„Bekämpft nicht Böses mit Bösem“

Ilya Repin (1844-1930): Bildnis L. Tolstois, 1901. Bild: gemeinfrei

Leo Tolstoi (1828-1910) betrachtete die Bergpredigt als Kern des Christentums – und inspirierte Mahatma Gandhi.

 

Insofern sie sich selbst als Ungeliebte erfahren und verstehen, müssen Menschen unter bestimmten Bedingungen zwangsläufig versuchen, mit mannigfach ausgeformten Aufrüstungen der Gewalt ihre Angst zu beruhigen. Die „Angst der Ungeliebten“ ist eine letztlich grenzenlose Angst der eigenen Nichtigkeit und Verwundbarkeit. Sie führt beim Individuum zu einem Lebensprogramm voller Gewalt gegen die eigene Person und andere Menschen. Auch hier, bei den Folgen, wird eine Dynamik ins Grenzenlose entfesselt.

Im Gattungsmaßstab bringen analoge – kollektive – Muster der Aufrüstung wider die Angst eine Zivilisation der Gewalt und (Selbst-)Zerstörung hervor. Die Gewalt ist somit Ausdruck bzw. Symptom eines heillosen Zustandes, einer leidvollen wie erbarmungsbedürftigen inneren Verfasstheit. Sie kann leider nicht überwunden werden durch Gesetz, Verurteilung des Aggressors oder Moralpredigt. Einen Ausweg aus der Gewalt eröffnen allein solche Erfahrungen, die dem Menschen ein anderes Selbstverstehen ermöglichen.

„Religion“ – innere Überwindung des Gewaltglaubens

Die Lebenskrise, die der russische Dichter Leo N. Tolstoi (1828-1910) in den 1870er Jahren durchlitten hat, wurde gelöst durch eine heilende Erfahrung und ein daraus folgendes neues Selbstverstehen. Dies war ein inneres Geschehen, welches gleichwohl nicht losgelöst vom sozialen Beziehungsgefüge jenes Lebensabschnitts (Begegnungen mit Menschen aus einer anderen sozialen Klasse) betrachtet werden sollte.

Tolstoi bezeichnete dieses neue Selbstverstehen als „Glauben“ und ordnete es der Religion zu – nicht der Philosophie oder einer sonstigen Disziplin des Denkens. Bis zum Ende seines Lebens wird er fortan daran festhalten, dass es – bezogen auf den Einzelnen und die Gemeinschaft – ohne Religion ein Gutsein des Menschen nicht geben könne: Nur die Religion vermag die Gewalt zu überwinden.

Die klarste Ausformung der universell verstandenen Religion ist in Tolstois Augen die Religion Christi. Da jedoch ihm zufolge das verfasste, real existierende Kirchentum im wesentlichen auf eine Verfälschung der Religion in ihr genaues Gegenteil hinausläuft, kommt gerade die sogenannte christliche Welt als Urheberin einer abgründigen Gewalt ins Blickfeld:

„Die sich immer mehr vervollkommnenden Mittel …, die zur Vertilgung der Menschen dienen und die den Massenmord ohne eigene Gefahr immer mehr erleichtern, zeigen mit steigender Deutlichkeit, dass die Lebensweise der christlichen Völker unmöglich in der Richtung fortgesetzt werden kann, in welcher sie sich jetzt entwickelt“.
L. N. Tolstoi

Dass wenige Jahrzehnte nach seinem Tod ausgerechnet ein sich christlich nennender Kulturkreis die Atombombe hervorgebracht hat, wäre ihm eine erschütternde Bestätigung für seine Sicht der Dinge gewesen. Aktuelle Erscheinungen des verfassten Religionsgefüges sind im Licht der Diagnose des russischen Dichters wenig erstaunlich. Auf Kirchentagen werden Waffenlieferungen wie ein neues Evangelium gehandelt. Die Botschaft von Jesus aus Nazareth scheint man hingegen – im Einklang mit staatstragenden Konzepten – eher wie eine schöne Legende zu betrachten.

Bestätigung aus Nordamerika

Um die Wende hin zu einem neuen Selbstverstehen als Mensch zur Sprache zu bringen, kann Leo N. Tolstoi im April 1881 schreiben, er sei vor zwei Jahren Christ geworden und seitdem erscheine ihm alles, was er höre, sehe und erlebe in einem ganz neuen Licht. Die eigene Bibelarbeit hat ihn bereits zu einer Wiederentdeckung der Bergpredigt geführt. Noch ohne vertieftes Studium der chinesischen und indischen Überlieferungen glaubt er, in der „Lehre vom Nichtwiderstreben“ geradezu ein Alleinstellungsmerkmal der – ansonsten mit allen Religionen doch so harmonisch zusammenklingenden – Botschaft Christi zu erblicken.

Das entsprechende Schrifttum der 1880er Jahre wird dann überboten durch das eigenständige Werk „Das Reich Gottes ist in euch“ (1893) über die Unvereinbarkeit von Christsein und Soldatenhandwerk. Schon etwa acht Jahre zuvor hatte Tolstoi begeistert eine Edition zur Kritik von Kriegskirchentum und Staatsgewalt des Tschechen Petr Chelčický (ca. 1390-1460) studiert.

Jetzt kann er Mitteilung machen auch über christliche Pioniere des „Nicht-Widerstrebens“ in Nordamerika, die ihm seit Erscheinen seines Buches „Worin mein Glauben besteht“ (1884) bekannt geworden sind: neben den Quäkern vor allem William Lloyd Garrison (1805-1879), dessen „Declaration of sentiments adopted by the Peace Convention“ (1838) ihm gar als ein „Meilenstein der Menschheitsgeschichte“ erscheint, und Adin Ballou (1803-1890), Autor eines „Non-Resistant Catechism“ aus dem Jahr 1844.

Der vor kurzem erschienene Sammelband „Das Gesetz der Gewalt und die Vernunft der Liebe“ erschließt vor allem Texte Leo Tolstois, die er neben dem grundlegenden Werk „Das Reich Gottes ist in euch“ und im Anschluss an dieses über die Weisung „Bekämpft nicht Böses mit Bösem“ verfasst hat.

Die Grenzen einer „Sprache der Moral“

Gegen das Totmachen war der Verfasser schon vor seiner „Christwerdung“ positioniert. Wir erwarten nun im Licht des neuen Sehens hilfreiche Überlegungen zur Frage, woraus oder wie das „Böse“ (bzw. das „Übel“) entsteht und wie man ihm denn – anders als mit Bösem (Gewalt) – entgegnen soll.

Doch den „alten Menschen“ hat Tolstoi um 1879 nicht einfach begraben. Er lebt fort vor allem da, wo in den Traktaten die „Sprache der Moral“ dominiert.

