zurückgreifen konnte. Hieraus oder aus Selbstverständlichkeiten wie Jaegers Ablehnung des „Rosenberg-Mythus“ eine profilierte Regimegegnerschaft zu konstruieren, ist abwegig. Der Historiker Bernd Heim kommt in seiner Untersuchung über die Bischofsernennungen des NS-Zeit bezogen auf die kirchliche Ernennung des Kandidaten Lorenz Jaeger in der 1. Auflage seiner Dissertation noch zu folgendem Resümee:

„Der mit dem Hohenzollernorden hochdekorierte Frontkämpfer des ersten Weltkrieges passte hervorragend in das militaristische Erscheinungsbild des nationalsozialistischen Deutschlands. Zusätzlich bestand auch Chance für eine akzeptable Zusammenarbeit mit den Machthabern, da Lorenz Jaeger seine bisherigen Tätigkeiten ausgeführt hatte, ohne mit den Vertretern von Staat und Partei in Konflikt zu geraten.“

Die ausgiebige Militärmetaphorik in Jaegers Äußerungen am Tag seiner Bischofsweihe (siehe unten) wäre „an sich“ – losgelöst vom konkreten zeitgeschichtlichen und persönlichen Kontext – nicht zwingend zu beanstanden. Das Bild vom „guten Soldaten Christi“ bemühten z.B. auch jene altkirchlichen Theologen der ersten drei Jahrhunderte, die Fahneneid und aktiven Kriegsdienst im Dienste des weltlichen Imperiums für alle Getauften strikt ablehnten. Ganz anders jedoch verhält sich 1941 die Sache beim neuen Paderborner Erzbischof. Dieser wollte sich zeitgleich zum Eroberungs- und Vernichtungskrieg unter der Oberbefehlsgewalt von Adolf Hitler auch ausdrücklich als deutscher – weltlicher – Soldat präsentieren. Schon bald nach der Bekanntgabe seiner Bischofsernennung am 10.8.1941 wurden im Bistum Fotos verschickt, die ihn als Feldgeistlichen in Wehrmachtsuniform und mit Eisernem Kreuz zeigen. Nach der Weihe kursierte dann gar über den ‚Bonifatius-Laden‘ ein Foto, auf welchem der neue Oberhirte gleichermaßen geschmückt war durch Bischofstracht, Bischofskreuz, zwei Eiserne Kreuze und Hohenzollernorden. Dagegen gab es nach Erinnerung des damaligen Diözesan-Jugendseelsorgers „lauten Protest […] nicht nur bei der Jugend“ (A. Reineke 1987).

Die „Eisernen Kreuze“ II/I des Paderborner Bischofs stammten aus einem Krieg, den Papst Benedikt XV. seinerzeit als sinnloses Gemetzel, Schlächterei und „Selbstmord des zivilisierten Europa“ verurteilen musste. Hitlers Kriegsmaschinerie hatte bereits Ende 1939 u.a. zum Mord an hunderten Priestern in Polen (bzw. dem ‚Warthegau‘) geführt. Auch ohne seine Kenntnis der millionenfachen Mordverbrechen im deutschen Ostfeldzug, die der baldige „Ostbeauftragte“ der Bischofskonferenz noch erwerben würde, hätte Lorenz Jaeger an seinem Weihetag (10.10.1941) wissen müssen, dass sein folgender, auf „Christi Kreuz“ und das „Eiserne Kreuz“ gemünzter Vergleich zu diesem Zeitpunkt die Grenze zur Gotteslästerung überschritt:

„Alles Große muss durch Kampf errungen werden, auch das Gottesgeschenk des Friedens. Das kostet Kampf gegen sich selbst, Kampf gegen die Welt, die sich von Gott getrennt hat. Jeder Kampf bringt Opfer und Wunden. Aber was tut das? Der wahre Christ trägt das Kreuz Christi, die Siegel seiner Auserwählung, mit demselben [!] Stolz wie der Soldat sein eisernes Kreuz.“

Eine komplizierte Deutung ist unnötig, denn der Neugeweihte trug ja alsbald beide „Kreuze“ gleichzeitig auf seiner Bischofssoutane und hatte am 10. Oktober 1941 auch noch im Rahmen seiner antibolschewistischen Kriegsermutigung gepredigt: „Soldatische und priesterliche Haltung stehen sich innerlich näher, als Außenstehende ahnen. Dort wie hier ist Voraussetzung: selbstloser Dienst, vorbehaltloser Einsatz, Bewährung aus letzter Verpflichtung heraus, Treue bis in den Tod.“ – So wäre denn, mit Eugen Drewermann gesprochen, das Kleriker-Psychogramm dem Krieger-Psychogramm sehr verwandt? – Der Jugend war am Weihetag von Bischof Jaeger eindringlich gepredigt worden, es müssten alle in Ehrfurcht und Gehorsam da stehen, „wo Kirche und [!] Staat etwas von uns verlangen“.

Nicht weniger erschreckend ist die Loyalitäts-Erklärung, die Lorenz Jaeger zuvor am 15. September 1941 beim Nazi-Oberpräsidenten Alfred Meyer in Münster ohne jede Not seinem laut Konkordat vorgeschriebenen Staatseid freiwillig hinzugefügt hat:

„Mit derselben Freude, mit der ich einst den Fahneneid geschworen habe, habe ich heute vor Ihnen, Herr Oberpräsident, als dem Stellvertreter des Herrn Ministers für die kirchlichen Angelegenheiten, den Treueid als katholischer Bischof geleistet. Ich bin fest entschlossen, in unwandelbarer Einsatzbereitschaft und Hingabe wie einst als Soldat und Offizier, so auch jetzt im Rahmen des mir übertragenen geistlichen Amtes allen Schaden von Volk und Reich abzuwenden, wie es der soeben geschworene Eid gemäß Artikel 16 des Konkordates zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich von mir fordert. – Gerade die Sorge um das Wohl des Vaterlandes ist einst in den dunklen Tagen der Nachkriegszeit mit bestimmend gewesen für meinen Entschluss, den feldgrauen Rock des Soldaten mit dem schwarzen Rock des Priesters zu vertauschen. Ich wollte mithelfen, unserm zusammengebrochenen, gedemütigten, aller äußeren Güter beraubten Volke im Gottesglauben und in christlicher Sitte wenigstens die Keimzellen für eine innere Gesundung und für einen neuen Aufstieg zu bewahren. – Welche starken Aufbaukräfte im Christentum für den Einzelnen und für das gesamte Volk umschlossen liegen, habe ich erst in diesen Monaten wieder erfahren, die ich als Divisionspfarrer draußen im Feldheer leben und wirken durfte. Der Mann vor dem Feind verlangt nach dieser Quelle sittlicher Kraft. Es braucht sie auch die Heimat, um stark und bereit zu bleiben für all die Opfer, die, namentlich in Kriegszeiten, von allen verlangt werden müssen. – Ich bin glücklich, dass mein hohes Amt mir noch größere Möglichkeiten bietet, diese Werte des Christentums im deutschen Volk zu hüten und zu pflegen. Ein fester Gottesglaube und christliche Tugend sind die beste Bürgschaft für das Glück und Gedeihen des deutschen Volkes und Reiches im Krieg wie im Frieden. – So habe ich den von mir geforderten Treueid geschworen, aus ganzem Herzen und ohne Einschränkung.“

Diese Treuerklärung an die (selektiv) kirchenverfolgenden NS-Staatsobrigkeit, die bereits Priester des Bistums Paderborn ermordet hatte, ist hochpolitisch und muss als Eidleistung „aus ganzem Herzen“ (vgl. 5 Mose 6,5) vor einem erwiesenen ‚Feind Christi‘ richtig eingeordnet werden! Ein Konrad von Preysing war schon 1935 bei seinem Wechsel zum Berliner Bischofssitz darauf bedacht gewesen, der im Konkordat vorgeschriebenen, ‚unvermeidlichen‘ Loyalitätsformel nicht ein Jota hinzuzufügen. Wie anders der neugewählte Oberhirte von Paderborn bei seiner Reise zum Oberpräsidenten in Münster! „Mit dieser Ansprache“, so Wolfgang Stüken, „fällt Jaeger Bischof von Galen in den Rücken“. Der Bischof von Münster, nicht minder nationalistisch gesonnen, protestierte ohne Rücksichtnahme auf seine eigene Person laut gegen die planmäßige, jedem wachen Zeitgenossen bekannte Ermordung sogenannter ‚Behinderter‘. Wäre L. Jaeger wirklich ein Neuzugang zum protestbereiten Teil des Episkopats gewesen, so hätte er kaum ungebeten in Nachbarschaft zum Münsterischen Dom vor dem berüchtigten nationalsozialistischen Oberpräsidenten, SA-Obergruppenführer und alsbald die Teilnehmerliste der Wannsee-Konferenz anführenden Alfred Meyer seine Auslassungen über soldatische Treue (zum NS-Staat), Fahneneid, schwarzen und feldgrauen Rock … dem Unvermeidlichen hinzugefügt. Die Ansprache Jaegers vor dem hochgestellten SA-Mann enthält bereits das Programm künftiger erzbischöflicher Kriegsassistenz.

Wer sich vergleichend z.B. die Eides-Ansprachen der Bischöfe Konrad von Preysing (Berlin) und Frings (Köln) ansieht, erkennt schnell, dass Lorenz Jaeger ein echter Sonderfall bleibt. Schon am 1. März 1942 wird der katholische NSDAP-Mann Peter Grohmann der Gestapo über einen Besuch beim neuen Oberhirten berichten: „Zur Wahrheit muss ich sagen, dass der Erzbischof Jaeger bei meinem Besuche zum Ausdruck brachte, dass wir den Krieg unter allen Umständen gewinnen müssten, und dass er niemals ein Wort gegen den Staat oder seine Einrichtungen sagen würde.“

Fastenhirtenbrief 1942 zu Russland: Menschen, „fast zu Tieren entartet“

Die Amtszeit hatte mit demonstrativer Staatstreue und kriegsertüchtigenden Worten begonnen. Der erste Fastenhirtenbrief des neuen Erzbischofs, unterzeichnet am 8. Februar 1942, wird dann eine der schrecklichsten Passagen aus allen Kriegsvoten deutscher Kirchenleitungen enthalten. Jaeger sagte seinen Gläubigen über das ‚feindliche‘ Russland und dessen Bewohner:

„Ist jenes arme unglückliche Land nicht der Tummelplatz von Menschen, die durch ihre Gottfeindlichkeit und durch ihren Christushass fast zu Tieren entartet sind? Erleben unsere Soldaten dort nicht ein Elend und ein Unglück sondergleichen? Und warum? Weil man die Ordnung des menschlichen Lebens dort nicht auf Christus, sondern auf Judas aufgebaut hat.“

Selbstverständlich ist es sachgerecht und sogar zwingend, diesen Text und andere Verkündigungen aus Paderborn als Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Vernichtungskriegskomplex einzustufen. Auf dem Kriegsschauplatz Russland vollzogen deutsche Waffenträger beim Feldzug gegen Osten   einen systematischen Völkermord ohne Vergleich in der ganzen Geschichte der Menschheit – und insbesondere durch Ermordung von drei Millionen Juden das früheste ‚Kapitel‘ der Shoa. Der Historiker Dietmar Klenke, beteiligt an der Bistumspublikation des Jahres 2020 zu Lorenz Jaeger, wurde im Radiointerview gefragt, ob der Paderborner Bischof von deutschen Kriegsverbrechen und der Judenermordung Kenntnis hatte. Seine Antwort lautete: „Das halte ich für unstrittig, dass ihm und anderen [Bischöfen] spätestens 1942 bekannt gewesen ist, was sich da hinter der Front, gerade im Osten abspielte.“

Auf jeden Fall musste es Lorenz Jaeger bei der Veröffentlichung des Fastenhirtenbriefes klar sein, dass seine Sprachwahl der rassistischen (‚antislawischen‘ bzw. ‚antiasiatischen‘) NS-Propaganda auf dem Feld des Antibolschewismus sowie der allgegenwärtig praktizierten Entmenschlichung angeblicher Feinde assistierte. Auch in Westeuropa hatten – z.T. schon ab 1940 – die Deportationen jüdischer Mitmenschen (meist in Viehwaggons) begonnen – zwecks Vernichtung; der Paderborner Bischof bemüht derweil ein antisemitisch belastetes „Judas“-Feindbild. Im Bistumsgebiet wurden Kranke bzw. „Behinderte“ zu Tausenden wie „Material“ aus moderner Massentierhaltung zur Ermordung selektiert. „Fremdrassige“ Zwangsarbeiter behandelte man wie Vieh. Wo nun war man unter die Stufe des Menschlichen, der Menschlichkeit gesunken? Wo war jenes ‚christliche‘ (bei Jaeger wörtlich auch: ‚christlich-germanische‘) Abendland, welches gegen eine ‚bolschewistische Bestie‘ „verteidigt“ werden sollte? Solche Fragen standen für den Erzbischof nicht an, denn er präzisierte seine Fastenpredigt 1942 wie folgt:

„In echter Schicksalsverbundenheit mit unserem deutschen Volk darf uns keine Mühe, kein Opfer und keine Entsagung zu groß sein, wo es darum geht, an einer glücklichen Zukunft unseres Vaterlandes und am Frieden eines neuen Europa mitzubauen. Wir wollen uns unsere tapferen Soldaten zum Vorbild nehmen. Ihre heilige Liebe zu Volk und Heimat, ihr sieghafter Glaube an unseren Herrn und Heiland gibt ihnen die Kraft, so unendlich große Opfer und Heldentaten für uns alle zu vollbringen, und die Welt zu erretten vom gottlosen, christusfeindlichen Bolschewismus, der, wenn er Sieger bliebe, die ganze Menschheit in ein grauenhaftes Unglück stürzen würde.“

Mehr rhetorisch ist es wohl gemeint, wenn auch der Historiker Matthias Pape 1999 die Frage stellt, „ob Jaeger nach der Konferenz der westdeutschen Bischöfe unter Teilnahme der Mitglieder des Ausschusses für Ordensangelegenheiten sowie der Bischöfe Preysing (Berlin) und Stohr (Mainz) Ende November 1941 in Paderborn, auf der über einen Hirtenbrief des Gesamtepiskopats auch angesichts der ‚Judenfrage, Behandlung der russischen Kriegsgefangenen, Greuel der SS in Rußland‘ beraten worden war, der verbrecherische Charakter des Eroberungs- und Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion verborgen geblieben sein konnte.“ – Man berücksichtige auch stets: Lorenz Jaeger war im Kreis der Bischöfe ‚Beauftragter für die kirchlichen Belange der besetzen Gebiete‘! „Schon bald nach seinem Amtsantritt [19.10.1941] hatte der junge Paderborner Erzbischof ungeschönte Einsicht in die katastrophalen kirchlichen Verhältnisse im besetzten Polen, insbesondere des Warthegaus“ (Bistumshistoriker H.J. Brandt, 2010). Es ist wohl nicht schlüssig anzunehmen, dass bei dieser „ungeschönten Einsicht“ die militärischen und humanitären bzw. menschenrechtlichen Verhältnisse ausgeklammert waren.

Als auf den Führer vereidigter Wehrmachtsgeistlicher hatte der neue Erzbischof dem extrem hitlertreuen Feldbischof F.J.Rarkowski  unterstanden. In einem Teilband der Bistumsgeschichte liest man 2014: „Zu Feldbischof Franz Justus Rarkowski und Feldgeneralvikar Georg Werthmann stand Jaeger übrigens in einem distanzierten Verhältnis.“ Was soll damit gesagt werden? Es ist mehr als wahrscheinlich, dass Jaegers erschreckend antichristliche (und deshalb nach 1945 wiederholt wegzensierte) „Tiermetapher“ im Fastenhirtenbrief 1942 in Kenntnis von entsprechenden Texten seines letzten militärkirchlichen Vorgesetzten Rarkowski niedergeschrieben worden ist. Einen kriegstheologischen Dissens gab es jedenfalls nicht zwischen dem neuen Bischof von Paderborn und dem Bischof des Militärs! – Allerdings vermittelt der Jaeger-Fakultätsband 2020 an dieser Stelle ohnehin einen neuen Erkenntnisstand: Rarkowski war „in den Jahren 1940 und 1941 der Dienstvorgesetzte Lorenz Jaegers, der als Divisionspfarrer den Feldbischof sehr wohlwollend betrachtete und dessen Bemühungen um den Erhalt der katholischen Militärseelsorge zu schätzen wusste. Als Jaeger Erzbischof wurde, folgte er der Strategie des deutschen Episkopats, den Feldbischof zu isolieren, nur bedingt. Er hatte weiterhin eine sehr hohe Meinung von der Arbeit des Militärbischofs und wusste aus eigener Erfahrung um die vielfältigen Schwierigkeiten, mit denen Franz Justus Rarkowski zu kämpfen hatte. Persönlich pflegte er ein gutes Verhältnis zu ihm, was seinen Ausdruck u.a. in einem erhaltenen Schreiben zum 70. Geburtstag des Feldbischofs findet.“ Gesichert ist somit ein Alleinstellungsmerkmal Jaegers im gesamten Episkopat, nämlich seine positive Einstellung zu jenem Feldbischof, der unverhohlener als jeder andere hochrangige Kleriker im gesamten Reichsgebiet seine Verehrung für Adolf Hitler als dem obersten Kriegsherr zu Papier brachte und drucken ließ.

Zum „Schutz unserer abendländischen, germanisch-christlichen Kultur“ (Originalwortlaut) lässt Erzbischof Lorenz Jaeger kurze Zeit nach dem Fastenwort ein weiteres Hirtenschreiben folgen (Kirchliches Amtsblatt, 25.2.1942):

„Wir erleben in unserem Volke eine Kraftanstrengung von ungeahntem Ausmaß. Alles ist auf ein Ziel gerichtet: Kampf um Existenz und Freiheit unseres Volkes. […] Gerade jetzt muss diese [Nüchternheits-]Woche wieder gehalten werden. Denn es handelt sich dabei um einen Teil des großen Kampfes und wahrlich nicht um einen unwichtigen Teil. Uns wird gesagt, und wir haben es erlebt: eine tödliche Gefahr für unsere ganze Kultur ist dicht an uns vorübergegangen, beinahe wäre er Wirklichkeit geworden, der so oft beschriebene und beschriene ,Untergang des Abendlandes‘. Vom Osten her drängten ungeheure Massen heran, bereit, die Welt unserer Kultur zu zerstören. Im kraftvollen Gegenstoß sind sie abgewiesen worden. Noch schlagen ihre Wogen gegen den schützenden lebendigen Wall. Es wäre nicht das erstemal im Laufe der Geschichte gewesen, dass eine Kulturwelt im Sturm untergeht.“ Wolfgang Stüken konnte nachweisen, dass dieses – eindeutig zur Verlesung angeordnete – Paderborner Hirtenschreiben mitnichten in allen Bistümern verbreitet wurde und welche Textbestandteile wirklich nur bei Erzbischof Lorenz Jaeger auftauchen.

Die Kreuzzugspredigt an der Pader geht unverdrossen weiter. Dort hofft der Erzbischof noch „Anfang 1944, lange nach der Katastrophe von Stalingrad […], an eine Kriegswende, wenn die ‚Wunderwaffe‘ käme, von der die NS-Propaganda berichtete“ (M. Pape, 1999). In einem Rundschreiben vom 17.9.1944 (!) dankt er den Soldaten für „schier übermenschliche Leistungen“ an allen Grenzen des Vaterlandes und „besonders für den Schutz vor dem Ansturm des gottlosen Bolschewismus“. Der ‚heidnische‘ NS-Staat verheizt an der Kriegsfront vorzugsweise auch unangepasste Jungkatholiken und Theologen (Bischofsweisung: ‚Seid gehorsam bis in den Tod!‘). Derweil entrüstet sich der Paderborner Oberhirte am 7.11.1944 ohne Maßen darüber, dass Priester und Theologen aus dem Offizierskorps der Wehrmacht entlassen werden; es bestehe Handlungsbedarf und man müsse dagegen kirchlich angehen! Hier offenbart sich seine dringlichste Hirtensorge im Massensterben und im Wissen um die Bistumspriester hinter KZ-Stacheldraht: Der Militärrang für die römisch-katholische Geistlichkeit in Hitlers Heer soll nicht angetastet werden.

Für all diese Bischofsvoten aus Paderborn muss zwingend der historische Kontext bedacht werden: Die Spitze des NS-Staates hatte längst beschlossen, das eigene Volk in sinnlosem, vollständig aussichtslosem militärischen Widerstand dem Untergang zuzuführen. Kein auch nur halbwegs gescheiter Mensch, am wenigsten die Staatsspitze, glaubte noch an einen „deutschen Sieg“. Millionen junger Wehrmachtssoldaten waren gegen Kriegsende vom Führer einzig dazu auserkoren, den Tod zu finden. Die Folge des ausgerufenen Totalen Krieges „war, dass in den zehn Monaten zwischen Juli 1944 und der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 in Deutschland mehr Menschen durch Kriegseinwirkungen ums Leben kamen als in den fast fünf Jahren zuvor […] Von den etwa 5,3 Millionen Wehrmachtsoldaten, die während des Zweiten Weltkriegs ihr Leben verloren, fanden ungefähr 2,6 Millionen in dieser letzten Kriegsphase zwischen Juli 1944 und Mai 1945 den Tod.“ (Wolfram Wette, 2011)

Exkurs: Ein spezifisch „christlicher Antibolschewismus“ ohne Judenhass?

Der Historiker Rainer Pöppinghege, der den kritischsten Beitrag zum kircheneigenen Paderborner Bistumsband (Theologische Fakultät) von 2020 beigesteuert hat, zieht folgendes Fazit zu Lorenz Jaegers Kriegsassistenz:

„Der Antibolschewismus ermöglichte den partiellen Schulterschluss mit den Machthabern im ‚Dritten Reich‘ […] Doch auch jenseits dieser antibolschewistischen Haltung unterstützte er die Kriegsanstrengungen des Deutschen Reichs vollständig. Auch als Kriegs- und Divisionspfarrer erwies er sich in einer frühen Phase des Zweiten Weltkriegs als loyal und suchte die Kampfmoral der Soldaten zu stärken. Dies war nur möglich, indem er Militär und Politik trennte und eine selektive Perspektive auf das Wesen des Zweiten Weltkriegs einnahm. Militärischer Gehorsam, wie er ihn als aktiver Soldat im Ersten Weltkrieg kennen und schätzen gelernt hatte, wurde für ihn zur Leitlinie seines Handelns. Eine kriegskritische Haltung vermochte er wegen seiner durch und durch soldatischen und nationalkonservativen Prägung nicht einzunehmen. Das galt selbst dann, als er über das wahre Wesen des Krieges im Osten informiert gewesen sein musste. – Lorenz Jaeger war indes kein Kollaborateur, der willentlich mit dem NS-Regime kooperierte. Er war jedoch auch kein Widerständler, sondern verstand sich als jemand, der an seinen Platz gesetzt worden war, um seine Pflicht zu erfüllen – was in einer exponierten Stellung wie dem Bischofsamt zweifellos einen Interessenkonflikt darstellte. Die sich ihm bietenden Handlungsspielräume gegenüber der nationalsozialistischen Regierung hat er gemäß seinem militärischen [sic!] Ethos immer nur sehr behutsam, dezent und in engen Grenzen genutzt. Ein offensives Aufbegehren gegen eine als rechtmäßig empfundene Obrigkeit ließen aus seiner subjektiven Wahrnehmung weder sein christliches Weltbild noch seine militärische Prägung zu.“

Mit solchen Ausführungen werden Kontroverse und Kritiker ernst genommen. Die bischöfliche Beihilfe zum NS-Vernichtungskrieg im „Osten“ hat Lorenz Jaeger – im Rahmen seines militärischen, keineswegs jesuanischen ‚Ethos‘ – allerdings ganz und gar „willentlich“ (!) geleistet. Mit dem seit einigen Jahren so beliebten Adjektiv „nationalkonservativ“ kann ich mich hier ebenfalls nicht anfreunden. Die Inhalte der Jaegerʼschen Kriegsverkündigungen bleiben weiterhin Zeugnisse von wahnhaftem Nationalismus; im Originalwortlaut des Erzbischofs: „Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen“ (19. August 1943; zugleich zeitgenössische NS- und Wehrmachtslosung).

Trotz einzelner Euphemismen kann R. Pöppinghege sicher nicht der apologetischen Linie zugerechnet werden. Doch ein erhebliches Verständnisproblem stellt sich ein bei folgender Aussage in seinem Aufsatz: „‚Der Kampf gegen den Bolschewismus bezeichnet den Punkt, in dem sich Katholische Kirche und Nationalsozialismus am weitesten annäherten.‘ [M. Pape] Allerdings gab es einen beträchtlichen Unterschied: Der Antibolschewismus des Klerus richtete sich gegen die antikirchliche Politik wie z.B. die Abschaffung kirchlicher Privilegien und die kirchenfeindlichen Terrormaßnahmen in Russland, wie sie seit 1917 in Form von Massenhinrichtungen und der Konfiszierung kirchlichen Eigentums auch in der deutschen Öffentlichkeit bekannt waren. Der rassisch motivierte Antibolschewismus nationalsozialistischer Lesart verachtete den Bolschewismus darüber hinaus als Teil einer ‚jüdischen Weltverschwörung‘, was sich dann noch mit der vermeintlich niederen Stufe der slawischen Rasse in Verbindung bringen ließ.“

Hier könnte die Leserschaft sehr leicht auf die Idee kommen, der „gutkatholische“ Antibolschewismus der Bischöfe sei nicht rassistisch und antisemitisch kontaminiert gewesen. Das kann nun aber nicht intendiert sein, da doch z.B. schon ein 1937 im Auftrag des deutschen Episkopats (Bischofskollegiums) von Erzbischof Conrad Gröber herausgegebener – extrem breit rezipierter – Grundtext das Gegenteil zeigt:

„Die Beurteilung des Bolschewismus muß von der Tatsache ausgehen, dass es sich beim Bolschewismus letztlich um eine Geisteshaltung handelt, deren Kennzeichen sind: Entpersönlichung des Menschen, Entgeistigung der Kultur, Umwertung der weltanschaulichen und sittlichen Begriffe von Wahrheit und Gerechtigkeit im Dienst eines asiatischen Staatsdespotismus, praktisch im Dienst einer Gruppe jüdisch geleiteter Terroristen.“ (Handbuch der religiösen Gegenwartfragen 1937)

Durch „Rassenanlage“, so wird mit dem Segen der Oberhirten weiterhin vermittelt, sei das russische Volk sehr empfänglich für den Bolschewismus. Sodann schließt sich das offiziöse bischöfliche Nachschlagewerk mit dem antisemitischen Antibolschewismus der Nationalsozialisten kurz: „Mit großer Eindringlichkeit haben auch die Führer der nationalsozialistischen Bewegung auf dem Nürnberger Parteitag 1936 die bolschewistische Weltverschwörung, ihre dunklen Triebkräfte und verbrecherischen Methoden gebrandmarkt und die Völker der Erde aufgerufen, sich gegen diese Weltgefahr zusammenzuschließen. Gegenüber der noch vielfach herrschenden Gleichgültigkeit und Untätigkeit hat der Führer und Reichskanzler diesen Weltkampf als Verteidigung europäischer Kultur gegen asiatische Unkultur gekennzeichnet: Kein Volk kommt um diese Auseinandersetzung zwischen seiner völkischen Überlieferung und dem von volksfremden, meist jüdischen Revolutionshetzern ausgeführten Marxismus herum. Da der Bolschewismus der Feind aller Völker ist, darum geht der deutsche Kampf gegen die bolschewistische Weltrevolution alle Nationen der Erde an.“ (ebd.)