Treffliches schreibt L. Tolstoi, wenn es gilt, die heuchlerische – auf Käuflichkeit basierende – Kollaboration der „Liberalen“ mit den staatlichen Gewaltapparaten zu beleuchten. Berechtigt sind seine Verweise auf jene fiktionalen Szenarien über die Vergewaltigung von Schutzlosen und das Abschlachten von Kindern, welche fast gleichlautend zu allen Zeiten von den Parteigängern des Krieges mit triumphierender Miene vorgetragen werden.

Weniger gelungen erscheinen mir vereinzelte Versuche, das „Nichtwiderstreben“ als ein ausnahmslos geltendes Prinzip so weit zu treiben, dass auch eine nichttödliche physische Kraftanstrengung unterbleiben soll, die etwa einen Psychiatriepatienten vor der Tötung eines Mitmenschen bewahren könnte.

Wer die entsprechenden Überlegungen des Jahres 1889 anführt, sollte allerdings auch folgenden Tagebucheintrag Tolstois vom 26. Oktober 1907 zitieren: „Das Gesetz (dem Übel nicht mit Gewalt zu widerstreben) ist, wie jedes Gesetz, ein Ideal, dem alles Lebendige von selbst unbewusst zustrebt und jeder einzelne Mensch zustreben muss. Falsch erscheint dieses Gesetz nur, wenn es als eine Forderung hingestellt wird, die uneingeschränkt zu erfüllen ist, und nicht wie es verstanden werden muss als immerwährendes, ständiges und bewusstes Streben nach seiner Verwirklichung.“

Der Theologe und Slawist Holger Kuße (Lev Tolstoj und die Sprache der Weisheit, 2010) verweist angesichts der so unterschiedlichen Segmente in Leo Tolstois Gesamtwerk auf „die schmerzliche Reibung von unmittelbarer Gotteserfahrung und moralischer Doktrin“. Auch den kundigen Freundinnen und Freunden der von interessierter Seite gerne als moralistisch verlästerten Schriften könnte mitunter der Gedanke kommen, dass die Weisung „Dem Bösen nicht mit Bösem zu widerstreben“ etwa in Tolstois Legende „Der Taufsohn“ (Krestnik, 1886) nicht nur schöner, sondern auch klarer vermittelt wird als in manchem seiner Traktate zum Thema. In dieser Legende wird anschaulich, was der dem Dichter nahestehende Alexander Iwanowitsch Archangelski (1857-1906) ersehnt, dass nämlich menschliches Leben durch die Erweckung des Lebens eines geistigen Wesens im Missetäter“ beschützt wird.

Tolstoi selbst spürte wohl die eigenen Grenzen auf dem Feld einer „Sprache der Moral“. Er folgte einer anderen Spur etwa in seinem populären Lesewerk „Für alle Tage“, worin treffliche Texte befreundeter oder verehrter Autoren den eigenen Sentenzen zur Seite gestellt werden, oder dem im letzten Lebensjahr abgeschlossenen „Weg des Lebens“ (1910).

Holger Kuße deutet an, wie die besagte „schmerzliche Reibung“ erträglicher oder vielleicht sogar aufgehoben werden könnte. Den „ethischen Werkteilen“ wäre – auch zwecks gegenseitiger Beleuchtung – stets jenes Schrifttum von Leo Tolstoi zur Seite zu stellen, das einer „Sprache der Weisheit“ folgt.

Das hieße nun freilich, dass eine Darstellung darüber, wie Tolstoi den Nichtwiderstand gegen das Böse versteht, nicht nur auf der Grundlage eines Klassikers wie „Das Reich Gottes ist in euch“ (1893) und der jetzt in der Tolstoi-Friedensbibliothek (Reihe B, Band 5) neu edierten Traktate geschrieben werden kann. Einen solchen Weg hat Tolstoi selbst gewiesen, als er den Traktat-Kapiteln auf Schritt und Tritt „weisheitliche Zitate“ voranstellte.

„Nichtwiderstehen“ bedeutet nicht „Passivität“

Dem Botschafter des Nichtwiderstrebens gemäß der Bergpredigt wird von den Kritikern aller Epochen vorgeworfen, sich hinsichtlich der Verbrechen und Leiden in der Geschichte bequem auf eine Zuschauerrolle zurückzuziehen (Tatenlosigkeit, Weltflucht etc.). Im Fall von Tolstoi wirkt ein solcher Vorwurf geradezu absurd, wenn man bedenkt, wie dieser sich über Jahrzehnte hin – förmlich bis hin zum letzten Atemzug – gegen Todesstrafe, Krieg, Hungersnot, Repressionsapparate und soziales Unrecht engagiert hat. Die Apologeten einer vermeintlich rettenden Gewalt müssen vor allem sein Verständnis des Nichtwiderstehens mutwillig verzerren, um von Passivität und fehlender Anteilnahme sprechen zu können.

Dirk Falkner (Straftheorie von Leo Tolstoi, 2021) verweist in diesem Zusammenhang auf Tolstois Briefzeilen an William L. Kantor vom 9. April 1890: „Man verwechselt (absichtlich, wie es mir scheint) das Wort ‚Widersetze dich nicht dem Bösen durch Böses‘ mit ‚Widersetze dich nicht dem Bösen‘, d.h. mit ‚Sei gleichgültig dem Bösen gegenüber‘. Während der Kampf gegen das Böse das einzige Ziel des Christentums ist, und das Gebot vom ‚dem Bösen nicht widerstreben‘ als das wirksamste Kampfmittel gegeben ist.“

Die mit Tolstoi verbundene Bewegung einer Verweigerung des Tötens war das genaue Gegenteil von Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit und Ergebung unter das Übel. In den Traktaten des Russen werden die Menschen ermutigt, aufzuwachen und den zivilen Ungehorsam einzuüben. Schließlich lag ihm nichts ferner als das Ideal einer „Gemeinde der Reinen“, die sich fein sauber von den Kloaken der Welt abschirmt.

Die Vernunft der Liebe

Leo Tolstoi war zutiefst von der Irrationalität des Gewaltglaubens überzeugt. „Violence doesnʼt work“, diesem Diktum der irischen Friedensnobelpreisträgerin Mairead Corrigan-Maguire hätte er seine Zustimmung wohl kaum versagt. Die Gewalt kann nicht schützen, bessern oder heilen, wie es die Priester der Kriegsreligion verkünden. Deren lautstarke Heilsversprechen werden nie eingelöst. Denn wo das Böse mit dem Bösen bekämpft wird, wächst es ins Grenzenlose – statt zu verschwinden.

Diesem Abgrund können die Menschen nur entkommen, wenn sie sich auf den Weg der Bergpredigt begeben und der Gewalt nunmehr wirksam entgegentreten, indem sie ihr mit dem Guten antworten – statt mit „gleicher Münze“. Gewaltfreiheit funktioniert. Nicht die militärische Heilslehre, die stets Öl ins Feuer gießt (bis hin zum Weltenbrand), sondern die Bergpredigt gründet auf Realismus.

Diesen Aspekt betonen Texte über eine „Vernunft der Liebe“. Für Tolstoi ist „Vernunft“ das Gegenteil eines korrumpierten rationalistischen Denkens und aufs engste mit der Religion verbunden. Sie ist das Vernehmen einer Güte, durch welches wir selbst gut werden können. Diese Erfahrung verhilft uns zur Klarsichtigkeit und befähigt überhaupt erst zu einem guten Handeln. Es gilt: „Jede Gewalt widerstrebt der Vernunft und der Liebe. Nehme keinen Anteil an ihr:“

Nicht ohne einen gewissen Selbstwiderspruch stellt Tolstoi in einem Anhang zur Schrift „Das Gesetz der Gewalt und das Gesetz der Liebe“ aber klar, dass der Gewaltverzicht für ihn keine pragmatische Strategie ist, deren Einsatz womöglich von Fall zu Fall und zwar abhängig von Nützlichkeit und Erfolgsaussichten zu entscheiden wäre:

„So sonderbar mir aber die Verblendung der Menschen auch erscheinen mag, die an die Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit der Gewalt glauben, es sind doch nicht Vernunftgründe, die mich von der Richtigkeit des Nichtwiderstrebens gegen das Böse überzeugen und auch die Menschen unwiderstehlich davon überzeugen müssen, sondern einzig und allein die innere Selbsterkenntnis des Menschen, die vor allem in der Liebe zum Ausdruck kommt. Die Liebe jedoch, die wahre Liebe, die das Wesen der menschlichen Seele ausmacht, die Liebe, die in der Lehre Christi offenbart wurde, diese Liebe schließt die Möglichkeit irgendwelcher Gewaltanwendung völlig aus.“

Man kann sich auf das Experiment der Bergpredigt einlassen, Formen des gewaltfreien Widerstehens und Strategien der Entfeindung einüben … und wird zweifellos einen großen praktischen Nutzen der Weisungen Jesu bestätigt finden (womöglich gar eine Rettung der Welt bewerkstelligen, wie 1962 bei der Kubakrise). Das verbleibt aber dennoch an der Oberfläche. Nur wer befreit ist, kann befreien. Der Gewalt kann nur wehren, wer selbst nicht mehr dem Zwang zur Gewalt unterworfen ist.

Wo im Inneren eines Menschen die Angst der eigenen Nichtigkeit – die Wurzel der Gewalt – durch die Erfahrung einer unzerstörbaren Güte überwunden werden kann, wird es aufgrund eines geschenkten neuen Selbstverstehens überhaupt erst möglich, dem Bösen wirklich als Liebender entgegenzutreten und Feinde zu verwandeln.

Deutlicher oder anders noch als Tolstoi müssten wir deshalb sagen, dass Jesus zwar den Vorschlag macht, endlich einen anderen Weg auszuprobieren als den der Klugen und Mächtigen eines blutgetränkten Erdballs, hierbei aber im strengen Sinne kein neues Moralgesetz verkündet. Gezeigt wird in der Bergpredigt, wie anders die Geliebten in einer gewalttätigen Welt der Ungeliebten zu leben und zu handeln vermögen. Deshalb ist es überaus bedeutsam, das Herz des Nichtwiderstrebens als „Gütekraft“ zu beleuchten.

Tolstoi und Gandhi

Mit zunehmenden Alter erkannte Tolstoi, dass die Wegweisung „Dem Bösen nicht mit Bösem (Gewalt) widerstehen“ mitnichten nur dem noch unverfälschten Christentum zugehört, sondern vielmehr in allen Kulturen durch Überlieferungen und Weisheitslehrer enthüllt wird.

1908 erhielt er eine Zuschrift des im Exil lebenden bengalischen Revolutionärs Taraknath Das (1884-1958), der seinen Blick auf das Massenelend in Indien lenken wollte. Dort hatte eine „christlich“-europäische Kolonialmacht nichts dabei gefunden, dem Hungertod von sehr vielen Millionen Menschen wie einem Naturereignis zuzuschauen und gleichzeitig die eigenen Unternehmen die nötigen Lebensmittel außer Landes schaffen zu lassen.

Tolstoi versuchte, sich kundig zu machen und eine angemessene Antwort zu formulieren. In seinem „Brief an einen Hindu“ führt er viele Passagen aus indischen Überlieferungen an, die seinem Votum für einen gewaltfreien Widerstand und der Warnung vor einer Angleichung an die sich christlich nennenden Europäer Nachdruck verleihen sollen.

1909-1910 kommt es dann zu einem Briefwechsel zwischen Mohandas Karamchand Gandhi und Leo N. Tolstoi. Gandhi hatte bereits 1894 die englische Übersetzung eines grundlegenden Werkes des Russen gelesen, worüber er in seiner Autobiographie rückblickend mitteilt: „Tolstois Das Reich Gottes ist inwendig in euch überwältigte mich.“ Zu diesem Zeitpunkt gehörten gewaltlose Widerstandsformen schon zu seinen Überlegungen; insbesondere hatte er sich bereits ein Lehrgedicht „Böses mit Gutem vergelten“ von Shamal Bhatt (1684-1769) zum Leitsatz gewählt.

Der in Selbstzeugnissen so nachdrücklich hervorgehobene Einfluss Tolstois ist also nicht als Offenbarung einer vollständigen Neuigkeit misszuverstehen, sondern war 1894 der entscheidende Impuls, eine eigene Wegfährte wieder aufzunehmen, die ganz verloren zu gehen drohte. Zum 100. Geburtstag des Russen sagte Gandhi 1928:

„Als ich nach England ging, war ich ein Anhänger der Gewalt, ich glaubte an sie und nicht an die Gewaltlosigkeit (nonviolence). Nachdem ich dieses Buch (The Kingdom of God is Within You) gelesen hatte, löste sich der Mangel an Vertrauen in die Gewaltlosigkeit auf.“

Tolstois Botschaft für das dritte Jahrtausend

Tolstois Botschaft richtet sich an ein Zeitalter, in welchem sich nunmehr – angesichts der zivilisatorischen Entwicklungen im dritten Jahrtausend nach Christus – das Geschick der menschlichen Gattung entscheiden wird:

„Begreift, dass die Erfüllung des von uns erkannten höchsten Gesetzes der Liebe, das die Gewalt ausschließt, zu unserer Zeit für uns ebenso unvermeidlich ist, wie es für die Vögel unvermeidlich ist, umherzufliegen und Nester zu bauen.“

Es ist zu spät auf der Erde, um die Menschen weiterhin nach Maßgabe der Mächtigen in „Gute“ und „Böse“ aufzuspalten, da sie doch alle eine Schicksalsgemeinschaft bilden und nur gemeinsam überleben können.

Wie wäre – wider allen Augenschein – eine sich in globaler Verbundenheit und Kooperation vollziehende Revolte für das Leben noch rechtzeitig vorstellbar, gleichsam ein neues Selbstverstehen der gesamten Gattung? Leo N. Tolstoi vermochte nur eine einzige Revolution anzuerkennen und zwar jene innere, die sich im Herzen jedes einzelnen Menschen ereignen kann. Sie ist allerdings kommunizierbar und wirkt sogar ansteckend.