Die „gutkatholischen“ – bischöflichen, theologischen und publizistischen Texte mit eben dieser antisemitisch-antibolschewistischen Tendenz  sind leider Legion. Selbstverständlich ist auch die ‚Tiermetapher- und Judas-Predigt‘ von Erzbischof Lorenz Jaeger in den Kontext des antisemitischen Antibolschewismus einzuordnen: „Ist jenes arme unglückliche Land nicht der Tummelplatz von Menschen, die durch ihre Gottfeindlichkeit und durch ihren Christushass fast zu Tieren entartet sind? Erleben unsere Soldaten dort nicht ein Elend und ein Unglück sondergleichen? Und warum? Weil man die Ordnung des menschlichen Lebens dort nicht auf Christus, sondern auf Judas aufgebaut hat.“ Das Ordinariat an der Pader sah sich aus naheliegenden Gründen gezwungen, die entsprechende Passage von Jaegers Fastenhirtenbrief 1942 in bundesrepublikanischer Zeit bei Neudrucken stillschweigend wegzulassen.

Die endlos wiederholte und breitgewälzte Debatte um unsachgerechte Paraphrasierungen dieser Passage beim jüdischen Politologen Günter Lewy, beim Liberalen Rudolf Augstein oder anderen ist vollständig irrelevant für die Jaeger-Kontroverse! Wichtig für ein sachgerechtes – geschichtswissenschaftliches – Verständnis ist es allein, Jaegers Botschaft über ‚Vertierung‘ in den zeitgenössischen Kontext der katholischen Antibolschewismus-Voten mit Judenhetze in Weimarer Republik und NS-Zeit zu stellen (und hierbei die Hirtenworte des von Lorenz Jaeger hochgeschätzten Feldbischofs J. Rarkowski nicht zu übergehen).

Schon 1933 wird in dem von Bischof Buchberger (Regensburg) herausgegebenen „Lexikon für Theologie und Kirche“, welches Joachim Kuropka zufolge so trefflich den rein sakramentalen Dienst des Bischofsamtes definiert, dem revolutionären Judentum eine zersetzende Einwirkung „auf Religiosität und Volkscharakter“ zugeschrieben, wobei gelten soll, dass Juden „die tüchtigsten Werkzeuge der von Lenin aufgerichteten bolschewistischen Herrschaft“ sind. (Die Leiter der deutschen Bistümer wollten dem Führer dann auch an innenpolitischen ‚Maßnahmen‘ gegen Juden zugestehen, was in ihren Augen mit einem gut katholischen Antisemitismus vereinbar war. – Die Paderborner katholische Kirchenzeitung „Leo“ vom 9.4.1933 zeigt sich entsetzt, als das Ausland unfreundlich auf den deutschen Judenboykott vom 1. April reagiert, und macht „jüdische Drahtzieher“ als Urheber eines „Hetzfeldzuges“ [„deutschfeindliche Wühlarbeit“] aus. Der Paderborner Bischof Caspar Klein telegraphiert an den Bonifatius-Verein in New York und wünscht Klarstellungen angesichts der in seinen Augen ungerechten und einfach nur deutschfeindlichen „Gräuelpropaganda“.)

Der Spuk des weit in die Nachkriegszeit langenden antisemitischen Antibolschewismus römisch-katholischer – oft bischöflicher – Herkunft ist mitnichten in unseren Tagen zu Ende. In der Paderborner Zeitschrift „Theologie und Glaube“ (Heft 1/2014) referiert Johannes Seidel SJ z. B. die entsprechenden Pamphlete von Friedrich Romig („Theologisches“), der das Judentum für einen behaupteten Abfall von Gott bestraft sieht und noch 1998 über eine „massive Beteiligung jüdischer Elemente an der bolschewistischen Revolution“ ‚aufklären‘ will.

Zur NS-Zeit allerdings verbreitete das Paderborner Periodikum „Theologie und Glaube“ (Jg. 1941, S. 241-252) selbst u.a. ein antisemitisches Hetzpamphlet „Geist und Streben des satanischen Bolschewismus“ des Priesters Iwan von Kologriwof, der das von Hitler geführte deutsche Heer berufen sah, das „Ungeziefer“ des Bolschewismus – wie „nichtswürdigen Schmutz“ und „faulenden Eiter“ – aus der ganzen Welt heraus zu fegen. Der Paderborner Bistumstheologe Prof. Adolf Herte (1887-1970) begeisterte sich als Schriftleiter in seinem Vorwort über genau diesen Beitrag wider das aus „marxistisch-jüdischem Geiste gezeugte“ System des „satanischen Bolschewismus“ und vermerkte stolz, dass der von „jüdischer Seite“ kritisierte Iwan von Kologriwof auch Verfasser „der von der NSDAP-Presse als ‚grundlegendes Werk‘ gepriesenen Schrift ‚Die Metaphysik des Bolschewismus‘ (1934)“ sei. Mit Nationalsozialismus hat diese ganze ‚katholische Sache‘ nichts zu tun?

Laut Tagebucheintrag hatte Lorenz Jaeger am 6.8.1941 zunächst erwartet, „dass das russische Unternehmen im August [1941] beendet“ sein würde – also ein erfolgreicher Blitzkrieg. Nach Stalingrad wartete der Erzbischof Anfang 1944 unverdrossen und vertrauensvoll – bzw. beratungsresistent – auf die neuen (V-)Wunderwaffen, von denen ihm ein Militär erzählt hatte. (Das ist nicht von ‚Skandalierern‘ erfunden, sondern zuerst von einem ‚seiner‘ an der Ostfront eingesetzten Priester im Augenzeugenbericht für ein kirchliches Buch mitgeteilt.) Zu diesem Zeitpunkt wussten nun die deutschen Bischöfe ganz unzweifelhaft, dass Wehrmacht und SS im Osten mit der sogenannten „Ungeziefervernichtung“ in unbeschreiblicher Weise Ernst gemacht hatten.

Wohl kaum ein deutsches Bistum ist historisch seit Mitte des 19. Jahrhunderts so durch den katholischen Judenhass belastet wie die Diözese Paderborn. Der Kontext „katholischer Antisemitismus und antisemitischer Antibolschewismus“, eine bedeutsame Voraussetzung für die kirchliche Kollaboration mit der nationalsozialistischen Apparatur des Vernichtungskrieges im ‚Osten‘, wurde im Bistumsband des Jahres 2020 bei den Ausführungen zu Lorenz Jaegers antibolschewistischer ‚Judas‘-Predigt tapfer ausgeblendet.

Die Fuldaer „Blutbande-Predigt“ vom 19. August 1943:
„Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen“

Wir gehen an dieser Stelle noch einmal zurück in das Jahr 1941. Die Geschichtschronik zeigt im trostlosen Bild des deutschen Episkopats einen Lichtblick: Es wird ein „Ausschuss für Ordensangelegenheiten“ konstituiert, an dem vor allem die Bischöfe Konrad von Preysing (Berlin) und Johannes B. Dietz (Fulda), die Jesuiten Augustinus Rösch und Lothar König, die Dominikaner Laurentius Siemer und Odilo Braun sowie der ‚Laie‘ Georg Angermaier beteiligt sind. In diesem konspirativ arbeitenden Kreis, der reihum die Bischöfe zu bekehren versucht, wird über die rein innerkirchlichen Interessen hinaus endlich die Verteidigung der Menschenrechte als dringende Bekenntnisfrage erkannt. Zum Nachweis der NS-Verbrechen an Juden und anderen Menschen legt man eine planmäßige Dokumentation an. Die Forderungen: Die Bischöfe müssen endlich öffentlich einen für jedermann verständlichen Klartext reden (statt im Verborgenen völlig nutzlose Eingaben an den NS-Staat zu machen); sie müssen einklagen statt bitten; sie müssen jegliche Kooperation mit dem Unrechtsregime einstellen; sie müssen explizit zur Judenverfolgung – und auch zu den Gräueln an Kriegsgefangenen – Stellung beziehen … Wenn einer von ihnen bei einem solchen Vorgehen ins Gefängnis käme, so sagt der Dominikaner Odilo Braun ermutigend – und nicht ganz folgenlos – bereits am 7. oder 8. Juni 1941 zu Bischof Clemens August von Galen, dann wäre man schon „einen Schritt vorwärts“.

1943 scheint der Ausschuss mit einem geplanten Hirtenbrief über die Zehn Gebote – „Mord bleibt Mord“ – endlich einen greifbaren Erfolg zu erzielen. Auf den neuen Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger hat man Hoffnung gesetzt. Doch dieser gerät nach Bedenken des blind staatstreuen Kardinal Adolf Bertram (Ausnutzen des Hirtenwortes durch „Feindpropaganda“) ins Wanken und teilt am 29. Juli 1943 mit: „Mir will ebenfalls scheinen, dass in dieser Kriegszeit [!] unser Volk etwas anderes als ‚Wort von Fulda‘ erwartet.“ Der spätere Märtyrer Alfred Delp SJ notiert zu diesem Kasus: „Brief von Paderborn. Breslau lehnt Unterschrift ab, da brauchbar für Feindpropaganda. Paderborn wankend.“

Für Lorenz Jaeger ist eine vermeintliche ‚Volkserwartung in dieser Kriegszeit‘, wie sie ihm der nationalsozialistische Priester und Ökumene-Aktivist Richard Kleine in beharrlichen Voten nahebringen wollte, jetzt offenbar zur entscheidenden Richtschnur geworden. Passend dazu hält er auf der letzten Fuldaer Bischofskonferenz vor Kriegsende am 19. August 1943 für 36 Bischöfe und rund 4.000 oder mehr Gläubige im Dom eine nationalreligiöse, angeblich unpolitische Predigt (pro Sakramenten-Dienst, gegen weltpolitische Betätigung der versammelten Bischöfe), die sich in mehreren Passagen durch Politisierung der allerschlimmsten Art auszeichnet:

Die Arbeit der Bischöfe gelte „nicht einer Kirche im luftleeren Raum, auch nicht einer politischen Macht und Idee, sondern sie gilt unseren deutschen Brüdern und Schwestern, die mit uns eines Blutes sind, deren Schicksal wir teilen, auf dass sie an den zeitlichen und ewigen Segnungen des Reiches Gottes teilnehmen.“ „Keine Macht der Erde wird das Band zerreißen oder auch nur lockern können, das uns [d.h. die deutschen Bischöfe] mit Euch und mit unserem deutschen Volke verknüpft.“ „Dass Ihr als deutsche Katholiken daheim wie an der Front in Treue Eure Pflicht gegen Volk und Vaterland erfüllt, versteht sich von selbst. Deutschland muß leben, auch wenn wir sterben müssen.“ „Weil Gott uns in unserer Zeit und weil Gott im besonderen unserem deutschen Volk so große irdische Aufgaben gestellt hat, deshalb rufen wir Euch alle auf, des großen Erbes Euch wieder bewußt zu werden, das unserem deutschen Volk im Werk des heiligen Bonifatius geschenkt worden ist.“

Am Ende war zuvor der bedeutsame Hirtenbrief über die Zehn Gebote doch zustande gekommen, allerdings mit denkwürdigen Streichungen (Galater-Zitat: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen“), kriegsertüchtigender Einleitung (in manchen Wendungen geradewegs an Jaegers Fuldaer Dompredigt erinnernd) und – wie Bischof Preysing klagt – alles in allem „chemisch gereinigt“. Die Klartextformel „Mord bleibt Mord“ ist nun moraltheologisch verklausuliert.

Jaegers Fuldaer Dompredigt vom 19.8.1943 hat einen ‚Bischofsdienst‘ propagiert, der „unseren deutschen Brüdern und Schwestern, die mit uns eines Blutes sind“ gilt. Damit muss sie geradezu als Gegenprogramm zum Dekalog-Hirtenbrief und den vorangegangenen Menschenrechtsbemühungen des Ordensausschusses bewertet werden, denn hier hatte man sich expressis verbis für die ‚Fremdlinge‘ eingesetzt und für Menschen, „die nicht unseres Volkes und unseres Blutes sind“ (A. Leugers 1996). Die Kirchenhistorikerin Antonia Leugers erkennt denn auch im zitierten Predigtwort des Paderborner Erzbischofs den Grund dafür, „warum Jaeger gegen den Dekalog-Hirtenbrief war. Er schloss implizit alle ‚Nichtarier‘ aus, was [schon] der Intention des Novemberhirtenbriefs 1941 und des Frühjahrspastorale 1942 zuwiderlief.“ Wer hätte die Wendung ‚deutsche Menschen, die mit uns eines Blutes sind‘ im Jahre 1943 denn nicht als terminus technicus für sogenannte ‚Arier‘ verstanden? Die Apologeten könnten hier aus mancherlei Verirrungen des kirchlichen Schriftgutes der Zeit Rechtfertigungen für Lorenz Jaeger anführen und sich damit – wie sie es drehen und wenden wollen – nur selbst beschämen.

Nichts liegt der Botschaft Jesu und dem Christentum ferner als besondere Wertschätzung irgendeiner ‚blutmäßigen Abstammungszugehörigkeit‘. (Schon Johannes-Evangelium 1,12-13 steht jeder biologistischen Deutung von Glaubenssymbolen entgegen.) So wurde in der Alten Kirche folgerichtig betont: „Wir unterscheiden Stämme und Nationen; aber für Gott ist diese ganze Welt ein Haus.“ (Minicius Felix, 3. Jahrhundert) Die ‚römisch-katholischen Brückenbauer‘ hin zum Nationalsozialismus, die die – massenmörderische – Kategorie ‚Blutsgemeinschaft‘ in den Raum der Kirche hineingetragen haben, begingen einen Glaubensabfall der fürchterlichsten Form.

Trotz der Wahngebilde von Erzbischof Lorenz Jaeger bezeugten auch viele Christen des Bistums Paderborn unbeirrt das Dogma von der Einheit der menschlichen Familie. Die Geistlichkeit der Stadt Paderborn trat schon Anfang 1934 – ohne den Ortsbischof – mit einer Bekenntnis-Initiative hervor: „Wir sind nicht mit deutschem Blut erlöst, sondern mit dem kostbaren Blute Christi.“ Der Priester und Paderborner Philosophieprofessor Franz Rüsche (1888-1971) wurde 1937 mit einem Buchverbot belegt; er wollte die Zerreißung der ‚Einheit der gemeinsamen Spezies Mensch‘ in ‚nordische Menschen‘ auf der einen und ‚Tiere, Halbtiere oder Untermenschen‘ auf der anderen Seite in keiner Weise akzeptieren. Der schon zur Zeit der Weimarer Republik in der katholischen Friedensbewegung beheimatete Franz Stock (1904-1948) trug als nebenamtlicher Militärgeistlicher in Paris bewusst Soutane statt Uniform. 1943 sagte er zu einem französischen Gefangenen: „In den Augen Gottes gibt es weder Engländer noch Deutsche noch Franzosen. Es gibt nur Christen oder ganz einfach Menschen.“ Diese Botschaft universeller Geschwisterlichkeit stand dann auch im Zentrum seiner Ansprache anlässlich der Schließung des legendären ‚Stacheldraht-Seminars‘ von Chartres am 26. April 1947. – Der inzwischen selig gesprochene NS-Gegner und ermordete Lebenszeuge Alois Andritzki (1914-1943), ein ehemaliger Paderborner Theologiestudent, bezeugte als junger KZ-Priester am 10. Januar 1942 nachdrücklich: „Das Band der Liebe Gottes hält uns alle umschlungen mehr als Blutbanden.“ Elpidius Markötter ofm (1911-1942), der bedeutsamste, aber selbst bei Minderbrüdern wenig bekannte franziskanische Märtyrer der NS-Zeit, hielt während seiner Paderborner Zeit 1939 einen Vortrag wider den Antisemitismus und bezeugte am 26.5.1940 wider die bis in die Kirche eingedrungenen Häresien den Glaubenssatz von der ‚Einheit des Menschengeschlechts‘ auf denkbar konkrete Weise in einer Predigt – und zwar bezogen auf Juden, Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter.

Aber auch einige ‚weniger heilige‘, ganz einfache Christen vermochten es, bei ihrem alltäglichen Umgang mit jüdischen Nachbarn, Zwangsarbeitern oder Gefangenen in jedem Menschen einen Bruder oder eine Schwester Jesu zu erkennen. Nicht so der – militärkirchlich geformte – Hirte von Paderborn, wenn er im Konfliktfall die nationale Sache als das Vordringliche bewertete. Das Wort von Lorenz Jaeger über einen deutschen ‚Bischofsdienst‘ für die „deutschen Brüdern und Schwestern, die mit uns eines Blutes sind“, lässt uns in einen Abgrund schauen. Kein Theologe, keine Theologin, kein Christ oder wer auch immer sollte sich hierbei die Augen zuhalten.

Erzbischöfliche Endsieg-Hoffnung

Entsetzt war Lorenz Jaeger schon als Wehrmachtsgeistlicher über kriegskritische Einstellungen in der Bevölkerung und im kirchlichen Milieu, wozu Rainer Pöppinghege 2020 im Bistumsband ausführt:

„Insbesondere während der ersten Monate des Jahres 1941 hatte er häufiger die Gelegenheit, seine Dortmunder Wirkungsstätte als Lehrer und seine Mutter zu besuchen. Die Urlaubstage im Ruhrgebiet irritierten ihn erheblich, da er hier wohl erstmals auf offen vorgetragene kriegskritische Haltungen traf. Die Bergarbeiter seien mit den Lohn- und Arbeitsbedingungen unzufrieden: ‚Auch sonst muss ich weithin mangelndes Interesse und vor allem mangelnde Zuversicht gegenüber der Kriegs-Führung feststellen, obschon D[or]tm[un]d in den letzten Wochen von englischen Flieger-Besuchen fast völlig verschont geblieben ist. Wie kommt das? Auch viele klagen darüber, dass der Kirchen-Kampf weitergehe […].‘ Dass die Unzufriedenheit weniger mit dem erst am Anfang stehenden Bombenkrieg zu tun hatte als mit grundsätzlichen politischen Erwägungen, kam dem militärisch geprägten Jaeger wohl nicht in den Sinn. Er stellte die kriegskritische Haltung nicht nur fest, sondern bewertete sie als negativ: ‚Mit verschiedenen Leuten, gebildeten und ungebildeten. gesprochen überall eine erschreckende Kriegs-Müdigkeit. Teils sind die Leute apathisch und Gleichgültigkeit was Kriegs-Aus-Gang angeht, teils wünschen sie baldigen Frieden um jeden Preis. So hatte ich mir die Haltung der Heimat nicht gedacht.‘ Nach einem Gespräch mit dem Leiter des Katholischen Bildungswerks in Dortmund zog er hingegen das Fazit: ‚Erfreulich war zu hören, dass die Stimmung der Arbeiterschaft doch nicht so schlecht ist, wie es nach den Erzählungen bekannter Ursprünge den Anschein hatte. R. zeichnet die Lage so: Nicht gerade begeistert, aber alle tun ihre Pflicht, wenn auch jeder den Frieden herbeisehnt.‘ Zwei Tage später besuchte er ein ‚Pastoren-Conveniat‘ und zeigte sich erschreckt, dass seine Siegeszuversicht von den übrigen Klerikern nicht uneingeschränkt geteilt wurde: ‚Dort mit Propst, Pfarrer Kerhausen und einer Anzahl Pfarrer zusammengesessen. Einige sind immer noch unbelehrbar und glauben nicht an einen Endsieg. Die Mehrzahl ist aber durchaus Sieges-zuversichtlich und steht auch innerlich voll und ganz zu unserer gerechten Sache.‘ Jaegers Äußerung stammt aus einer Zeit, als das Deutsche Reich militärisch noch erfolgreich war. Der Angriff auf die Sowjetunion folgte erst am 22. Juni 1941. Seine kriegskonformen Äußerungen bezogen sich also auf die Zeit vor dem antibolschewistischen Feldzug und gewannen danach neue ideologische Nahrung.“

Hitlers Eroberungs- und Vernichtungskrieg im Osten bewertete der zur Bistumsleitung aufgestiegene Kirchenmann dann, wie wir gesehen haben, als rettenden Feldzug gegen den gottlosen Bolschewismus, dem er mit Überzeugung als bischöflicher Prediger assistierte. Zur sachgerechten Einordnung und Bewertung der deutschen bischöflichen Kriegsassistenz 1933-1945 ist es schier unerlässlich, diese mit anderen Einstellungen und Handlungsweisen im Raum der Kirche zu vergleichen. Denn die Basis, die Kirche von unten, war ja eben weitaus weniger bellizistisch und brachte nicht wenige Märtyrer hervor, die der Hitlerstaat als ‚Wehrkraftzersetzer‘ zu Tode gequält hat. Das wird von Apologeten wie Kritikern merkwürdig oft übersehen. Der staatskirchlich ambitionierte deutsche Militärbischof Franz Overbeck hat 2014 festgestellt: „Die Irrtümer und Fehleinschätzungen, denen in der Zeit des Nationalsozialismus auch hochrangige Vertreter der Kirche unterlagen, wurden nach 1945 nur zögerlich und punktuell eingestanden.“ Es stellt sich aber genau besehen das (die dogmatische Kirchenlehre betreffende) Problem, dass geradehochrangige Vertreter der Kirche“ bezüglich der Kriegsführung fast einhellig mit dem Regime kollaboriert haben und somit nicht nur durch Schweigen schuldig geworden sind.

Durch die Militärseelsorge im NS-Wehrmachtskomplex, der sich Lorenz Jaeger so eng verbunden fühlte, war die kirchliche Kriegsbeihilfe institutionalisiert. Der Erwitter Georg Wagner (1915-1991) zitiert in seiner autobiographischen Veröffentlichung „Priestersoldat in Hitlers Wehrmacht“ (1985) amtliche Richtlinien des deutschen Militärs vom 24.5.1942: „Die Feldseelsorge ist eine dienstliche Einrichtung der Wehrmacht. […] Der siegreiche Ausgang des nationalsozialistischen Freiheitskampfes entscheidet die Zukunft der deutschen Volksgemeinschaft und damit jedes einzelnen Deutschen. Die Wehrmachtseelsorge hat dieser Tatsache eindeutig Rechnung zu tragen.“ Vor diesem Hintergrund, so Wagner, „braucht es nicht zu verwundern, dass Einheitsführer in Vorbereitung eines offiziellen Wehrmachtgottesdienstes bei der Truppe dem Kriegspfarrer manchmal einen Altar aufbauen ließen, der ringsum und obenauf mit Hakenkreuzfahnen bedeckt war.“

Widerspruch aus der „Kirche von unten“

Der spätere Paderborner Weihbischof Paul Nordhues (1915-2004) ist als Priestersoldat und Sanitätsunteroffizier bei der 1. Sanitätskompanie der 252. Infanteriedivision in Russland eingesetzt gewesen. Er wird 1994 schreiben: „Einen gerechten Krieg mag es […] zur Abwehr geben. Aber dieser Krieg war alles andere als gerecht. Er hatte mit Unrecht begonnen. Wir waren nicht angegriffen worden.“ Doch zahllose hochgestellte Kleriker haben für den Völkermord-Feldzug gen Osten ihr Predigtwort eingesetzt. Aufgrund ihrer nationalistischen Ausgangslage fanden einige von ihnen nicht einmal bei der Beurteilung der militärischen Faktenlage zur Besinnung, als längst ausgemacht war, dass Deutschland trotz der Bereitschaft des Regimes zu Massenopferungen besiegt werden würde. Erzbischof L. Jaeger verkündete am 7.2.1943 im Dom: „Die Welt lebt vom Opfer, und wir dürfen hoffen, dass gerade dieses große Opfer, das uns die toten Helden [von Stalingrad] gebracht haben, nicht umsonst sein wird, dass es führt zum Siege auch für unser deutsches Volk“.