Auch Tolstois Kunsttheorie könnte uns – nach einer Abrüstung der moralgläubigen Anteile – hinführen zu einer Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit. Wie anders – als durch ein kulturell vermitteltes Beziehungsgeschehen – wäre dem Aberglauben an eine „rettende Gewalt“ in unserer Zivilisation ein Ende zu bereiten und andererseits dem beseelten Bewusstsein von der einen, unteilbaren Menschenfamilie zum Durchbruch zu verhelfen …

 

Der Verfasser ist verantwortlich für Konzeption und Koordinierung des pazifistischen Editionsprojektes „Tolstoi-Friedensbibliothek“. Die auf der Projektseite Tolstoi Friedenspolitik eingestellten Publikationen der in digitaler und gedruckter  Form edierten Bibliotheksreihen werden ergänzt durch einen Offenen Lesesaal.

Buchhinweis zum Beitrag
Leo N. Tolstoi: Das Gesetz der Gewalt und die Vernunft der Liebe. Texte über die Weisung, dem Bösen nicht mit Bösem zu widerstehen. (Tolstoi-Friedensbibliothek: Reihe B, Band 5). Norderstedt: BoD 2023.
(ISBN 978-3-7557-1751-5; 312 Seiten; Preis 12,99 Euro).

 

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41 Kommentare

  1. Gott und Religion seien Kitsch, meint Ludwig Feuerbach.

    ” Der Gott des Menschen ist nichts anderes als das vergötterte Wesen (vergöttertes Selbst) des Menschen, also eine Projektion.” ( Ludwig Feuerbach )

    Ausgerechnet noch Gandhi dabei, dieses Ekelpaket.
    Sexists, Macker und Freund des indischen Kastensystems.

    1. Feuerbach hat ebenso wie Nietzsche das Wesen der Religion bzw. bestimmter Religionen nicht hinreichend erkannt, obwohl er wusste, dass der Mensch Gott nach seinem Ebenbilde schuf.
      Im nachhinein ist eine solche Aussage leicht zu treffen, vor allem wenn der Gottesbegriff eher mit Liebe als mit Macht verstanden wird.
      Im Text geht klar hervor, dass Aussagen relativ in Bezug auf Kenntnis und Interpretationshorizont zu treffen sind.
      Während Tolstoi im 19.Jhd. noch glaubte, nur das Christentum sei eine Religion der Liebe, änderte er im 20. Jhd. diese Meinung, nachdem er weitere Religionen kennen lernte und somit jeder diesen inneren Kern zuerkannte.
      Ein Hans Küng bezeichnete dies übrigens als Weltethos.
      Wenn es aber innerhalb des Menschen etwas gibt, das seine Erfüllung nicht in Dominanz, Herrschaft und Privilegierung sucht, sondern in Mitgefühl und Liebe gefunden hat, dann sollte jede emanzipatorische Bewegung dies nicht als Schabernack abtun, sondern (materislistisch) zu begreifen lernen.

      1. Das Konzept des Gewaltverzichts ist an sich vernünftig, nicht aber auf Individum-Ebene. Dort ist es chancenlos, da menschlicher Natur widersprechend. Einen ‘neuen’ Menschen wird es nie geben, gegen Natur anzukämpfen ist in diesem Zusammenhang genauso falsch, wie in jedem anderen.

        Sehr wohl aber ist das Konzept auf gesellschaftlicher, institutioneller Ebene verwirklichbar. Krieg ist organisierte Gewalt, organisierte Kriminalität, war schon immer äusserst kontraproduktiv und ist heute existenzbedrohend für die Menschheit. Darauf kann man sich einigen und entsprechenden Verzicht üben. Eine Voraussetzung dafür ist bestimmt die Abschaffung des Nationalstaats.

    2. Atheisten sind wie Veganer. Man muss nur vorsichtig “Jesus” sagen und die Atheisten kommen um die Ecke und drücken ihr Wachturm-Heftchen ins Gesicht.

  2. Tolstoi ist der Gipfel menschlicher Weisheit und viele Andeutungen von Marx weisen darauf hin, ohne wissenschaftlich verarbeitet worden zu sein.
    Tolstoi kann aber heute viel vollständiger verstanden werden, als es ihm selbst möglich war.
    Im Gegensatz zur Macht huldigenden Kirche (Götzendienst!) und ihren Dominanz-Bestrebungen hat Tolstoi die Bergpredigt als den eigentlichen Kern der Botscbaft Jesu erkannt. Dabei meine ich mit Jesus einen Menscben und keinen (gezeugten) Sohn Gottes, als was er sich selbst niemals bezeichnet haben soll, aber Paulus als theologische Basis brauchte und damit auch den ganzen Rattenschwanz von Sünde, Sühne und Auferstehung.

    Letzte Woche ist ein großartiger Mensch gestorben, den die kommunistiscbe Oberbürgermeisterin von Graz als außergewöhnliches Vorbild lobte, was durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte, wenn man auch zwischen den Zeilen zu lesen versteht.
    Dieser Pfarrer Wolfgang Pucher, der selbst die Armut am eigenen Leib erfahren hat und extrem ausgeprägt in Instanbul, hat die Linderung und Befreiung von Leid auch für den Gebenden als reiches Leben verortet.
    Nicht anders sah das Jesus. Und seine Basis war das Judentum, das eigentlich erst mit dem Exodus so wirklich beginnt. Und eine vollständig verstandene Exodustradition kann nur Anarchismus und damit Befreiung von sich selbst privilegierenden Herrschaftsstrukturen bedeuten.
    Selbstlosigkeit richtig verstanden ist die höchste Form des Adsums an sein Selbst und damit die Befreiung von der Knechtschaft der Auswüchse des Egoismus. Denn kein Egoist wird jemals nachhaltig wirklich glücklich sein, solange er sein Selbst nicht erkannt hat.
    Ich brauche kein Buch von Tolstoi vollständig gelesen zu haben, um zu wissen, dass dies seine eigentliche Botschaft war, was auf sein Damaskus-Erlebnis der erfüllenden Kraft solidarischen Verhaltens fußte.
    Und das wird auch die Basis sein, was einen wirklichen und nachhaltigen Frieden ermöglichen wird, falls die Menschheit nicht vorher scheitert, Es bedeutet, den Menscb vollständiger zu begreifen und dann kommt man selbst darauf, dass dieser nicht für den aussortierenden und eliminierenden Wettbewerb “geschaffen” wurde, sondern um zu kooperieren und dabei kein Saldenknecht zu sein.

  3. “Bekämpft nicht das Böse mit bösem”
    sondern lasset das Böse auf euch einwirken, in dem ihr auch die andere Wange hinhält.
    Das “Böse” nützt diese Lehre für sich, und das Volk lässt sich ohne Wehr in den A. F…… !!

    Auge um Auge u.s.w. halte ich für mich die bessere Lösung !!!