Der Dortmunder Stadtjugendseelsorger Christoph Allroggen (Jg. 1907), ab 1943 als Sanitätsfeldwebel an der Ostfront eingesetzt, wird nach dem Krieg erzählen: „Zu Anfang des Jahres 1944 hatte ich noch beim Besuch unseres Bischofs Lorenz Jäger [Jaeger] in Paderborn mit Verwunderung feststellen müssen, dass er an eine Wende glaubte, wenn die ‚Wunderwaffe‘ bald käme, die im Bau sei, wie ihm ein bekannter Oberst erzählt habe. Mein Freund, Divisionspfarrer Hubert Schwede, ebenfalls im Osten, und ich versuchten, ihn von dem Mechanismus des Krieges zu überzeugen. Wir konnten ihm nur andeuten, dass er uns wahrscheinlich nicht wiedersehen würde. Als ich 1948 allein bei ihm meinen ersten Besuch machte, gestand er verschämt seinen Irrtum. – Hubert Schwede war im Sommer 1944 gefallen.“

In einem Rundschreiben vom 17.9.1944 (!) dankt Erzbischof Jaeger den Soldaten für „schier übermenschliche Leistungen“ an allen Grenzen des Vaterlandes und „besonders für den Schutz vor dem Ansturm des gottlosen Bolschewismus“. Am 7.11.1944 übt sich der Paderborner Oberhirte – wie bereits oben angemerkt – leidenschaftlich in Empörung darüber, dass Priester und Theologen aus dem Offizierskorps der Wehrmacht entlassen werden; diese Verfügung sei „hart und ehrenrührig“ und stelle die geistlichen Offiziere „Schwerkriminellen“ gleich. Noch in einem Hirtenbrief vom 1. Januar 1945 ruft der Erzbischof „die Katholiken auf, ihren Beitrag im Kampf gegen die beiden größten Feinde Deutschlands – ‚Liberalismus und Individualismus auf der einen, Kollektivismus auf der anderen Seite‘ – zu leisten“. (Mit „Liberalismus und Individualismus“ waren die Westmächte sowie die gegen den Strom schwimmenden Demokraten im eigenen Land angesprochen.)

Zur Durchhaltelinie des Paderborner Erzbischofs schreibt auch Rainer Pöppinghege 2020: „Jaeger versuchte in seiner Diözese offenbar dem allgemein diagnostizierten Stimmungsumschwung in der Bevölkerung – ob katholisch oder protestantisch – entgegenzuwirken. Während zahlreiche Militärseelsorger, Soldaten und Zivilisten einen zunehmend desillusionierten Blick auf die Geschehnisse an der Ostfront gewannen und sich die nationale Begeisterung in den Kundgebungen deutscher Bischofe bei Kriegsbeginn in Grenzen hielt, versorgte der Erzbischof seine Diözesanen in Paderborn mit Durchhalteparolen. In seiner Ansprache im Rahmen einer Gedenkfeier für Stalingrad-Vermisste suchte er am 8. Februar 1943 im Dom zu Paderborn religiösen Trost zu spenden: ‚Sie sind nicht verloren. Denn wer im Herrn stirbt, der bleibt in der Familie‘, so Jaeger. Darauf verlies er jedoch die religiöse Ebene und verband den bereits damals meist defensiv im Zusammenhang mit dem Topos der Aufopferung benutzten Begriff des militärischen Helden mit der konkreten Hoffnung auf einen deutschen Sieg: ‚Die Welt lebt vom Opfer, und wir dürfen hoffen, dass gerade dieses grosse Opfer, das uns die toten Helden gebracht haben, nicht umsonst sein wird, dass es führt zum Siege auch für unser deutsches Volk […].‘ Tagesaktuelle Sinnstiftung verband er darin mit der Hoffnung einer Rückbesinnung auf das Christentum. Im Zentrum seines Gedankenganges stand jedoch die Aufopferung für die konkreten militärischen Ziele. Ausdrücklich betonte der Bischof, er hoffe, dass der Tod der Soldaten vor Stalingrad eine Mahnung zu ‚opferfreudiger Hingabe an das Vaterland, zu ernster und verantwortungsbewusster Mitarbeit am Wohle unseres Volkes‘ sein möge. Die herausragende Bedeutung dieser Aussagen, deren Zeitpunkt ihnen noch zusätzliche Brisanz verlieh, fiel auch dem nationalsozialistischen Berichterstatter auf: ‚Der Dom selbst war mäßig gefüllt, man hatte den Eindruck, dass die Ausführungen des Bischofs, der sich erstmalig in dieser Rede öffentlich positiv zum gegenwärtigen Kriegsgeschehen bekannte, einen guten Eindruck bei den Anwesenden hinterließen.‘ Der Topos des gegen die Bolschewisten kämpfenden militärischen Helden wurde laut demselben Bericht an jenem Tag – teilweise noch expliziter – von Vikar Wiemann in der Paderborner Marktkirche, von Propst Koch in der Gaukirche und Pfarrer Schröder in der Meinolfuskirche verbreitet. Man kann also von einer Absprache des Paderborner Klerus bezüglich Inhalt und Wortwahl der Ansprachen ausgehen bzw. zumindest davon, dass Jaegers Worte bekannt waren.“

Einige Seelsorger werden hier genannt, die die wahnhafte „Endsieg-Hoffnung“ des Erzbischofs offenbar noch nach Stalingrad teilten. Doch im Editionsprojekt „Friedenslandschaft Sauerland“ konnte schon seit Jahren aufgezeigt werden, wie viele einfache Gläubige und Leuteseelsorger des Bistums sich kriegskritisch oder pazifistisch bewährten, darunter solche, die zuletzt unter Lebensgefahr „weiße Fahnen“ hissten, um Menschen der Heimat zu retten (und allein deshalb heute – anders als unbelehrbare Durchhalteprediger – unser ehrendes Gedächtnis verdienen). Sie kamen ins Gestapo-Verhör oder Konzentrationslager, weil sie – tatsächlich oder vermeintlich – Beiträge zur Wehrkraft-Ertüchtigung verweigerten, sich im Gegensatz zur Kirchenleitung bis hin zu offenem Widerstehen mit Opfern der rassistischen Verfolgung solidarisierten und in manchen Fällen tatsächlich – in Wort wie Tat – gegen die Kriegsapparatur agierten.

Es führt an dieser Stelle nicht weiter, mit Bezug auf Lorenz Jaeger apologetisch eine durchgehend militaristische, nationalistische und katholisch-antibolschewistische Prägung der im Kaiserreich sozialisierten Teilnehmer des Ersten Weltkriegs zu proklamieren. Denn auch der zum Tode verurteilte, noch rechtzeitig zu lebenslanger Haft begnadigte Priester Peter Grebe (1896-1962) aus dem Kreis Olpe gehörte zu jener Generation an. Dieser „notorische Zentrumspropagist“ schildert im Selbstzeugnis seinen Kampf gegen den Nationalsozialismus ab 1931 und zeigt sich hierbei als ein in hohem Maße politisierter Geistlicher. Grebe, Weltkriegsveteran 1914-1918 und dann Angehöriger des in keiner Weise ehrenwerten Freikorps Lüttwitz (!) zur Niederschlagung des „Spartakus-Aufstandes“, denkt ab 1939 als Kriegsgegner in soldatischen bzw. militärischen Kategorien. Er beruft sich hinsichtlich der eigenen Urteilskompetenz als ehemaliger Frontsoldat (Eisernes Kreuz I/II) und Offizier nicht nur auf seine Erfahrung der Schrecken des Ersten Weltkrieges, sondern entfaltet in Alltagsgesprächen, bei der Gestapo und angeblich sogar vor dem Volksgerichtshof strategische Argumente wider die „Gewinnbarkeit“ des aktuellen Krieges.

Dieser ganze Komplex verweist noch nicht auf ein spezifisch christliches Zeugnis, welches hingegen in folgender Anfrage Grebes an den kriegerischen Nationalismus zum Tragen kommt: „Was ist das für eine Vaterlandsliebe, die andere Völker vernichten will?“ – Schon Ende 1942 hatte eine Lippstädter Denunziantin bei der Gestapo geklagt, Grebe habe wie folgt gegen den Krieg gewettert: „Der Krieg ist eine Auswirkung der menschlichen Bosheit. […] Diesen Krieg haben verursacht die Partei, der Militarismus und ein großer Teil der Industriellen.“ Mitte 1943 gaben weitere Denunzianten an, Grebe habe mit Blick auf Stalingrad („der erste große Nackenschlag“) erneut gegen den von Hitler zu verantwortenden Krieg Stellung genommen und die Nationalsozialisten für die Leiden des Volkes verantwortlich gemacht. Ein so betont nationaler Kleriker (und Ex-Militär) wie Peter Grebe – weder Linker, noch Pazifist im strengen Sinne – führt uns im Vergleich denkbar drastisch vor Augen, wie weit sich der spätere zum Kardinal erhobene Lorenz Jaeger zur Zeit des Zweiten Weltkrieg in den Beistand für den deutschen Völkermord gen Osten und einen unkaputtbaren Siegeswahn verirrt hat.

 

Eine vom Verfasser zusammengestellte Digitalbibliothek bei der Paderborner Ratsfraktion „Die Linke“ enthält sieben kostenfrei abrufbare Publikationen zu Lorenz Jaeger aus den Jahren 1986-2025. Dort sind auch sämtliche Quellenangaben zum vorliegenden Beitrag nachzulesen. – Siehe auch das Internetprojekt „Kirche & Weltkrieg“.

Die Zeitgeschichtliche Kommission der Diözese Paderborn macht auf ihrem Portal auch den weiterführenden Forschungsband „Lorenz Jaeger als Kirchenpolitiker“ zugänglich.

Peter Bürger

Peter Bürger (Jg. 1961), ist seit dem 18. Lebensjahr organisierter „Lumpenpazifist“ und versteht sich als christlicher Sozialist. Abgeschlossenes Hochschulstudium der katholischen Theologie (jedoch nie in bezahlten Kirchendiensten) und später Krankenpflege-Examen (1992). Nach psycho-sozialen Berufsjahren seit 2003 freier Publizist. Schwerpunkte seiner Forschungen/Veröffentlichungen: Westfälische Regionalgeschichte, Niederdeutsche Literatur (Rottendorf-Preis 2016), Krieg & Massenkultur (Bertha-von-Suttner-Preis 2006), Kriegsassistenz der staatlich subventionierten deutschen Großkirchen in Geschichte & Gegenwart, Friedenstheologie und Pazifismus, Imago der Einen Menschheit. – Leitbild für die eigene Schreibwerkstatt: Wer Quellen liest wird klüger; Mut zum Minderheitsvotum; keine Prostitutions-Dienstleistungen für den Medienapparat der Reichen und die militärische Heilslehre.
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52 Kommentare

  1. Manchmal denke ich, viel schlimmer als Tiere. Monster!
    Dass jeder einzelne für den eigenen Vorteil kämpft ist Evolution.
    Aber Politik , hätte , wenn gewollt andere Möglichkeiten. Aber es endet im Zusammenschluss zur Stärke immer nur im Krieg als die letzte aller Möglichkeiten, weil zuviele verdienen. , nunja, das gibt es seit tausenden von Jahren.
    Die Menschheit wird nicht klüger indem sie immer vernichtendere Waffen erfindet. Das artet immer weiter aus.
    Und am Ende landet man immer beim Geld oder Tod und Zerstörung.
    Kommunismus, Sozialismus is auch nicht anders. Am Ende artet es immer aus und man landet immer beim Geld und Macht und Tod. Eine Lösung dafür gibt es niccht. Nie…

  2. Menschen, „fast zu Tieren entartet“

    Die bewusste Boshaftigkeit und Verderbtheit, zu der die Menschen fähig sind, fehlt den Tieren völlig… neben einigen weiteren abstossenden Eigenschaften. Die sogenannte „Krone der Schöpfung“ ist ein kompletter Fehlschlag der Evolution bzw. eines offensichtlich geistig umnachteten „Gottes“ oder ähnlichem. Ausnahmen gibt es natürlich.

    1. Naja nicht ganz. Unsere Primatenverwandachaft führt auch Kriege um die benachbarte Schimopnsengruppe auszurotten zum Beispiel.

      Aber stimmt schon, in dem Ausmaß wie Menschen das tun, tun das nur Menschen. Das ist leider weder entartet noch tierhaft sondern zutiefst menschlich. Und der Mensch kann ja nachweislich anders. 🙁

  3. Man muss sich klarmachen, was hier geschieht. Der Artikel von Peter Bürger benennt es vorsichtig, aber deutlich: Wie damals die Nazis mit kirchlichem Segen zur Entmenschlichung aufgerufen haben, geschieht es heute wieder – bloß auf moderne Weise, mit neuen Begriffen, über andere Kanäle, aber mit derselben Struktur. Damals waren es Tiere, heute ist es „Putin“. Damals war es „der Russe“, heute ist es „der Putin-Versteher“. Der Mechanismus ist exakt derselbe.

    Man nennt es nicht mehr Rasse, man nennt es nicht mehr Volk. Man sagt nicht mehr: „Die Russen sind keine Menschen“, sondern: „Putin ist ein Monster“, „Putin ist verrückt“, „Putin ist der Teufel“. Und man sagt es in einer Weise, dass jeder sofort weiß: Das gilt für jeden, der nicht dagegen ist. Wer Putin nicht hasst, gehört auch nicht mehr zur Gemeinschaft. Wer die Sprache nicht spricht, gehört nicht mehr zur Welt.

    Das ist keine ungeschickte Wortwahl. Es ist auch keine zufällige Empörung. Das ist System. Sprache, die nicht mehr kommuniziert, sondern segmentiert. Die keine Begriffe mehr bildet, sondern Kategorien schafft. Kategorien, in denen nur noch zwei Dinge möglich sind: Zustimmung oder Ausschluss. Das ist, was damals über die Kanzeln ging – und heute über Kommentarspalten, Talkshows, Twitter, Tagesthemen. Nur, dass der Tonfall weicher ist. Die Struktur ist dieselbe.

    Und diese Struktur ist nicht harmlos. Sie ist formal. Sie wirkt wie ein Axiomensystem: Wenn du das sagst, darfst du bleiben. Wenn du das sagst, wirst du gelöscht. Wer nicht in der Matrix spricht, existiert nicht mehr. Das ist kein Bild, das ist Realität. Menschen verlieren ihren Status, ihren Arbeitsplatz, ihre Freundschaften, ihre Sichtbarkeit – weil sie etwas gesagt haben, das im falschen Systemaxiom formuliert war. Das ist wie bei Gödel: In einem geschlossenen System kannst du die Wahrheit nicht mehr sagen, ohne es zu verlassen.

    Peter Bürger zeigt in seinem Artikel, wie der Kardinal damals die Sowjets mit Tieren verglichen hat. Wörtlich heißt es, sie seien „fast zu Tieren entartet“. Das ist nicht nur ein moralischer Ausfall, das ist ein juristischer. Artikel 20 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) verbietet ausdrücklich Propaganda für den Krieg sowie Aufrufe zum Hass gegen Gruppen aufgrund ihrer nationalen Herkunft. Auch Artikel III der Völkermord-Konvention macht die öffentliche Anstiftung zu kollektiver Gewalt strafbar.

    Aber heute ist man klüger. Heute personalisiert man den Hass. Man erschafft eine Figur, auf die alles projiziert werden kann: Putin. Nicht die Russen, nein, niemals. Nur Putin. Und jeder, der nicht mithetzt, ist sofort verdächtig. So umgeht man die Rechtslage. So tut man harmlos und betreibt dennoch genau dasselbe: kollektive Entmenschlichung durch Projektionsmechanismen.

    Dass dies nicht als rassistisch gilt, liegt nur daran, dass man sich eines Tricks bedient: Man personifiziert eine ganze Kultur, ein ganzes Land, auf einen Mann. Das ist kein Fortschritt. Das ist ein Rückschritt mit besseren PR-Beratern. Früher hieß es: „Der Jude ist schuld.“ Heute heißt es: „Der Putin ist schuld.“ Und wer dagegenhält, ist ein „Putin-Versteher“, ein „Troll“, ein „Kreml-Agent“. Die Kategorien sind austauschbar. Die Logik bleibt.

    Die Menschen, die da mitmachen, sind nicht unschuldig. Es ist bequem, mitzumachen. Und viele machen nicht nur mit, sie gefallen sich in der Rolle. Heute die „richtigen“ Worte sagen, morgen bereitstehen, wenn jemand aufräumt. Sprache ist der erste Schritt. Dann kommt das Handeln. Wer heute andere sprachlich ausschließt, ist morgen der Finger am Abzug, der glaubt, nur einen Befehl auszuführen.

    Wir brauchen keine Empathie, keine moralischen Appelle. Wir brauchen Strukturkritik. Das ist die einzige Möglichkeit, diesen Mechanismus zu durchbrechen. Zu zeigen, wie diese Sprache funktioniert, woher sie kommt, wer sie setzt, wer sie weiterträgt. Der Pfarrer damals war kein Einzelfall – er war Teil eines Apparats. Und auch heute sprechen viele im Namen der Vernunft, im Namen des Fortschritts, im Namen der Demokratie. Und sagen im Grunde dasselbe: „Mit denen reden wir nicht.“

    Das Völkerrecht kennt das Problem. Es kennt die sprachliche Vorbereitung von Gewalt. Und es hat sie verboten – nicht nur in Form offener Aufrufe, sondern auch in Form der ideologischen Weichzeichnung. Wer heute Feindbilder erschafft, Gruppen moralisch entwertet, über Projektionsbegriffe wie „Putin“, „der Iran“, „China“ – der bereitet Gewalt vor. Sprachlich. Strukturell. Und mit juristischer Relevanz.

    Es geht also nicht um den Tonfall. Nicht um Wut oder Ironie. Es geht um Systeme. Um Systeme, die dich rauswerfen, wenn du nicht funktionierst. Wenn du zu viel Energie kostest, wirst du abgeschaltet. Und wenn du abgeschaltet wirst, bist du nicht mehr. Das ist die moderne Form der Entmenschlichung.

    Wer das erkennt, sollte nicht schweigen. Wer das mitmacht, sollte sich fragen, ob er noch Mensch ist. Oder schon wieder ein Funktionsträger. Nur diesmal auf der „richtigen Seite“.

    1. „Wer heute Feindbilder erschafft, Gruppen moralisch entwertet, über Projektionsbegriffe wie „Putin“, „der Iran“, „China“ – der bereitet Gewalt vor.“

      Ich weiß zwar wie Sie es gemeint haben, aber es lässt sich nicht vermeiden diese Wörter auch weiterhin zu benutzen. Also ihr könnt Wörter wie „Putin“ „der Iran“, und „China“ auch weiterhin benutzen ohne gleich ein schlechtes Gewissen zu bekommen.

        1. miri findest du es eigentlich nicht besonders lustig, dass du mit dem buch gegen die moral moralisieren gegangen bist LOL. ich werde darüber noch ein leben lang lachen. und jetzt geh studieren sonst spürst du den massstab, das bin nämlich ich, wie du bereits weisst.

          1. Wer Sprache nur noch als Hülle für eigene Beliebigkeit sieht, wird jede Analyse von Struktur sofort als „Moralisieren“ abtun. Nicht weil sie moralisch ist, sondern weil er vergessen hat, dass Sprache auch Wirklichkeit formt – nicht nur Selbstbilder.

            Der Text spricht nicht von Gut oder Böse, sondern davon, wie Worte in Systeme eingebunden sind. Wer Begriffe auflädt, schafft Kategorien. Wer Kategorien schafft, schafft Ausnahmen. Und wer Ausnahmen schafft, schafft Gewaltpotenzial.

            Das ist keine Moral. Das ist eine Beschreibung. Wer das nicht unterscheiden kann – oder nicht will – hat den Kampf gegen die Bedeutung schon lange aufgegeben und verwechselt Entkopplung mit Freiheit.

            Du darfst also ruhig weiter gegen Moral kämpfen. Der Text kämpft gegen etwas ganz anderes: gegen die freiwillige Verrohung durch Strukturvergessenheit.

      1. Ja, nichts Neues – und genau deshalb steht es auch im Text. Nicht, weil es originell wäre, sondern weil es eben nie abgeschlossen ist. Die Sache mit dem „Staate Dänemark“ wirkt so abgeklärt, aber ist in Wahrheit selbst schon Teil der Routine: dieses ironische Schulterzucken, das vorgibt, alles längst erkannt zu haben – und damit genau jene Wiederholung absichert, die es scheinbar kritisiert.

        Denn das ist der Punkt: Es ist nichts Neues. Und deshalb muss man es immer wieder sagen. Immer wieder zeigen, wie Sprache entmenschlicht. Immer wieder aufdröseln, wie aus Begriffen Lager werden. Es reicht nicht, einmal klug genickt zu haben – das Denken muss genauso routiniert werden wie die Rhetorik, gegen die es sich richtet.

        Der Hebel liegt genau da: in der Wiederholung. Nicht in der Pose, dass man’s eh schon wusste.

        1. Du kannst Kritik und Argumente wiederholen bis der Arzt kommt. Nur wirst du erfolgreicher beim Bequatschen deiner Zimmerpflanzen sein, als Staatsbürgern ihren guten Glauben an die Obrigkeit zu nehmen. Die wollen glauben, das ist Beschluss.

    2. „Nicht die Russen, nein, niemals. Nur Putin.“

      Aber nicht doch! Jeder Russe! Die Lebenden wie die Toten. Von Gergiev über Netrebko zurück bis zu Tschaikowski, Tolstoi, Dostojewski etc. Damit aber nicht genug. Die Sprache muß verboten werden, die Medien, die Musik, die Kultur – einfach alles bis zur Russisch Blau (Katzenrasse). Für alles lassen sich zahlreiche Beispiele anführen, der Haß kennt keine Grenzen.
      Und wenn man sich die Kommentare zu Iran anhört oder die TV-Sendungen zu Russland/China – genau dasselbe. Demnächst wohl wieder „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Wozu sonst soll das dienen?

      1. Das nennt man jetzt nicht mehr so. Den totalen Krieg bezeichnet man heute als „whole of society approach“.
        Das ist offizielles NATO-Sprech. Klingt schön weich und inklusiv. Nett, oder?

    3. @Miri,
      ein kluger und wichtiger Kommentar!

      1914 hieß es „für Gott, Kaiser und Vaterland!“
      1941 hieß es „für Führer und Volk!“
      2029 wird man rufen „für Demokratie und Freiheit!“

      Und wieder werden Russen und Deutsche irgendwo in den Sümpfen, Wäldern und Steppen Osteuropas verbluten.
      Nichts hat sich geändert, absolut gar nichts!
      Wladimir Putin ist der neue kulturelle Code für den jüdischen Bolschewismus.

  4. @Autonomer
    Das klingt rebellisch, ist aber in Wirklichkeit nur ein Erkennungszeichen für jemanden, der geschichtlich nicht aufgepasst hat. Gerade in der Frühphase war die Kirche alles andere als ein Wasserträger der Macht – sie war eine direkte Bedrohung für das römische Reich, für seine Herrschaftslogik, seine Sakralmacht, seine sozialen Ordnungen. Christliche Gemeinden wurden verfolgt, weil sie sich nicht unterordnen ließen – nicht dem Kaiser, nicht dem Kult, nicht dem Staatsdogma. Das kann man schon wissen, wenn man solche Sprüche raushaut.

    Was du hier schreibst, ist also nicht autonom, sondern bequem. Du tauscht nur die Etiketten aus. Statt den alten Stammtisch-Sprech über Minderheiten oder Ausländer zu bedienen, bietest du denselben Sound gegen „Religion“ an. Das klingt dann aufgeklärt, modern und irgendwie wach – ist aber in Wahrheit exakt das Muster, das du zu kritisieren meinst: sprachlich segmentieren, moralisch disqualifizieren, ohne irgendeinen strukturellen Gedanken dazu zu liefern.

    Die Aussage wirkt wie aus dem Lehrbuch für Ersatzverachtung: nicht die Russen, nicht die Rechten, nicht die Ungeimpften – sondern eben „die Religiösen“. Genau derselbe Reflex, dieselbe Geste, dieselbe innere Faulheit. Kein differenzierter Blick, keine eigene Denkleistung. Nur die nächste Zielgruppe für ein altes Denkmuster.

    Wer so redet, hilft nicht beim Verstehen, sondern beim Sortieren. Und das ist das Gegenteil von Autonomie.

    1. Ich schreibe nur die Wahrheit nichts weiter.
      Die Religion wollte, selbst zu römischen Zeiten, die eine Doktrin, auch nur durch eine Andere ersetzen.
      Ich möchte nicht wissen, wieviele echte kriminelle Taten religiös motiviert sind und weiterhin sein werden.
      You have to know your enemies! 😉

      1. Ich muss miri hier ganz Recht geben. U d ich lasse mal ein Zitat da, das ich gestern hier auf Overton schon gepostet habe. An dieser Stelle passt es aber noch besser:

        „We think we can congratulate ourselves on having already reached such a pinnacle of clarity, imagining that we have left all these phantasmal gods far behind. But what we have left behind are only verbal spectres, not the psychic facts that were responsible for the birth of the gods. We are still as much possessed by autonomous psychic contents as if they were Olympians. Today they are called phobias, obsessions, and so forth; in a word, neurotic symptoms. The gods have become diseases; Zeus no longer rules Olympus but rather the solar plexus, and produces curious specimens for the doctor’s consulting room, or disorders the brains of politicians and journalists who unwittingly let loose psychic epidemics on the world.”

        C.G. Jung, Gesammelte Werke 13, Abschnitt 55

        Religion lässt sich nicht abschaffen. Sie kann nur ihre Form wechseln. Aber die zugrundeliegenden unbewussten Faktoren sind genetisch hartcodiert.

        1. Komisch bei mir nicht und da stehe ich ganz bestimmt nicht alleine da.
          Keine andere Organisation, hat so viel Leid über die Menschheit gebracht, wie die christliche Kirche.
          Der Glaube ist der Tod der Vernunft.
          Religionskritik ist eine der Wurzeln der Aufklärung, ohne sie wären weder der Niedergang des Feudalismus und sein Hinwegfegen durch bürgerliche Revolutionen, noch irgend welche weitergehenden Emanzipationsbestrebungen möglich gewesen.

          1. Ohne sich persönlich zu kennen ist es jetzt natürlich komplett sinnfrei darüber zu diskutieren, inwiefern sich diese unbewussten Faktoren bei dir äußern.
            Deshalb lassen wir es dabei bewenden.

            Aber so wie du Herz und Nieren, wie jeder Mensch, besitzt, sind auch diese unbewussten Inhalte in die wirksam.