    Diese “Mumien” immer wieder herholen – nützt gar NICHTS !!!
    Die heutige Generation kennt nur einen Spruch – ” Was interessiert mich mein Geschwätz von Gestern”
    Ich kann die ganze Welt Vergewaltigen – ich handele ja OHNE VERANTWORTUNG – und die sich wehren – werden
    sogar von meinen Jüngern verfolgt !!! So kommen auch meine ……… in den Genuss andere zu ……… !!

    1. Jesus hat bei der Tempelreinigung also die andere Wange hingehalten und keine Peitsche oder ähnliches geschwungen?
      Die Geschichte chrishtlicher Kirchen war also eine Geschichte der die andere Wange hinhaltens und keine unter diesem Zeichen wirst du siegen-Geschichte?

      1. Luck, glauben Sie, dass die heutige global agierende SEKTE an den gleichen Gott/Religion glauben ???

        Und die kirchliche ( Geschichte ) ???

        Schon seit Jahrhunderten dienen diese die Menschheit zu verdummen, und zu versklaven.

        1. Nein, glaube ich natürlich nicht. Darum schreibe ich ja, um zu versuchen, bei der Änderung ein wenig mitzuhelfen.
          Ist es nicht provokant genug, Jesus als Materialisten und Anarchisten zu bezeichnen und darauf hinzuweisen, dass er sich nie als Sohn Gottes bezeichnet hat?
          Aber es gibt in diesen Kirchen und Sekten auch aufrichtige und hilfsbereite Menschen, denen Religion ein Halt für ihre Hilfsbereitschaft ist.
          Das Tun, das Handeln adelt und sonst nichts.
          Sollte es jemals fundamentale Änderungen geben, bevor der Laden hops geht, wird dies wohl von einer Neuauflage des Bundes der Gerechten initiiert sein, in welchem jeder aufrichtige, offene und hilfsbereite Mensch Zugang und Wirkungsstätte findet.

        2. Nur eine Theologie/Philosophie der konkreten Befreiung von Leid und Erfahren von Solidarität, Rückhalt und Zuversicht sind die Maßstäbe eines nicht-hierarchischen Gottes, dem Guten Hirten, den Jesus in der jüdischen Religion erkannt hat.
          Dieses Reich zu bauen, indem deren Maßstäbe verwirklicht werden und die deine, meine und unsere alle sein könnten, wenn unser Herz und Verstand mündig dazu sind, ist die eigentliche Agenda der Menschheit und damit die menschliche Vorgeschichte abzuschießen und Raum und Gestaltungskraft für das reiche, nicht das privilegierte Leben zu schaffen.

    1. Warum mythisch und Netflix?
      Ich haben noch nie Netflix geschaut und wüsste auch nicht warum.
      Jesus soll in seiner Muttersprache von seinem Vater gesprochen haben und dies in der Dimunitivform. Väterchen also. Das ist aber als Zeichen äußerster Vertrautheit zu werden. Und seine Begleiter, Analphabeten von “Beruf”, verstanden dies sicher nicht.

  4. Gandhis Erfolg beruhte aber darauf, zwar selber nicht Gewalt auszuüben, aber die anderen an einen Punkt zu bringen wo diese Gewalt angewendet haben und sich so diskreditierten. Funktionierte aber nur, weil zwar das Empire nicht demokratisch war, aber dessen Mutterland eine demokratische Basis hatte und so etwas wie freie Medien.

    Die andere Wange hinhalten hat weder Jesus vorm Kreuz noch seine Anhänger vor den Löwen gerettet. Und als dann Kaiser und Könige die Macht des Glaubens für sich entdeckten, da hatte das offizielle Christentum längst seinen inneren Kern verloren, da pedigte man von den Kanzeln Wasser und die Kirchenoberen soffen stattdessen Wein.

    So etwas wie eine Menschenfamilie gibt es aber auch nicht. Meine Familie ist bei mir zu Hause. Ich kann andere als Mensch respektieren und wie Menschen behandeln, aber als Familie betrachte ich nur die Menschen, die zu mir gehören.

    1. Ein Stuhlbein ist auch kein Bein. Man sollte eine Metapher (oder Anapher) schon richtig zu verorten wissen, um auch fähig und würdig damit umzugehen. Und beim Begriff der Familie ist es nicht völlig anders. Dabei soll es Kleinfamilien und Großfamilien, sogenannte Clans, geben.

      1. @ Luck:

        Ich bin überrascht, ich dachte in Ihrer Sphäre gäbe es weder Stühle, noch Beine, erst recht keine Familien, sondern nur soziale Konstruktionen.

        Jenseits Ihres Duktus haben Sie mich aber schon verstanden, daher ja auch die Form des Echos.

        1. Natürlich habe ich es verstanden und auch, dass es “natürliche” Abstufungen in punkto Solidarität etc. gibt. Dass man dabei im nächsten Umfeld anfängt, versteht sich von selbst. Und dass dabei Gendern kein Qualitätsmerkmal ist, versteht sich wohl auch von selbst.
          Wer es (durch dementdprechende Tätigkeit) gelernt hat, sich die Hände (und noch mehr) schmutzig zu machen und durch entsprechende Tatkraft zu überzeugen weiß, kann sich dann auch mal unkonventionelle Ansichten wie ich hier leisten.

  5. @Luck

    Wer ist denn dieser “Jesus” ?

    Das stinkt doch alles nach einer Sandalenoper von Netflix.

    Wer an höhere Wesen glaubt, die einen beobachten, kontrollieren, steuern, im “Jenseits” bestrafen usw.
    Der bildet diverse, psychische Krankheitsbilder aus.
    Das ist der Stand der Wissenschaft.

    1. Habe ich von einem höheren Wesen oder von einem Jenseits geschrieben?
      Jesus war in meinen Augen Materialist und Anarchist.
      Ich hänge aber keinem Opferglauben oder einer Opfertod-Mystik an bzw. nach.
      Eine Reise zum Sebst vitalisiert, gibt unendlich viel Energie und Antrieb und ist das Gegenteil von Krankheit.

    2. Tja, manchmal würde man sich wünschen, es gäbe ein “Jenseits”, in dem so mancher für seine Untaten bestraft würde. Denn der Mensch ist offenbar zur Selbstregulation ohne Druck nicht wirklich fähig. Und man sollte das Religiöse in unseren “modernen” Zeiten nicht so abtun. Glauben manche nicht mehr an ein überirdisches Wesen, so glauben sie z.B. an Geld oder “die Wissenschaft”. Das ist mindestens genauso gefährlich, wenn nicht sogar gefährlicher, wenn eine ethische Basis fehlt. Und die vermittelt nun mal die Bergpredigt des Menschen Jesus von Nazareth.

    3. Ich bin Atheist, trotzdem finde ich es nicht gut, wie Sie über Jesus sprechen !
      Jesus war ein ein einfacher Zimmermann, der vermutlich nicht allzuviel Möglichkeiten hatte zu “sündigen”; trotzdem hatte er das Bedürfnis, sich taufen zu lassen, das lässt auf einen hochsensibelen Charakter schließen.
      Während des Taufvorganges machte er ein transzendentale Erfahrung, nach welcher er sich berufen fühlte, als Wanderprediger tätig zu werden, und eine radikalpazifistische Heilslehre zu verkünden; dies tat er mittels teilweise genial formulierter Gleichnisse; Jesus war also offensichtlich nicht nur hochsensibel, sondern auch hochintelligent.
      Seine Liebe zum “guten Vater-Gott” wurde vom diensthabenden Gott/Demiurg ( oder auch der diensthabenden Mutter-Natur/Gaia, ganz wie Sie wollen ) mit dem Martertod am Kreuz belohnt. Sein letzten Worte waren : “Mein Gott, warum hast du mich verlassen”.
      Die Passion Christi ist wohl einer der traurigsten und desillusionierendsten Berichte der Weltgeschichte.
      Wie gesagt : ich bin Atheist und hasse die Amtskirchen wie die Pest, aber ich käme nie auf die Idee mich über Jesus lustig zu machen, das hat dieser naive, friedliebende Schwärmer einfach nicht verdient !

  6. Das Konzept des Gewaltverzichts ist an sich vernünftig, nicht aber auf Individum-Ebene. Dort ist es chancenlos, da menschlicher Natur widersprechend. Einen ‘neuen’ Menschen wird es nie geben, gegen Natur anzukämpfen ist in diesem Zusammenhang genauso falsch, wie in jedem anderen.

    Sehr wohl aber ist das Konzept auf gesellschaftlicher, institutioneller Ebene verwirklichbar. Krieg ist organisierte Gewalt, organisierte Kriminalität, war schon immer äusserst kontraproduktiv und ist heute existenzbedrohend für die Menschheit. Darauf kann man sich einigen und entsprechenden Verzicht üben. Eine Voraussetzung dafür ist bestimmt die Abschaffung des Nationalstaats.

    1. Glauben Sie wirklich, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Abschaffung der Nationalstaaten auch eine Ende der Kriege bedeuten würde? Schon heute gibt es moderne Söldner-Armeen, die für jeden gut zahlenden Auftraggeber jede Drecksarbeit übernehmen. Das könnten auch global agierende Großkonzerne und Kapitalsammelstellen sein, die sich tribalistisch an kein Recht und Gesetz mehr gebunden fühlen. Der Nationalstaat bietet hier immerhin noch einen Rahmen der Einhegung, auch wenn das immer mehr bröckelt. EU oder UN sind dafür ungeeignet, da von Großkonzernen und Kapitalsammelstellen korrumpiert und gesteuert. Und das Völkerrecht ist zu schwach, um hier Regulation zu ermöglichen. Es fehlt die neutrale Instanz.

    2. Das Konzept des relativen Gewaltverzichts empfieht sich besonders auf der individuellen Ebene, wo der Staat eh schon ein Gewalt-Monopol in Anspruch nimmt. Das ist kein Verzicht auf Nothilfe oder in die Schranken Weisen besonders Halbstarker, aber ein Vorziehen der Mediation und des Ausgleichs in der Form, wie es eine alte indianische Weisheit lehrt: Man solle über einen Anderen nicht vorschnell urteilen, ehe man nicht 14 Tage in dessen Mokassins verbracht hat.
      Die Bescbränktheit der Sichtweise des homo oeconomicus durch einen integralen Ansatz und anderer egoistischer Sichtweisen, welche apriori mit einem angeblichen Wohlstandsversprechen verbunden sind, gehört thematisiert und angeprangert. Und wenn die Menschen reif genug sind, werden sie erkennen, dass sich dafür Tolstoi gut eignen dürfte. Jede Staatsform, welche nicht das Wohl aller Menschen als Ziel hat, gehört hinterfragt.
      Ein Setzen des Nationalstaates auf den Index, ohne dessen potentielle Schutzfunktion vor dem Markt zu berücksichtigen, sollte man sich zweimal überlegen, auch wenn Tolstoi hierbei eindeutig Stellung genommen hat.
      Es gebt darum, Strukturen zu überwinden, welche eine humane Entwicklung der Menschen behindern, obwohl genügend Potentielle Produktivkraft vorhanden wäre, um diese zu gewährleisten.
      Es geht schlicht und einfach darum, die Vorgeschichte der Menschheit abzuschließen.

    3. Abschaffung des Nationalstaats

      Kriegsähnliche, gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Menschengruppen (Sippen, Stämme, Familienverbände) sind historisch gesehen nicht an die Existenz von Staaten, schon gar nicht Nationalstaaten gebunden.

    4. Hallo Zack “Einen ’neuen‘ Menschen wird es nie geben” Ein fundamentaler Irrtum ! Es hat sie schon immer zu allen Zeiten gegeben. Ein paar Gedanken dazu:
      Das sind die Friedlichen, Stillen, Nachsichtigen, Bescheidenen, die schon immer ausgenutzt, missbraucht, verlacht, verspottet wurden. Sie sind immer eine Minderheit, ohne Einfluss auf den Lauf der Dinge.
      Sie sind aber, ohne dass es die Anderen wahrnehmen, der Kitt der Gesellschaft, der ein völliges abgleiten in Gewaltchaos verhindern.
      Da sie eine Minderheit sind, die sich evolutionär nicht durchsetzt (im Allgemeinen ist der Typus Gangsterboss, in welcher Ausprägung auch immer, für die meisten Frauen als Erzeuger wesentlich attraktiver als der sanfte Friedensapostel, da er dem Nachwuchs bessere Chancen verspricht. Ich weis, das will keiner hören, obwohl es alle wissen (zumindest die Frauen 😉 ), Evolutionsbiologie ist nun mal unromantisch.), gibt es kaum jemanden in Leitungsfunktion, der das Konzept auf internationaler Ebene durchsetzen will und kann.
      Daher zweifle ich am 2 Absatz des Beitrages, denn auch die internationalen Beziehungen beruhen auf der Natur des Menschen. Noch 2 Anmerkungen dazu:
      “organisierte Kriminalität, war schon immer äusserst kontraproduktiv”
      Nein für die Gewinner ist sie äußerst produktiv und profitabel.
      “heute existenzbedrohend für die Menschheit.”
      Mal ehrlich, das interessiert doch außer ein paar Friedensbewegten und ein paar Klimaklebern, aus eben der Kategorie “neuer Mensch” keine Sau.
      Je mehr die “neuen Menschen” an den Rand gedrängt werden, um so kritischer wird es. Vielleicht ist Haiti ein Versuchslabor dafür.
      Es wird sich vielleicht irgendwann in der Abwägung die Frage stellen, ob man die Rücksichtslosen weiter gewähren lässt, oder ob man sie vernichtet. Die Klimabewegung scheint sich auf diese Frage zuzubewegen. Es liegt ja in der Natur der Sache, daß gewaltbereite Egomanen nur der Gewalt weichen und Regeln und Gesetzte als Instrument zur Unterdrückung anderer sehen, nicht als Richtschnur für eigenes Handeln.