            Vielleicht ein Beispiel wie sie sich bei vielen Leuten heutzutage gerne äußern – nur um zu illustrieren was gemeint ist:
            Viele Menschen beten heutzutage wieder die Natur (bzw. das Klima) als Krypto-Gottheit an und versuchen sie durch das Befolgen von Speisevorschriften (Veganismus) zu besänftigen. Eine Form des Neu-Heidentums.

            1. ne das ist viel schlimmer. die denken tiere essen sei unmoralisch, weil die verdienen angeblich auch ein volles leben in liebe, haben „ein recht auf leben“ oder sowas. umgekehrt dann, man soll sie nicht essen, wenn das nicht der fall ist. gibt sogar irgend einen berühmten schlaumeier, namen habe ich vergessen, der sagte, solange tiere gegessen werden, wird es nie eine andere gesellschaft geben. dass es ganz in den möglichkeiten der produzenten liegt – ODER EBEN AUCH NICHT (Kapitalismus) – fällt diesen affen nie im leben ein, die denken man könne tiere in der geldkonkurrenz gut behandeln, wenn man nur wolle. die scheissen wohl ihre banknoten zum frühstück oder sowas.

                    1. da haben ihn irgendwelche französischen obermoralisten anarchos gehirngewaschen. so miris halt. hey miri geh mal stirner lesen du nullnummer.

                    2. sag ich ja, ich bin ein echter fan.. du nur ein follower. ich rede von IHM, DEM autonomen! hast offenbar nicht richtig aufgepasst in diesem overton dings. pro tipp miri: versuch das geschriebene zu verstehen.

            2. „inwiefern sich diese unbewussten Faktoren bei dir äußern“
              „sind auch diese unbewussten Inhalte in die wirksam“

              unbewußte „Faktoren“ produzieren „Unbewußte Inhalte“ die der User „Autonomer“ völllig bewußtlos zum Besten gibt?

    2. @Miri

      „Christliche Gemeinden wurden verfolgt, weil sie sich nicht unterordnen ließen – nicht dem Kaiser, nicht dem Kult, nicht dem Staatsdogma.“

      Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber die Christen waren spätestens seit dem großen Brand von Rom (63 n.Ch. / der ca. 75% der städtischen Infrastruktur vernichtet hat) schuldig und verfolgen Menschen anderen Glaubens.
      DESWEGEN wurden sie zu Terroristen erklärt und verfolgt.
      Konstantins verzweifelter Versuch, die Christen durch Zwang und Zugeständnissen zu integrieren, war der letzte Ausweg, um die innere Spaltung und damit einen Bürgerkrieg zu verhindern.

      Seit jeher zieht das Christentum eine Spur aus Blut, Gewalt und Verwüstung* durch die Geschichte!
      (* Wie die meisten Religionen)

      1. Eben und genau so verhält sich das.
        Die sich immer stärker beschleunigende Flexibilisierung von Werten,
        Normen und der Moral, sowie die sich langsam auflösenden,
        zwischenmenschlichen Beziehungen führen bei vielen Menschen zu einem
        diffusen Gefühl der Unrast, der Orientierungslosigkeit und letztendlich
        auch der Angst. Das daraus entstehende, tiefe Unbehagen in der Kultur
        ist zum Grundtenor unserer Zeit geworden.
        Das magische Denken wird von den Menschen produziert. Bestes Beispiel
        sind die Religionen, welche schon immer Mittel der
        Bewusstseinsmanipulation zum Zwecke ideologischer/psychologischer
        Herrschaftsausübung waren.

        Übrigens, war mein Vater wegen denen im Knast!

        1. ich verrate mal ein geheimnis: die moderne MUSIK kann auch ganz schön christlich sein. mittlerweile halte ich die fast nicht mehr aus, die sünder-musik. habe schon mein lieblingskaffee erpresst, dass es keine trinkgeld mehr gibt bis sie gute musik spielen. sie verstehen natürlich nicht was ich meine und sind erschrocken, aber soll ich diesen atheisten sagen: eure scheiss christen musik lässt mich kotzen? morgens um 9 schon durchs christliche sünder-fegefeuer der moralischen tränendrüsen der frömmigkeit, am hauptbahnhof spielt christliche glockenmusik etc.. sie versuchen die leute ruhig zu halten, sie denken das „hilft“ den leuten und spart gleichzeitig geld gegen vandalismus. vollidioten, alle zusammen.

          1. Wenn man sich den Text von Peter Bürger durchliest, fällt ein roter Faden sofort ins Auge: Sprache wird dort beschrieben als Werkzeug, mit dem sich Zugehörigkeit und Ausschluss regeln lassen, lange bevor Handlung oder gar Gewalt ins Spiel kommen. Genau diesen Mechanismus legst du hier im Kleinstformat offen. Du ersetzt die kirchliche Kanzel mit der Kommentarspalte, und an die Stelle von Jaegers „Tieren“ treten deine „Nullnummern“ oder „Follower“. Die Funktionsweise bleibt dieselbe: Erst etikettieren, dann das Etikett als Beweis für die eigene Überlegenheit ausstellen.

            Die Pointe des Artikels ist, dass solche Muster nicht an einen historischen Moment gebunden sind, sondern jederzeit reaktivierbar. Dein Rollenspiel zeigt es fast lehrbuchhaft. Du wirfst Brocken hin – Jahreszahlen, Insider-Codes, wüste Seitenhiebe – und schaust, wer sie schluckt. Wer nachbohrt, liefert dir gleich das nächste Stichwort für Spott. So entsteht kein Dialog, sondern eine Art Reaktionskette, in der du die Temperatur bestimmst und alle anderen nur noch auf deine Vorgaben reagieren.

            Was mich daran interessiert, ist nicht das theatrale Element, sondern die Struktur dahinter. Der Bischof im Artikel stabilisierte ein ideologisches System, indem er Begriffe auflud und alles, was daran rührte, moralisch disqualifizierte. Du stabilisierst dein kleines System, indem du permanent den Rahmen verschiebst: erst Stirner, dann 1976, dann Glockenmusik am Bahnhof. Jeder, der auf den Inhalt zurück will, landet in einer neuen Anekdote. Das ist gewissermaßen eine Miniaturversion jener „Matrix“, die ich im Ausgangspost beschrieben habe – wer den Code nicht übernimmt, „existiert“ rhetorisch nicht mehr.

            Dabei wäre die inhaltliche Frage längst lohnend: Gibt es einen legitimen Kern in deiner Kirchenkritik, wenn man das Schmähvokabular abstreift? Oder geht es dir tatsächlich nur um Provokation? Solange du die Frage offen lässt, kann man mit dir zwar Ping-Pong spielen, aber nichts verstehen. Genau das macht es für mich spannend und zugleich exemplarisch: Hier lässt sich live zeigen, wie Diskussion kippt, wenn Begriffe nicht zur Klärung, sondern zur Grenzziehung verwendet werden.

            Dass du dich selbst zum Maßstab erklärst, erinnert an jene Passage im Artikel, in der der Bischof Gott und Reich in eins setzte. Nein, ich behaupte nicht, du seist ein Kardinal im Tarnmodus. Es geht um die Mechanik: Die eigene Position wird sakrosankt, Kritik daran ist per Definition fehlgeleitet. Die Folge ist dann weniger ein Streit als ein Publikumsspiel, bei dem alle wissen, wer gewinnt, weil die Regeln vorher festgelegt wurden.

            Ich bleibe trotzdem im Gespräch, gerade weil du diese Mechanik so freilegst. Während in Jaegers Predigten die nationale Rhetorik das Eintreten für Menschlichkeit blockierte, blockiert hier der permanente Seitenhieb das gemeinsame Nachdenken über den Text. Wer das Muster erkennt – ob an der Pader 1942 oder heute in einer Kommentarspalte – kann entscheiden, ob er weiter argumentiert oder aussteigt. Schon dieses Bewusstsein ist ein kleiner Fortschritt, den die Geschichte damals schmerzlich vermissen ließ.

            Interessant ist ja, dass du mit deiner Dauerprovokation zugleich bestätigst, was im Artikel als Warnung formuliert wird: Wenn Sprache nur noch zur Segmentierung benutzt wird, kann am Ende jeder Einwand als Störung abgewiesen werden. Fasst man das historisch größer, landet man rasch wieder bei Jaegers „gottlosem Osten“ oder heutigen Feindbildern, mit denen ganze Bevölkerungen moralisch entwertet werden. Dein Repertoire ist also keineswegs harmlos; es ist bloß heruntergebrochen auf die persönliche Ebene.

            Ich werte das nicht moralisch ab – meine Kritik richtet sich an die Struktur, nicht an dein Innenleben. Ob da Zynismus, Verletzung oder bloßer Spaß am Spiel steckt, kann ich nicht wissen. Wichtig ist mir, sichtbar zu machen, wie schnell sich das Spiel verallgemeinern lässt: Wer Begriffe nur noch als Marker benutzt, trainiert einen Blick, der im Ernstfall ganze Gruppen aus der Debatte jagt, weil sie „falsch reden“. Genau das macht Sprache gefährlich.

            Darum lohnt es sich, den Artikel im Kopf zu behalten. Er erzählt, wohin diese Dynamik führt, wenn sie in Machtpositionen eingebettet wird. Das hier ist zum Glück nur ein Kommentarstrang, doch auch hier wird Reputationsschaden verteilt, Zugehörigkeit gemessen und Degradierung geprobt. Wer zusieht, hat die Wahl: mitspielen, sich empören oder das Muster benennen. Ich entscheide mich für Letzteres, weil Analyse das einzige Gegenmittel ist, das ohne Repression auskommt.

            Am Ende bleibt der Hinweis, der älter ist als jeder Troll-Mythos: Man muss nicht jede Vorlage verwandeln. Wer erkennt, dass eine „Diskussion“ nur noch als Zulieferdienst für Punchlines dient, darf sie schlicht verweigern. Trolle – in jeder Gestalt – gedeihen von Aufmerksamkeit. Ohne Zuwendung werden sie nicht unbedingt besser, aber gewiss leiser. Das funktioniert nicht immer, doch oft genug, um es zu versuchen.

  5. Ich will den Artikel nicht weiter kommentieren, denn nach kurzen Überfliegen scheint mir 80%, wenn nicht alles, richtig zu sein. Trotzdem bin ich genervt!
    Ich weiß daß die Nazis Schweine waren, Barbaren, die unter den Namen Barbarossa die Sowjetunion überfallen haben. Ich weiß auch um die Shoa und die KZs und habe diese sehr oft besucht.
    Aber derzeit interessiert mich das nicht! Israel hat bei mir derzeit denkbar schlechte Karten und ich will nichts mehr über die jüdische Opferrolle, die mich früher sehr berührt hat, hören. Gaza hat damit Schluß gemacht! Gaza war die Wende.
    Ich mache mir sehr große Sorgen um den Krieg, die völkerrechtswidrigen Kriege Israels und jetzt mal wieder auch der USA im Nahen Osten. Hier droht ein Weltkrieg.
    Deshalb ist mir auch der Klimaschutz und die Kartoffel, die der Kolonialist Kolumbus nach Europa brachte, völlig egal. Wir haben existenziellere Sorgen. Darum, das bitte ich die alternativen Journalisten hier dies zu berücksichtigen und nicht immer durch Nebenkriegsschauplätze von den wesentlichen Themen unserer Zeit abzulenken.
    Pankaij Mishra, der auf dieser Plattform beworben wurde, hat mir restlos die Augen geöffnet. Für diese Erkenntnis danke ich Overton, mehr auch nicht.

    1. Heute ist der 22.Juni. Heute vor 84 Jahren begann die „Operation Barbarossa“ zur Vernichtung der „russischen Untermenschen“. In Deutschland hat man den Mord an 27Mill. Menschen verdrängt. Und würde sich gerne für die Niederlage am 8. Mai 1945 revanchieren. In Russland erinnert man sich sehr genau an diesen Tag. Und hört genau hin, wenn aus Berlin, Brüssel… die „LTI“-die Sprache des 3. Reiches- ertönt.

  6. Ach, lieber Herr Bürger, wo sind sie denn heute – diejenigen, die widersprechen könnten und deren Wort man hören würde? Und damit meine ich nicht die zahm gemachte Amtskirche (zahm gemacht wodurch, Herr Bürger?) und die immer weniger werdenden Gläubigen („Gläubigen“? s. Lk 18,8), sondern
    – die Linken (und damit meine ich nicht nur, aber auch die Partei, der ich einmal angehört habe);
    – die Wehrdienstverweigerer;
    – die Demokraten;
    – die Pazifisten (d. h. diejenigen, die früher auf Anti-Kriegs-Demonstrationen an ihrer Karriere gebastelt haben);
    nicht zu sprechen von derjenigen Partei, die noch vor vier Jahren KEINE Waffen in Kriegsgebiete schicken wollte?