  7. Hat er auch Tolstoi gelesen? SElendski hat sich kürzlich auch zum Bösen geäußert:

    Wie immer wird auch dieses Böse verlieren.

    DIESES ist im konkreten Fall Russland, aber worauf basiert die Einschätzung WIE IMMER? Ist das eine Anspielung auf Vietnam oder Afghanistan?

    1. Das Böse ist im Menschen selbst veranlagt, egal wo auf der Welt.

      Deshalb sollte er sich selbst immer wieder infrage stellen und seine Handlungen notfalls korrigieren.

      Darkness cannot drive out darkness; only light can do that. Hate cannot drive out hate; only love can do that.

      Martin Luther King, Jr.

  8. Es rettet uns kein höheres Wesen….

    Der Mensch hat Angst vor dem Tod. Punkt!
    Religion, Gott, Götter, Allah, Buddha etc., benötigt er um ihm die Angst vor dem Tod zu nehmen und ihm ein gutes und unendliches Leben nach dem Tod zu suggerieren.
    Die Hölle ist nicht beim Teufel sondern hier auf Erden, vom Menschen selbst erschaffen.

    Kriege, Gier, Umweltverschmutzung, etc., verhindern, dass sich der Mensch auf der Erde ein Paradies schafft.

    Das herumphilosophieren bringt letztendlich nichts, dazu müßte sich der Mensch erstmal ändern und akzeptieren das nach dem Tod nichts mehr kommt und er auf Erden für eine bessere humane Welt etwas tun muss.

    Wer glauben will, soll von mir aus glauben an was er will, von mir aus auch das im Himmel Jahrmarkt ist.
    Das steht jedem frei, auch ob er sich impfen lässt oder nicht, ob er Organpsender sein will oder nicht.
    Das ist jedem seine freie persönliche Entscheidung und deshalb nicht zu verurteilen.

    1. Ich habe schon lange keine Angst mehr vor dem Tod und ob es einem Gott oder ein Jenseits gibt, ist für mich auch belanglos. Nicht belanglos ist für mich aber, ob das Leben für Alle auf dieser Erde lebenswert sein wird oder eher weniger.
      Ich habe in meinem Leben auf ganz viel verzichtet, um helfen zu können. Aber es geht mir im Grunde nichts ab, was aber umgekehrt wohl schon der Fall wäre.
      Mein Fokus liegt eindeutig im Diesseits und jenseits vermeintlicher eigener Luxusinteressen.

  9. Ich fahre Herr Bürger ja nur ungern in die Parade, weil seine Texte durchaus etwas in mir anrühren, aber wenn es nach Weihrauch zu riechen beginnt, Tolstoi Bürger zufolge die Botschaft für dieses Jahrtausend verkündet hat (! ja, da sind wir wieder bei der Religion) und einem Forenten zufolge “Tolstoi der Gipfel menschlicher Weisheit” ist muss doch mal nachgefragt werden.
    Der Idealismus Tolstois und Bürgers muss befragt werden, womit hier nicht gemeint ist, dass beide “Ideale haben”, sondern was sie für die finalen Ursachen menschlichen Verhaltens halten. Da Tolstoi und Bürger zu meinen scheinen, dass eine Besinnung, eine Änderung des Denkens (und anschließend des Verhaltens) die Welt verändern kann gehen sie ganz offenbar davon aus, dass das falsche Verhalten ausschließlich (!) eine Folge falschen Denkens ist.
    Das ist der angesprochene Idealismus, der die simple Frage nicht beantworten kann, woher denn nun das zu überwindende, fatale, das solidarische Zusammenleben störende “falsche Denken”, eigentlich ja jedes Denken herrührt.

    Der Nazarener hat sich diese Frage ebenfalls nicht gestellt, denn andernfalls wäre er entweder Wissenschaftler oder Revolutionär geworden. D.h. das stimmt vielleicht nicht. Für Jesus könnte auch man eine Art Theorie der Kettenreaktion geltend machen. Irgend jemand hätte demzufolge angefangen falsch zu denken und sich zu verhalten und dieser bösartige Umgang hat sich anschließend ausgebreitet und ist dominant geworden. Warum also nicht eine neue Kettenreaktion in Gang bringen: “Ich halte die Wange hin, daraufhin hält der Nächste ebenfalls die Wange hin und so weiter.”

    So “funktioniert’s” halt leider nicht, außer auf individueller Ebene.
    Versuchen wir dochmal die Gegenthese: Denken entspringt eigentlich nicht “im Kopf”, da findet’s nur seinen verbalen Ausdruck, sondern Denken bildet sich heraus in der Auseinandersetzng mit einem Gegenstand (Materialismus). In Bezug auf die Auseinandersetzung mit Naturgegenständen, egal ob als Wissenschaftler oder Handwerker, leuchtet das jedem sofort ein. Das naturwissenschaftliche Wissen ist einfach nur die “durchdachte” Sammlung der Erkenntnisse, welche die Wissenschaftler bei der Auseiandersetzung mit der Natur gewonnen haben und auf die wir glücklicherweise zurückgreifen können, wodurch wir uns das individuelle Durchlaufen dieses ERkenntnisprozesses der Menschheit ersparen.
    Und wie sieht es mit dem Denken und Wissen in Bezug auf die menschliche Gesellschaft aus? Da gibt’s zunächst einmal merkwürdigerweise die Unterscheidung von Sein und Sollen (Moral). Das sollten sich vielleicht diejenigen zu Herzen nehmen, die behaupten, dass “der Mensch von Natur aus böse etc.” ist. Wenn’s so wäre, woher rührt dann das diesbezügliche, nicht auszurottende Ideal? Träumen beispielsweise etwa auch die als Einzelgänger lebenden Eisbären davon, in Gemeinschaften zu leben? Wohl kaum.
    Und warum geht’s in dieser Richtung nicht voran?
    Nun, erstens geht’s durchaus voran, wenn auch langsam, denn Jesus predigte noch in einer Sklavenhaltergesellschaft, während heutzutage selbst Kriege stets als Verteidigungskriege deklariert werden müssen (“seit 6 Uhr wird zurückgeschossen”).
    Zweitens ist durchaus Wissen über den zur Debatte stehenden Gegenstand, die menschliche Gesellschaft, ja die Art der jetzigen menschlichen Gesellschaft erfahren, angesammelt und ausgearbeitet worden.
    Drittens beinhaltet dieses Wissen, dass durchaus nicht alle Gesellschaftmitglieder ein Interesse an einer “Umformung des Gegenstands”, also an einem Übergang zu einer solidarischeren Gesellschaftsordnung haben. Strukturell.

    Und dagegen soll man mit dem wiedergeborenen Gekreuzigten aus Jasnaja Poljana ankommen?
    Die monotheistischen Religionen (und die Kunst, im Falle Tolstois) stellen durchaus wichtige Meilensteine auf dem Weg der Entwicklung der Menschheit dar, die nicht beiseite geschoben, sondern (dialektisch) aufgehoben werden müssen. Aber wir leben letztlich doch im Zeitalter der Wissenschaft und das heißt m.E., dass wir – vorausgesetzt, dass wir ein Interesse daran haben – objektiv mit den nach Tolstois Tod erfolgten Versuchen der Schaffung solidarischer Gesellschaften umgehen müssen und aus den Erfahrungen lernen müssen.

    1. Das eine schließt doch das andere nicht aus.
      Aber eine solidarische Gesellschaft, welche sich nur als Gesellschaftsarchtekturentwurf sieht und von deren Funktion viele Mitglieder nicht überzeugt sind, braucht auch eine Zustimmung aus einer anderen Gegend.
      Im Betrag steht doch, dass Tolstoi noch in seinen letzten Lebensjahren eine Meinung geändert hat.
      Ihn als plumpen Idealisten zu verunglimpfen, welche gerne reale Machtverhältnisse intellektuell untermauert haben, wird dessen Denk- und Empfindungsweise auch nicht gerecht.
      Es ist doch schon seltsam, dass dieser Adlige sein Erweckungserlebnis im Gefühl lebendiger und aktiver Solidarität hatte.
      Der real existierende Sozialismus hätte eine wesentlich stärkere Anziehungskraft gehabt, wenn dessen Protagonisten Tolstois Verhalten gepflegt hätten. Aber das war ja gerade nicht angesagt sondern der wissenschaftliche anstelle des utopischen Sozialismus auf Basis der Arbeitswerttheorie.
      Interessanterweise hat in Österreich die KPÖ mit einem “Kümmerer-Programm” gewaltige Wahlerfolge zu verzeichnen. Und ein Kümmererprogramm heißt in biblisch “der gute Hirte”.
      Das ist zwar nicht das Ende der Fahnenstange, aber ein Anfang.
      Warum habe ich mich mit economies of scale, mezzaninen Finanzierungsformen, Werttheorie, modern monetary theory etc. (Religionsinterpretation) beschäftigt, so wie ich es mit vielen technischen Sachen mache, wenn ich sie brauche? Sicher nicht nur aus Spaß an der Freud, sondern weil wichtige Erklärungen und Sichtweisen ermöglicht werden. Eine bewusste gesellschaftliche Änderung hin zum erheblich besseren wird es nur mit breiter Basis und möglichst wenig Plattitüden geben.

    2. Eine klare Ansage an Gewalt beinhaltet immer auch eine Absage an struktureller Gewalt wie sie in kapitalistischen Systemen gang ung gäbe ist, welcher aber die Nutznießer meist nicht elementar ausgetzt sind und deshalb mit d3n billigsten Bauernfängereien hantieren können (und das auch noch selbst glauben).
      Bei entsprechender Erdung, also dem ultimativen eigenen Ausgesetztsein, ändert sich dann die Sichtweise völlig.

      Tolstoi spricht von einem eindeutigen Erlebnis materialistischer Natur, das er ideell im Rahmen seines Horizonts deutet.
      Wer solche massiven Grenzerfahrungen noch nicht selbst gemacht hat, kann diese zwar gerne in Zweifel ziehen, sollte sich aber überlegen, ob er sie völlig abstreitet und damit auch seinem (potentiellen) Definitionshorizont entzieht.
      Ich bin mit Dingen oft mehr als ein Jahrzehnt “schwanger” gegangen, bis sich dann Erklärungsraum durch neue Kenntnisse und Wertungen eröffnet hat…

    3. Gewiss ein komplexes Thema, danke für Ihren Kommentar.
      Im Deutschen Duden steht
      https://www.duden.de/rechtschreibung/Religion
      “lateinisch religio = Gottesfurcht, Herkunft ungeklärt; in der christlichen Theologie häufig gedeutet als „(Zurück)bindung an Gott“, zu lateinisch religare = zurückbinden”
      Vielleicht ist Tolstoi / Bürgers denken dahingehend das die praktizierte Religion eine ‘besetzte durch Gott Satan’und sie soll wieder zurück geführt werden zum ‘wahren ehrlichen Glaubens an Gott’

      Als Alternative zum Wort Religion fand ich eine indonesische Perspektive (in Englisch)
      https://medium.com/@fany.nr.hakim/what-is-religion-a-brief-introduction-b35bafa0acdb

      Gott zum Gruß

  10. Nur mal so zum Vergleich

    So wie André Glucksmann den Wandel vom Kommunist (Maoist) zum Atlantiker vollzogen hat, so haben es die GRÜNEN ihm gleichgetan. Die GRÜNEN sind gelehrige Schüler.
    ————-
    Der Dummheit, dem Hass und dem Guten wie dem Bösen hat er Abhandlungen gewidmet, die dem politischen Kontext verhaftet bleiben, in der Geschichte der Philosophie aber kaum überleben werden.

    Lange liegen die großen Schlachten der antiideologischen Aufklärung zurück. Und Frankreichs damals „Neue Philosophen“, die sie angezettelt haben, sind ins Alter gekommen.

    Als in Deutschland um die Wende der achtziger Jahre die Friedensbewegung grassierte, beschimpfte André Glucksmann die grünen Pazifisten als „Juden des Dritten Weltkriegs“.

    Ihn durch Wehrhaftigkeit zu verhindern ist das Hauptmotiv von Glucksmanns Denken. Saddam Hussein – im Golfkrieg – und auch noch Milosevic konnten von den antitotalitären französischen Intellektuellen, zu denen neben Glucksmann Figuren wie Alain Finkielkraut, Bernard-Henri Lévy und Pascal Bruckner gehören, problemlos mit Hitler gleichgesetzt werden.

    “Als in Deutschland um die Wende der achtziger Jahre die Friedensbewegung grassierte, beschimpfte André Glucksmann die grünen Pazifisten als „Juden des Dritten Weltkriegs“.
    Ihn durch Wehrhaftigkeit zu verhindern ist das Hauptmotiv von Glucksmanns

    André Glucksmanns Wirken und Werdegang sind spannender als sein Werk. Es besteht aus bedeutenden Streitschriften und banalen Traktaten. Als Schüler von Raymond Aron hatte er sich mit Clausewitz beschäftigt.

    „Die Köchin und der Menschenfresser“ bleibt ein Meilenstein der Marxismuskritik.

    „Die Meisterdenker“ sind eine einleuchtende Abrechnung, die aber über die Jahre hinweg in eine pauschale Intellektuellenschelte mündete.

    Als alle Welt über Chirac herfiel, verklärte ihn Glucksmann, der Philosoph der Abschreckung, zum Kriegsführer – und was anderes muss ein Staatschef sein?

    Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/andre-glucksmann-kommunist-maoist-endlich-atlantiker-1437661.html

  11. Welch ein wunderbarer Artikel und tolle, sachliche und weiterführende Diskussion der Foristen. Da kann man in der heutigen Zeit nur dankbar sein, dass eseinen ‘Ort’ gibt, wo so etwas noch möglich ist!!

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