    Im Vergleich dazu haben viele Christen der NS-Zeit ein mehr als ehrenwertes Zeugnis für die Wahrheit und gegen die Barbarei abgelegt. Damit will ich selbstverständlich nicht Kardinal Jaeger entschuldigen, sondern vielmehr die Verhältnisse zurechtrücken – zwischen den Christen, die damals tatsächlich Mut bewiesen haben, und denjenigen, die heute felsenfest glauben, dass sie damals (wie heute) auf der richtigen Seite gestanden hätten. Heute, da Angriff Verteidigung ist, da Frieden herbeigebombt wird, da Waffen an diejenigen geliefert werden, die ihre genozidalen Absichten überhaupt nicht zu verbergen suchen, während man die Kritiker als Antisemiten denunziert…

  7. Ich bin seit 1978 Lunpempazifist! Und darauf bin ich stolz; ganz im Sinne meiner Vorfahren.

    Soeben schrieb ich, angeregt durch Sie, verehrter Herr Bürger:

    „Sehr geehrter Herr Dr. Benz,

    Ihr Wappen, samt Löwen aus Italien, lässt Großes im Glauben, große Gerechtigkeit im Weinberg des Herrn Ihres Erzbistums ahnen. Das ist gut. Ich bin gespannt darauf. Und das ist stark; sehr stark. Solche Zeichen sind wichtig in einer Zeit von Oberflächlichkeit, Unglauben und Relativismus ( frei nach Ratzinger ).

    Sie wissen viel, besser als ich, dass Ihr Unternehmen, für das Sie qua Amt stehen, zum einen als recht bedeutende Kinderschänder- und Frauen-Unterdrückungsorganisatioon mit mafiösen Zügen, noch viel moralische Abbitte leisten muss. Das ist gut. Ich bin gespannt darauf, was geschieht, im Gegensatz zum Ertbistum Köln.

    Sie wissen, besser als ich, das gerade Ihr Erzbistum, seinen Reichtum ab 1933 auch enteigneten Menschen jüdischen Glaubens verdankt. Das ist ein Skandal bis heute! Wann gaben Sie den Enteigneten je etwas zurück?

    Item: „Das Beispiel des Paderborner Kardinals Lorenz Jaeger: „Menschen, fast zu Tieren entartet“. Zum Gedenktag zum Beginn des NS-Völkermordes in Russland am 22. Juni 1941. ( https://overton-magazin.de/top-story/bischofsbeistand-fuer-hitlers-voelkermord-feldzug-gen-russland/ ). Wann leisten Sie für Kardinal Lorenz Jaeger Abbitte und Schadenersatz in Moskau?

    Sie wissen, besser als ich: „Qui tacet, consentire videtur.“

    Mit zwiespältig freundlichen Grüßen

    Roland Weinert [ drs. phil. ]
    Magister Artium ( Universität zu Köln, Köln, D )
    Master of Business Administration ( Universität St. Gallen, St. Gallen, CH )“

    Was wetten wir: Ich werde eine Bullshitantwort oder keine erhalten von diesem sauberen, absolutistischen Kirchenfürsten!

  8. Für Christen sind alle, die deren Ideologie nicht annehmen, schlicht Feinde – das steht so direkt in der Bibel! Auch dass es besonders Juden sind, die direkt aus der Hölle stammen, steht dort!
    Man sollte sich ehrlich machen:
    Sich der Obrigkeit unterordnen und Anderdenkende zu verfolgen, ist unmittelbar christliches Gebot.
    2000 Jahre Blutbäder sind kein Zufall.

  9. Rührend, wie sie alle auf die Miri-LLM reinfallen. Es sollte Kurse geben „wie erkenne ich ‚KI‘?“

    Und unter neuem Nick predigt „Dukus Nukus“ seinen Caspar Schmidt 🙂

    1. wow du bist aber ein gemerkiger bursche, hast du einwände? du hast den yo!-hannes vergessen und so dumm wie miri ist keine KI.

      1. „Er hieß Johann Caspar Schmidt und nannte sich [piep]. Er war ein
        vir unius libri, dies weniger ein Zeichen des Genies als infolge der Umstände,
        wie Engels sagte, ein „bedächt’ger Schrankenhasser, für jetzt noch trinkt er
        Bier, bald trinkt er Blut wie Wasser“.

        Als Mussolini 1919 rhetorisch fragte; warum eigentlich [piep] nicht wieder aktuell werden
        unterschätzte er die Situation gewaltig
        (Hans G. Helms, Die Ideologie der anonymen Gesellschaft)

    2. Ist halt ein „Turing-Test“ in freier Wildbahn. Und je nachdem wie häufig manche Personen LLMs verwenden (bzw. verwendet haben), kann es manchmal halt etwas dauern, bis man darauf kommt.

  10. “Ich träume von einer Welt ohne Religionen. Religion kidnapped die Moral und verleitet Menschen dazu, grausam zu sein.”
    Ian McEwan in ‘Kindeswohl’

    Es gibt keine friedlichen Religionen. Alle Religionen hatten und haben immer nur den einzigen Zweck, Herrschaftsapparate zu errichten und ein gefügiges Untertanensystem zu schaffen, das diesen Apparat am Leben erhält. Dazu dienten sich die Religionsführer jedem noch so brutalen Herrschaftssystem an oder errichteten ein solches selbst. Es wurden und werden alle Mittel und Methoden von psychischer und körperlicher Gewalt eingesetzt, um diese Allianz zu erhalten. Vor wenigen hundert Jahren loderten hierzulande grauenhafte Feuer der Inquisition, der 30-jährige Krieg begann als Religionskrieg, Katholiken und Protestanten, die von sich behaupteten, dem gleichen ‘göttlichen’ Herrn zu dienen, schlugen sich in Irland Jahrzehnte lang die Köpfe ein, Papst Pius XII, der selbsternannte “Vertreter des Herrn auf Erden” verhalf mit ‚göttlichem Segen‘ den übelsten Naziverbrechern mittels der “Rattenlinie” zur Flucht. In jedem Krieg, so auch jetzt, stellen sich Pfaffen hin und “segnen” Kriegsgerät und Soldaten, alles im Namen des Herrn. Und nicht zuletzt sehen islamistische Eiferer ihren Lebenszweck darin, Frauen zu peinigen und “Ungläubigen” die Kehle durchzuschneiden. Und wir schauen tatenlos weg und halten Sonntagsreden, weil wir im Grunde aus dem gleichen Holz geschnitzt sind.

  11. Der Overton-Artikel ruft in Erinnerung, wie schon vor achtzig Jahren kirchliche Kanzelreden halfen, Menschen in Feindbilder zu pressen – und wie rasch solche Bilder in tatsächliche Gewalt übergehen. Wenn man im selben Thread einen Troll beobachtet, der mit Spott-Silben und Schlagwort-Salven um sich wirft, erkennt man sofort die Miniatur eines sehr alten Verfahrens: erst Nebel, dann Lager, schließlich moralische Abrüstung gegenüber dem vermeintlichen Gegner.

    Die Methode beginnt fast immer mit Sprache, die sich weigert, beim Gegenstand zu bleiben. Stattdessen werden Trigger gesetzt: kleiner Hohn hier, ein pseudoinnerer Zirkel da, ein unvermittelter Verweis auf „Maßstab“ oder „Helden“. Nimmt man das an, wechselt die Ebene von Argument auf Identität. Der Wortwechsel wird zum Loyalitätstest, nicht mehr zur Klärung.

    Genau das prangert der Artikel am Beispiel der Bischofspredigten an. Dort hieß es: erst „Tier“ für den Feind, dann „Blutsgemeinschaft“ für die Eigenen. Später hat man dasselbe Muster in leichtere Rhetorik verpackt – heute spricht man von „Werte­gemeinschaften“ und „Schurkenstaaten“ – doch das Prinzip hat sich nicht verändert. Man erfindet ein moralisches Gefälle und tarnt es als selbstverständlich.

    Ein Troll im Kommentarstrang arbeitet mit derselben Grammatik, nur lokaler. Er tauscht den historischen Kontext gegen eine persönliche Bühne, behauptet Überlegenheit, erklärt Fragen für irrelevant und stellt die Diskutierenden vor die Wahl: einsteigen oder abstumpfen. Wer sich einlässt, übernimmt unweigerlich das Drehbuch der Eskalation, weil jede Antwort schon als Teil des Spiels verbucht ist.

    In größeren Maßstäben füttert genau diese Technik das Sicherheits­paradox, von dem wir seit der Ukraine-Front und dem Nahost-Flächenbrand sprechen. Jede Seite deutet die Reaktion der anderen als Bestätigung eigener Furcht – und greift zu verstärkter Abschreckung. In Foren liest sich das als Katzenjammer über „Massstäbe“ oder „Ehrenränge“, in der Außenpolitik als Truppendurchläufe, Sanktionspakete und rote Linien.

    So verschiebt sich die Debatte von Ursachen auf Symptome, von Sachfragen auf Identität: Wer zögert, Waffen zu liefern, wird als „Unterstützer des Aggressors“ etikettiert; wer auf Verhandlungen drängt, soll „Putins Narrativ“ bedienen; wer Israels Luftschläge kritisch sieht, läuft angeblich „iranischer Propaganda“ hinterher. Das Silben­feuer des Trolls wird hier zur Echo­kammer ganzer Medienzyklen.

    Dass wir schon emotionalisiert sind, erleichtert das Manöver. Kriegsmeldungen prasseln täglich ein, zugleich fehlt der Raum für nüchterne Begriffsklärung. Ein Troll nutzt diese Stimmung: Er liefert miniaturisierte Empörung, die das Publikum auf Abruf kennt – Hohn, Grusel, Verschwörung – und ruft damit dieselben Reflexe wach, die uns vor den Nachrichtenschirmen packen.

    Man kann den Vorgang aber umkehren. Lässt man den Troll weiter­reden, ohne seine Falle zuzuschnappen, entsteht ein Live-Lehrstück. Jede Schmähung offenbart ein Scharnier der Entmenschlichung, jede Themenflucht einen Versuch, Verantwortung zu verwischen. Statt den Spott zu beantworten, weist man auf die Technik hin – und dokumentiert, wie schnell Sprache zur Rauchgranate wird.

    Darin liegt der Nutzen: Wer das Muster im Kleinen durchschaut, erkennt es schneller im Großen. Man merkt, wann eine Talkshow vom Sachverhalt zur Gesinnungsabfrage kippt; man sieht, welche Schlagworte in Regierungserklärungen das Lagerdenken festzurren; man spürt, wann Diplomatie als „Schwäche“ geframet wird, damit Konfrontation als einzige Vernunft erscheinen kann.

    Gleichzeitig bewahrt das Verfahren vor der Versuchung, alle Troll-Einwürfe zu pathologisieren. Ob der Absender gelangweilt ist, traumatisiert oder bezahlt, bleibt zweitrangig. Entscheidend ist, dass seine Beiträge die Logik der Polarisierung abbilden. Betrachtet man sie als Textbausteine, nicht als Charakterstudie, verliert man weder Zeit noch Fassung.

    Das heißt nicht, den Troll zu „besiegen“. Es genügt, sein Material offen zu seziere­n. Danach kann man ihn weiter monologisieren lassen oder den Faden kappen – die zentrale Demonstration ist geglückt. Publikum, das die Struktur einmal erkannt hat, wird beim nächsten Nebelwurf schneller die Nase rümpfen.

    Diese Methode trägt auch durch, wenn sich die Gewaltkreise vergrößern. Je höher die Einsatzbereitschaft von Bündnissen und Staaten, desto dringender braucht es Menschen, die Nebelkerzen beim Aufstieg ertappen. Das gilt für die Ukraine-Front, wo „Verhandlungs­fantasie“ gern als Defätismus markiert wird, ebenso wie für den Golf, wo Drohnen­angriffe in Echtzeit zum „Schutz der Demokratie“ umgedeutet werden.

    Am Ende bleibt ein nüchterner Effekt: Der Troll liefert Munition für die eigen­ständige Rhetorikprüfung. Wer sie nutzt, hält Debatten offen, ohne sich vom Lärm verschlucken zu lassen. Er zwingt keinen zum Schweigen, sondern zeigt nur, wie leicht Worte ihre Spur verlieren, wenn niemand die Kette vom Begriff zur Konsequenz laut mitverfolgt.

    Dass sich diese Technik überall anwenden lässt, ist ihr Vorteil. Sie verlangt keine Mehrheit, keine institutionelle Macht, nur Aufmerksamkeit für sprachliche Scharniere. Genau das war im Artikel über die Predigten der vierziger Jahre das fatale Gegen­beispiel: Niemand sprach die Scharniere aus – bis die Toten längst auf den Schlachtfeldern lagen.

    So betrachtet, ist der heutige Troll ein nützlicher, wenn auch unfreiwilliger Dozent. Er stellt alle Instrumente bereit, um vorzuführen, wie Vergiftung per Sprache beginnt. Man muss sie nur benennen, Satz für Satz, und dann die Parallelen ziehen – von der Kommentarspalte bis in die Plenarsäle.

    Damit endet das Experiment nicht in moralischer Selbst­bespiegelung, sondern in einem klaren Erkenntnisgewinn: Wer Begriffe bemäntelt, wer Gegner entmenschlicht, wer Lagerdenken als Naturgesetz verkauft, folgt stets derselben Grammatik. Jeder, der sie einmal gesehen hat, erkennt sie wieder, egal ob sie von einem Internet-Avatar oder vom Rednerpult einer Regierung stammt.

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